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01.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186247

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 24.03.2016 – L 10 U 4462/15

Ein Antrag nach § 109 SGG in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ist rechtsmissbräuchlich, wenn im früheren Rechtsstreit bei identischer Sach- und Rechtslage derselbe Sachverständige bereits ein Gutachten nach § 109 SGG erstattete.


Landessozialgericht Baden-Württemberg

Urt. v. 24.03.2016

Az.: L 10 U 4462/15

Der 10. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat ohne mündliche Verhandlung am 24.03.2016 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Mannheim vom 25.09.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie die Gewährung von Übergangsleistungen und Verletztenrente.

Der am 1961 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Bäcker (1976 bis 1979) bis 1981 im erlernten Beruf. Im Anschluss an den nachgeholten Realschulabschluss arbeitete er ab 1983 für die Firma G. (künftig Arbeitgeber), zunächst im Labor-, Forschungs- und Entwicklungsbereich, ab Februar 1987 dann als Konfektionierer am Schneidwerk im Produktionsbereich (vgl. Angaben des Klägers im Fragebogen vom 31.08.2009, Bl. 7 Verwaltungsakte - VA -). Seit einem Unfall im August 2010 ist der Kläger arbeitsunfähig.

Im Juli 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer BK. Er trug vor, an seinem Arbeitsplatz werde Blattgelatine produziert. Durch das Abziehen der einzelnen Gelatine-Bahnen vom Nylonnetz entstehe ein "bratzelnder" Lärm. Der Kläger gab weiterhin an, als Schutzmaßnahme bestehe eine Plexiglasscheibe zur Schalldämmung. Im Rahmen ihrer Ermittlungen befragte die Beklagte die behandelnden Ärzte. Die HNO-Ärztin Dr. A.-W. berichtete von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Tinnitus beidseits und teilte mit, der Kläger habe ihr gegenüber angegeben, im Lärm zu arbeiten, dabei jedoch konsequent Gehörschutzkapseln zu tragen (vgl. Bl. 17 VA). Der HNO-Arzt Dr. S. berichtete von einer Hochtoninnenohrschwerhörigkeit rechts, einer pancochleären Schwerhörigkeit links mit Hochtonverlust sowie einem Tinnitus aurium beidseits; die Ursache sei jeweils unklar (vgl. Bl. 19 VA). Der Arbeitsgeber teilte mit, der Kläger sei an seinem Arbeitsplatz als Konfektionierer im Bereich des Schneidwerks seit Februar 1987 bis auf Weiteres keinen Lärmeinwirkungen von 85 dB ausgesetzt gewesen; vielmehr habe der Beurteilungspegel 82 dB betragen. Er verwies hierzu auf einen Messbericht der vormaligen BG Chemie vom Juli 1996 (Bl. 33 ff. VA) sowie einem Lärmmessbericht vom Oktober 2003 des Ingenieurbüros GENAS, welchen der Arbeitgeber veranlasst hatte (Bl. 42 ff. VA). Die Beklagte veranlasste weiterhin eine eigene Lärmermittlung durch den Geschäftsbereich Prävention (Bl. 48 ff. VA). Dieser ermittelte auf Grund von Messungen im März 2010 am Dünnblatttrockner, unmittelbar am Schneidwerk bei geöffneter Abdeckung, einen Tages-Lärmexpositionspegel von 85,1 dB (A) sowie bei geschlossener Abdeckung von 80,1 dB (A). Die weiteren Messorte am Dünnblatttrockner lagen unter 80 dB (A). Im März 2010 erstattete Dr. B. , HNO-Facharzt, eine Anzeige wegen des Verdachts einer BK-Lärmschwerhörigkeit unter Beifügung eines Hörtests (vgl. Bl. 57 f. VA). Mit Bescheid vom 13.04.2010 ( Bl. 55 VA) und Widerspruchsbescheid vom 07.10.2010 (Bl. 79 ff VA) lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK ab, nachdem keine andauernde Lärmeinwirkung mit einem Beurteilungsschallpegel von mindestens 85 dB bestanden habe.

Im sich hieran anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (Az.: S 2 U 4081/10) holte das Sozialgericht ein Gutachten von Amts wegen bei Dr. Z. , Facharzt für Hals-, Nasen-, und Ohren-Heilkunde, ein, der bei dem Kläger, gestützt auf eine ambulante Untersuchung im Juni 2011, eine hochgradige Schwerhörigkeit beidseits mit besonderer Beteiligung des Tieftonbereichs sowie einen Tinnitus im tiefen und höheren Frequenzbereich diagnostizierte. Der Hörschwellenverlauf, die Hörschwellenkonfiguration sowie ggf. die messtechnischen Daten durch den TAD würden gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung dieser Gesundheitsstörungen sprechen. Die Progredienz der Hörverminderung vor allem im tiefen und mittleren Frequenzbereich spreche vielmehr für eine anlagebedingte, endogene Veränderung.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Im sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (Az.: L 10 U 5379/12) holte der Senat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Prof. Dr. R. , Leiter des Zentrums für Musikermedizin am Universitätsklinikum F. , ein, der - beruhend u. a. auf einer Untersuchung des Klägers im Oktober 2013 - bei diesem eine Schwerhörigkeit mit begleitendem Tinnitus diagnostizierte. Es seien sowohl die tiefen und mittleren als auch die hohen Frequenzen betroffen. Er schließe sich der Einschätzung des Dr. Z. an, wonach keine ausreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Schwerhörigkeit und der Tinnitus durch die berufliche Lärmexposition verursacht oder verschlimmert worden seien.

Der Senat wies die Berufung mit Urteil vom 22.05.2014 zurück. Das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 könne nicht festgestellt werden. Es sei bereits keine ausreichend hohe und ausreichend lange Lärmbelastung während der einzig in Betracht kommenden Tätigkeit als Chemiearbeiter bei der Firma G. nachgewiesen. Die durchgeführten Lärmmessungen hätten weder eine Lärmexposition von wenigstens 85 dB (A) noch eine Exposition gegenüber besonderem Impulslärm (mehr als 137 dB (C)) ergeben. Ergänzend führte der Senat - gestützt auf die Gutachten des Dr. Z. und Prof. Dr. R. - aus, dass Art, Ausmaß und Entwicklung der Schwerhörigkeit beim Kläger gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung sprechen würden.

Den im Juli 2014 gestellten Überprüfungsantrag des Klägers hinsichtlich der die Anerkennung einer BK 2301 ablehnenden Entscheidung der Beklagten, den dieser - wie im früheren Verfahren - mit dem Vorliegen von dauernden Lärmspitzen von 110 dB begründete, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.12.2014 und Widerspruchsbescheid vom 06.03.2015 ab. Zugleich verneinte sie einen Anspruch auf Verletztenrente.

Hiergegen hat der Kläger am 01.04.2015 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und geltend gemacht, dass Impulslärmspitzen vorgelegen hätten, die die eigentliche Ursache der Lärmschwerhörigkeit seien. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2015 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidung des Senates vom Mai 2014 verwiesen.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 08.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.10.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und erneut geltend gemacht, dass es aufgrund der technischen Betriebsabläufe andauernd zu Lärmspitzen von 110 dB gekommen sei, welche die Ursache seiner Lärmschwerhörigkeit seien. Das Sozialgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass einem Impulslärm nur dann Relevanz beizumessen sei, wenn er eine Intensität von mehr als 137 dB aufweise.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25.09.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2015 zu verpflichten, den Bescheid vom 13.04.2010 zurückzunehmen und eine Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen, insbesondere in Form von Verletztenrente und Übergangsleistungen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2015, mit dem die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 13.04.2010 über die Ablehnung der Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK 2301 und die Gewährung einer Verletztenrente ablehnte. Die hinsichtlich der Rücknahme der die Anerkennung einer BK 2301 ablehnenden Entscheidung erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide ablehnenden Verwaltungsentscheidungen, mit der Verpflichtungsklage die Rücknahme der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung einerseits sowie die Anerkennung der BK 2301 andererseits. Soweit der Kläger daneben die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von "Entschädigung", insbesondere in Form von Verletztenrente und Übergangsleistungen, begehrt, ist die Klage hinsichtlich der begehrten Übergangsleistungen unzulässig (vgl. - auch zum Nachfolgenden - BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5). Denn über die Gewährung von Sozialleistungen ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), weil auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zwischen Versicherungsfall - siehe die Definition der Versicherungsfälle in §§ 7 ff. des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) - und Leistungsfall - vgl. die §§ 26 ff. SGB VII - zu unterscheiden ist. Eine derartige Entscheidung der Beklagten über Übergangsleistungen liegt - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - nicht vor. Im zu überprüfenden Bescheid vom 13.04.2010 sind die vom Kläger begehrten Leistungen (Verletztenrente und Übergangsleistungen) mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr entschied die Beklagte nur über das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301. Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 03.12.2014 auch die Gewährung von Verletztenrente ablehnte, ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft. Die Beklagte hat insoweit eine konkrete Entschädigungsleistung - Verletztenrente - geprüft und abgelehnt.

Aber auch soweit die Klage zulässig ist, hat die Berufung keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage auch insoweit zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, den Bescheid vom 13.04.2010 zurückzunehmen und die Erkrankung des Klägers als BK 2301 anzuerkennen und hierfür eine Verletztenrente zu gewähren. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht festzustellen. Dementsprechend besteht auch kein Anspruch auf Verletztenrente.

Im vorliegenden Fall findet hinsichtlich der begehrten Rücknahme der die Anerkennung einer BK 2301 ablehnenden, bestandskräftigen Entscheidung § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Anwendung (so auch, ohne weitere Problematisierung, für die streitige Feststellung eines Arbeitsunfalls: BSG, Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Zwar wurde im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 13.04.2010 an sich nicht über Leistungen entschieden, sondern (nur) die Anerkennung der streitigen BK 2301 abgelehnt, so dass durch diesen Bescheid unmittelbar nicht "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind", wie dies § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraussetzt. Für die Anwendung dieser Regelung spricht jedoch, dass es bei der Anerkennung einer BK letztendlich in der Regel doch (mittelbar) um Leistungsansprüche geht. Dabei ist im Anwendungsbereich des Abs. 1 eine gebundene Entscheidung über die Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen, während der Behörde im Anwendungsbereich des Abs. 2 insoweit, was die Vergangenheit anbelangt, ein Ermessensspielraum zusteht. Dadurch würde der die Feststellung einer BK begehrende potentielle Leistungsempfänger - was die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides für die Vergangenheit anbelangt - schlechter gestellt, als wenn im bestandskräftigen Bescheid unmittelbar konkrete Leistungsansprüche abgelehnt worden wären. Ein Grund für diese unterschiedliche Behandlung von schlussendlich doch sozialleistungsbezogener Überprüfungsverfahren ist nicht ersichtlich.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 13.04.2010 liegen nicht vor. Die Beklagte lehnte zu Recht die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK 2301 ab. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht festzustellen und er hat dementsprechend keinen Anspruch auf Anerkennung dieser Erkrankung als BK.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV auch die Lärmschwerhörigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann beim Kläger das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV nicht festgestellt werden.

Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 unter Verweis auf die von der Beklagten, der BG Chemie und dem Arbeitgeber veranlassten Lärmmessungen ausführte, ist schon nicht erwiesen, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Chemiearbeiter bei der Firma G. einer belangvollen, und damit den für die Entwicklung von Hörstörungen maßgeblichen Grenzwert von 85 dB (A) überschreitenden Lärmexposition ausgesetzt wurde. Der Senat hält die genannten Lärmmessungen nach wie vor für zutreffend und kann sich daher noch immer nicht davon überzeugen, dass der Kläger einer Tages-Lärmexposition von wenigstens 85 dB (A) oder mehr ausgesetzt war. Im Übrigen macht auch der Kläger selbst im Überprüfungsverfahren keine berufsbedingte langjährige Lärmexposition mit einem Tageslärmexpositionspegel von mindestens 85 dB (A) mehr geltend.

Vielmehr beruft er sich (wie bereits in den vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren) nunmehr nur noch auf das Vorliegen von andauernd vorliegenden Impulslärmspitzen von 110 dB (C), welche - trotz einer Intensität von weniger als 137 dB (C) - Ursache seiner Schwerhörigkeit seien. Jedoch führt auch dies zu keinem für den Kläger günstigen Ergebnis. Der Kläger war zur Überzeugung des Senats keinem besonderen Impulslärm ausgesetzt, der geeignet war, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen. Impulslärmspitzen von 110 dB (C) sind hierfür - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht ausreichend.

Sehr kurze Spitzenschalldruckpegel sind gesondert zu betrachten, weil sich deren Schädigungsmechanismus von dem einer chronischen Lärmeinwirkung niedriger Intensität unterscheidet (vgl. - auch zum Nachfolgenden - Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK 2301 vom 01.07.2008, GMBl. 2008, S. 798). Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um Schallereignisse mit einer Intensität von mehr als 137 dB (C) handelt, weil nur dann die Gefahr einer direkten mechanischen Schädigung des Innenohrs besteht (Merkblatt a.a.O.). In keinem der drei vorgenommenen Lärmermittlungen konnten indes Spitzenschalldruckpegel mit mehr als 110 dB (C) ermittelt werden (Höchstwert im Rahmen der Lärmermittlung 1996: 107 dB (C), im Rahmen der Lärmermittlung im März 2010: 110 dB (C)). Zusammenfassend fehlt es danach - wie vom Senat schon in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 dargelegt - bereits an einer ausreichend hohen und ausreichend langen Lärmexposition als Voraussetzung für die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit.

Lediglich ergänzend weist der Senat - wie bereits in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 - darauf hin, dass auch Art, Ausmaß und Entwicklung der Schwerhörigkeit beim Kläger gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung sprechen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senat aus dem Gutachten des Dr. Z. und dem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Prof. Dr. R. . Beide Sachverständigen gelangten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass ein wesentlicher Zusammenhang zwischen berufsbedingtem Lärm und der Schwerhörigkeit des Klägers nicht wahrscheinlich ist. Dr. Z. legte insoweit überzeugend dar, dass die Progredienz der Hörverminderung vor allem im tiefen und mittleren Frequenzbereich für eine anlagebedingte, endogene Veränderung spricht.

Liegt bereits keine BK 2301 vor, so hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen seiner Schwerhörigkeit.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Wie bereits dargelegt ist eine BK 2301 nicht festzustellen, weshalb auch - mangels Versicherungsfall - kein Anspruch auf Verletztenrente besteht.

Auch im Falle der Aufrechterhaltung des ursprünglich gestellten Antrages des Klägers auf Einholung eines erneuten Gutachten gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. R. wäre der Senat diesem Antrag nicht nachgekommen. Zwar muss nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Dies gilt indessen dann nicht, wenn das Gericht einem solchen Antrag bereits nachgekommen ist, das Antragsrecht also verbraucht ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 109 Rdnr. 10b, 11b). Grundsätzlich ist zwar das Antragsrecht nach § 109 SGG in einem Überprüfungsverfahren nicht schon deshalb verbraucht, weil in einem früheren, vor Eintritt der Bestandskraft geführten Rechtsstreit bereits ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt wurde (so Keller, a.a.O., Rdnr. 10b). Allerdings ist im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X eine Sachaufklärung nur dann durchzuführen, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die bestandskräftige Entscheidung möglicherweise unrichtig ist. Zu Ermittlungen ohne hinreichende Grundlage, also ins Blaue hinein, ist das Gericht auch hier nicht verpflichtet, entsprechende Beweisanträge sind rechtsmissbräuchlich (s. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer., a.a.O., § 103 Rdnr. 8a). Die diesen Überlegungen zu Grunde liegenden Grundsätze von Treu und Glauben gelten im gesamten Prozessrecht (Keller, a.a.O., Rdnr. 14 Vor § 60) und damit auch für das Antragsrecht nach § 109 SGG.

Vorliegend holte der Senat bereits im früheren Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten bei Prof. Dr. R. ein. Im vorliegenden Berufungsverfahren, das die Überprüfung der früheren Entscheidung der Beklagten nach § 44 SGB X zum Gegenstand hat, hat der Kläger ursprünglich beantragt, beim selben Sachverständigen zur selben Fragestellung bei identischer Tatsachen- und Rechtslage ein erneutes Gutachten nach § 109 SGG einholen. Dabei hat der Kläger auch nicht ansatzweise dargelegt, aus welchen Gründen er sich angesichts völlig identischer Zustände ein anderes Ergebnis erhofft. Er hat sich allein auf das von § 109 Abs. 1 SGG geregelte Antragsrecht als solches berufen. Dies wertet der Senat als rechtsmissbräuchlich. Denn der Kläger hat keine Argumente vorzubringen, die auch nur annähernd eine nochmalige Sachaufklärung rechtfertigen. Seine Behauptungen beschränken sich auf das - im früheren und im jetzigen Verfahren unstreitige - Vorliegen gelegentlicher Lärmpegel von 110 dB (C), deren Irrelevanz aber schon im früheren Verfahren geklärt wurde. Im Grunde hat der Kläger, wie sich aus der Identität von Streitgegenstand, Sach- und Rechtslage ergibt, versucht, den Verlust des Antragsrechts im früheren Verfahren durch das auf seinen Antrag damals eingeholte Gutachten mit dem eingeleiteten Überprüfungsverfahren zu umgehen. Ein derartiges Ausnutzen einer formalen Rechtsposition würde der Senat als unzulässige Rechtsausübung ansehen. Allerdings bedarf es keiner Entscheidung, weil der Kläger seinen Beweisantrag nicht aufrecht erhalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.