· Fachbeitrag · Testierverbote
Verstoß gegen Zuwendungsverbot des WTG Berlin
von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, Münster
| Immer wieder errichten Bewohner letztwillige Verfügungen zugunsten ihres Heimes bzw. anderer Wohnformen, in denen sie leben. Das KG hat aktuell eine Erbeinsetzung zugunsten einer Leiterin einer Pflegestation u. a. für unwirksam erachtet, weil es gegen das Zuwendungsverbot des § 12 Abs. 2 Wohnteilhabegesetz (WTG) Berlin verstößt. |
Sachverhalt
Die Erblasserin (E) war ledig und kinderlos. In ihrem ersten privatschriftlichen Testament bestimmte sie die Beteiligten zu 1) und 2) (befreundete Nachbarn) zu ihren Erben. Nach Krankenhaus- und Reha-Aufenthalten, bei denen u. a. ein Hirninfarkt diagnostiziert wurde, erteilte die E den Nachbarn eine General- und Vertretungsvollmacht. Die E zog in die Pflegestation „D“ Hauskrankenpflege GmbH (D) und beauftragte diese mit allen anfallenden Leistungen, um sie zu betreuen, zu versorgen und zu pflegen. Die E widerrief in einem zweiten privatschriftlichen Testament alle bisherigen Verfügungen von Todes wegen und setzte die Beteiligte zu 3) (A, Angestellte von D) als ihre Alleinerbin ein. Die A hatte die Pflegestation D gegründet und aufgebaut und das Unternehmen inzwischen auf ihre Tochter und ihren Schwiegersohn übertragen und war dort angestellt. Nach einem zweiten Hirninfarkt widerrief die E die den Nachbarn erteilte Vollmacht. Diese regten für die E eine Betreuung an. Noch bevor das Gericht einen vorläufigen Betreuer bestellt hat, errichtete die E ein drittes, notarielles, Testament erneut zugunsten der A.
Die Nachbarn haben nach dem Tod der E einen Erbschein beantragt, der sie als Erben zu jeweils 1/2 ausweist. Die A hat beantragt, ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen. Mit Beschluss hat das Nachlassgericht die zur Erteilung des von den Nachbarn beantragten Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zugleich hat es den Erbscheinsantrag der A zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der A ist nur teilweise erfolgreich (KG Berlin 12.1.18, 6 W 13/17, ZEV 18, 526, Abruf-Nr. 205559).
Entscheidungsgründe
Weder die A noch die Nachbarn haben die E beerbt. Dazu im Einzelnen:
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der A zu Recht zurückgewiesen, weil das zweite und das dritte Testament der E unwirksam sind.
Nichtigkeit der Erbeinsetzung der A im zweiten Testament
Das zweite privatschriftliche Testament ist nach § 134 BGB nichtig, weil es gegen das Zuwendungsverbot in § 12 Abs. 2 WTG Berlin verstößt. § 12 WTG Berlin regelt Zuwendungen durch Menschen in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen i. S. v. §§ 3 und 4 WTG Berlin. Den Leistungserbringern wie auch der Leitung oder den zur Leistungserbringung eingesetzten Personen solcher Wohnformen ist es nach § 12 Abs. 1 und 2 WTG Berlin untersagt, sich von oder zugunsten dort betreuter Menschen wie auch den Bewerbern um den Abschluss entsprechender Verträge Geld oder geldwerte Leistungen versprechen oder gewähren zu lassen, die über das vertraglich vereinbarte Entgelt hinausgehen. Hier liegen die Verbotsvoraussetzungen des § 12 WTG Berlin vor.
Bei der Wohngemeinschaft, in der die E ein Zimmer bewohnte, als sie das zweite Testament errichtete, handelt es sich um eine stationäre Einrichtung i. S. v. § 3 WTG Berlin. Die Zimmer wurden von der Seniorengemeinschaft an ältere Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf vermietet. Die Dienstleistungen zur Versorgung, Betreuung und Pflege der Bewohner, die mit einem Umfang von 24 Stunden vereinbart werden konnten, wurden von der Pflegestation D erbracht. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 WTG Berlin ist es unschädlich, wenn der Vertrag über den Wohnraum und über die Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich voneinander abhängig sind. Hier waren die Bewohner der Wohngemeinschaft zwar rechtlich nicht an den Pflegedienst D gebunden, praktisch war es nach den räumlichen Gegebenheiten in der Wohngemeinschaft aber ausgeschlossen, einen anderen Pflegedienst zu beauftragen.
Das Verbot in § 12 WTG Berlin betraf die A. Nach § 12 Abs. 2 WTG Berlin gehört die Leitung des Pflegedienstleisters zum Kreis der Verbotsadressaten. Die A war seinerzeit der Leitung der Pflegestation zuzurechnen. Im Hinblick darauf, dass sie das Unternehmen aufgebaut und später auf Tochter und Schwiegersohn übertragen hatte und weiterhin im versicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis für das Unternehmen stand, hatte sie eine leitende Funktion inne. Diese Stellung innerhalb des Unternehmens verlangte ihr Verantwortung ab und eröffnete ihr vielfältige Möglichkeiten zur Einflussnahme.
Die A hat sich einen geldwerten Vorteil i. S. v. § 12 WTG Berlin gewähren lassen. Sie hatte Kenntnis von dem Inhalt des zweiten Testaments. Die E begann, kurz bevor sie zugunsten der A verfügte, sich von den Nachbarn ab- und der A zuzuwenden. Die E wollte die Nachbarn nicht mehr sehen. Allein die A genoss ihr Vertrauen. Die E hatte beide privatschriftlichen Testamente den Begünstigten jeweils unverschlossen ausgehändigt ‒ das erste Testament den Nachbarn, das zweite Testament der A.
Nichtigkeit des dritten Testaments
Das notarielle (dritte) Testament zugunsten der A ist nichtig, weil die E bei Errichtung testierunfähig i. S. v. § 2229 Abs. 4 BGB war. Testierunfähig ist nach § 2229 Abs. 4 BGB, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht es für die Annahme von Testierunfähigkeit nicht, dass der Erblasser an einer Erkrankung des Geistes oder einer Geistesschwäche leidet, hinzutreten muss vielmehr die Unfähigkeit, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Entschließung von normalen Erwägungen leiten zu lassen.
Die Demenzerkrankung der E hatte ein solches Ausmaß erreicht, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihren Entschluss zur Testamentserrichtung frei von krankheitsbedingten Störungen i. S. v. § 2229 Abs. 4 BGB zu fassen. Zu diesem Schluss kommt der Sachverständige. Nach der Entwicklung der bei der E vorliegenden Demenzerkrankung müsse spätestens nach dem Infarktereignis von einer manifesten Demenz ausgegangen werden. Folge der Demenzerkrankung war, dass die E am Tag der notariellen Verhandlung testierunfähig war, weil es einen beweissicheren Nachweis gebe, dass es mit dem zweiten Hirninfarkt zu einem endgültigen, nicht mehr reversiblen Einbruch der Gesundheit der E gekommen ist.
Keine Erbeinsetzung der Nachbarn
Die Nachbarn sind nicht Erben der E geworden. Denn die E hat das diese begünstigende erste Testament mit dem zweiten Testament wirksam widerrufen. Entgegen der Ansicht der Nachbarn ist das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geeignet, eine Testierunfähigkeit der E schon zu bejahen, als sie das zweite Testament errichtete. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es aus fachlicher Sicht zwar eine recht hohe Wahrscheinlichkeit für eine bereits zu diesem Zeitpunkt bestehende Testierunfähigkeit gebe, der notwendige Vollbeweis aus fachlicher Sicht aber nicht möglich sei.
Der Widerruf des ersten Testaments im zweiten Testament wird auch nicht von der Nichtigkeit der im zweiten Testament verfügten Einsetzung der A als Alleinerbin erfasst. § 139 BGB gilt nicht für letztwillige Verfügungen. Nach dieser Vorschrift ist bei Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nichts Abweichendes anzunehmen ist. Für letztwillige Verfügungen greift § 2085 BGB, wonach die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen nur zur Folge hat, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde.
Es ist nicht feststellbar, dass die Enterbung der Nachbarn von der Erbeinsetzung der A abhängt. Die Enterbung beruhte zwar darauf, dass sich die Gunst der E von den Nachbarn auf die A verlagert hatte. Es liegen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass sie bei Kenntnis der Nichtigkeit der Erbeinsetzung der A den Widerruf nicht ausgesprochen hätte. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sie den Widerruf mit der Erbeinsetzung einer dritten Person, etwa einer gemeinnützigen Organisation, verbunden hätte. Es ist vorstellbar, dass die E unabhängig von ihrem Wunsch, die A als ihre Bezugsperson zur Alleinerbin zu bestimmen, zudem eine negative Einstellung gegenüber den Nachbarn hatte.
Der Umstand, dass die negative Einstellung der E gegenüber den Nachbarn möglicherweise auf dem Einfluss der A beruhte, reicht jedenfalls nicht aus, um der Widerrufsverfügung die Wirksamkeit zu versagen, da die Beeinflussung durch Dritte ein Testament nicht unwirksam macht, wenn nicht die Testierunfähigkeit des Erblassers feststeht oder falsche Vorstellungen des Erblassers von der tatsächlichen Sachlage gemäß § 2078 Abs. 1 BGB zu einer wirksamen Anfechtung des Testaments geführt haben. Beides kann hier nicht festgestellt werden.
Relevanz für die Praxis
Die Formulierungen des KG sind nicht ganz präzise. Das zweite Testament ist nicht vollständig nichtig (s. Rn. 22). Vielmehr ist es im Hinblick auf die Erbeinsetzung der A nichtig. Der durch das zweite Testament erfolgte Widerruf der Erbeinsetzung der Nachbarn im ersten Testament ist wirksam (so auch Rn. 38).
Nach der Auskunft des Schwiegersohnes war die A von ihrer Arbeit freigestellt gewesen, als die E das zweite Testament errichtete. Dies steht aber der Annahme einer leitenden Stellung der A nicht entgegen. Denn sie hatte dadurch nicht ihre Einflussmöglichkeit verloren. Sie war nur nicht verpflichtet, zu arbeiten.
Die Bundesländer haben nach der Föderalismusreform zum 1.9.06 die ordnungsrechtlichen Vorschriften des HeimG des Bundes ersetzt, so auch Berlin (Zimmermann/G. Möller, Praxiskommentar Erbrechtliche Nebengesetze, 2. Aufl., § 14 HeimG Rn. 1). Das Verbot in § 12 WTG Berlin, der mit seinem Inkrafttreten § 14 HeimG (Bund) abgelöst hat, stimmt inhaltlich weitgehend mit der bundesgesetzlichen Verbotsnorm überein (Zimmermann/G. Möller, a.a.O., Anhang zu § 14 HeimG, III. Berlin Rn. 34). Auch § 12 WTG Berlin soll verhindern, dass über die Gewährung von finanziellen Zusatzleistungen oder Zusatzversprechen eine unterschiedliche, i. S. e. privilegierenden oder benachteiligenden Behandlung von pflege- oder betreuungsbedürftigen Menschen in betreuten Wohnformen eintritt.
Die Landesgesetze haben den Heimbegriff abgeschafft und stattdessen möglichst umfassende Kategorien von Wohnformen legal definiert. Diese unterscheiden sich durch den Umfang der Selbstbestimmung und den Grad an Schutzbedürfigkeit des Bewohners (Karl, ZEV 09, 544, 547). Es gibt jetzt auch stationäre Einrichtungen, Wohngemeinschaften, Wohngruppen, Service-Wohnen etc. (Zimmermann/G. Möller, a.a.O., Anhang zu § 14 HeimG Rn. 2). Jedes Bundesland kann die Begriffe selbst wählen (Karl, ZEV 09, 544, 547).
Eine Zuwendung kann auch mittels einer letztwilligen Verfügung erfolgen (Zimmermann/G. Möller, a.a.O., § 14 HeimG Rn. 25). Nach einhelliger Auffassung liegt aber kein „Sich-Gewähren-Lassen“ i. S. v. § 14 HeimG vor, wenn die einseitige letztwillige Verfügung dem Begünstigten nicht mitgeteilt und gleichsam im Stillen angeordnet worden ist. Bei fehlender Kenntnis des Bedachten ist das Testament wirksam (BayObLG FamRZ 91, 1354).
Im Anwendungsbereich des § 14 HeimG wurde verlangt, dass ein Zusammenhang der Zuwendung mit den Leistungen besteht. Das Verbot gilt demgemäß nicht, wenn der Vermögensvorteil mit den im Heimvertrag zugesagten Leistungen nichts zu tun hat (BGHZ 110, 235, 240). Ausreichend ist insoweit bereits, wenn der Vermögensvorteil auf der Grundlage des durch die Heimunterbringung bestehenden Vertrauensverhältnisses zugewendet wurde und dies auch im Zusammenhang mit der schon erfolgten Betreuung im Heim durch den Verbotsadressaten steht (BGH, a.a.O.). Ein solcher Zusammenhang wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Dies rechtfertigt der o. g. Verbotszweck (BGH, a.a.O.). Im Hinblick auf den identischen Schutzzweck von § 14 HeimG und § 12 WTG sind die dargestellten Grundsätze auch hier anzuwenden (vgl. für die entsprechende hessische Regelung: OLG Frankfurt EE 15, 113).