· Fachbeitrag · Altenpflege - Vertrauen und Vorsicht (Teil 3)
Beschäftigung von Pflegepersonal im Haushalt: Diese Fallkonstellationen sind denkbar
von Ltd. Ministerialrat a. D. Dr. iur. Frank Hennecke
| Altenpflege hat viele Geschäftsmodelle entstehen lassen, deren Seriosität gelegentlich aber auch infrage gestellt wird. Auch legitime Formen gewerblicher Altenpflege geraten schnell in die Gefahr der Illegalität. Bekanntgewordene Fälle, aber auch Bedürfnisse der Praxis geben Anlass, darüber nachzudenken, wie die Sach- und Problemlage im Fall der Beschäftigung von Personen in der Altenpflege aussieht und wie in einem juristischen Konfliktfall geholfen werden kann. Hier weitere Fallkonstellationen: |
1. Unternehmen im Inland/Kraft Entsendung aus dem Ausland
Auch im Bereich der ambulanten Pflege gibt es Unternehmen, die Pflegeleistungen anbieten. Vertragspartner der pflegebedürftigen Person ist dann für den Dienstvertrag nicht eine individuelle Pflegeperson, sondern das Unternehmen. Das Unternehmen begründet mit dem Pflegepersonal reguläre Arbeitsverhältnisse und hält somit Kapazitäten für nachgefragte Pflegeleistungen bereit. Stellt das Unternehmen die Pflegepersonen dann zur jeweiligen Pflegeleistung ab, sind diese Altenpfleger unselbstständige Erfüllungsgehilfen des Unternehmens.
Auch diese Konstellation kann für die Beteiligten Vorteile bieten. Die Pflegekräfte tragen nicht das Risiko der Selbstständigkeit, für die pflegebedürftige Person ist sichere Versorgung gewährleistet, wenn auch nicht immer durch dieselbe Person.
a) Gemeinnützige Organisationen
Das Unternehmen muss im übrigen nicht immer gewerbliche Ziele verfolgen. Altenpflege ist Gegenstand auch caritativer, gemeinnütziger oder kirchlicher Einrichtungen (z. B. Deutsches Rotes Kreuz, „Ökumenische Sozialstation e. V.“). Auch solche Einrichtungen halten Personal vor. Freilich müssen auch sie sich finanzieren, auch wenn sie vielleicht ihre Leistungen kostengünstiger anbieten können.
b) Tätigwerden aus dem EU-Ausland
Unternehmen der ambulanten Pflege können auch von einem ausländischen Mitgliedstaat der EU her tätig werden und ihr Personal grenzüberschreitend einsetzen. Da das Personal aber an wechselnden Einsatzorten tätig ist und dort nur jeweils ambulant arbeitet, werden keine festen Standortarbeitsplätze begründet und es findet keine Arbeitnehmerüberlassung statt. Es handelt sich vielmehr um freie Dienstleistung, die im Europäischen Binnenmarkt keiner weiteren Regulierung unterliegt. Der Status der Pflegekräfte bestimmt sich wiederum nach dem Recht des Sitzlandes und wird in der A1-Bescheinigung ausgewiesen. Die Pflegekräfte sind hiernach in aller Regel unselbständige Arbeitnehmer des Unternehmens und im Heimatland sozialversichert.
2. Abgrenzung Selbstständigkeit -Abhängigkeit
In den genannten Fallkonstellationen scheinen die Rechtverhältnisse der Beteiligten verhältnismäßig klar. Dass Pflegeleistungen aufgrund eines Dienstvertrags erbracht werden, dürfte unzweifelhaft sein. Die in der sozial- und arbeitsrechtlichen Diskussion vielbehandelte Frage nach der Abgrenzung „selbstständig/nichtselbstständig“ scheint keine Rolle zu spielen. Das Phänomen der „Scheinselbstständigkeit“ scheint es jedenfalls als Zweifelsfall nicht zu geben.
- Wer voll in einem Haushalt arbeitet, ist Arbeitnehmer.
- Wer Pflegeleistungen als Einzelperson ambulant anbietet, ist selbstständig und sogar nicht einmal rentenversicherungspflichtig.
- Wer als Pflegeperson für ein Unternehmen arbeitet, das im Außenverhältnis Pflegeleistungen anbietet, ist Arbeitnehmer.
Die Kriterien von § 7 Abs. 1 SGB IV, wonach „Beschäftigung“ als „nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ definiert wird und Anhaltspunkte für eine Beschäftigung in einer „Tätigkeit nach Weisung“ und in der „Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“ gesehen werden, scheinen die Einordnungen zweifelsfrei zuzulassen. Damit sind auch die sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen eindeutig.
a) Grenzfall Änderung der Pflegesituation
Gleichwohl mag es Grenzfälle geben. Ein solcher Grenzfall kann eintreten, wenn eine zunächst selbstständige Pflegeperson der ambulanten Pflege etwa im Laufe der Zeit mehr und mehr von einer einzigen pflegebedürftigen Person in Anspruch genommen wird, sich fortwährend in deren Haushalt aufhält und ständige Präsenz gewährleistet. In einem solchen Falle kann die Selbständigkeit in ein abhängiges Arbeitsverhältnis umschlagen.
b) Grenzfall A1-Bescheinigung
Ein Grenzfall kann auch vorliegen, wenn Pflegepersonal aus der EU sich im Heimatland durch die A1-Bescheinigung als „selbstständig“ deklarieren lässt und dass diese Bestätigung ursprünglich auch zugetroffen haben mag, während dann in Deutschland feste Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten begründet werden. Der Annahme eines Arbeitsverhältnisses in Deutschland steht dann die Bindungswirkung der A1-Bescheinigung entgegen, die der deutschen Sozialversicherung entgegengehalten werden kann.
Diese Fälle haben die Gerichte beschäftigt (z. B. OLG Bamberg 22.10.09, 2 Ss. OWI 725/2009). Die Lösung kann jedoch nur darin bestehen, dass auf die Rücknahme der A1-Bescheinigung durch die ausländischen Behörden hingewirkt wird, sollte die Bescheinigung einen in der Tat unzutreffenden Sachverhalt bestätigen. Aber im Grunde handelt es sich hier weniger um Grenzfälle als um Missbrauchsfälle. Davon soll nachfolgend noch kurz die Rede sein.
3. Vermittlung von Pflegeleistungen und Missbrauchsfälle
Nachfrage nach Pflegleistungen und Angebot von Pflegeleistungen erzeugen einen Markt. Auf dem Markt entsteht Konkurrenz, und wer im Wettbewerb erfolgreich sein will, versucht die Kosten für die Leistung, die er anbietet, zu senken. Das ist Normalität, und der freie Dienstleistungsverkehr in der EU will denn auch die Marktkräfte freisetzen. Dies wirkt sich im Hinblick auf die Pflegeleistungen nach zwei Seiten hin aus.
a) Marktkräfte
Soll ein Markt funktionieren, muss er auch hergestellt werden. Vermittler von Angebot und Nachfrage treten auf den Plan. So gibt es denn auch im Bereich der Altenpflege die gewerbliche Vermittlung von Pflegeleistungen. Vermitteln die „Makler“ legale Arbeitsverhältnisse, legale Arbeitnehmerüberlassung oder echte Selbstständigkeit, ist nichts einzuwenden. Vermittlung ist Teil der Marktwirtschaft, ja sogar teilweise deren Funktionsbedingung. Den jeweiligen Vertragspartnern indes verbleibt die Verantwortung für die rechtmäßige Abwicklung der Pflegeverhältnisse.
b) Missbrauchsfälle
Auf der anderen Seite ist die Vermittlung dafür anfällig, Wege aus dem Kostendruck zu finden. Dies geschieht dann, wenn der Vermittler selbst davon profitieren möchte, dass die Nachfrager nach Pflegeleistungen ihrerseits an Kostensenkung interessiert sind. Dann kann es für den Vermittler naheliegen, die vorhandenen Rechtskonstellationen zu seinem Vorteil sozusagen zurechtzubiegen, indem er entweder
- für die Bescheinigung von „Selbstständigkeit“ sorgt und „selbstständige“ Pflegekräfte vermittelt oder
- faktisch selbst als „Arbeitgeber“ auftritt, für den dann die Pflegekräfte unter Lohn arbeiten oder für die er keine Sozialabgaben zahlt. (So ein Fall, von dem die Presse berichtet hat. Ein gleichgelagerter Fall war Gegenstand einer Pressemeldung des Hauptzollamtes München vom 3.6.16: „Schwarzarbeit im großen Stil aufgedeckt“.)
- Auch kann der Vermittler die pflegebedürftigen Personen dahingehend täuschen, dass von ihnen keine oder nur geringe Sozialabgaben für ihre Vollzeitkräfte zu entrichten seien. Die Vermittlung von „Schwarzarbeit“ wäre die extremste Form. Das sind die Fälle, mit denen die Gerichte zu tun haben. Je nach Fallsituation ist hier auch kriminelle Energie tätig.
Soweit sich die Vermittlung und der Einfluss des Vermittlers auf die Beschäftigungsverhältnisse der Pflegekräfte im legalen Rahmen bewegen, können davon auch keine Rechtsfolgen für den Vermittler abgeleitet werden. Der Verdacht unrichtiger A1-Bescheinigungen kann durch Befassung der ausländischen Behörden mit diesen Bescheinigungen ausgeräumt werden, oder aber die Bescheinigungen werden von den ausländischen Behörden widerrufen. Dann löst sich das Problem. Ansonsten hilft, wie sonst auch, nur die behördliche Kontrolle.
4. Empfehlungen für die Praxis
Empfehlungen für die Praxis ergeben sich aus den dargestellten Fallkonstellationen von selbst.
Checkliste / Anspruch nach § 2287 Abs. 1 BGB |
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Zum Autor | Dr. iur. Frank Hennecke, Leitender Ministerialrat a. D., Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei Professor Dr. Hansjürgen Tuengerthal / Christian Andorfer / Heiko E. Greulich / Nicolas Prochaska, M 7, 3, 68161 Mannheim
Weiterführende Hinweise
- Teil 1 der Beitragsreihe in SB 17, 29
- Teil 2 der Beitragsreihe in SB 17, 48