05.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133813
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 25.04.2013 – L 13 SB 73/12
1. Sind Statusfeststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht im Streit, darf sich die Behörde bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht grundsätzlich darauf beschränken, Befundberichte behandelnder Ärzte einzuholen und die vorliegenden ärztlichen Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst auszuwerten.
2. Behördliche Sachverhaltsermittlungen vom Schreibtisch aus sind in dem durch medizinische Fragen geprägten Gebiet des Schwerbehindertenrechts in der Regel nicht ausreichend. Der versorgungsärztliche Dienst hat in solchen Fällen regelmäßig eigene ärztliche Untersuchungen vorzunehmen.
3. Der versorgungsärztliche Dienst kann ärztliche Untersuchungen zum Zwecke der medizinischen Sachverhaltsaufklärung in der Regel schneller und effizienter als ein Gericht durchführen, das regelmäßig auf die Einholung externer medizinischer Sachverständigengutachten angewiesen ist.
In dem Rechtsstreit
A,
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
gegen
Land Brandenburg,
vertreten durch das Landesamt für Soziales und Versorgung - Landesversorgungsamt -,
Lipezker Straße 45/Haus 5, 03048 Cottbus,
- Beklagter und Berufungskläger -
hat der 13. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2013 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Die 1963 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 8. Februar 2011 die Feststellung eines GdB. Hierbei machte sie als Beeinträchtigungen u.a. ein Wirbelsäulenleiden, Depressionen und eine Hauterkrankung geltend. Der Beklagte holte Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. H, der Hautärztin Dr. L und der Orthopädin Dr. S sowie den Entlassungsbericht des Reha-Klinikums H über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 27. September bis zum 22. Oktober 2010 ein. Weitere Ermittlungen nahm er nicht vor.
Dem versorgungsärztlichen Vorschlag folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2011 bei der Klägerin einen GdB von 30 fest. Dem legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- psychische Minderbelastbarkeit (10),
- Funktionsstörung der Wirbelsäule (30).
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte ohne weitere Ermittlungen mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2011 zurück.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. In der mündlichen Verhandlung hat sie angegeben, dass bei ihr auch eine Harninkontinenz bestehe, deretwegen sie sich in urologischer Behandlung befinde.
Das Sozialgericht, dem die Schwerbehindertenakte am 25. November 2011 zugegangen ist, hat mit Urteil vom 6. März 2012 unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide den Beklagten verurteilt, über den Feststellungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien erfüllt, da der Beklagte im Feststellungs- und im Widerspruchsverfahren notwendige Ermittlungen erheblichen Umfangs unterlassen habe. Es seien fachärztliche Begutachtungen der Klägerin auf psychiatrischem, orthopädischem und dermatologischem Gebiet geboten gewesen. Auch habe der Beklagte der im Klageverfahren vorgetragenen Harninkontinenz der Klägerin nachzugehen. Die notwendigen Ermittlungen seien hinsichtlich des Zeitaufwands, des Umfangs und der Kosten erheblich. Auch unter Berücksichtigung des Interesses der Klägerin an einer möglichst raschen Erledigung des Rechtsstreits halte die Kammer eine Zurückverweisung an die Verwaltung für angemessen, da bei einer Durchführung der erforderlichen Ermittlungen durch das Gericht nicht nur mit höheren Kosten, sondern mit einer längeren Bearbeitungsdauer als bei der Erledigung durch den Beklagten zu rechnen sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte Berufung eingelegt, mit der er im Wesentlichen vorbringt, dass die erforderlichen Ermittlungen nicht erheblich seien. Auch sei er nicht in der Lage, die Sachverhaltsaufklärung schneller als das Sozialgericht durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung den Beklagten zu Recht verpflichtet, über den Feststellungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden, da die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG vorliegen.
Danach kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese durch das Änderungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) eingefügte und am 1. September 2004 in Kraft getretene Vorschrift lehnt sich an die Zurückverweisungsregelungen des § 113 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 100 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) an.
Der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG ist vorliegend eröffnet. Ursprünglich war diese Zurückverweisungsmöglichkeit - wie die genannten Parallelvorschriften des verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahrens - auf die Anfechtungsklage beschränkt (so Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 17. April 2007, B 5 RJ 30/05 R, BSGE 98, 198 = SozR 4-1500, § 131 Abs. 5 SGG). Um eine reine Anfechtungsklage handelt es sich hier jedoch nicht, da das Begehren der Klägerin darauf gerichtet ist, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide den Beklagten zu verpflichten, bei ihr einen GdB von 50 festzusetzen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Einfügung der Regelung des § 131 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 SGG durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Änderungsgesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2933) den Anwendungsbereich des Satzes 1 erweitert: Dieser gilt nunmehr auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts.
Die formellen Voraussetzungen für die Zurückverweisung hat das Sozialgericht eingehalten. Nach § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG kann eine Zurückverweisung nach Satz 1 nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Diese Frist ist gewahrt worden. Die die Klägerin betreffende Schwerbehindertenakte ist laut Eingangsstempel am 25. November 2011 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangen. Die Zurückverweisung ist mit Urteil vom 6. März 2012, also innerhalb der Sechsmonatsfrist, ausgesprochen worden.
Auch die materiellen Voraussetzungen der Zurückverweisung sind erfüllt.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG sind eng auszulegen (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO.), da es sich hierbei um eine die Grundsätze des sozialgerichtlichen Verfahrens durchbrechende Ausnahmeregelung handelt. Nach § 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG ist es Aufgabe der Sozialgerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die Sache spruchreif zu machen. Nur soweit danach ein - von der beklagten Behörde verkanntes - subjektives Rechts des Klägers festgestellt worden ist, darf das Gericht den Beklagten zum Erlass des abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes verurteilen und die entgegenstehenden Bescheide aufheben. Im Gegensatz dazu erlaubt § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG im Interesse der zügigen Erledigung des Rechtsstreits dem Sozialgericht, von eigenen Ermittlungen abzusehen, die betreffenden Bescheide - obwohl es wegen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen noch nicht abschließend beurteilen kann, ob und in welchem Umfang die Bescheide rechtswidrig sind - aufzuheben und, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Rechtsstreit an die beklagte Behörde zurückzuverweisen, damit die erforderliche Sachaufklärung nicht von dem Gericht, sondern von dieser durchgeführt wird. Hierbei kommt es zu einem Widerstreit zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der Gerichte von umfangreichen Sachverhaltsermittlungen und dem Interesse der Beteiligten nach einer abschließenden und verbindlichen gerichtlichen Beurteilung des Rechtsstreits. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Interesse an der Entlastung der Justiz nur in besonders gelagerten Fällen überwiegen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. November 2002, 9 C 2/02, BVerwGE 117, 200). Denn in dem amtlichen Begründung zu § 113 Abs. 3 VwGO wurde ausgeführt:
"Bei der Anwendung der Vorschrift wird weiter zu beachten sein, daß es den Interessen der Rechtsuchenden, aber auch dem Rechtsfrieden oft mehr dient, wenn das Gericht eine abschließende Streitentscheidung trifft." (BT-Drs. 11/7030, S. 29).
Diese für den Verwaltungsprozess entwickelte Wertung ist ohne Einschränkung auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (so BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO.), da das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der Gerichts und dem Bedürfnis der Beteiligten an einer gerichtlichen Entscheidung auch bei der Anwendung des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG besteht. Aus demselben Grund macht es keinen Unterschied, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift - wie dargestellt - durch Satz 2 auf Verpflichtungs- und Leistungsklagen erstreckt wurde (vgl. hierzu schon BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO.).
Unter Anwendung dieser strengen Maßstäbe darf eine Zurückverweisung nur dann ausgesprochen werden, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen (so BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO., unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 aaO., und BT-Drs. 11/7030, S. 30). Hieran ist zu messen, ob die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich sowie die Aufhebung des Verwaltungsakts sachdienlich ist (so BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO., und BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 aaO.).
Die notwendigen Ermittlungen stellen sich vorliegend als erheblich im Sinne des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG dar, weil der Sachverhalt noch aufklärungsbedürftig ist und die Klägerin hierzu auf mehreren medizinischen Fachgebieten ärztlich zu untersuchen ist.
Der Beklagte beschränkte sich im Verwaltungsverfahren darauf, Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte einzuholen und die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst auswerten zu lassen. Diese Ermittlungen "vom Schreibtisch aus" sind jedoch in dem durch medizinische Fragen geprägten Gebiet des Schwerbehindertenrechts in der Regel (siehe hierzu zuletzt den Beschluss des Senats vom 11. April 2013, L 13 SB 169/12) - und auch vorliegend - nicht ausreichend. Zur Ermittlung sowohl der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen der Klägerin und deren Ausmaßes sowie der aus den Funktionsbeeinträchtigungen folgenden Auswirkungen in allen Lebensbereichen, als auch der Bewertung der hiernach gewonnenen Erkenntnisse durch Zuerkennung (bzw. Versagung) eines bestimmten Grades der Behinderung ist die Klägerin ärztlicherseits, und zwar auf orthopädischem, neurologisch-psychiatrischem, dermatologischem und urologischem Fachgebiet, zu untersuchen.
Ausweislich des Entlassungsberichts des B Klinikums vom 11. Juni 2010 wurde die Klägerin, die sich 1993 eine Fraktur des 7. Brustwirbelkörpers zugezogen hatte, nach einem Bandscheibenvorfall LWK 4/5 operiert. Sie leidet, wie sich u.a. aus dem am 1. März 2011 bei dem Beklagten eingegangenen Befundbericht ihres Hausarztes Dr. H ergibt, an chronischen Lumboglutäalgien und ausgeprägten Muskeldysbalancen. Da aus diesen Berichten - insbesondere mangels Angabe der Bewegungsmaße - nicht ersichtlich ist, in welchen Umfang die Klägerin durch das Wirbelsäulenleiden beeinträchtigt ist, bedarf es zu deren Ermittlung einer Untersuchung der Klägerin durch einen Orthopäden. Auch auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ist auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung durch einen Facharzt eine Einschätzung des bei der Klägerin insoweit vorliegenden Einzel-GdB vorzunehmen. Denn der Hausarzt der Klägerin berichtete von einer reaktiven Depression mit Anpassungsstörungen und einer chronischen Schmerzerkrankung. Ferner ist den Hauterkrankungen der Klägerin, die in dem am 16. März 2011 bei dem Beklagten eingegangenen Befundbericht der Dermatologin Dr. L als Status hämorrhoidale, Axillendermatitis und Ekzeme bezeichnet wurden, durch eine fachärztliche Untersuchung nachzugehen. Schließlich hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 6. März 2012 ergeben, dass die Klägerin sich wegen einer Harninkontinenz in urologischer Behandlung befindet. Auch insoweit ist es erforderlich, dass die aus dieser Erkrankung folgenden Funktionsbeeinträchtigungen auf der Grundlage einer Untersuchung der Klägerin durch einen Facharzt auf dem Gebiet der Urologie ermittelt werden.
Die Zurückverweisung stellt sich auch als sachdienlich dar. Wie dargelegt, ist hierfür erforderlich, dass die Behörde nach personeller und sachlicher Ausstattung die für erheblich und erforderlich gehaltenen Ermittlungen besser bzw. rascher als das Gericht durchf ühren kann. Das ist vorliegend der Fall. Denn im Gegensatz zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in Berlin und Brandenburg unterhält der Beklagte einen versorgungsärztlichen Dienst, weshalb er die für die Feststellung des Grades der Behinderung der Klägerin notwendigen Ermittlungen effizienter durchführen kann, als es dem Gericht möglich ist. Hierbei kommt es allerdings nicht - wie das Sozialgericht meint - darauf an, dass Ermittlungen seitens des Gerichts mit einem höheren Kostenaufwand verbunden seien. Derartige wirtschaftliche Überlegungen sind nicht anzustellen (so BSG, Urteil vom 17. April 2007 aaO.). Vielmehr ist vorliegend entscheidend, dass der Beklagte in der Lage ist, die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin weitaus schneller als das Gericht zu ermitteln.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats darf sich ein Gericht bei der Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts - wie hier dem Schwerbehindertenrecht - mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Auch berechtigen etwaige medizinische Grundkenntnisse, die im Zuge der richterlichen Tätigkeit in betreffenden Sparten erworben wurden, jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Den behandelnden Ärzten fehlt überdies in aller Regel eine sozialmedizinische Schulung und Erfahrung. Außerdem sollte die richterliche Sachaufklärung nicht (auch nicht ungewollt) dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, solange geeignetere Methoden der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Im gerichtlichen Verfahren bedarf es nach alledem zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Während das Gericht darauf angewiesen ist, externen Sachverstand zu akquirieren, ist es dem Beklagten möglich, sich der Sachkenntnis seines versorgungsärztlichen Dienstes zu bedienen, dessen Vertreter neben den Kenntnissen auf ihrem Fachgebiet über die notwendige sozialmedizinische Qualifikation verfügen. In Fällen wie dem vorliegenden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen auf mehreren medizinischen Fachgebieten aufgeklärt werden müssen, wird es besonders deutlich, dass der Beklagte die erforderlichen Ermittlungen weitaus schneller als das Gericht betreiben kann. Denn der Beklagte kann die Klägerin zu einem bestimmten Termin in das Amt einladen, an dem die notwendigen Untersuchungen auf allen maßgeblichen Fachgebieten durch die jeweils fachkundigen Versorgungsärzte vorgenommen werden können. Sollte tatsächlich im Einzelfall ein Vertreter eines bestimmten medizinischen Fachgebiets an diesem Tag nicht zur Verfügung stehen, wäre hierfür ein qualifizierter Facharzt von außen heranzuziehen, ohne dass sich hierdurch eine wesentliche Verzögerung ergäbe. Eine derartige Vorgehensweise ist dem Gericht nicht möglich. Wie dargestellt, hat es regelmäßig Gutachten einzuholen. Allerdings ist der Kreis der Sachverständigen, welche sowohl auf ihrem jeweiligen Fachgebiet als auch im Bereich der Sozialmedizin die notwendige medizinische Qualifikation und Erfahrung besitzen, tatsächlich mit der erforderlichen wissenschaftlichen Sorgfalt arbeiten, im Kontakt mit dem zu untersuchenden Schwerbehinderten auf dessen besondere Bedürfnisse und Befindlichkeiten einzugehen in der Lage sind, die Ergebnisse ihrer Einschätzung im Gutachten so darlegen und begründen, dass auch medizinische Laien sie verstehen und nachvollziehen können, und schließlich die Begutachtung in angemessener Zeit abschließen, begrenzt, weshalb es nach der Erfahrung des Senats nicht selten wegen Überlastung des Sachverständigen zu längeren Wartezeiten kommen kann. Auch eine Koordinierung der Untersuchungstermine ist deshalb nur ausnahmsweise möglich. In der Regel müssen die notwendigen Sachverständigengutachten der unterschiedlichen Fachbereiche nacheinander eingeholt werden.
Es ist auch vernünftiger und sachgerechter, jedenfalls dann die Behörde tätig werden zu lassen, wenn die Beteiligten - wie hier - über die Höhe des GdB streiten. Denn ein weiterer nicht unwesentlicher Vorteil der Konzentration der verschiedenen Untersuchungen der Klägerin im Amt besteht darin, dass die beteiligten Versorgungsärzte sich unmittelbar beraten und deshalb in besonderer Weise in die Lage versetzt werden, - entsprechend den Vorgaben in Teil A Nr. 3 der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) - aus dieser ärztlichen Gesamtschau der betreffenden Fachbereiche heraus die Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander beurteilen können.
Unter Anwendung des ihm bei der Überprüfung der sozialgerichtlichen Entscheidung er öffneten eigenen Ermessens (vgl. zu § 113 Abs. 3 VwGO: Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, Rn. 49 zu § 113 VwGO) hat der Senat das öffentliche Interesse an einer Entlastung der Gerichte von umfangreichen Sachverhaltsermittlungen mit dem Interesse der Beteiligten nach einer abschließenden gerichtlichen Beurteilung des Rechtsstreits abgewogen und sich für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von der Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, die - wie dargestellt - von dem Beklagten effizienter als von dem Gericht durchgeführt werden können. Zudem entspricht ein erneute Tätigwerden des Beklagten dem Willen der Klägerin, die nicht gegen die von dem Sozialgericht ausgesprochene Zurückverweisung an den Beklagten vorgegangen ist, sondern im Gegenteil beantragt hat, die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.