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· Fachbeitrag · Pflegeheim

So weit gehen die Obhutspflichten eines Heimträgers

| Heimträger müssen vor Gefahren schützen, wenn die Bewohner diese nicht eigenverantwortlich erkennen und auf sie reagieren können. Gerichte müssen dabei auch schauen, welche Sicherheitsvorkehrungen in vergleichbaren Einrichtungen gelten. Der BGH hat die Kriterien jüngst in einem Fall erläutert, in der eine Bewohnerin schwere Verbrennungen durch zu heißes Badewasser erlitt. |

 

Sachverhalt

Die Klägerin wohnt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Sie verlangt vom Heimträger Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von 50.000 EUR sowie eine monatliche Rente von 300 EUR wegen Verbrühungen, die sie bei einem Bad erlitt. Die Klägerin ist geistig behindert, leidet am sog. Prader-Willi-Syndrom sowie an Diabetes mellitus Typ 2. Im April 2013 ließ die Beklagte mit Erlaubnis heißes Wasser in eine mobile Sitzbadewanne in der Dusche ein. Die Temperatur wird dabei über einen Einhebelmischer geregelt, ohne dass die Heißwasser-Temperatur begrenzt ist. Anders als bei früheren Bädern war das Wasser so heiß, dass die Klägerin schwerste Verbrühungen an Füßen und Unterschenkeln erlitt. Sie schrie laut, konnte sich aber nicht selbst aus der Situation befreien. Andere Heimbewohner eilten hinzu, ließen das Wasser ab und riefen Pflegekräfte. Infolge der Verletzungen waren mehrere Hauttransplantationen notwendig, die Klägerin war anschließend auf einen Rollstuhl angewiesen. Sowohl das LG als auch das OLG wiesen ihre Klage ab. Aus der DIN EN 806-2 (technische Regeln für Trinkwasserinstallationen) ergäbe sich keine Pflicht, die Temperatur von Heißwasser zu begrenzen.

 

Entscheidungsgründe

Der BGH sah dies anders. Er hob das Urteil auf und wies die Sache an das OLG zurück (22.8.19, III ZR 113/18, Abruf-Nr. 211644).

 

Der vorliegende Heimvertrag begründet Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB, zum Schutz körperlicher Unversehrtheit. Ferner besteht eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst drohen oder dadurch, wie das Heim eingerichtet und baulich gestaltet ist. Wird diese Pflicht schuldhaft verletzt, ist auch ein Schadenersatzanspruch möglich.

 

Die Pflichten sind jedoch auf die in vergleichbaren Heimen üblichen (gebotenen) Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab ist, was erforderlich und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal zumutbar ist. Das Berufungsgericht habe wesentliche Feststellungen nicht vorgenommen, z. B. ob in vergleichbaren Wohnheimen installierte Temperaturbegrenzer bzw. ein sonstiger gleichwertiger Verbrühungsschutz zum üblichen Standard gehören. Ferner hätten sich bereits mehrfach Obergerichte mit der Gefahr von Verbrühungen beschäftigt. Dabei haben die Gerichte gesteigerte Anforderungen hinsichtlich schutzbedürftiger Heimbewohner angenommen. Auch hinsichtlich geltender DIN-Normen ging das OLG von falschen Feststellungen aus.

 

 

Die Beklagte hätte entweder sicherstellen müssen, dass die Temperatur des austretenden Wassers entsprechend den DIN-Empfehlungen begrenzt ist. Oder aber die Temperatur hätte bei Badevorgängen von Pflegekräften geprüft werden müssen. Da die mobile Badewanne in die Dusche gebracht werden musste, wäre der personelle Mehraufwand gering gewesen.

 

Relevanz für die Praxis

Heimträger können nicht argumentieren, dass eine mögliche Gefahr gering oder unbeachtlich ist, nur weil bisher keine gefährlichen Situationen eintraten. Vor allem wenn ein Heimbewohner insoweit gefährdende Erkrankungen hat (hier: vermindertes Schmerzempfinden aufgrund Diabetes) und daher mögliche Verbrühungen nicht so schnell wahrnimmt. Solchen Gefahren müssen Heimträger dann aktiv begegnen. Dies gilt auch, wenn wie hier die Klägerin früher in der mütterlichen Wohnung als auch im Heim selbst ohne Zwischenfälle allein geduscht oder gebadet hat.

 

Weiterführende Hinweise

  • Verunfallen Angehörige bei Pflege, droht tückische 3-Tages-Frist, SR 19, 109
  • Krankenhaus haftet für Verletzungen einer dementen Patientin nach Sprung aus dem Fenster, SR 17, 96
  • Rechtsprechung zum Heimrecht (auch bei Verletzungen in Heimeinrichtungen), SR 18, 65
Quelle: Ausgabe 11 / 2019 | Seite 190 | ID 46142844