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08.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140049

Landgericht Essen: Urteil vom 18.03.2013 – 1 O 181/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Essen

1 O 181/12

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger

Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Zwischen den Parteien wurde ein Heimvertrag mit Wirkung vom 01.12.2010 geschlossen (Bl. 5 ff. GA). Der Kläger zog am 01.12.2010 in Apartment des I-Hauses, Q-Straße, H, des Beklagten ein. Der Kläger ist etwa 94 Jahre alt. Seine Ehefrau wohnt auch im I-Haus, eine Etage über dem Kläger.

In dem Pflegeheim wohnt eine hohe Anzahl gerontopsychiatrisch veränderter Menschen, die häufig nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag alleine zu strukturieren und angemessen auf Situationen zu reagieren.

Der Kläger kann jederzeit die Pflegestation betreten und Kontakt zu diesen Bewohnern aufnehmen, sowie diese in ihren Zimmern aufsuchen.

Der Kläger war am Abend des 18.06.2012 im Zimmer der Mitbewohnerin Frau X. Der Kläger streichelte diese zumindest im Armbereich. Nachdem zwei hinzugekommene Heimmitarbeiter sich bemerkbar gemacht hatten, beendete der Kläger den körperlichen Kontakt und verließ das Zimmer.

Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 02.07.2012 (Bl. 4 GA) dem Kläger die Kündigung des Heimvertrages aus wichtigem Grund mit einer Auslauffrist zum 31.07.2012. Er berief sich in seinem Schreiben auf den Vorfall vom 18.06.2012, bei dem der Kläger eine Mitbewohnerin belästigt habe.

Seit dem 18.06.2012 hielt der Kläger zu Frau X Abstand.

Der Kläger behauptet, Frau X nicht sexuell belästigt zu haben.

Er sei, da die Zimmertür offen gewesen sei und sie geweint habe, in das Zimmer getreten. Er habe versucht, sie zu trösten und sie deswegen am Arm gestreichelt. Er könne dabei jedoch nicht ausschließen, dass er auch über der Bettdecke der Frau ihre Brust berührt habe. Jedenfalls habe er dabei keine Art von sexuellen Hintergedanken gehabt. Er habe auch nicht gewusst, dass es sich bei der Bewohnerin um eine Demenzkranke gehandelt habe. Erst durch das Gerichtsverfahren sei ihm bewusst geworden, dass die Mitbewohnerin möglicherweise unter Demenz leide. Es habe sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt.

Er ist der Ansicht, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Bereits weniger einschneidende Maßnahmen, wie eine Abmahnung, ein Betretungsverbot bestimmter Flure, etc. hätten ausgereicht. Es sei auch zu berücksichtigen, dass ihm der Vorfall leid tue und er sich entschuldigt habe und dass auch seine Frau in dem Heim gepflegt werde.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, (dass) die Kündigung des Heimvertrages durch den Beklagten vom 02.07.2012 unwirksam ist.

2. festzustellen, dass der Heimvertrag zwischen den Parteien über den 31.07.2012 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, Frau X sei nach Besuchen des Klägers immer weinerlich gewesen. Am 18.06.2012 sei der Kläger an das Bett der Frau X getreten und habe zunächst ihren Arm gestreichelt und dann ihre Brust massiert. Die Bewohnerin habe erst dabei angefangen zu weinen. Für den Beklagten sei erkennbar gewesen, dass die Bewohnerin sein Verhalten abgelehnt habe.

Der Beklagte ist der Ansicht, ihm sei eine Fortsetzung des Vertrages nicht zumutbar. Er habe eine Fürsorgepflicht den anderen Heimbewohnern gegenüber. Insbesondere müsse er andere, besonders dementiell veränderte Bewohnerinnen vor sexuellen Übergriffen schützen. Dabei handele es sich um eine Nebenpflicht aus dem Heimvertrag.

Auch die Angehörigen der Frau X würden nachhaltig insistieren und ein Vorgehen gegen den Kläger verlangen.

Die Klageschrift im vorliegenden Verfahren ist am 05.07.2012 beim Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer eingegangen. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 29.08.2012 (Bl. 50 f. GA) sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Essen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.02.2013 (Bl. 67 ff. GA) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klage ist zulässig.

Das Landgericht Essen ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 29.08.2012 sachlich zuständig, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

Das Amtsgericht hat den Rechtsstreit verwiesen, weil es eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 23 Nr. 2 a GVG bei dem typengemischten Heimvertrag mangels eines mietrechtlichen Schwerpunktes verneint hat (so auch LG Kleve, Urt. v. 26.05.2012 - 3 O 15/12). Die Verweisung ist jedenfalls mangels Willkür bindend.

Mit der Feststellungsklage kann gemäß § 256 ZPO der Bestand eines Rechtsverhältnisses – hier des vertraglich begründeten Heimverhältnisses – zum Gegenstand der begehrten Feststellung gemacht werden. Die (Un-)Wirksamkeit einer einzelnen Kündigung, auf die im Antrag zu 1) abgehoben wird, kann zwar nicht zum Gegenstand einer Feststellung nach § 256 ZPO gemacht werden, da es sich nur um eine Vorfrage für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses handelt, die Antragstellung ist aber insgesamt dahingehend umzudeuten, dass es insgesamt um den Bestand des Heimverhältnisses geht (vgl. BGH NJW 2000, 354 ff.).

Der Kläger hat auch gemäß § 256 Abs. 1 ZPO das für Feststellungsklagen erforderliche Feststellungsinteresse. Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse bezüglich der Feststellung, ob das Rechtsverhältnis, der Heimvertrag zwischen dem Kläger und dem Beklagten (noch) besteht, da eine Kündigung durch den Beklagten erfolgt ist und der Beklagte sich weiterhin auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft.

Die Klage ist nicht begründet.

Das strittige Rechtsverhältnis, der Heimvertrag, wurde durch die fristlose Kündigung vom 02.07.2012 zum 31.07.2012 beendet.

Die Kündigungsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 WBVG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Heimvertrages liegen vor.

Der Anwendungsbereich des WBVG ist gemäß § 1 WBVG eröffnet. Der Heimvertrag wurde zwischen dem Kläger als Verbraucher und dem Beklagten als Unternehmer abgeschlossen. Durch den Vertrag verpflichtete sich der Beklagte, Wohnraum zu überlassen und Pflege- sowie Betreuungsleistungen zu erbringen.

Eine Kündigungserklärung, die den Anforderungen des § 12 Abs. 1 S. 2 WBVG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 S. 1 des Heimvertrages entspricht, liegt vor. Der Beklagte schickte am 02.07.2012 dem Kläger eine schriftliche Kündigungserklärung, die begründet wurde.

Ein Kündigungsgrund ist gegeben. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Heimvertrages liegt ein solcher vor, wenn der Bewohner seine vertraglichen Pflichten schuldhaft so gröblich verletzt, dass dem Unternehmer die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden kann.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2013 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger die Brust der Bewohnerin Weinhold am 18.06.2012 in ihrem Zimmer ohne ihre Zustimmung massierte.

Die Zeugin, Frau O hat ausgesagt, dass sie gemeinsam mit C das Zimmer von Frau X betreten habe. Zuvor haben sie an der Tür geklopft. Sie seien wegen des Rollators des Klägers, der vor dem Zimmer von Frau X gestanden habe, aufmerksam geworden. Der Kläger habe ihr Eintreten aufgrund der Lautstärke des angeschalteten Fernsehers nicht bemerkt. Sie habe beobachtet, wie der Kläger mit seiner rechten Hand Frau X zunächst am Arm streichelte und dann ihre Brust massierte. Daraufhin habe Frau X angefangen zu weinen. Nachdem Herr C auf sich aufmerksam gemacht habe, habe der Kläger die Hände gehoben und etwas wie „ist ja schon gut“ gesagt.

Der Zeuge C hat die Situation fast identisch beschrieben. Nach der Aussage hat der Kläger auch gesagt „schon gut, ich mache das nicht noch mal“ und später versucht ihn davon abzuhalten, den Vorfall weiter zu melden.

Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Für die Richtigkeit der Aussagen spricht deren Detailreichtum. Die Aussagen waren auch jeweils frei von Widersprüchen und stimmten in den wesentlichen Punkten überein, ohne dass sich die Formulierungen wie bei abgesprochenen Aussagen glichen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Zeugen den zeitnah dokumentierten Vorfall hätten „aufbauschen“ sollen.

Der festgestellte Sachverhalt stellt eine gröbliche Verletzung vertraglicher Pflichten aus dem Heimvertrag dar. Ausdrückliche Regelungen bezüglich des Verhaltens gegenüber anderen Mitbewohnern enthalten zwar weder der vorgelegte Vertrag noch das WBVG. Nach Treu und Glauben ist es aber gemäß § 242 BGB auch eine vertragliche Nebenpflicht, die Persönlichkeitsrechte anderer Bewohner des Heims nicht zu verletzen. Schon bei Mietverhältnissen über Wohnraum besteht eine Pflicht der Rücksichtnahme auf andere Bewohner eines Mietobjekts. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens wird ausdrücklich im Wohnraummietrecht als möglicher Kündigungsgrund (§ 569 BGB) erwähnt. Bei den Kündigungsvorschriften des WBVG

fehlt eine entsprechende Regelung. Dieses bedeutet aber nicht, dass entsprechende Sachverhalte nicht unter die Generalklausel des § 12 I Satz 3 Nr. 3 WBVG fallen können. In einem Heim bestehen zwischen den Bewohnern noch wesentlich mehr Berührungspunkte als bei Wohnraum ohne Pflege- und Betreuungsleistungen.

Der Kläger hat massiv gegen die Persönlichkeitsrechte seiner Mitbewohnerin verstoßen. Das Massieren der Brust kann nicht mit einem „Trösten“ erklärt werden. Es handelt sich um einen sexuellen Übergriff. Das Verhalten des Klägers nach dem Übergriff zeigt auch, dass er sich bewusst war, dass sein Massieren nicht mit dem Willen der Mitbewohnerin erfolgte.

Die Fortsetzung des Heimvertrages ist für den Beklagten auch unzumutbar. Im Rahmen der Unzumutbarkeit sind alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Sowohl die Interessen und Pflichten des Beklagten einerseits als auch die des Klägers andererseits sind abzuwägen.

Die durchaus bestehenden schützenswerten Interessen des Klägers stehen der Unzumutbarkeit nicht entgegen. Ein Umzug des Klägers in ein anderes Heim ist aufgrund seines hohen Alters für ihn sehr belastend. Desweiteren bewohnt seine Ehefrau auch das gleiche Pflegeheim auf einer anderen Etage. Diese Interessen an dem Bestand der Wohnung und der Nähe zu seiner Ehefrau sind auch grundrechtlich durch Art. 13 GG und Art. 6 Abs. 1 GG geschützt.

Dem Beklagten obliegt aber die Pflicht, die körperliche Integrität und Persönlichkeitsrechte der Heimbewohnerinnen (Art. 2 GG) vor Übergriffen durch den Kläger zu schützen. Insbesondere da viele Heimbewohnerinnen aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Verfassung nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen oder Geschehenes zu verarbeiten. Gerade demente Personen können auf tätliche und sexuelle Angriffe nicht adäquat reagieren. Auch Aufgrund des Verlustes des Kurzzeitgedächtnisses können Bewohner solche Ereignisse nicht mehr mitteilen. Die Heimleitung kann die Heimbewohnerinnen auch nicht sicher durch andere organisatorische Maßnahmen schützen. Da die Wohnräume und die Pflegestation offen sind, kann das Pflegeheim nicht sicherstellen, dass weitere Vorfälle nicht stattfinden werden. Das Heim kann aufgrund der Belastung durch den Arbeitsablauf in einer solchen Einrichtung nicht verpflichtet werden, den Kläger ständig zu überwachen.

Eine akute Wiederholungsgefahr mag zwar nicht bestehen, da der Kläger nach dem Vorfall Abstand zu der Mitbewohnerin hält und er sicherlich auch weiß, dass das Heimpersonal jetzt ganz besonders auf ihn achtet und er spätestens bei einem weiteren Vorfall mit Konsequenzen rechnen muss. Die Gefahr von Übergriffen ist daher im Heim der Beklagten geringer, als wenn er in ein anderes Heim einziehen würde.

Bei der Abwägung ist aber auch zu berücksichtigen, dass bei Aufrechterhaltung des Heimverhältnisses der Beklagte der von dem Übergriff betroffenen Heimbewohnerin zumuten müsste, weiterhin mit dem Kläger unter einem Dach zu leben. Dieses ist ihr aber als Geschädigter weniger zuzumuten als dem Schädiger, der grob Pflichten verletzt hat, ein Umzug.

Eine Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Beklagte noch keine Räumungsklage erhoben hat. Nach der Kündigung wurde durch den Kläger noch vor Ablauf der „Auslauffrist“ das vorliegende Verfahren eingeleitet. Es ist nicht zu beanstanden, dass sie dessen Ergebnis abwartet.

Eine Abmahnung im Sinne des § 543 Abs. 3 BGB oder § 314 I 2 BGB war auch nicht erforderlich. § 12 Abs. 3 WBVG bestimmt, in welchen Fällen der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist, für § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG gilt er nicht. Eine Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen für das Schuldrecht oder das Mietrecht ist nicht möglich, wobei auch diese Vorschriften unter Abwägung von Interessen Ausnahmen zulassen.

Ansonsten kann es im Rahmen der Bewertung der Grobheit der Pflichtverletzung und der Zumutbarkeit durchaus eine wichtige Rolle spiele, ob bereits eine Abmahnung erfolgt ist, wie sie im Mietrecht und allgemeinen Schuldrecht in der Regel gefordert wird (§§ 314 II, 543 II BGB), hier ist die Pflichtverletzung aber derart gewichtig, dass entsprechend obigen Ausführungen sie auch ohne vorherige Abmahnung dazu führt, dass der Beklagten die Fortsetzung des Heimvertrags nicht zumutbar war.

Die Kündigungserklärung erfolgte auch innerhalb einer angemessenen Frist im Sinne des § 314 III BGB. Die Kündigung wurde etwa zwei Wochen nach dem Vorfall vom 18.06.2012 am 02.07.2012 erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

RechtsgebietWBVGVorschriften§§1, 12, 18 WBVG