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02.05.2016 · IWW-Abrufnummer 185564

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 18.02.2016 – L 5 SO 78/15

Das Auskunftsverlangen des Sozialhilfeträgers gegenüber einem Schwiegerkind eines Hilfeempfängers verstößt nicht gegen Artikel 3 oder 6 GG.


LSG Rheinland-Pfalz

18.02.2016 - L 5 SO 78/15

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.05.2015 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens.

Der Kläger ist der Schwiegersohn der am 1927 geborenen und am 29.03.2014 verstorbenen O M (im Folgenden: Hilfeempfängerin). Die Beklagte gewährte dieser vom 19.05.2013 bis zu ihrem Tod Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten für ihre stationäre Unterbringung im Alten- und Pflegeheim S J in P . Mit Rechtswahrungsanzeige vom 08.08.2013 forderte die Beklagte die Ehefrau des Klägers zum Zwecke der Prüfung bestehender Unterhaltsansprüche auf, Auskünfte über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Zugleich bat die Beklagte darum, auch Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihres Ehemannes, des Klägers, zu geben. Gegen diesen Bescheid hat die Ehefrau des Klägers nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Anfechtungsklage zum Sozialgericht Koblenz erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 11 SO 213/14 anhängig ist.

Mit Bescheid vom 19.05.2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu erteilen, damit festgestellt werden könne, ob und in welchem Umfang sich seine eigene finanzielle Situation auf die Unterhaltsverpflichtungen seiner Ehefrau gegenüber der Hilfeempfängerin auswirke. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2014 zurück. Zur Begründung war angegeben, die Ehefrau des Klägers sei als Tochter der Hilfeempfängerin eine Verwandte in gerader Linie und damit dieser gegenüber nach §§ 1601 ff. BGB grundsätzlich zum Unterhalt verpflichtet. Diese bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüche der Hilfeempfängerin gegenüber der Ehefrau des Klägers seien gemäß § 94 SGB XII auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen. Dieser habe die Möglichkeit, Unterhaltsansprüche der Hilfeempfängerin geltend zu machen. Zur Realisierung dieser Möglichkeit sei sowohl eine Auskunft der Ehefrau des Klägers über deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse als auch eine des Klägers selbst über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich. Es genüge die Möglichkeit, dass ein Unterhaltsanspruch bestehen könne und nicht im Sinne einer negativen Evidenz offensichtlich ausscheide. Vorliegend sei nicht offensichtlich, dass ein Unterhaltsanspruch mangels Leistungsfähigkeit der Ehefrau des Klägers nicht bestehe. Dies gelte selbst dann, wenn deren Einkommen unter dem ihr zustehenden Selbstbehalt liegen sollte. In diesem Zusammenhang seien auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers von Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) müsse nämlich ein verheiratetes Kind zur Erfüllung der seinen Eltern gegenüber bestehenden Unterhaltspflichten auch das unterhalb seines Eigenbedarfs liegende Einkommen einsetzen, soweit es wegen des vom Ehepartner erzielten Verdienstes für den gemeinsamen Familienunterhalt nicht benötigt werde (Hinweis auf BGH 14.01.2004 - XII ZR 69/01); auch ein Taschengeld, dass dem unterhaltspflichtigen Kind und seinem Ehegatten zu zahlen sei, müsse gegebenenfalls für den Elternunterhalt eingesetzt werden (Hinweis auf BGH 15.10.2003 - XII ZR 122/00).

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 05.09.2014 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 06.10.2014 (Montag) Klage zum Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, es sei nicht nachvollziehbar, warum er eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgeben solle. Er sei erkennbar nicht persönlich betroffen, da er selbst keinen Anspruch auf Sozialhilfe für sich und seine Ehefrau gestellt habe. Eine Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des nicht getrennt lebenden Ehegatten sei auch nach Artikel 6 und 3 Grundgesetz (GG) rechtswidrig, da hierdurch eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung verheirateter Unterhaltsschuldner im Vergleich zu nicht verheirateten oder getrennt lebenden Unterhaltsschuldnern begründet werde.

Durch Urteil vom 28.05.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid vom 19.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2014 sei rechtmäßig. Rechtsgrundlage sei § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII. Die Voraussetzungen dieser Norm lägen im Falle des Klägers vor, wie sich aus den zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid ergebe, auf die das Gericht gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug nehme. Die vom Kläger vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken teile das Gericht nicht. Soweit der Kläger eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Artikel 3 Abs. 1 GG rüge, fehle es bereits an der Vergleichbarkeit der Gruppe der nicht getrennt lebenden Ehegatten mit den Gruppen der getrennt lebenden Ehegatten und der unverheirateten, in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Personen. Denn die Verpflichtung zum Familienunterhalt nach § 1360 BGB, zu dem nach § 1360a Abs. 1 BGB auch ein angemessenes Taschengeld zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse zähle, setze eine bestehende Ehe und eine häusliche Gemeinschaft voraus. Sie treffe damit allein die Gruppe der nicht getrennt lebenden Ehegatten. Deshalb könne die elternunterhaltsrechtliche "Schwiegerkindrechtsprechung" des BGH von vorne herein nur den Personenkreis der nicht getrennt lebenden Ehegatten tangieren. Dementsprechend bestehe auch nur hinsichtlich dieses Personenkreises die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Verhältnisse aufzuklären. Auch der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 GG sei nicht gegeben. Insoweit schließe sich das Gericht den überzeugenden Argumenten des LSG Nordrhein-Westfalen zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit der Auskunftspflicht des Ehegatten an (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen 09.06.2008 - L 20 SO 36/07).

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 14.07.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.08.2015 Berufung eingelegt. Er wiederholt im Wesentlichen sein Vorbringen im Klageverfahren, welches das SG nicht hinreichend berücksichtigt habe. Grundsätzlich dürfe nur das Einkommen des möglicherweise unterhaltspflichtigen Kindes herangezogen werden. Ziehe man auch das Einkommen des Schwiegerkindes zur Überprüfung einer Unterhaltspflicht des Kindes heran, zahle das Schwiegerkind im Ergebnis mittelbar ebenfalls Unterhalt für den Unterhaltsberechtigten. Die Verpflichtung hierzu beinhalte einen Verfassungsverstoß sowohl gegen Artikel 3 GG als auch Artikel 6 GG. Vergleichbar mit der Gruppe der nicht getrennt lebenden Ehegatten seien die Gruppen der getrenntlebenden Ehegatten und der unverheirateten, in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Personen. Den Verstoß gegen Artikel 6 GG habe auch das LSG Nordrhein-Westfalen in dem vom SG zitierten Urteil verkannt. Tatsache sei, dass die gesamte Familie Nachteile erleide, wenn auch sein Einkommen zur Berechnung des Unterhaltsanspruches herangezogen werde. Er müsse mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt der Familie sichern, weshalb es ihm nicht zugemutet werden könne, Unterhalt für seine Schwiegermutter zu zahlen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.05.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Kläger zur beabsichtigten Entscheidung durch beschluss ohne mündliche Verhandlung angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der Beratung.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 19.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2014 ist rechtmäßig. Der Kläger ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII zur Erteilung von Auskünften über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet. Dies beinhaltet insbesondere keinen Verstoß gegen die Grundrechte des Klägers aus Artikel 3 Abs. 1 GG und Artikel 6 Abs. 1 GG. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ebenso wie das SG vermag der Senat eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Klägers durch die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften und die - je nach Ergebnis der nachfolgenden Prüfung - hieran etwa anknüpfende gesteigerte Inanspruchnahme der Ehefrau des Klägers auf Unterhaltsleistungen für ihre Mutter, die Hilfeempfängerin, nicht zu erkennen. Auch der verfassungsrechtlich gewährleistete besondere Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Abs. 1 GG) wird durch die zivilrechtlich an die Eheschließung geknüpften Unterhaltspflichten nicht verletzt, wie das SG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen zutreffend dargelegt hat. Dass der Kläger in seiner Fähigkeit, den Lebensunterhalt seiner Familie mit seinem Einkommen zu sichern, durch die Pflicht zu Erteilung von Auskünften über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse beeinträchtigt wird, ist nicht ersichtlich. Bisher steht auf Grund der Verweigerung der Auskünfte überhaupt nicht fest, ob Unterhaltsansprüche der Hilfeempfängerin gegenüber der Ehefrau des Klägers in Betracht kommen.

Der vom Kläger angeregten Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es zur Klärung der Rechtsfrage, ob der Kläger zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist, nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).