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· Fachbeitrag · Beratungsangebote

Ort der Pflegeberatung und Pflegeschulung

von Prof. Dr. Martin Heckelmann, LL.M. (Cornell)

| Das SGB XI kennt verschiedene Beratungs- und Pflegeangebote für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Sie finden typischerweise in der eigenen Häuslichkeit statt. Angesichts der zunehmend verbesserten Mobilität von Pflegebedürftigen und der Berufstätigkeit ihrer Angehörigen stellt sich jedoch die Frage, an welchen sonstigen Orten Pflegeberatung und Pflegeschulung erbracht werden dürfen und müssen und ob der Einsatz von Telekommunikationsmitteln zulässig ist. |

1. Pflegeberatung nach § 7a SGB XI

Der Anspruch aus § 7a Abs. 1 S. 1 SGB XI ist gerichtet auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin bei der Auswahl und Inanspruchnahme von Sozialleistungen und Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- und Betreuungsbedarf ausgerichtet sind. Damit geht die Leistung weit über die allgemeinsprachliche Bedeutung des Begriffs „Beratung“ hinaus.

 

In der Sache ist ein umfassendes Fallmanagement geschuldet, dessen Kernstück die Erstellung eines Versorgungsplans ist (Begründung Regierungsentwurf Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 7.12.07, BT-Drs. 16/7439, S. 46; Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber/Kuhn-Zuber, SGB XI, 2. Aufl., § 7b Rn. 13). Anders als bei Pflegeschulungen steht bei der Pflegeberatung die Analyse im Vordergrund. So müssen Pflegeberater sich die Situation des Ratsuchenden schildern lassen, gezielt Fragen stellen und beobachten (Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vom 7.5.18, S. 7 ff.).

 

Die Pflegeberatung richtet sich nicht nur an den Pflegebedürftigen selbst, sondern gemäß § 7a Abs. 2 S. 1 SGB XI auf Wunsch des Versicherten auch an dessen Vertrauenspersonen. Auf Pflegeberatung besteht ein einklagbarer Anspruch (Udsching, Medizinrecht, 3. Aufl., § 7a SGB XI Rn. 2). Soweit die Pflegeberatung an anderen Orten zulässig ist, dürfen der Versicherte und seine Vertrauensperson darauf bestehen, an diesen Orten beraten zu werden.

 

a) Wohnung und Pflegeeinrichtung

Gemäß § 7a Abs. 2 S. 2 SGB XI ist die Beratung auf Wunsch des Anspruchsberechtigten nicht am vom Pflegeversicherer benannten Ort, sondern in der häuslichen Umgebung oder in der Einrichtung vorzunehmen, in der diese Person lebt. Gemeint sind damit die eigene Wohnung und die Pflegeeinrichtung. Der Gesetzgeber verpflichtet die Pflegekassen zu einer „aufsuchenden Beratung“ (Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/Pfitzner, 51. Ed. Dezember 2018, § 7a SGB XI Rn. 7). Zweck ist es, die Beratung in einer für den Anspruchsberechtigten vertrauten Umgebung vornehmen zu können (Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber/Kuhn-Zuber, SGB XI, 2. Aufl., § 7b Rn. 14).

 

b) Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung

Nach den Leitlinien der Pflegekassen kann die Beratung auch an einem Ort stattfinden, an dem sich der Versicherte nur vorübergehend aufhält, z. B. Krankenhaus oder Rehabilitationseinrichtung (GKV-Spitzenverband, Gemeinsames Rundschreiben der Pflegekassen vom 13.2.18, S. 29).

 

c) Arbeitsplatz?

Eine Beratung am Arbeitsplatz ist vor allem dann interessant, wenn sie von einem Angehörigen des Versicherten wahrgenommen wird. Zwar gilt das Angebot der Pflegeberatung auch für Vertrauenspersonen. Doch ist in den genannten Statuten kein Ort erwähnt, an dem sich der Angehörige aufhält. Die Beratung am Arbeitsplatz kann daher nicht gefordert werden.

 

d) Telefon

Im Gesetz findet sich zwar kein Hinweis darauf, doch die Statuten der Pflegeversicherung erklären die telefonische Pflegeberatung für ausdrücklich zulässig (GKV-Spitzenverband, Gemeinsames Rundschreiben der Pflegekassen vom 13.2.18, S. 33; Richtlinien des GKV-Spitzenverbands zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vom 7.5.18, S. 7). Dann kann sie auch vom Versicherten oder seiner Vertrauensperson eingefordert werden.

 

e) Videochat

Videochats werden als Option nirgends erwähnt. Zu berücksichtigen ist aber, dass ein Videochat ein Telefonat ist, das um die Möglichkeit einer visuellen Wahrnehmung ergänzt wird. Im Vergleich zum Telefonat sind daher die Erkenntnismöglichkeiten umfangreicher. So kann sich der Pflegeberater z. B. einen optischen Eindruck von der Erscheinung des Ratsuchenden oder der räumlichen Situation der Häuslichkeit verschaffen oder ein in die Kamera gehaltenes Hilfsmittel anschauen. Wenn die Pflegeberatung schon telefonisch möglich ist, so ist sie folglich erst recht auch als Videochat zulässig.

 

f) E-Mail?

Zu einer Pflegeberatung per E-Mail schweigen sich Kostenträger, Gesetzgeber, Rechtsprechung und Literatur aus. Im Vergleich zum Telefonat sind die Möglichkeiten und die Geschwindigkeit des Austauschs geringer. Zudem erfordert das Schreiben und Lesen von E-Mails körperliche Fähigkeiten, die nicht jedem Ratsuchenden zur Verfügung stehen werden. Das Medium E-Mail ist daher kein zulässiger Weg für die Pflegeberatung.

2. Schulung nach § 45 SGB XI

Die nach § 45 Abs. 1 S. 1 SGB XI durchgeführten Schulungskurse verfolgen ein anderes Ziel als die Pflegeberatung. Sie sollen das Ehrenamt stärken, die Pflege und die Betreuung erleichtern, ihre Belastungen senken und dem Entstehen solcher Belastungen vorbeugen. Als Teilnehmer stehen daher Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen im Vordergrund.

 

Gegenstand der Kurse ist die Vermittlung von Pflegetechniken, § 45 Abs. 1 S. 2 SGB XI. Die Teilnehmer sollen lernen, mit den physischen, psychischen und seelischen Anforderungen der Pflege besser umzugehen (Udsching/Schütze/Rasch, SGB XI, 5. Aufl., § 45 Rn. 4). Darüber hinaus gehört es zu den Zielen der Pflegekurse, Versagensängste abzubauen und den Erfahrungsaustausch unter den Pflegepersonen zu ermöglichen (Krauskopf/Wagner, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 99. EL Juni 2018, § 45 SGB XI Rn. 2, 5).

 

Auf die Teilnahme an Schulungskursen besteht ‒ anders als bei § 7a SGB XI ‒ kein Anspruch. § 45 SGB XI begründet lediglich einen an die Pflegekassen gerichteten Sicherstellungsauftrag im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten (Kasseler Kommentar/Koch, Sozialversicherungsrecht, 101. EL 2018, § 45 SGB XI Rn. 22; in diese Richtung formulierend auch die Begründung zum Gesetzesentwurf des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes vom 23.2.01, BT-Drs. 14/5395, S. 27). Soweit sich alternative Orte für die Schulungen ermitteln lassen, liegt es folglich immer noch im Ermessen der Kostenträger zu entscheiden, ob sie an diesen Orten ihre Leistungen erbringen wollen.

 

a) Wohnung

Gemäß § 45 Abs. 1 S. 3 SGB XI findet die Schulung auf Wunsch der Pflegeperson und der pflegebedürftigen Person auch in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen statt.

 

Keine Möglichkeit erkennt das herrschende Schrifttum hingegen für die Durchführung der Schulung in der Wohnung des Pflegenden (Kasseler Kommentar/Koch, Sozialversicherungsrecht, 101. EL 2018, § 45 SGB XI Rn. 15). Die Möglichkeit einer Schulung in der häuslichen Umgebung habe nämlich nicht das Ziel, der Pflegeperson Anfahrtswege zu ersparen, sondern auf die am Ort der Pflege vorgefundenen Umstände besonders eingehen zu können (Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/Streppel-Molitor, 51. Ed. Dezember 2018, § 45 SGB XI Rn. 25). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird allenfalls erwogen, wenn der Pflegebedürftige kurz vor dem Umzug in die Wohnung der Pflegeperson steht (Kasseler Kommentar/Koch, Sozialversicherungsrecht, 101. EL 2018, § 45 SGB XI Rn. 15).

 

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Käme es dem Gesetzgeber wie bei § 7a SGB XI in besonderem Maße darauf an, die Verhältnisse in der Häuslichkeit des Pflegebedürftigen zu begutachten, hätte er dies als erste Wahl verankert und nicht nur geregelt, dass sie „auch“ in Frage kommt (§ 45 Abs. 1 S. 3 SGB XI). Der gesetzliche Zweck, Pflegepersonen fortzubilden und Interessierte zu binden, wird insbesondere gefördert, wenn man auf diese Adressaten zugeht. Deshalb ist auch die Wohnung der Pflegeperson ein für Schulungen geeigneter Ort.

 

b) Pflegeeinrichtung

Zwar verweist die Norm im Gegensatz zu § 7a Abs. 2 S. 2 SGB XI nicht auf die Einrichtung, in der der Pflegebedürftige lebt. Hieraus kann jedoch nicht systematisch geschlossen werden, dass in Pflegeeinrichtungen keine Schulungen erbracht werden dürfen. Pflegeeinrichtungen bilden wie eine Wohnung den Lebensmittelpunkt ihrer Bewohner. Sie binden und versammeln auch viele ehrenamtlich in der Pflege tätige Menschen. Nach Sinn und Zweck des § 45 SGB XI ist daher die Pflegeeinrichtung ein hervorragend geeigneter und folglich auch zulässiger Ort zur Erbringung von Schulungen.

 

c) Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung

Dem Zweck des § 45 SGB XI steht indessen nicht entgegen, dass sich der Pflegebedürftige am gegenwärtigen Ort nur vorübergehend aufhält. Deshalb darf eine Schulung auch in Krankenhaus oder Reha erbracht werden (für die Rehabilitationseinrichtung Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber/Kuhn-Zuber, SGB XI, 2. Aufl., § 45 Rn. 8). Da zu Beginn der Pflegebedürftigkeit ein besonders hohes Informationsbedürfnis besteht, ist es dem Zweck der Norm sogar zuträglich, wenn bereits im Krankenhaus oder der Rehabilitationseinrichtung mit der Schulung begonnen werden kann und die Angehörigen nicht warten müssen, bis der Betroffene wieder zu Hause oder im Pflegeheim ist.

 

d) Arbeitsplatz

Mit den oben angestellten Erwägungen zur Wohnung der Pflegeperson ist auch dessen Arbeitsplatz nach der hier vertretenen Auffassung geeigneter Ort für Schulungskurse nach § 45 SGB XI.

 

e) Telefon, Videochat und E-Mail?

Anders als bei der Pflegeberatung sehen die Richtlinien der Kostenträger keine Schulung mit Telekommunikationsmitteln oder per Internet vor. Während die Beratung eher analytischer und verbaler Art ist, kommt es für Pflegeschulungen darauf an, dass Techniken und Fertigkeiten demonstriert und geübt werden. Die physische Anwesenheit ist dafür wesentliche Voraussetzung. Die ausschließliche Erbringung von Schulungen auf elektronischem oder fernmündlichem Wege ist daher nicht möglich.

3. Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI

Pflegegeldempfänger müssen gemäß § 37 Abs. 3 S. 1 SGB XI regelmäßig eine Beratung abrufen. Dies dient dazu, das persönliche Wohnumfeld und die Pflegesituation des Pflegebedürftigen zu überprüfen (BSG 24.7.03, B 3 P 4/02 R).

 

a) Wohnung

§ 37 Abs. 3 S. 1 SGB XI sieht als Ort der Beratung lediglich die eigene Häuslichkeit vor. Eine andere Option ist im Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings nehmen die Kostenträger an, dass es sich bei dem Haushalt auch um den der Pflegeperson oder um einen solchen handeln darf, in den der Pflegebedürftige aufgenommen wurde (Gemeinsames Rundschreiben der Pflegekassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB XI vom 13.2.18, § 37 Nr. 5.3 Abs. 2).

 

b) Arbeitsplatz?

Ausgehend von dem mit der Beratung in der Häuslichkeit verfolgten Zweck, die wohnliche Situation zu begutachten (BSG 24.7.03, B 3 P 4/02 R), scheidet der Arbeitsplatz als für die Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI geeigneter Ort aus.

 

c) Telefon und Videochat

Auf den Einsatz von Telekommunikationsmitteln findet sich kein Hinweis in den Statuten der Kostenträger. Da eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI deutlich anspruchsvoller und umfangreicher ist als die Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI, sollte aber auch für Letztere die Möglichkeit einer Durchführung am Telefon bestehen. Als deutlich mächtigeres Kommunikationsmittel ist damit auch der Videochat geeignet.

 

d) E-Mail?

Ungeeignet für die Pflegeberatung und deshalb auch für die Schulung ist hingegen der Einsatz einer E-Mail. Mit diesem Medium kann der Kostenträger seinem gesetzlichen Kontrollauftrag nicht in der gebotenen Tiefe nachkommen und insbesondere die Wohnsituation nicht hinreichend erfassen.

 

4. Zusammenfassung

Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, die Pflegeschulung nach § 45 SGB XI und die Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI unterliegen unterschiedlichen Anforderungen in der Frage, an welchem Ort und unter Hinzuziehung welcher Kommunikationsmittel sie erbracht werden dürfen und müssen. Der stärker werdende Kostendruck wird dazu führen, dass Pflegekassen auch preiswertere Varianten umsteigen und zunehmend auch Fernkommunikation in den Blick nehmen werden. Aus Sicht der Pflegebedürftigen muss dies kein Nachteil darstellen. Denn elektronische Kommunikationsmittel finden auch bei älteren Pflegebedürftigen zunehmend Anklang und ermöglichen es sehr viel besser als Präsenzveranstaltungen, die Angehörigen einzubinden.

 

Zum Autor | Der Autor lehrt Deutsches und Internationales Wirtschafts- und Arbeitsrecht, Gesundheit und Pflege an der Technischen Hochschule Nürnberg.

Quelle: Ausgabe 07 / 2019 | Seite 113 | ID 45975520