24.10.2017 · IWW-Abrufnummer 197320
Landessozialgericht Niedersachsen: Urteil vom 29.08.2017 – L 16/4 KR 65/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.08.2017
Az.: L 16/4 KR 65/12
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger im Wege der Sachleistung mit einem Blindenführhund zu versorgen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Blindenführhundes.
Der im Jahre 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist rechtsseitig mit einer Augenprothese versorgt, linksseitig bestehen ein chronisches Glaukom, eine Aphakie, eine Opticusatropie und Netzhautadernarben. Handbewegungen und Lichtschein werden wahrgenommen; darüber hinaus besteht kein Sehvermögen. In jüngerer Zeit ist eine Schwerhörigkeit hinzugetreten; der Kläger ist mit Hörgeräten versorgt.
Am 22. August 2009 beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten, Herrn G., gegenüber der Beklagten die Gewährung eines Blindenführhundes. Herr H. bezeichnet sich als anerkannten Sachverständigen im deutschen Führhundwesen. Er wies darauf hin, dass der Kläger als Schwerbehinderter ein Recht darauf habe, die Hilfe sehender Handlungsgehilfen in Anspruch zu nehmen sowie ein Recht auf freie Wahl der Schule seines Vertrauens. Herr H. berechne für seine Bemühungen "lediglich 73,00 EUR je angefangene Arbeitsstunde". Beigefügt war ein Attest von Herrn/Frau I., augenärztliche Gemeinschaftspraxis J. vom 9. September 2009, wonach aufgrund der starken Sehbehinderung und des stark eingeschränkten Gesichtsfeldes aus augenärztlicher Sicht ein Blindenführhund befürwortet werde. Eine vertragsärztliche Verordnung wurde nicht ausgestellt. Bis dato war der Kläger nicht mit einem Langstock versorgt. Ein Mobilitätstraining wurde nicht absolviert. Zur Orientierung nahm er die Hilfe seiner Frau in Anspruch.
Die Beklagte beauftragte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser forderte zunächst weitere medizinische Informationen an. Hierauf übersandte Herr H. insgesamt vier so bezeichnete ärztliche Indikationen des Augenarztes Dr K. aus L ... Nach dem Inhalt dieser "Indikationen" werde dem Kläger ein behindertengerechtes Computersystem namens Preußenputer verordnet. Weiterhin bestehe die Notwendigkeit zur Gestellung eines Blindenlangstocks, eines Pfadfinders für Sehgeschädigte und Nichtsehende sowie eines Blindenführhundes. All diese Leistungen sollten durch das Kompetenzzentrum Hilfsmittel des Herrn M. erbracht werden. Ergänzend teilte Herr H. mit, dass die Wohnsituation des Klägers auch die räumlichen Bedingungen für die Haltung eines Blindenführhundes biete. Die Beklagte möge einen vorgefertigten Versorgungsvertrag unterzeichnen. Mit Gutachten vom 22. Dezember 2009 führte der MDK durch Dr N. aus, dass Atteste von zwei unterschiedlichen Augenärzten vorlägen. Eine Diagnose werde nicht genannt. Es würde eine starke Sehbehinderung mit stark eingeschränktem Gesichtsfeld beschrieben, es fehlten aber konkrete Angaben zum Visus/Gesichtsfeld. Aufgrund der spärlichen Datenlage sei eine Versorgung mit einem Blindenführhund nicht zu empfehlen. Bei einer an Blindheit grenzenden Sehschärfenminderung mit Gesichtsfeldeinschränkung sollte vorrangig die selbstständige Mobilität mittels eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings am Langstock gefördert werden. Nur für den Fall, dass der Kläger damit nicht ausreichend sicher mobil sei, komme gegebenenfalls die Versorgung mit einem Blindenführhund infrage.
Gegenüber dem Kläger und Dr K. teilte die Beklagte mit, dass bezüglich der eingereichten Bescheinigungen über einen Blindenlangstock, eine EDV-Anlage, einen Pfadfinder für Sehbehinderte und einen Blindenführhund keine ärztlichen Verordnungen vorlägen. Bisher seien nur fachärztliche Indikationen ausgestellt worden, die noch nicht einmal an die Beklagte gerichtet gewesen seien. Dies könne nicht als Antrag anerkannt werden.
Gleichwohl habe man zumindest den Blindenführhund auf Kostenübernahmemöglichkeit geprüft. Dr K. führte hierzu mit Schreiben vom 18. Januar 2010 aus, dass er keine Verordnungen ausstellen könne, denn laut Hilfsmittelrichtlinien müsse man ausprobieren, ob der Kläger zurechtkomme. Er habe deshalb eine fachärztliche Indikation ausgestellt.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2010 führte die Beklagte aus, dass über eine Versorgung mit einem Blindenführhund erst entschieden werden könne, wenn ein Mobilitäts- und Orientierungstraining abgeschlossen sei. Nach den Ausführungen des MDK sei ein Blindenführhund zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht anzuraten. Vorrangig solle ein Training mit einem Langstock erfolgen. Ein entsprechender Leistungserbringer in örtlicher Nähe des Klägers wurde benannt.
Herr H. erhob für den Kläger Widerspruch und trug vor, dass der MDK lediglich beratende Funktion habe. Die Beklagte habe nicht das Recht dazu, vom Kläger zu verlangen, einen Langstock und das Mobilitätstraining anderweitig zu beziehen als vom behandelnden Arzt angeordnet. Die Beklagte dürfe nicht in fachärztliche Indikationen eingreifen. Auch dürfe nicht erst über den Leistungsantrag des Blindenführhundes entschieden werden, nachdem der Kläger einen Langstock erhalten und den Umgang damit erlernt habe. Hiermit greife die Beklagte wiederum in die ärztliche Therapiefreiheit ein. Daran sei die Beklagte gebunden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Durchführung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings sei nach Einschätzung des MDK im Vorfeld dringend anzuraten, da hiermit eine gewisse Sicherheit erlangt werde, sich im äußeren Umfeld zu bewegen. Diese Grundsicherheit sei später für das Zusammenwirken von nichtsehendem Führhundehalter und Blindenführhund von enormer Bedeutung, da sich ansonsten die Unsicherheit des Führhundehalters auf das Tier übertrage, was den Erfolg der Führhundeausbildung gefährden könne. Denn Mensch und Hund müssten sich am Ende als Gespann sicher und zuverlässig bewegen können und mögliche Gefahren müssten weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Versorgung mit einem Blindenführhund werde nicht generell abgelehnt, zuvor sei jedoch das Orientierungs- und Mobilitätstraining erforderlich.
Hiergegen hat der Kläger am 26. April 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen G, H, RF und BL festgestellt worden sei. Es könne ihm nicht zugemutet werden, bei Bedarf die Hilfe von Freunden, Bekannten oder sonstigen Dritten als Begleitpersonen in Anspruch zu nehmen. Auch seine Ehefrau sei nicht ständig im Hause. Die Beklagte könne die Versorgung mit einem Blindenführhund nicht von der vorherigen Durchführung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings abhängig machen. Dieses decke den Grundbedarf des Klägers und seiner Behinderung nicht im Sinne eines Basisausgleichs ab.
Die Beklagte hätte auch ohne das betreffende Training eine endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch treffen können. Der Kläger hat sich ausführlich zu den generellen Vorteilen eines Blindenführhundes geäußert. Dieser stelle eine notwendige Ergänzung zum Blindenlangstock dar. Nur die kumulative Versorgung mit Blindenlangstock und Blindenführhund ermögliche es blinden Menschen, die sich für einen Hund entschieden hätten und diesen versorgen könnten, eine von fremder Begleitung unabhängige Orientierung und Mobilität sowie eine sichere Fortbewegung im Straßenverkehr. Ein Langstock ermögliche zwar ebenfalls ein Gehen im Straßenverkehr. In vielen Situationen gelange er aber an Grenzen und könne seiner Funktion nicht nachkommen oder sie nur bedingt erfüllen. So schütze der Gebrauch des Blindenlangstocks den Blinden nicht davor, mit Hindernissen oberhalb der Gürtellinie zu kollidieren. Der Stock ermögliche nicht das Auffinden von Ampelmasten oder Treppen, Aufzügen und Türen in großen Gebäuden. Bei Schnee seien die Konturen der Straßen und Straßenbegrenzungen verschüttet, so dass sie mit dem Blindenlangstock nicht mehr erkannt werden könnten. Beim Überqueren sehr breiter Straßen, sehr großer Kreuzungen, beim Überwinden großer Plätze oder freier Flächen sei auch ein sehr gut geschulter Blinder nicht mehr in der Lage, alleine mit dem Langstock eine gerade Linie einzuhalten.
Demgegenüber sei ein Blindenführhund in der Lage, auch bei widriger Witterung den behinderten Menschen zu führen. Ein sicheres Gehen allein mit dem Blindenlangstock sei allenfalls in der eigenen, vertrauten Wohnung gewährleistet.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten, vor einer abschließenden Prüfung zur Versorgung des Klägers mit einem Blindenführhund zunächst die Teilnahme an einem Orientierungs- und Mobilitätstraining am Langstock zu fordern, sei nicht zu beanstanden. Gerade das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) rechtfertige es, zunächst ein Training durchführen zu lassen. Dies sei auch deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil auch der Blindenführhund - ebenso wie ein Langstock - nicht ein Hilfsmittel darstelle, das die Sehbehinderung des Klägers vollständig ausgleichen könne. Abgesehen davon fehle es auch an einer ärztlichen Verordnung für den Blindenführhund. Selbst wenn das Fehlen einer Verordnung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den Leistungsanspruch auf ein Hilfsmittel nicht grundsätzlich ausschließe, so entspreche doch die Vorgehensweise mit selbst hergestellten Vordrucken des Herrn H. über diverse Versorgungsnotwendigkeiten nicht der für die Hilfsmittelversorgung üblichen Vorgehensweise. Bei den als ärztliche Indikationen überschriebenen Attesten handele es sich vollständig um vorgefertigte Texte des Herrn H. und seines Kompetenzzentrums Hilfsmittel, die von Dr K. unterschrieben worden seien. Mit den in den Hilfsmittel Richtlinien enthaltenen Verordnungsgrundsätzen bzw. den Regelungen über die Verordnung von Hilfsmitteln stimme diese Vorgehensweise nicht überein. Die Notwendigkeit für die Versorgung von Hilfsmitteln ergebe sich auch nicht allein aus der Diagnose, sondern vielmehr unter Gesamtbetrachtung der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten, der noch verbleibenden Aktivitäten und einer störungsbildabhängigen Diagnostik.
Gegen den am 2. Februar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen Bremen eingelegt. Er hält sein erstinstanzliches Vorbringen aufrecht. Unter eingehender Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtsprechung steht er weiterhin auf dem Standpunkt, dass eine Versorgung mit einem Blindenführhund notwendig sei. Die vorherige Durchführung eines Mobilitäts- und Orientierungstrainings sei auch nicht erforderlich. Eine vertragsärztliche Verordnung durch Dr K. - ausgestellt auf dem Muster 8 A - hat er nachgereicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger im Wege der Sachleistung mit einem Blindenführhund zu versorgen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und schließt sich den dort genannten Gründen an. Durch das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und die Ergebnisse des Mobilitäts- und Orientierungstraining sieht sie sich in ihrer Ansicht gestützt. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger zwischen dem 21. Januar 2013 und dem 27. Juni 2013 39,5 Unterrichtseinheiten in Orientierung und Mobilität erhalten sowie weitere 20 Einheiten zwischen dem 21. Oktober 2013 und dem 17. Januar 2014. Auf die Berichte vom 6. Juli 2013 (Bl. 111 ff. der Akte) und vom 19. Januar 2014 (Bl. 143 ff. der Akte) wird Bezug genommen. Die Kosten des Trainings in Höhe von 8.837,60 EUR sind von der Beklagten übernommen worden.
Der Senat hat den medizinischen Sachverhalt näher aufgeklärt. Am 4. Mai 2015 hat der Augenarzt Dr O. ein Gutachten erstattet, der im Ergebnis eine Versorgungsnotwendigkeit abgelehnt hat. Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2016 erstmals auf eine bestehende Schwerhörigkeit hingewiesen hat, hat der Senat das Gutachten des Augenarztes Dr P. vom 13. März 2017 sowie das Gutachten des Hals- Nasen- Ohrenarztes Dr Silber vom 30. März 2017 eingeholt. Die Gutachter haben die Versorgung mit einem Blindenführhund aufgrund der Wechselwirkungen zwischen Seh- und Hörbeeinträchtigungen bejaht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen hat.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgemäß erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet. Dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 sowie dem Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Kläger hat vielmehr einen Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund.
Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind im Wege der Auslegung als Leistungsablehnung zu qualifizieren. Zwar hat sie ursprünglich mit Bescheid vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 noch keine Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung eines Blindenführhundes getroffen, sondern diese hinter die Durchführung des Orientierungs- und Mobilitätstrainings zurückgestellt. Nach Durchführung dieses Trainings hat sie aber im Laufe des Verfahrens mehrfach bekräftigt, dass eine Leistungsgewährung - nach ihrer Auffassung - aus materiellen Gründen nicht in Betracht kommt (vgl. Schriftsatz vom 19. Juni 2015). Auch ein Schriftsatz eines Leistungsträgers im sozialgerichtlichen Verfahren kann ausnahmsweise als Verwaltungsakt verstanden werden, wenn er seinen Regelungswillen klar erkennen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 - 3 P 5/10 R Rdnr 21 mwN; BSG, Urteil vom 18. März 1982 - 11 RA 19/81 BSGE 53, 194, 195 = SozR 2200 § 1303 Nr 24). Damit sind die Verwaltungsentscheidungen in die ursprünglich fehlende Qualität der Leistungsablehnung hineingewachsen und damit inhaltlich voll überprüfbar.
Auch die ursprünglich fehlende Verordnung durch den behandelnden Arzt ist nunmehr nachgeholt worden. Im Übrigen ging das BSG jedenfalls bis zur Einführung des § 33 Abs 5a SGB V zum 30. Oktober 2012 (BGBl. I 2246) davon aus, dass eine fehlende Verordnung den Leistungsanspruch nicht ausschließt (BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 KR 1/09 R Rdnr 31 mwN; Nolte, Kasseler Kommentar, Stand: März 2017, § 33 Rdnr 64a).
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V die Versorgung mit Hilfsmitteln. Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Gemäß § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen bzw Erforderlichen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen.
Der Blindenführhund ist ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981- 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206; vgl Hilfsmittelkatalog Produktnummer 99.99.01.0001). Der Blindenführhund ist weder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen noch ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der üblicherweise von einer großen Zahl von nicht behinderten Menschen regelmäßig benutzt wird (dazu BSG, Urteil vom 03. November 1993 - 1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33 Nr 5 mwN; BSG, Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 27 mwN).
Hierbei lässt der Senat bewusst offen, ob es sich bei einem Blindenführhund um ein Hilfsmittel des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs handelt. Denn ein Leistungsanspruch ist in jedem Falle gegeben.
Ein unmittelbarer Funktionsausgleich liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, soweit das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ausgleicht, indem es die entsprechende Körperfunktion ermöglicht oder sie weitestgehend ersetzt (BSG, Urteil vom 17.Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2.). Hierbei ist der aktuelle Stand der Medizin und der Medizintechnik maßgebend.
Kosten-Nutzen-Erwägungen sind im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs grundsätzlich nicht anzustellen. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleichs dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen (BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 30 Rdnr 11 mwN; BSG, Urteil vom 6. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S. 248). Der Leistungsanspruch hinsichtlich eines fortschrittlicheren Hilfsmittels wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein vollständiges Gleichziehen mit einem gesunden Versicherten auch damit nicht erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R - BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 7). Soweit das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion weder ganz noch weitestgehend ersetzen kann, handelt es sich um einen mittelbaren Behinderungsausgleich. In diesem Falle kommt ein Leistungsanspruch nur in Betracht, soweit es um den angemessenen Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung geht (Beck/Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 33 SGB V, Rn. 27).
Der Blindenführhund ist nach älterer Rechtsprechung des 5a. Senats des BSG unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981 - 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206). Dem soll nicht entgegenstehen, dass das Hilfsmittel nicht direkt am Körper ausgleichend wirkt (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 16/82, BSGE 54, 140). Entscheidend soll sein, dass das Hilfsmittel die beeinträchtigte Funktion - hier das Sehen - ermöglicht, ersetzt oder ergänzt. Der Blindenführhund biete Ersatz für die durch Blindheit ausgefallene oder zumindest erschwerte Möglichkeit der Umweltkontrolle. Dieser Funktionsausgleich soll unmittelbar diese Behinderung betreffen und nicht erst bei den Folgen der Behinderung in bestimmten Lebensbereichen einsetzen (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981 - 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2012 - L 11 KR 804/11; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 2013 - L 5 KR 99/13; SG Bremen, Urteil vom 24. Mai 2016 - S 4 KR 153/15 -). Dem ist entgegenzuhalten, dass Umweltkontrolle und Orientierungsfähigkeit keine unmittelbaren Körperfunktionen wie Sehen oder Hören sind, sondern vielmehr intellektuelle Kombinationsleistungen aus verschiedenen Sinneseindrücken. Dies könnte für eine Qualifikation als mittelbarer Behinderungsausgleich sprechen. Im Ergebnis kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da die Versorgung mit einem Blindenführhund im Falle des Klägers zum Behinderungsausgleich nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen ist. Denn die Kombination von Langstock und erhaltenem Mobilitätstraining ist nicht ausreichend. Auch neben einem Blindenlangstock kann der Blindenführhund im Einzelfall erforderlich sein, wenn er wesentliche Gebrauchsvorteile bietet (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 2013 - L 5 KR 99/13). Eben so wenig schließt die Möglichkeit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V aus, denn es ist wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig oder zumindest deutlich weniger abhängig werden (BSG, Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 8/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 27 Rdnr 18) Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist nicht auf die abstrakt generellen Gebrauchsvorteile eines Blindenführhundes im Vergleich mit einem Blindenlangstock abzustellen, sondern vielmehr auf die konkrete Versorgungsnotwendigkeit im Einzelfall, die nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG besteht selbst im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches kein Automatismus im Sinne einer höherwertigen Versorgung. Vielmehr kann die Versorgung mit einem fortschrittlicheren oder höherwertigen Hilfsmittel nur derjenige beanspruchen, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 44, SozR 3-2500 § 31 Nr 9, Rn. 14). Ansonsten fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 44, SozR 3-2500 § 31 Nr 9, Rn. 14). Hierzu stützt sich der Senat auf die Gesamtheit aller über den Kläger bekannt gewordenen medizinischen Unterlagen und dabei insbesondere auf das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme. Nach dem Gutachten des Augenarztes Dr O. vom 4. Mai 2015 besteht bei dem Kläger seit 25 Jahren Blindheit nach Augenentfernung rechts, nach Verletzung und Glaukom, Opticusatrophie und Retinopathia sclopetaria am linken Auge. Infolgedessen kann der Kläger nur noch Lichtschein und Handbewegungen mit dem linken Auge wahrnehmen. Diese Feststellungen bestätigen sich auch in dem aktuellen Gutachten des Augenarztes Dr P ... Ferner ergibt sich aus dem Gutachten des HNO-Arztes Dr Q., dass bei dem Kläger eine Innenohrschwerhörigkeit links mehr als rechts vorliegt. Auch wenn die Schwerhörigkeit vergleichsweise moderat ausgeprägt ist, wirkt sie sich in Kombination mit der bestehenden Blindheit stark erschwerend aus. Denn eine Kompensation der Schwierigkeit durch die Augen ist dem Kläger nicht möglich. Dies gilt auch trotz der erfolgten Hörgeräteversorgung.
Zwar ist festzustellen, dass der Kläger mit Mobilitätstraining und Langstock inzwischen so geschult ist, dass er sich gut orientieren kann. Nach den Berichten der Rehabilitationslehrerin R. vom 6. Juli 2013 und 19. Januar 2014 sind nennenswerte Fortschritte ersichtlich. Es wurden grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten, Übungen zur Verbesserung grundlegender Orientierungsfähigkeiten, Anwendung von Langstocktechniken sowie das Fortsetzen und Anwenden der Langstocktechniken vermittelt. Nach einem ersten Block von 39,5 Unterrichtseinheiten waren noch nicht alle erforderlichen Inhalte vermittelt, sodass der Unterricht noch nicht abgeschlossen war. In der Folge sind weitere 20 Einheiten erbracht worden mit dem Schwerpunkt auf der Schulung blinden- und sehbehindertenspezifischer Strategien und Techniken bei Dämmerung und Dunkelheit.
Gleichwohl können diese Fortschritte nach dem Gutachten des Augenarztes Dr P. nicht darüber hinweg helfen, dass für einen Langstock ungeeignete Wegstrecken verbleiben sowie akustisch nicht gesicherte oder gefährliche Straßenübergänge. Dies macht gerade in Anbetracht der bei dem Kläger bestehenden Hörbehinderung die zusätzliche Versorgung mit einem Blindenführhund unverzichtbar. Diesen Ausführungen ist in Ermangelung jedweder Einwendungen der Beklagten nichts hinzuzufügen.
Mithin war die Berufung antragsgemäß zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Urt. v. 29.08.2017
Az.: L 16/4 KR 65/12
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger im Wege der Sachleistung mit einem Blindenführhund zu versorgen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Blindenführhundes.
Der im Jahre 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist rechtsseitig mit einer Augenprothese versorgt, linksseitig bestehen ein chronisches Glaukom, eine Aphakie, eine Opticusatropie und Netzhautadernarben. Handbewegungen und Lichtschein werden wahrgenommen; darüber hinaus besteht kein Sehvermögen. In jüngerer Zeit ist eine Schwerhörigkeit hinzugetreten; der Kläger ist mit Hörgeräten versorgt.
Am 22. August 2009 beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten, Herrn G., gegenüber der Beklagten die Gewährung eines Blindenführhundes. Herr H. bezeichnet sich als anerkannten Sachverständigen im deutschen Führhundwesen. Er wies darauf hin, dass der Kläger als Schwerbehinderter ein Recht darauf habe, die Hilfe sehender Handlungsgehilfen in Anspruch zu nehmen sowie ein Recht auf freie Wahl der Schule seines Vertrauens. Herr H. berechne für seine Bemühungen "lediglich 73,00 EUR je angefangene Arbeitsstunde". Beigefügt war ein Attest von Herrn/Frau I., augenärztliche Gemeinschaftspraxis J. vom 9. September 2009, wonach aufgrund der starken Sehbehinderung und des stark eingeschränkten Gesichtsfeldes aus augenärztlicher Sicht ein Blindenführhund befürwortet werde. Eine vertragsärztliche Verordnung wurde nicht ausgestellt. Bis dato war der Kläger nicht mit einem Langstock versorgt. Ein Mobilitätstraining wurde nicht absolviert. Zur Orientierung nahm er die Hilfe seiner Frau in Anspruch.
Die Beklagte beauftragte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser forderte zunächst weitere medizinische Informationen an. Hierauf übersandte Herr H. insgesamt vier so bezeichnete ärztliche Indikationen des Augenarztes Dr K. aus L ... Nach dem Inhalt dieser "Indikationen" werde dem Kläger ein behindertengerechtes Computersystem namens Preußenputer verordnet. Weiterhin bestehe die Notwendigkeit zur Gestellung eines Blindenlangstocks, eines Pfadfinders für Sehgeschädigte und Nichtsehende sowie eines Blindenführhundes. All diese Leistungen sollten durch das Kompetenzzentrum Hilfsmittel des Herrn M. erbracht werden. Ergänzend teilte Herr H. mit, dass die Wohnsituation des Klägers auch die räumlichen Bedingungen für die Haltung eines Blindenführhundes biete. Die Beklagte möge einen vorgefertigten Versorgungsvertrag unterzeichnen. Mit Gutachten vom 22. Dezember 2009 führte der MDK durch Dr N. aus, dass Atteste von zwei unterschiedlichen Augenärzten vorlägen. Eine Diagnose werde nicht genannt. Es würde eine starke Sehbehinderung mit stark eingeschränktem Gesichtsfeld beschrieben, es fehlten aber konkrete Angaben zum Visus/Gesichtsfeld. Aufgrund der spärlichen Datenlage sei eine Versorgung mit einem Blindenführhund nicht zu empfehlen. Bei einer an Blindheit grenzenden Sehschärfenminderung mit Gesichtsfeldeinschränkung sollte vorrangig die selbstständige Mobilität mittels eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings am Langstock gefördert werden. Nur für den Fall, dass der Kläger damit nicht ausreichend sicher mobil sei, komme gegebenenfalls die Versorgung mit einem Blindenführhund infrage.
Gegenüber dem Kläger und Dr K. teilte die Beklagte mit, dass bezüglich der eingereichten Bescheinigungen über einen Blindenlangstock, eine EDV-Anlage, einen Pfadfinder für Sehbehinderte und einen Blindenführhund keine ärztlichen Verordnungen vorlägen. Bisher seien nur fachärztliche Indikationen ausgestellt worden, die noch nicht einmal an die Beklagte gerichtet gewesen seien. Dies könne nicht als Antrag anerkannt werden.
Gleichwohl habe man zumindest den Blindenführhund auf Kostenübernahmemöglichkeit geprüft. Dr K. führte hierzu mit Schreiben vom 18. Januar 2010 aus, dass er keine Verordnungen ausstellen könne, denn laut Hilfsmittelrichtlinien müsse man ausprobieren, ob der Kläger zurechtkomme. Er habe deshalb eine fachärztliche Indikation ausgestellt.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2010 führte die Beklagte aus, dass über eine Versorgung mit einem Blindenführhund erst entschieden werden könne, wenn ein Mobilitäts- und Orientierungstraining abgeschlossen sei. Nach den Ausführungen des MDK sei ein Blindenführhund zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht anzuraten. Vorrangig solle ein Training mit einem Langstock erfolgen. Ein entsprechender Leistungserbringer in örtlicher Nähe des Klägers wurde benannt.
Herr H. erhob für den Kläger Widerspruch und trug vor, dass der MDK lediglich beratende Funktion habe. Die Beklagte habe nicht das Recht dazu, vom Kläger zu verlangen, einen Langstock und das Mobilitätstraining anderweitig zu beziehen als vom behandelnden Arzt angeordnet. Die Beklagte dürfe nicht in fachärztliche Indikationen eingreifen. Auch dürfe nicht erst über den Leistungsantrag des Blindenführhundes entschieden werden, nachdem der Kläger einen Langstock erhalten und den Umgang damit erlernt habe. Hiermit greife die Beklagte wiederum in die ärztliche Therapiefreiheit ein. Daran sei die Beklagte gebunden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Durchführung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings sei nach Einschätzung des MDK im Vorfeld dringend anzuraten, da hiermit eine gewisse Sicherheit erlangt werde, sich im äußeren Umfeld zu bewegen. Diese Grundsicherheit sei später für das Zusammenwirken von nichtsehendem Führhundehalter und Blindenführhund von enormer Bedeutung, da sich ansonsten die Unsicherheit des Führhundehalters auf das Tier übertrage, was den Erfolg der Führhundeausbildung gefährden könne. Denn Mensch und Hund müssten sich am Ende als Gespann sicher und zuverlässig bewegen können und mögliche Gefahren müssten weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Versorgung mit einem Blindenführhund werde nicht generell abgelehnt, zuvor sei jedoch das Orientierungs- und Mobilitätstraining erforderlich.
Hiergegen hat der Kläger am 26. April 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen G, H, RF und BL festgestellt worden sei. Es könne ihm nicht zugemutet werden, bei Bedarf die Hilfe von Freunden, Bekannten oder sonstigen Dritten als Begleitpersonen in Anspruch zu nehmen. Auch seine Ehefrau sei nicht ständig im Hause. Die Beklagte könne die Versorgung mit einem Blindenführhund nicht von der vorherigen Durchführung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings abhängig machen. Dieses decke den Grundbedarf des Klägers und seiner Behinderung nicht im Sinne eines Basisausgleichs ab.
Die Beklagte hätte auch ohne das betreffende Training eine endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch treffen können. Der Kläger hat sich ausführlich zu den generellen Vorteilen eines Blindenführhundes geäußert. Dieser stelle eine notwendige Ergänzung zum Blindenlangstock dar. Nur die kumulative Versorgung mit Blindenlangstock und Blindenführhund ermögliche es blinden Menschen, die sich für einen Hund entschieden hätten und diesen versorgen könnten, eine von fremder Begleitung unabhängige Orientierung und Mobilität sowie eine sichere Fortbewegung im Straßenverkehr. Ein Langstock ermögliche zwar ebenfalls ein Gehen im Straßenverkehr. In vielen Situationen gelange er aber an Grenzen und könne seiner Funktion nicht nachkommen oder sie nur bedingt erfüllen. So schütze der Gebrauch des Blindenlangstocks den Blinden nicht davor, mit Hindernissen oberhalb der Gürtellinie zu kollidieren. Der Stock ermögliche nicht das Auffinden von Ampelmasten oder Treppen, Aufzügen und Türen in großen Gebäuden. Bei Schnee seien die Konturen der Straßen und Straßenbegrenzungen verschüttet, so dass sie mit dem Blindenlangstock nicht mehr erkannt werden könnten. Beim Überqueren sehr breiter Straßen, sehr großer Kreuzungen, beim Überwinden großer Plätze oder freier Flächen sei auch ein sehr gut geschulter Blinder nicht mehr in der Lage, alleine mit dem Langstock eine gerade Linie einzuhalten.
Demgegenüber sei ein Blindenführhund in der Lage, auch bei widriger Witterung den behinderten Menschen zu führen. Ein sicheres Gehen allein mit dem Blindenlangstock sei allenfalls in der eigenen, vertrauten Wohnung gewährleistet.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten, vor einer abschließenden Prüfung zur Versorgung des Klägers mit einem Blindenführhund zunächst die Teilnahme an einem Orientierungs- und Mobilitätstraining am Langstock zu fordern, sei nicht zu beanstanden. Gerade das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) rechtfertige es, zunächst ein Training durchführen zu lassen. Dies sei auch deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil auch der Blindenführhund - ebenso wie ein Langstock - nicht ein Hilfsmittel darstelle, das die Sehbehinderung des Klägers vollständig ausgleichen könne. Abgesehen davon fehle es auch an einer ärztlichen Verordnung für den Blindenführhund. Selbst wenn das Fehlen einer Verordnung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den Leistungsanspruch auf ein Hilfsmittel nicht grundsätzlich ausschließe, so entspreche doch die Vorgehensweise mit selbst hergestellten Vordrucken des Herrn H. über diverse Versorgungsnotwendigkeiten nicht der für die Hilfsmittelversorgung üblichen Vorgehensweise. Bei den als ärztliche Indikationen überschriebenen Attesten handele es sich vollständig um vorgefertigte Texte des Herrn H. und seines Kompetenzzentrums Hilfsmittel, die von Dr K. unterschrieben worden seien. Mit den in den Hilfsmittel Richtlinien enthaltenen Verordnungsgrundsätzen bzw. den Regelungen über die Verordnung von Hilfsmitteln stimme diese Vorgehensweise nicht überein. Die Notwendigkeit für die Versorgung von Hilfsmitteln ergebe sich auch nicht allein aus der Diagnose, sondern vielmehr unter Gesamtbetrachtung der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten, der noch verbleibenden Aktivitäten und einer störungsbildabhängigen Diagnostik.
Gegen den am 2. Februar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen Bremen eingelegt. Er hält sein erstinstanzliches Vorbringen aufrecht. Unter eingehender Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtsprechung steht er weiterhin auf dem Standpunkt, dass eine Versorgung mit einem Blindenführhund notwendig sei. Die vorherige Durchführung eines Mobilitäts- und Orientierungstrainings sei auch nicht erforderlich. Eine vertragsärztliche Verordnung durch Dr K. - ausgestellt auf dem Muster 8 A - hat er nachgereicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger im Wege der Sachleistung mit einem Blindenführhund zu versorgen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und schließt sich den dort genannten Gründen an. Durch das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und die Ergebnisse des Mobilitäts- und Orientierungstraining sieht sie sich in ihrer Ansicht gestützt. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger zwischen dem 21. Januar 2013 und dem 27. Juni 2013 39,5 Unterrichtseinheiten in Orientierung und Mobilität erhalten sowie weitere 20 Einheiten zwischen dem 21. Oktober 2013 und dem 17. Januar 2014. Auf die Berichte vom 6. Juli 2013 (Bl. 111 ff. der Akte) und vom 19. Januar 2014 (Bl. 143 ff. der Akte) wird Bezug genommen. Die Kosten des Trainings in Höhe von 8.837,60 EUR sind von der Beklagten übernommen worden.
Der Senat hat den medizinischen Sachverhalt näher aufgeklärt. Am 4. Mai 2015 hat der Augenarzt Dr O. ein Gutachten erstattet, der im Ergebnis eine Versorgungsnotwendigkeit abgelehnt hat. Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2016 erstmals auf eine bestehende Schwerhörigkeit hingewiesen hat, hat der Senat das Gutachten des Augenarztes Dr P. vom 13. März 2017 sowie das Gutachten des Hals- Nasen- Ohrenarztes Dr Silber vom 30. März 2017 eingeholt. Die Gutachter haben die Versorgung mit einem Blindenführhund aufgrund der Wechselwirkungen zwischen Seh- und Hörbeeinträchtigungen bejaht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen hat.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgemäß erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet. Dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2012 sowie dem Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Kläger hat vielmehr einen Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund.
Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind im Wege der Auslegung als Leistungsablehnung zu qualifizieren. Zwar hat sie ursprünglich mit Bescheid vom 15. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 noch keine Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung eines Blindenführhundes getroffen, sondern diese hinter die Durchführung des Orientierungs- und Mobilitätstrainings zurückgestellt. Nach Durchführung dieses Trainings hat sie aber im Laufe des Verfahrens mehrfach bekräftigt, dass eine Leistungsgewährung - nach ihrer Auffassung - aus materiellen Gründen nicht in Betracht kommt (vgl. Schriftsatz vom 19. Juni 2015). Auch ein Schriftsatz eines Leistungsträgers im sozialgerichtlichen Verfahren kann ausnahmsweise als Verwaltungsakt verstanden werden, wenn er seinen Regelungswillen klar erkennen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 - 3 P 5/10 R Rdnr 21 mwN; BSG, Urteil vom 18. März 1982 - 11 RA 19/81 BSGE 53, 194, 195 = SozR 2200 § 1303 Nr 24). Damit sind die Verwaltungsentscheidungen in die ursprünglich fehlende Qualität der Leistungsablehnung hineingewachsen und damit inhaltlich voll überprüfbar.
Auch die ursprünglich fehlende Verordnung durch den behandelnden Arzt ist nunmehr nachgeholt worden. Im Übrigen ging das BSG jedenfalls bis zur Einführung des § 33 Abs 5a SGB V zum 30. Oktober 2012 (BGBl. I 2246) davon aus, dass eine fehlende Verordnung den Leistungsanspruch nicht ausschließt (BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 KR 1/09 R Rdnr 31 mwN; Nolte, Kasseler Kommentar, Stand: März 2017, § 33 Rdnr 64a).
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V die Versorgung mit Hilfsmitteln. Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Gemäß § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen bzw Erforderlichen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen.
Der Blindenführhund ist ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981- 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206; vgl Hilfsmittelkatalog Produktnummer 99.99.01.0001). Der Blindenführhund ist weder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen noch ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der üblicherweise von einer großen Zahl von nicht behinderten Menschen regelmäßig benutzt wird (dazu BSG, Urteil vom 03. November 1993 - 1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33 Nr 5 mwN; BSG, Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 27 mwN).
Hierbei lässt der Senat bewusst offen, ob es sich bei einem Blindenführhund um ein Hilfsmittel des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs handelt. Denn ein Leistungsanspruch ist in jedem Falle gegeben.
Ein unmittelbarer Funktionsausgleich liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, soweit das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ausgleicht, indem es die entsprechende Körperfunktion ermöglicht oder sie weitestgehend ersetzt (BSG, Urteil vom 17.Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2.). Hierbei ist der aktuelle Stand der Medizin und der Medizintechnik maßgebend.
Kosten-Nutzen-Erwägungen sind im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs grundsätzlich nicht anzustellen. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleichs dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen (BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 30 Rdnr 11 mwN; BSG, Urteil vom 6. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S. 248). Der Leistungsanspruch hinsichtlich eines fortschrittlicheren Hilfsmittels wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein vollständiges Gleichziehen mit einem gesunden Versicherten auch damit nicht erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R - BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 7). Soweit das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion weder ganz noch weitestgehend ersetzen kann, handelt es sich um einen mittelbaren Behinderungsausgleich. In diesem Falle kommt ein Leistungsanspruch nur in Betracht, soweit es um den angemessenen Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung geht (Beck/Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 33 SGB V, Rn. 27).
Der Blindenführhund ist nach älterer Rechtsprechung des 5a. Senats des BSG unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981 - 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206). Dem soll nicht entgegenstehen, dass das Hilfsmittel nicht direkt am Körper ausgleichend wirkt (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 16/82, BSGE 54, 140). Entscheidend soll sein, dass das Hilfsmittel die beeinträchtigte Funktion - hier das Sehen - ermöglicht, ersetzt oder ergänzt. Der Blindenführhund biete Ersatz für die durch Blindheit ausgefallene oder zumindest erschwerte Möglichkeit der Umweltkontrolle. Dieser Funktionsausgleich soll unmittelbar diese Behinderung betreffen und nicht erst bei den Folgen der Behinderung in bestimmten Lebensbereichen einsetzen (BSG, Urteil vom 25. Februar 1981 - 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2012 - L 11 KR 804/11; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 2013 - L 5 KR 99/13; SG Bremen, Urteil vom 24. Mai 2016 - S 4 KR 153/15 -). Dem ist entgegenzuhalten, dass Umweltkontrolle und Orientierungsfähigkeit keine unmittelbaren Körperfunktionen wie Sehen oder Hören sind, sondern vielmehr intellektuelle Kombinationsleistungen aus verschiedenen Sinneseindrücken. Dies könnte für eine Qualifikation als mittelbarer Behinderungsausgleich sprechen. Im Ergebnis kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da die Versorgung mit einem Blindenführhund im Falle des Klägers zum Behinderungsausgleich nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen ist. Denn die Kombination von Langstock und erhaltenem Mobilitätstraining ist nicht ausreichend. Auch neben einem Blindenlangstock kann der Blindenführhund im Einzelfall erforderlich sein, wenn er wesentliche Gebrauchsvorteile bietet (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 2013 - L 5 KR 99/13). Eben so wenig schließt die Möglichkeit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V aus, denn es ist wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig oder zumindest deutlich weniger abhängig werden (BSG, Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 8/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 27 Rdnr 18) Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist nicht auf die abstrakt generellen Gebrauchsvorteile eines Blindenführhundes im Vergleich mit einem Blindenlangstock abzustellen, sondern vielmehr auf die konkrete Versorgungsnotwendigkeit im Einzelfall, die nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG besteht selbst im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches kein Automatismus im Sinne einer höherwertigen Versorgung. Vielmehr kann die Versorgung mit einem fortschrittlicheren oder höherwertigen Hilfsmittel nur derjenige beanspruchen, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 44, SozR 3-2500 § 31 Nr 9, Rn. 14). Ansonsten fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 44, SozR 3-2500 § 31 Nr 9, Rn. 14). Hierzu stützt sich der Senat auf die Gesamtheit aller über den Kläger bekannt gewordenen medizinischen Unterlagen und dabei insbesondere auf das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme. Nach dem Gutachten des Augenarztes Dr O. vom 4. Mai 2015 besteht bei dem Kläger seit 25 Jahren Blindheit nach Augenentfernung rechts, nach Verletzung und Glaukom, Opticusatrophie und Retinopathia sclopetaria am linken Auge. Infolgedessen kann der Kläger nur noch Lichtschein und Handbewegungen mit dem linken Auge wahrnehmen. Diese Feststellungen bestätigen sich auch in dem aktuellen Gutachten des Augenarztes Dr P ... Ferner ergibt sich aus dem Gutachten des HNO-Arztes Dr Q., dass bei dem Kläger eine Innenohrschwerhörigkeit links mehr als rechts vorliegt. Auch wenn die Schwerhörigkeit vergleichsweise moderat ausgeprägt ist, wirkt sie sich in Kombination mit der bestehenden Blindheit stark erschwerend aus. Denn eine Kompensation der Schwierigkeit durch die Augen ist dem Kläger nicht möglich. Dies gilt auch trotz der erfolgten Hörgeräteversorgung.
Zwar ist festzustellen, dass der Kläger mit Mobilitätstraining und Langstock inzwischen so geschult ist, dass er sich gut orientieren kann. Nach den Berichten der Rehabilitationslehrerin R. vom 6. Juli 2013 und 19. Januar 2014 sind nennenswerte Fortschritte ersichtlich. Es wurden grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten, Übungen zur Verbesserung grundlegender Orientierungsfähigkeiten, Anwendung von Langstocktechniken sowie das Fortsetzen und Anwenden der Langstocktechniken vermittelt. Nach einem ersten Block von 39,5 Unterrichtseinheiten waren noch nicht alle erforderlichen Inhalte vermittelt, sodass der Unterricht noch nicht abgeschlossen war. In der Folge sind weitere 20 Einheiten erbracht worden mit dem Schwerpunkt auf der Schulung blinden- und sehbehindertenspezifischer Strategien und Techniken bei Dämmerung und Dunkelheit.
Gleichwohl können diese Fortschritte nach dem Gutachten des Augenarztes Dr P. nicht darüber hinweg helfen, dass für einen Langstock ungeeignete Wegstrecken verbleiben sowie akustisch nicht gesicherte oder gefährliche Straßenübergänge. Dies macht gerade in Anbetracht der bei dem Kläger bestehenden Hörbehinderung die zusätzliche Versorgung mit einem Blindenführhund unverzichtbar. Diesen Ausführungen ist in Ermangelung jedweder Einwendungen der Beklagten nichts hinzuzufügen.
Mithin war die Berufung antragsgemäß zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).