· Fachbeitrag · Betreuung
Betroffene muss Gutachten kennen, aber ...
| Der BGH musste zuletzt mehrfach klären, ob eine betreute Person ein sie betreffendes Gutachten zur Kenntnis nehmen muss. Der BGH hat dies bejaht, sagt aber auch: Es genügt, wenn der Verfahrenspfleger aufgefordert wird, das Gutachten mit dem Betreuten zu besprechen (BGH 2.3.22, XII ZB 558/21, Abruf-Nr. 228491 ). Dies muss dann aber auch nachweislich geschehen sein. |
1. Gutachter meint: Betroffene Person soll Gutachten nicht lesen
Die psychisch erkrankte Betroffene war erstmals am 4.8.21 angehört worden. Teilgenommen hatten auch ihre Verfahrenspflegerin und eine Sachverständige. Anschließend erstellte die Sachverständige ihr Gutachten. Sie wies darauf hin, dass dieses der Betroffenen aus gesundheitlichen Gründen nicht zugehen solle. Daher sandte das Gericht das Gutachten nur der Verfahrenspflegerin und an die Betreuungsstelle. Nach einer zweiten Anhörung am 9.9.21 richtete das AG eine Betreuung mit verschiedenen Aufgabenkreisen ein (u. a. Empfang/Öffnen von Post, Gesundheitssorge, Vermögensangelegenheiten). Die Betroffene legte hiergegen Beschwerde ein, die das LG ohne erneute Anhörung zurückwies. Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde der Betroffenen zum BGH hatte Erfolg. Vor Bestellung des Betreuers war die Betroffene erneut anzuhören (§ 278 Abs. 1 FamFG), so der BGH.
2. BGH: Klarer gerichtlicher Hinweis notwendig
Das Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, den Betroffenen auch im Beschwerdeverfahren anzuhören (§ 68 Abs. 3 S. 1 FamFG). Zwar räumt Abs. 3 S. 2 der Vorschrift dem Gericht in Betreuungsverfahren ein, von der Anhörung abzusehen. Dies nach ständiger BGH-Rechtsprechung aber nur, wenn die Anhörung schon im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften erfolgte und eine erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse erwarten lassen (BGH 22.9.21, XII ZB 146/21). Das Gericht folgte hier der Empfehlung des Gutachters und leitete das Gutachten aus gesundheitlichen Gründen nicht an den Betroffenen weiter. Dies sei aber nur zulässig, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger das Gutachten mit dem Betroffenen bespricht. Eben dies setze in der Regel einen Hinweis des Gerichts an den Verfahrenspfleger voraus (SR 20, 78).
Dies war hier nicht der Fall. Das AG hatte das Gutachten kommentarlos an die Verfahrenspflegerin übersandt. Zwar fand am 9.9.21 ein Anhörungstermin statt. Allerdings fand sich in den Akten nichts dazu, ob die Verfahrenspflegerin der Betroffenen vorab den Inhalt des Gutachtens erklärt bzw. dieses mit ihr besprochen hatte. Allein der gerichtliche Hinweis an den Betroffenen, dass der Gutachter eine Betreuung als „wichtig und dringlich“ ansieht, ist eben keine ausreichende Erklärung des gesamten Gutachtens.
Weiterführende Hinweise
- Fibromyalgie: Es dürfen zwei Gutachter hinzugezogen werden, SR 20, 23
- Ergänzendes Gutachten macht erneute Anhörung erforderlich, SR 22, 61