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30.08.2017 · IWW-Abrufnummer 196231

Landessozialgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 19.07.2017 – L 5 KR 99/17 B ER

Ein Anspruch auf vollständige Fahrkostenerstattung zu Dialysefahrten besteht grundsätzlich nur zur nächstgelegen Dialysepraxis, auch wenn dem Versicherten vorher über einen längeren Zeitraum die Fahrkosten zu einer weiter entfernt liegenden Praxis erstattet wurden. Medizinische Gründe, von diesem Grundsatz abzuweichen, sind vom Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren glaubhaft zu machen.


Landessozialgericht Schleswig-Holstein

Beschl. v. 19.07.2017

Az.: L 5 KR 99/17 B ER

In dem Beschwerdeverfahren

xxx

hat der 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 19. Juli 2017 in Schleswig durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht _____,
den Richter am Landessozialgericht _____ und
den Richter am Landessozialgericht ______
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 18. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zahlung von Fahrkosten für Dialysefahrten nach K___ zum N______________________.

Der 1948 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Antragsteller ist Dialysepatient. Er leidet unter zahlreichen Erkrankungen, insbesondere auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt und er bezieht Leistungen der Pflegestufe I. Seit 2012 ist er erneut wieder dialysepflichtig aufgrund eines chronischen Transplantationsversagens (Leichennierentransplantation im Jahre 1998). Die Dialyse führte er am N______________________ in K___ durch. Zuletzt genehmigte die Antragsgegnerin die Fahrkostenerstattung für das Jahr 2016 aufgrund der Verordnung vom 16. November 2015 vom Wohnort D______ nach K___ zur Dialysepraxis.

Am 21. Oktober 2016 verordnet Dr. W______ vom N______________________ wiederum eine Krankenbeförderung mit einer Behandlungsfrequenz von dreimal pro Woche für das Jahr 2017. Mit Bescheid vom 2. Januar 2017 bewilligte die Antragsgegnerin die Übernahme von Fahrkosten zur nächstgelegenen Dialysepraxis bis Na________ und zurück / maximal je 23,5 Kilometer. Mehrkosten, die durch größere Entfernungen entstünden, würden nicht übernommen werden. Daraufhin legte der Antragsteller einen Bericht von Dr. W______ vom 14. Januar 2017 vor, in dem dieser ausführte, aus den Diagnosen gehe hervor, dass bei dem Antragsteller multiple kardiovaskuläre Komplikationen bestünden, die die engmaschige Mitbetreuung durch die Universitätsklinik K___ und das L_______________ in K___ erforderlich machten.

Während der gesamten mehr als 20 Jahre andauernden Behandlung seien die Fahrkosten nie thematisiert worden. Es sei absolut unzumutbar für den Antragsteller, nach einer so langen Zeit das Dialysezentrum zu wechseln, zumal die fachärztliche Mitbehandlung der oben genannten anderen Disziplinen ohnehin in K___ erforderlich sei. Die Antragsgegnerin holte ein sozialmedizinisches Kurzgutachten des MDK ein und teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 14. Februar 2017 mit, dass sie bei ihrer Entscheidung bleibe, da eine gleichwertige medizinische Behandlungsmöglichkeit in Na________ bestünde. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit der Begründung, klinische Gründe machten die Fortsetzung der Dialyse in K___ erforderlich, wie die Bescheinigung des N______________________s verdeutliche. Außerdem liege bei ihm ein Härtefall vor. Er befinde sich in einem funktionierenden Regime. Es bestünde kein rechtfertigender Grund, in dieses einzugreifen. §§ 45 ff. SGB X stünden einem Wechsel zudem ebenfalls entgegen.

Am 24. März 2017 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Lübeck die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung von Fahrkosten in das N_____________________ K___ im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, § 16 SGB V gestatte explizit Abweichungen von den Richtlinien. Ein solcher Ausnahmefall liege bei ihm vor. Es bestünde auch ein Anordnungsgrund, da er finanziell nicht in der Lage sei, die Fahrkosten zu erbringen. Die Antragsgegnerin hat die Auffassung geäußert, dass zwingende medizinische Gründe für eine Weiterbehandlung in K___ am Dialysezentrum nicht vorlägen. Aus wirtschaftlichen Gründen könne sie nur die Kosten für den nächsterreichbaren Behandlungsort übernehmen. Das sei das Dialysezentrum am F__________________________ Na________ oder in der Dialysepraxis Na________ der Fall.

Im Erörterungstermin vom 11. April 2017 hat die Antragsgegnerin sich vergleichsweise verpflichtet, dem Antragsteller ab dem heutigen Tag für ein halbes Jahr noch die Fahrkosten von seinem jetzigen Wohnort zur Dialyse nach K___ zu zahlen. Der vorsitzende Richter hat den Antragsteller darauf aufmerksam gemacht, dass die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 SGB V in seinem Fall nicht vorlägen und er sich auf die Behandlung in Na________ zwecks Dialysebehandlung verweisen lassen müsse. Von dem ihm eingeräumten Widerrufsrecht hat der Antragsteller anschließend Gebrauch gemacht und auf Anfrage des Sozialgerichts detailliert zu seinen Einnahmen und Ausgaben Stellung genommen. Zur weiteren Begründung hat er auf § 76 SGB V und darauf hingewiesen, dass die Kliniken in K___ mit seinem Krankheitsbild vertraut seien. Dies spreche für eine Fortbehandlung dort.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2017 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, trotz der gerichtlichen Anfrage habe der Antragsteller nicht deutlich gemacht und mit entsprechenden Nachweisen belegt, dass er nicht in der Lage sei bzw. gewesen sei, die Mehrkosten für die Taxifahrten zur Dialysebehandlung nach K___ zunächst selbst zu zahlen. Demzufolge gehe das Gericht davon aus, dass er finanziell in der Lage sei, die Mehrkosten für die Taxifahrten nach K___ bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache selbst zu tragen.

Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 6. Juni 2017. Zur Begründung weist er darauf hin, dass er aufgrund seiner finanziellen Situation die Mehrkosten nicht tragen könne. Dazu legt er erneut eine Aufstellung seiner Einnahmen und Ausgaben vor sowie eine Bescheinigung der Funk-Taxi B_______. Aus letzterer ergebe sich ein monatlicher Mehraufwand für Fahrkosten in Höhe von 900,00 EUR im Monat. Da er auch nicht über einsetzbares Vermögen verfüge, sei er nicht in der Lage, diese Kosten zu tragen. Die Antragsgegnerin verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Das langjährige Arzt-Patienten-Verhältnis in K___ möge zwar einen nachvollziehbaren subjektiven Grund für die Weiterbehandlung dort darstellen, ein zwingender medizinischer Grund sei darin aber nicht zu sehen. Wohnortnäher stünden Behandlungsstätten in Na________ zur Verfügung.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht einen Anspruch des Antragstellers auf die vorläufige Übernahme der Fahrkosten zum Dialysezentrum nach K___ im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Allerdings stimmt der Senat mit dem Antragsteller insoweit überein, dass er aufgrund seiner Einnahmen und Ausgaben glaubhaft nicht in der Lage ist, für die Zeit der Durchführung des Hauptsacheverfahrens die Fahrkosten zum Dialysezentrum nach K___ bzw. die Differenz gegenüber der Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin für Fahrten nach Na________ zu übernehmen. Bereits erstinstanzlich hat er dazu entsprechend vorgetragen. Es ist nicht ersichtlich, dass er bei Einnahmen von 1.844,00 EUR monatlich und Ausgaben von annähernd 1.500,00 EUR die nachvollziehbaren Mehrkosten von 900,00 EUR monatlich auch nur für eine begrenzte Zeit übernehmen kann.

Allerdings steht dem Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit entgegen, dass der Antragsteller den gerichtlichen Vergleich gegenüber dem Sozialgericht widerrufen und damit eine Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungen verhindert hat. Einen sachlichen Grund vermag der Senat für den Widerruf nicht zu erkennen, da der vor dem Sozialgericht am 11. April 2017 abgeschlossene Vergleich für ihn allein vorteilhaft war und er auf nachfolgende Ansprüche darin nicht verzichtet hat.

Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob dies dem Anordnungsgrund entgegensteht, da es bereits an einem Anordnungsanspruch im Sinne der Glaubhaftmachung eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung fehlt. Der Senat stimmt mit der Antragsgegnerin darin überein, dass der Antragsteller einen solchen materiellen Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten zum Dialysezentrum nach K___ nicht glaubhaft gemacht hat.

Allerdings besteht, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, grundsätzlich ein Anspruch des Antragstellers auf Fahrkostenübernahme zur Dialysebehandlung. Dieser Anspruch folgt aus § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach Krankenkassen Fahrkosten zu einer Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrages in besonderen Ausnahmefällen übernehmen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festgelegt hat. In § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien ist Voraussetzung für eine Verordnung und eine Genehmigung von Krankenfahrten, dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist, was bei in der Anlage 2 der Richtlinie genannten Ausnahmefällen in der Regel erfüllt ist (Satz 3 der Vorschrift). In Anlage 2 der KrankentransportRL ist die Dialysebehandlung ausdrücklich aufgeführt.

Allerdings werden Fahrkosten nur, worauf die Antragsgegnerin ebenfalls zutreffend hinweist, in notwendiger und wirtschaftlicher Höhe übernommen. Das hat zur Folge, dass Kosten nur zur nächstgelegenen Dialysemöglichkeit zu übernehmen sind. Nächstgelegene Dialysemöglichkeiten bestehen im Falle des Antragstellers aber in Na________ im F__________________________ und in der Dialysepraxis Na________, weil diese, wie der Aufstellung der Funk-Taxizentrale B_______ zu entnehmen ist, lediglich 20 Kilometer vom Wohnort des Antragstellers entfernt sind, während nach K___ 45 Kilometer Fahrstrecke erforderlich sind.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers vermag der Senat auch keine zwingenden medizinischen Gründe für eine Fortsetzung der Dialyse in K___ zu erkennen. Solche werden jedenfalls vom N______________________ in dem Bericht vom 14. Januar 2017 nicht genannt. Dort wird lediglich darauf hingewiesen, dass bei dem Antragsteller multiple kardiovaskuläre Komplikationen vorliegen. Es ist keinerlei Grund ersichtlich, dass, jedenfalls im F__________________________ in Na________ mit seinen zahlreichen Fachkliniken eine gleichwertige Behandlung nicht erbracht werden kann.

Dass die Fahrkosten zur Dialyse in K___ in den letzten Jahren übernommen wurden, ist ebenfalls keinen Grund für eine Fortsetzung der Übernahme der Fahrkosten. Vielmehr ist die Antragsgegnerin verpflichtet, eine bisher rechtswidrige Praxis zeitnah zu beenden (vgl. § 2 Abs. 4 SGB V). Der von dem Antragsteller angeführte § 45 SGB X findet keine Anwendung, weil die letzte Bewilligung der Krankenbeförderung nach K___ auf das Jahr 2016 zeitlich begrenzt, mithin eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht erforderlich war.

Der von dem Antragsteller ebenfalls angeführte § 16 SGB V enthält Regelungen über das Ruhen des Anspruchs auf Leistungen. Inwieweit in dieser Vorschrift Ausnahmefälle für die Übernahme von Fahrkosten enthalten sind, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Dass eine Dialyse des Antragstellers in Na________ bei Fortsetzung der Behandlung am L_______________ und dem U___ zu einer Erhöhung der Fahrkosten führt, wie der Antragsteller meint, trifft nicht zu. Fahrkosten für ambulante Behandlungen werden nur ausnahmsweise in den in den Krankentransportrichtlinien enthaltenen Fällen übernommen. Dazu gehören die Behandlungen am U___ und am L_______________ nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).