· Fachbeitrag · Psychiatrische Gutachten
Bei Begutachtung sollten Dritte draußen bleiben
| Wird ein Mandant fachpsychiatrisch begutachtet, sollte er allein mit dem Sachverständigen sprechen und untersucht werden. Das Gutachten kann verfälscht und vom Gericht vielleicht nicht verwertet werden, wenn Dritte bei der Untersuchung anwesend waren, so jetzt das LSG Baden-Württemberg. Mandanten sollten hierauf hingewiesen werden. |
Sachverhalt
Der Kläger, seit 1982 ausgebildeter Tiefbaufacharbeiter, war bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Es kam zu mehreren Phasen von Krankheit, Arbeitslosigkeit und stationären Klinikaufenthalten. 2013 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung, die abgelehnt wurde. Seine Klage vor dem SG Mannheim hatte Erfolg. Das Gericht stützte sich dabei auf ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Das LSG Baden-Württemberg hob die Entscheidung wegen methodischer Bedenken gegen das Gutachten auf. Grund: Die Ehefrau des Klägers war bei der Begutachtung anwesend.
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Ein psychiatrisches Gutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar, wenn bei der Exploration und Anamneseerhebung Dritte anwesend und beteiligt waren (22.9.16, L 7 R 2329/15, Abruf-Nr. 190305) |
Entscheidungsgründe
Der Kläger hatte sich auf sein Recht auf Beistand während der ärztlichen Untersuchung berufen. Die Rechtsprechung, auf die er sich bezog, betraf jedoch andere Sachverhalte. Laut LSG Berlin-Brandenburg dürfte ein genereller Ausschluss von Vertrauenspersonen bei Begutachtungen weder mit dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit noch mit dem eines fairen Verfahrens in Einklang stehen. Allerdings sei es vor allem bei psychiatrischen Gutachten sehr problematisch, wenn Dritte anwesend sind (17.2.10, L 31 R 1292/09 B).
Das LSG griff dies auf und stellte fest, dass es den Regeln der psychiatrischen Begutachtung entspreche, das Gutachter weitere Anwesende ablehnen. Dies sei kontraproduktiv, könne die aufzubauende Beziehung zwischen Untersuchtem und Gutachter stören und außerdem das verfälschen, was der Untersuchte sagt. Dies gälte auch für Anwälte: Selbst wenn Prozessvertreter grundsätzlich anwesend sein dürfen ist vorab zu klären, dass diese zuhören, aber nicht eingreifen.
Relevanz für die Praxis
Ob Begleitpersonen an einer Begutachtung teilnehmen dürfen, ist eine immer wiederkehrende Frage. Vorliegend hat es auch keine Rolle gespielt, dass die Ehefrau des Mandanten nur bei der Anamneseerhebung (Krankheitsgeschichte, -verlauf), nicht aber bei der körperlichen Untersuchung dabei war. Begleitpersonen dürfen nicht pauschal abgelehnt werden, schließlich werden Sie vom Gutachter im Einzelfall auch hinzugezogen. Diese Initiative muss dann seitens des Gutachters ausgehen. Hier geht es aber noch einmal speziell um fachpsychiatrische Gutachten. Sind sind besonders stark gefährdet, unverwertbar zu werden. Vor allem, wenn sich die Begleitperson vielleicht in Gespräche oder die Untersuchung einmischt und der Gutachter die Begutachtung vielleicht abbricht. Ähnlich entschied das OVG Lüneburg, dass eine verlässliche ärztliche fachpsychiatrische Einschätzung und Begutachtung ein unmittelbares und unbeeinflusstes ärztliches Gespräch notwendig macht (2.8.16, 5 ME 103/16).
Fatal ist es, wenn ein Gutachten - wie hier - für den Mandanten positiv ausgefallen und sogar für den erstinstanzlichen Klageerfolg maßgeblich war, dann aber unbrauchbar wird. Auch werden sich Mandanten nicht darauf verlassen können, vom Gutachter informiert zu werden, dass das Gutachten möglicherweise nicht verwertbar ist. Daher sollten Mandanten frühzeitig von ihrem Bevollmächtigten belehrt werden, dass die vollständige Untersuchung allein mit dem Gutachter stattfindet. Dies kann dem Mandanten mitgeteilt werden, wenn ihm die Beweisanordnung des Gerichts übersandt wird.
Musterformulierung / So informieren Sie Ihren Mandanten |
Sehr geehrte/r Herr/Frau..
Wir weisen Sie dringend darauf hin, dass der Gutachter allein mit Ihnen sprechen und Sie untersuchen muss. Weder Ihre Ehefrau/Ihr Ehemann, Familienangehörige/Verwandte oder sonstige Dritte dürfen anwesend sind. Dies ist sehr wichtig, denn es kann geschehen, dass das Gericht das Gutachten nicht akzeptiert, wenn bei der Untersuchung weitere Personen anwesend waren. Sie können sich gerne zu dem Termin begleiten lassen. Ihre Begleitung kann auch währenddessen warten und Sie wieder nach Hause bringen. Unter keinen Umständen darf sie aber an Gesprächen zwischen Ihnen und dem Gutachter teilnehmen.
Ihre Begleitung sollte sich klar räumlich getrennt vom Untersuchungs- oder ärztlichem Sprechzimmer aufhalten, z. B. im Wartezimmer oder außerhalb der Einrichtung. Wird das nicht beachtet, besteht die Gefahr, dass das Gutachten wertlos ist. Selbst wenn das Gutachten positiv für Sie ausfällt, wird das Gericht es möglicherweise nicht berücksichtigen und Sie könnten schlimmstenfalls den Rechtsstreit sogar verlieren. Dies ist in der Vergangenheit auch schon öfters geschehen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt |
Beachten Sie | Im Zweifelsfall sollte bei Gericht angefragt werden, ob eine Begleitperson zugelassen wird. Möglicherweise gibt es persönliche oder gesundheitliche Gründe, die eine Begleitperson erforderlich machen und das Gutachten nicht beeinflussen. Das Gericht kann dann hierzu verbindlich entscheiden (LSG Rheinland-Pfalz 6.6.16, L 4 SB 97/16 B).
Weiterführende Hinweise
- Gutachten in Sozialgerichtssachen: Wichtige Grundsätze für die Mandatsbearbeitung, SR 14, 26
- Erwerbsminderung bei Depressionen, SR 14, 175