· Fachbeitrag · Patientenwille
Die Palliativ-Ampel: Eine Patientenverfügung in Kurzform?
von RAin Anne Woywod, Hamburg
| In der anwaltlichen Beratung im Zusammenhang mit Patientenverfügungen ist die Skepsis von Mandanten häufig groß: Wird die reiflich überlegte mehrseitige Erklärung in einer hektischen Notfallsituation überhaupt beachtet? Rettungskräfte tun doch im Zweifel alles medizinisch Mögliche, um sich keiner unterlassenen Hilfeleistung oder eines Verstoßes gegen den hippokratischen Eid schuldig zu machen? Kann hier die sog. Palliativ-Ampel helfen? |
1. Rettungskräfte im Visier der Strafbarkeit
Die Skepsis ist nicht unberechtigt. Der hippokratische Eid wird in Deutschland nicht mehr verpflichtend geleistet. Dennoch steht eine Strafbarkeit von Rettungskräften im Raum. Dies gilt zum einen, wenn Maßnahmen unterlassen werden, die geboten sind und dem Willen des zu behandelnden Menschen entsprechen. Es gilt aber auch bei der Vornahme von Maßnahmen, die zwar geboten sind, jedoch dem ausdrücklichen (u. U. aber nicht wahrgenommenen) Willen des Betroffenen zuwiderlaufen.
Diese rechtlich unbefriedigende Situation führt zu einer großen Verunsicherung bei allen Beteiligten ‒ Mandanten bzw. potenziellen Patienten einerseits und Rettungskräften andererseits gleichermaßen ‒ die bisher praktisch nur schwer in den Griff zu bekommen ist. Um dies praxisnah handhaben zu können, unternahm Ende April 2020 die Deutsche Palliativ Stiftung einen Vorstoß. Sie veröffentlichte das Konzept einer sogenannten „Palliativ-Ampel“. Mit deren Hilfe sollen Rettungskräfte und Ersthelfer auf einen Blick erkennen können, in welchem Umfang sie nach dem Patientenwillen tätig werden sollen bzw. dürfen (www.palliativstiftung.de). Mit dem Ampelsystem soll der Wille des zu Behandelnden in Bezug auf die konkret an ihm vorzunehmende Behandlung visuell übermittelt werden:
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Rot | Steht für die strikte Ablehnung von Wiederbelebungsmaßnahmen und einer Krankenhauseinweisung, lediglich lindernde Maßnahmen sollen ergriffen werden dürfen. |
Gelb | Soll notfallmedizinische Maßnahmen (etwa Wiederbelebung, Medikamentengabe, Beatmung) mit einem einfachen, vom zu Behandelnden vorausgefüllten Ja/Nein-Schema befürworten oder ablehnen. |
Grün | Steht für die Vollversorgung mit allen in Betracht kommenden medizinischen Maßnahmen inklusive Krankenhauseinweisung, wenn für erforderlich gehalten. |
So soll der Verunsicherung über den Umgang mit Patientenverfügungen entgegengewirkt werden. Rechtlich drängen sich jedoch einige Zweifel auf, ob die ersehnte Rechtssicherheit für Rettungskräfte durch so ein Ampelsystem erreicht werden kann.
2. Welche rechtliche Qualität hat die „Palliativ-Ampel“?
Die Palliativ-Ampel soll die Willenserklärung des Patienten zu der von ihm im Notfall gewünschten medizinischen Behandlung vereinfachen und schematisieren. Eine Willenserklärung ist die Äußerung einer Person, die auf die Herbeiführung einer rechtlichen Wirkung gerichtet und rechtlich bindend ist. Grundsätzlich kann auch ein Symbol eine Willenserklärung verkörpern. Das ist der Fall, wenn es eine allgemein anerkannte Bedeutung hat, die auf einen bestimmten Willen schließen lässt und die Verwendung des Symbols in der konkreten Situation konkludent die Erklärung dieses Willens beinhaltet.
Die Ampelsymbolik an sich hat eine für jeden erkennbare Bedeutung, die auch über die weltweit verbreitete Nutzung als Verkehrseinrichtung hinausgeht. Die Farben werden bereits in der Einzelverwendung, erst recht aber in der Farbkombination „Rot/Gelb/Grün“ als Synonym für „verboten/unter bestimmten Voraussetzungen möglich/erlaubt“ verstanden. Dieser Erklärungswert kann auf unterschiedliche Inhalte übertragen werden. Beispiele hierfür sind neben dem Straßenverkehr z. B. die „Lebensmittel-Ampel“ für Inhaltsstoffe oder die Kennzeichnung eines Bearbeitungsstands.
Im Hinblick auf medizinische Maßnahmen ist ein den Farben zugeordneter Erklärungswert noch nicht etabliert. Ein eindeutiger Erklärungsinhalt bei der Benutzung der Ampel-Symbolik muss sich erst noch durchsetzen. Potenzielle Patienten müssen geschult und gezielt informiert werden. Ein allgemein anerkannter Erklärungsinhalt ist für „Rot = keine Maßnahmen“ und „Grün = alle Maßnahmen“ auch ohne Weiteres vorstellbar und lässt sich über geeignete Veröffentlichungen grundsätzlich auch realisieren. Schwieriger wird es beim Erklärungsgehalt der Symbolfarbe „Gelb“. Diese Farbe soll eine individualisierte Erklärung beinhalten, d. h. dass ihr selbst ohne weitere Erläuterung keine verständliche Aussage zugeordnet werden kann. Erforderlich ist immer eine zusätzliche Definition, was der Erklärende konkret will. Entsprechend muss diese Definition auch immer separat vom Erklärungsempfänger zur Kenntnis genommen werden.
Beachten Sie | Ein einfacher Blick auf die Farbe durch die Rettungskräfte wird keinerlei Erkenntnisgewinn oder Rechtssicherheit für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen in einem medizinischen Notfall bewirken.
Daraus wird deutlich, dass sich eine Erklärung zu bestimmten medizinischen Notfallmaßnahmen nie in der Farbsymbolik erschöpfen kann. Sie muss immer auch einen definierenden Text umfassen, sobald nicht allen Maßnahmen pauschal zugestimmt oder diese untersagt werden.
Die inhaltliche Bestimmtheit muss dem Erklärenden auch bewusst sein. Das bedeutet, dass nicht nur Mediziner, Rettungs- und Pflegekräfte über den Erklärungsinhalt der Ampelfarben im Zusammenhang mit medizinischen Notfallmaßnahmen informiert sein müssen, sondern auch jeder Mensch, der durch Verwendung dieser Symbolik eine Erklärung zu seinen Behandlungswünschen abgibt. Dies setzt eine sehr breitgefächerte Informationskampagne voraus und/oder bewirkt einen erhöhten Beratungsbedarf bei der Erstellung von Patientenverfügungen.
Das Konzept der „Palliativ-Ampel“ beruht auf der unkomplizierten und schnellen visuellen Wahrnehmung des Willens der zu behandelnden Person durch die Erklärungsempfänger, also die Rettungskräfte. Das entsprechende Farbsymbol muss daher „ohne Umwege“ sichtbar und als Willensäußerung zu medizinischen Behandlungswünschen erkennbar sein. Denkbar wäre, einen entsprechenden farbigen Aufkleber z. B. auf Notfallkarte, Zimmertür, Telefon, Bett und/oder Bewohnerakte anzubringen. Im Fall von „Gelb“ wäre dies allein nicht ausreichend. Dann müsste direkt daneben auch die Liste der gewünschten und nicht gewünschten Behandlungen offen einsehbar sein.
3. Kann die Palliativ-Ampel eine Patientenverfügung ersetzen?
Die gesetzlichen Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung finden sich in § 1901a BGB. Eine wirksame Patientenverfügung ist die schriftliche Festlegung der Einwilligung in oder Untersagung von bestimmten Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen und/oder ärztlichen Eingriffen. Das ergibt sich aus der Legaldefinition in § 1901a Abs. 1 BGB.
Unzweifelhaft erfüllt die Benutzung eines visuellen Symbols diese Anforderungen nicht; es liegt schon keine schriftliche Erklärung vor. Erst recht fehlt es an der Bestimmtheit der inhaltlichen Erklärung. Allenfalls könnte in der Palliativ-Ampel-Symbolik gem. § 1901a Abs. 2 S. 2 BGB ein „konkreter Anhaltspunkt“ für den mutmaßlichen Willen des zu behandelnden Menschen gesehen werden. Existiert eine ausformulierte Patientenverfügung, ist hierfür allerdings nach § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB kein Raum. Nur wenn keine schriftliche Erklärung existiert oder eine schriftliche Erklärung die aktuelle Situation nicht erfasst, darf der mutmaßliche Wille überhaupt ermittelt werden.
Als schriftliche Erklärung im Sinne des § 1901 Abs. 1 BGB gesehen werden könnte allenfalls eine Kombination des gelben Symbols mit einer schriftlichen Liste von gewünschten oder abgelehnten Notfallmaßnahmen. Das Farbsymbol an sich ist hier entbehrlich. Allein die beizufügende Liste hat überhaupt einen Erklärungsinhalt. Fraglich ist aber, ob eine notwendig kurze, allein auf Wiederbelebungsmaßnahmen und Notfallbehandlung bezogene Liste von erlaubten bzw. untersagten Behandlungen für sich eine eigene Patientenverfügung ist, oder nur als Auszug aus einer wirksamen Patientenverfügung auf den Wiederbelebungsfall bezogen zu sehen ist. Nur in Ansehung des gelben Punktes nebst Liste ist diese Frage nicht aufzuklären. Eine rechtswirksame, bindende Patientenverfügung kann folglich auch darin nicht gesehen werden.
Beachten Sie | Die Palliativ-Ampel bzw. die ihr zugeordneten einzelnen Farbsymbole ersetzen demnach unter keinen Umständen eine Patientenverfügung. Eine allein auf ein Farbsymbol gestützte Behandlung oder Unterlassung einer solchen vollzieht sich nicht auf einer rechtssicheren Grundlage.
4. Wann gibt die Palliativ-Ampel Rechtssicherheit?
Es ist gerade in medizinischen Notfallsituationen nicht praktikabel, die rechtliche Qualität der medizinischen Wünsche eines Patienten zu prüfen. Dies soll mit der Palliativ-Ampel obsolet werden. Um dies auch rechtlich bindend und rechtssicher für Rettungskräfte umzusetzen, ist allein die Verwendung der Farbsymbole nicht ausreichend. Aber es gibt eine praxisorientierte Möglichkeit, die mithilfe sachkundiger anwaltlicher Beratung umsetzbar ist:
Bei Beratung und Formulierung einer Patientenverfügung sollte künftig stärker ausdifferenziert werden, welche medizinischen Maßnahmen zu welchem Behandlungszeitpunkt (notfallmäßige Erstversorgung, mittel-/langfristige medizinische Maßnahmen) gewünscht oder untersagt werden sollen. In einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden ausführlichen schriftlichen Patientenverfügung kann dann ‒ wenn vom Mandanten gewünscht ‒ die Verwendung der Palliativ-Ampel-Symbolik ausdrücklich vorgesehen werden und die im Fall einer Notfallbehandlung gewünschten oder untersagten Maßnahmen entsprechend einem Farbsymbol zugeordnet werden.
Das so ausgewählte Farbsymbol, im Fall des gelben Symbols auch die dazugehörige kurze Maßnahmen-Liste, kann an entsprechenden Orten (etwa auf einer Notfallkarte, im Wohnumfeld, in einer Bewohnerakte o. Ä.) als „Auszug“ aus der wirksamen Patientenverfügung verwendet werden. Zwingend und optisch klar erkennbar damit verbunden werden sollte ein Hinweis auf Existenz und Aufbewahrungsort der zugrunde liegenden Patientenverfügung. Dies kann etwa durch eine auf dem genügend großen Farbpunkt geschriebene Ortsangabe sein, etwa:
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„Patientenverfügung vom 12.5.20 befindet sich in der orangenen Vorsorgemappe im Kleiderschrank.“ oder „Patientenverfügung vom 30.4.18 befindet sich in der Bewohnerakte.“ |
In dieser Kombination kann tatsächlich eine schnelle, rechtssichere Umsetzung des Patientenwillens erreicht werden. Umso mehr gilt dies, wenn die so angewendete Palliativ-Ampel gegenüber Rettungskräften kommuniziert wird, z. B. in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern konzeptuell integriert wird und sich so mittelfristig durchsetzt.
5. Fazit
Die Palliativ-Ampel kann mithilfe anwaltlicher Beratung ein Instrument werden, mit dem der individuelle Patientenwille bezogen auf eine konkrete Notfallsituation kurzfristig und rechtssicher an Rettungskräfte kommuniziert werden kann. Sie ersetzt keine ausführliche, individuelle, schriftliche und auf verschiedene Anwendungsfälle bezogene und für konkrete Behandlungssituationen formulierte Patientenverfügung. Sie symbolisiert allenfalls einen Auszug hieraus.
Im Zusammenhang mit der Einführung der Palliativ-Ampel eröffnet sich individueller und organisatorischer Bedarf bei Naturparteien und Einrichtungen aller Art (etwa Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Fachverbände etc.) für anwaltliche Beratung.