· Fachbeitrag · Pflegeheim
Das gilt zur Obhutspflicht eines Heimträgers bei Toilettengängen
| Erst kürzlich entschied der BGH, wie Pflegeheime ihre Bewohner vor Verletzungen schützen müssen. Aktuell hat sich das OLG Karlsruhe mit den Obhutspflichten bei Toilettengängen befasst. Pflegekräften ist ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, der es zulassen kann, dass sie Heimbewohner nicht durchgehend beaufsichtigen. Dies muss aber in der konkreten Situation vertretbar sein. |
Sachverhalt
Die Klägerin ist Heimbewohnerin. Sie war in der Einrichtung bei einem Toilettengang gestürzt. Daher hat sie Schadenersatzansprüche gegen das Heim geltend gemacht. Das LG Karlsruhe wies die Klage erstinstanzlich ab. Die Pflegekraft habe eine Abwägung getroffen. Dabei habe sie sowohl die notwendige Beaufsichtigung, als auch die Intimsphäre der Heimbewohnerin berücksichtigt. Dies sei sach- und interessengerecht geschehen. Dem Umstand, dass die Versicherte bekanntlich Schwierigkeiten hatte, sich richtig auf die Toilette zu setzen, habe die Pflegekraft ausreichend Rechnung getragen, indem sie sicherstellte, dass die Heimbewohnerin ordnungsgemäß Platz nahm.
Es war jedoch nicht notwendig, dass die Pflegekraft durchgängig beaufsichtigte. Hinweise darauf, dass die Bewohnerin versuchen würde, eigenständig aufzustehen, hätten sich aus der Pflegedokumentation ebenso wenig ergeben wie Anhaltspunkte für ein Unwohlsein und eine motorische Unruhe. Vielmehr sei sie für den maßgeblichen Zeitraum als „sehr fit“ beschrieben worden. Sie habe Anweisungen gut folgen können und ihre Gehfähigkeit sei gegenüber den Vormonaten wesentlich verbessert. Ferner seien Auffälligkeiten, die sich aus der Dokumentation ergeben würden, nicht auf die Umstände beim Toilettengang zu übertragen und würden einen schlechteren Zustand als im Unfallzeitpunkt betreffen.
Entscheidungsgründe
Das OLG Karlsruhe hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil zurückgewiesen (18.9.19, 7 U 21/18, Abruf-Nr. 212009). Es stellte klar, dass die Obhutspflichten auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen begrenzt sind, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (SR 19, 190). Insoweit sind auch Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern.
Maßstab bei zu beurteilenden Pflegeleistungen ist nicht, jeden Unfall durch weitergreifende Sicherungsmaßnahmen zu vermeiden. Das OLG betont das Spannungsfeld zwischen Freiheitsrecht einerseits und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit andererseits. In diesem Rahmen kann kein vollständiger Schutz gewährt werden.
Das OLG entschied speziell zu den Aufsichtspflichten bei Toilettengängen: hier komme es auf das konkrete Hilfebedürfnis des Patienten an. Damit ein Toilettengang lückenlos beaufsichtigt wird, muss ein konkreter Grund bestehen. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn in den letzten Wochen vor dem Unfall der Gesundheitszustand der Heimbewohnerin hätte vermutel lassen, dass sie sich sitzend ggf. nicht mehr allein halten kann oder unvermittelt aufzustehen versucht. Ein solch gesteigertes Sicherungsbedürfnis, dass eine Beaufsichtigung der Versicherten auch nach dem Hinsetzen erforderlich gemacht hätte, lag im Unfallzeitpunkt nicht vor. Ferner gab die Pflegekraft glaubhaft an, dass die Heimbewohnerin in der Lage war, sich an Absprachen mit ihr zu halten und sie die Abläufe der Bewohnerin immer wieder erläutert hat. Bezogen auf die Situation durfte sie der Intimsphäre beim Toilettengang den Vorrang vor einer stärkeren Sicherung einräumen.
Relevanz für die Praxis
Pflegekräfte haben einen Spielraum, um zum einen die Sicherheit der Heimbewohner als auch deren Selbstbestimmungsrecht und Intimsphäre zu berücksichtigen. Bevollmächtigte müssen daher beweisen, dass Pflegekräfte innerhalb dieses Rahmens falsch abgewogen haben. Der Pflegegutachter betonte in der vorliegenden Sache auch, dass insoweit bei Demenzkranken keine Besonderheiten gelten.
Weiterführende Hinweise
- So weit gehen die Obhutspflichten eines Heimträgers, SR 19, 190
- Krankenhaus haftet für Verletzungen einer dementen Patientin nach Sprung aus dem Fenster, SR 17, 96