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· Fachbeitrag · Schwerpunktausgabe

20 Jahre Pflegeversicherung

von RAin Dr. Gudrun Doering-Striening, Essen

| Fürsorge für Pflegebedürftige ist eine soziale Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft. Der Staat soll die Menschenwürde in der Pflegesituation wahren (BVerfGE 103, 197). Heute sind bereits 2,5 Mio. Menschen pflegebedürftig i.S. des SGB XI. Eine Vielzahl weiterer ist pflegebedürftig i.S. der Pflegestufe 0 des SGB XII. Pflegebedürftigkeit ist „zu einem erwartbaren Regelfall des Familienzyklus“ geworden (4. Altersbericht 2002, 194). Vor 20 Jahren wurde deshalb eine „Pflegevolksversicherung“ (BVerfGE 103, 225) geschaffen. Ein Grund, diese Ausgabe dem Thema Pflegeversicherung und dem gesetzlichen Umgang mit der Pflegebedürftigkeit zu widmen. |

1. Grundlagen

Vor 20 Jahren, im Mai 1994, wurde die besagte „Pflegevolksversicherung“ in Gestalt zweier Versicherungszweige geschaffen. Dies sind die

  • gesetzliche Pflegeversicherung des SGB XI (als 5. Säule der Sozialversicherung) und
  • private Pflegeversicherung.

 

Die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung. Wer gesetzlich krankenversichert ist, ist auch gesetzlich pflegeversichert (§ 20 SGB XI). Für Familienversicherte, die beitragsfrei mitversichert sind, besteht nach § 25 SGB XI auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung ein beitragsfreier Versicherungsschutz. Wer privat krankenversichert ist, ist es auch als Pflegeversicherter (§ 23 SGB XI). Auch Beamte sind verpflichtet, eine die Beihilfe ergänzende Pflegeversicherung abzuschließen. Die Fürsorgeverpflichtung des Dienstherren wird durch diese - beitragspflichtige - Versicherungspflicht nicht verletzt (BVerfG 25.9.01, 2 BvR 2442/94).

 

Um Pflegeversicherungsfälle zu lösen, benötigt man das folgende juristische „Handwerkszeug“:

 

  • Gesetzliche Pflegeversicherung: SGB XI und die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI. 2013 (www.mds-ev.de) als Regelwerk, das nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung zugunsten eines Versicherten bindend ist ( BSG 31.8.00, B 3 P 19/99R), aber zulasten des Versicherten als Innenrecht der Verwaltung keine Bindung entfaltet, das SGB X als Verfahrensrecht und das SGG als Prozessrecht.

 

  • Private Pflegeversicherung: §§ 23, 110 SGB XI; VVG, MB/PPV. Die versicherungsvertraglichen Leistungsvoraussetzungen stimmen wörtlich mit den Bestimmungen der sozialen Pflegeversicherung überein (gesetzlich normierte Garantie eines vergleichbaren Standards, § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI) und für ihre Auslegung gelten identische Grundsätze (BSG 22.6.04, B 3 P6/03R).

 

Beachten Sie | Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist eröffnet (§ 51 Abs. 2 S. 2 SGG), aber es gelten Besonderheiten des VVG und § 17 MB/PPV.

 

Die Regelungen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherung treten hinter Spezialanspruchsgrundlagen bei Pflegebedürftigkeit zurück, z.B.

  • § 44 SGB VII: Pflegebedürftigkeit aufgrund Berufskrankheit/Arbeits-/Wegeunfall (gesetzliche Unfallversicherung) und
  • § 35 BVG: Pflegebedürftigkeit aufgrund eines Tatbestands des sozialen Entschädigungsrechts nach § 5 SGB I i.V. mit dem BVG ( z.B. Kriegsopferversorgung, Soldatenversorgung, Opferentschädigung, Impfschaden, etc.).

 

Sie sind vorrangig gegenüber Hilfen zur Pflege wie §§ 61 ff. SGB XI und § 26c BVG, die vom Subsidiaritätsprinzip geprägt sind und bei denen man vorrangig eigenes Einkommen und/oder Vermögen zur Bedarfsdeckung einsetzen muss.

 

Hinweis | Im Einzelfall kann es aber auch anders sein. Die Hilfe zur Pflege wird nach § 61 Abs. 1 S. 2 SGB XII auch geleistet, wenn

  • die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe 1 aus der gesetzlichen Pflegeversicherung noch nicht erreicht werden („Pflegestufe 0“)
  • oder ein anderer als der vom SGB XI umfasste Pflegebedarf abzudecken ist

2. Teilkasko-Versicherung

Bei Inkrafttreten der Pflegeversicherung konnten die reinen Pflegekosten für die stationäre Unterbringung häufig noch mit den Leistungen der Pflegestufe I abgedeckt werden. Die Pflegesätze haben sich mittlerweile von den Leistungen der jeweiligen Pflegestufe aber immer weiter weg entwickelt. Ein großer Kostenanteil muss aus der subsidiär ausgestalteten Sozialhilfe erbracht werden (Rothgang, Müller, Unger, Barmer GEK Pflegereport, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Bd. 23; 2013).

 

Die Pflegeversicherung ist eine „Teilkasko“-Versicherung. § 3 SGB XI stellt klar, dass mit den Leistungen der Pflegeversicherung die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn lediglich unterstützt werden soll, um den möglichst langen Verbleib in der häuslichen Umgebung zu sichern. Das SGB XI geht davon aus, dass Pflege durch nahestehende Personen unentgeltlich geleistet wird und erst für die daneben oder anstelle der Wartung und Pflege erforderliche Heranziehung einer besonderen Pflegekraft eine Kostenübernahme vorgesehen ist (BVerwGE 88, 90; 90, 219). Die (weitestgehend kostenlose) Pflege durch Familienangehörige soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BSGE 82, 34 f.) ein gesetzlich unverzichtbares und sanktioniertes Modell des Umgangs mit der zunehmenden Pflegebedürftigkeit in der Gesellschaft sein.

 

Hinweis | Dieses Idealmodell entspricht nicht der zivilrechtlichen Gestaltung der Beziehung unter Familienangehörigen. Zivilrechtlich ist Pflegebedarf Unterhaltsbedarf in der Form eines besonderen Mehrbedarfs. Unterhalt ist nach dem gesetzlichen Grundmodell nicht als Betreuungsunterhalt, sondern als Barunterhalt zu leisten (§ 1612 BGB). Unterhalt wird auch nur bedürftigen Eltern geschuldet. Und er wird nur von leistungsfähigen Kindern geschuldet.

Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 127 | ID 42847873