26.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211376
Sozialgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 07.03.2019 – S 18 KR 2756/18 ER
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SG Frankfurt
18. Kammer
07.03.2019
S 18 KR 2756/18 ER
Beschluss
Tenor
Zu den Voraussetzungen des Erlasses einer wie hier begehrten Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG führt das Hess. Landessozialgericht, 8. Senat (B. v. 28. November 2016, L P 34/16 B ER, juris), Folgendes aus:
18. Kammer
07.03.2019
S 18 KR 2756/18 ER
Beschluss
Tenor
- Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Kosten für erforderliche Nachbesserungen durch einen anderen Zahnarzt an dem im Jahr 2018 durch die Zahnärztin C. eingebrachten Zahnersatz zu tragen.
- Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe
Der sinngemäße Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten für erforderliche Nachbesserungen durch einen anderen Zahnarzt an dem im Jahr 2018 durch die Zahnärztin C. eingebrachten Zahnersatz zu tragen,
hat Erfolg; er ist zulässig und begründet.
„Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.“
Vorliegend sind sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 28 SGB V i.V.m. § 55 SGB V, wonach Versicherte unter anderem Anspruch auf Zahnbehandlung einschließlich der Versorgung mit (mangelfreiem) Zahnersatz haben. Zwar ist das Recht der freien Arztwahl nach § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V bei Zahnersatz „in der Zeit bis zum Abschluss einer bereits begonnenen Behandlung und darüber hinaus im Zeitraum der Gewährleistung auch in solchen Fällen eingeschränkt, in denen sich der Zahnersatz als unbrauchbar erweist.“ (BSG, Urteil vom 10. Mai 2017 - B 6 KA 15/16 R juris Rn. 32). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Weiterbehandlung bei dem bisherigen Arzt für den Versicherten nicht zumutbar ist (vgl. BSG a.a.O., passim).
Zu den Kriterien der Zumutbarkeit führt das BSG (a.a.O., Rn. 35) Folgendes aus:
„Bezogen auf die Beurteilung der Zumutbarkeit geht der Senat allerdings davon aus, dass der ärztliche Behandlungsvertrag durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt ist (vgl auch BGH Urteil vom 29.3.2011 - VI ZR 133/10 - NJW 2011, 1674 RdNr 14). Daher können keine hohen Anforderungen an die vom Versicherten geltend gemachte Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung durch den bisher behandelnden Zahnarzt gestellt werden. Das gilt sowohl für Fälle, in denen der Mangel durch Nachbesserung behoben werden kann, wie auch für Fälle, in denen eine Neuanfertigung erforderlich ist. Durch schwerwiegende Behandlungsfehler kann das für jede ärztliche Behandlung erforderliche Vertrauensverhältnis unabhängig davon zerstört werden, ob dieser Fehler die vollständige Unbrauchbarkeit zur Folge hat. Entsprechendes gilt, wenn der Zahnarzt einen später gutachtlich bestätigten Behandlungsfehler gegenüber dem Versicherten nachhaltig bestreitet und sich uneinsichtig zeigt (zu einer solchen Konstellation vgl BSG Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 21/06 R - SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 21) oder wenn eine Beseitigung des Mangels bei Nachbesserungsversuchen wiederholt nicht gelingt (vgl BSG Urteil vom 27.6.2012 - B 6 KA 35/11 R - SozR 4-5545 Allg Nr 1 RdNr 21). [...]“
Ähnlich hatte das BSG auch schon im Urteil vom 29. November 2006 - B 6 KA 21/06 R - (juris Rn. 17) Folgendes ausgeführt:
„Entsprechend der Befugnis zum Wechsel des behandelnden Arztes innerhalb eines Quartals bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist ein Zahnarztwechsel bei nicht erfolgreicher Prothetikbehandlung dann zu akzeptieren, wenn eine Nachbesserung - wegen Unbrauchbarkeit des Arbeitsergebnisses - nicht möglich und/oder wenn eine Nachbesserung bzw Neuanfertigung durch den bisher behandelnden Vertragszahnarzt nicht zumutbar ist [...].“
Vorliegend ist aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einer solchen Unzumutbarkeit auszugehen.
Zwar hat der mit der Begutachtung im Verwaltungsverfahren befasst gewesene Sachverständige Dr. D., der in diesem Rahmen einen (behebbaren) Mangel des Zahnersatzes festgestellt hatte, in seinem Bericht vom 18. Februar 2019 gegenüber dem Gericht unter anderem ausgeführt, dass bei einem Zahnersatz wie vorliegend zahlreiche Nachbesserungen bei ungünstiger funktioneller Ausgangslage sehr häufig erforderlich seien und dieser Prozess bis zu drei Monaten dauern könne bis zum Erreichen völliger Beschwerdefreiheit. Insofern erscheint die Zahl der Nachbesserungsversuche bei der Zahnärztin C. nicht außerhalb des Üblichen zu liegen.
Jedoch begründen vorliegend andere Faktoren die Unzumutbarkeit. Wie das BSG in der zitierten Entscheidung hervorgehoben hat, ist der ärztliche Behandlungsvertrag durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt, so dass keine hohen Anforderungen an die vom Versicherten geltend gemachte Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung durch den bisher behandelnden Zahnarzt gestellt werden können.
Dieses besondere Vertrauensverhältnis ist hier offensichtlich zerstört. Es ist festzustellen, dass von der Antragstellerin und der Zahnärztin C. wechselseitig Vorwürfe erhoben werden und divergierende Ansichten zu maßgeblichen Umständen der Behandlung bestehen. Nach Aktenlage hat die Zahnärztin geäußert, die angeblichen Schmerzen der Antragstellerin könnten nicht nachvollzogen werden, da alle Zähne vital seien. Auch sei sie auf die Mitarbeit der Antragstellerin angewiesen, diese habe aber keine genauen Angaben dazu gemacht, an welcher Stelle die Schmerzen und Beschwerden sein sollen (Telefonvermerk vom 23. Juli 2018). Demgegenüber hat die Antragstellerin der Zahnärztin unter anderem vorgehalten, nicht in der Lage zu sein, einen ordnungsgemäßen Zahnersatz herzustellen. Die Zahnärztin sei rat- und hilflos, was sich daran zeige, dass der Gutachter Dr. D. ihr telefonisch in Anwesenheit der Antragstellerin genaue „Anweisungen“ erteilt habe, was zu machen sei (Schriftsatz vom 11. Januar 2019).
Vor allem bestehen sich widersprechende Auffassungen der Antragstellerin und der Zahnärztin in Bezug auf die zentrale Frage des Nachbesserungserfordernisses: Während die Zahnärztin ausdrücklich geäußert hat, die Nachbesserungen seien erfolgreich vorgenommen worden (Bericht vom 12. Februar 2019), hat die Antragstellerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren wiederholt angegeben, der Zahnersatz sei nach wie vor erheblich mangelhaft. Sie sei beim Essen stark behindert und leide unter erheblichen Schmerzen. Zu der Angabe der Zahnärztin, die Nachbesserungen seien erfolgreich vorgenommen worden, ist geäußert worden, die Zahnärztin zeichne sich „nicht durch besondere Reflexionsfähigkeit aus“, gerade am 13. Februar 2019 sei „die Brücke wieder einmal herausgefallen“ (Schriftsatz vom 19. Februar 2019).
Auch die Antragsgegnerin hat in ihrem Schriftsatz vom 20. Februar 2019 festgestellt, dass „vorliegend wohl ein sehr konfliktreiches Patientenverhältnis besteht“.
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass nicht lediglich gewisse Verstimmungen zwischen der Antragstellerin und der Zahnärztin vorliegen, die keine Unzumutbarkeit weiterer Nachbesserungen bei dieser Zahnärztin begründen würden. Vielmehr erscheint das Vertrauensverhältnis zerstört, so dass es der Antragstellerin nicht zumutbar ist, weiterhin auf die bisherige Behandlerin verwiesen zu werden.
Die Kammer geht dabei aufgrund des glaubhaften nachdrücklichen Vorbringens der Antragstellerin, wonach weiterhin erhebliche Beschwerden in Bezug auf den Zahnersatz bestehen, davon aus, dass weiter Nachbesserungen erforderlich sind und die Nachbesserungen dementsprechend entgegen den Angaben der Zahnärztin nicht erfolgreich abgeschlossen sind. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahnärztin bereits am 6. August 2018 schon einmal mitgeteilt hatte, der Zahnersatz sei gut angefertigt, es seien dort keine offensichtlichen Mängel erkennbar und sie wisse keinen Rat mehr, weil die Antragstellerin die Beschwerden nicht genau bezeichnen können (Telefonvermerk vom 6. August 2018), demgegenüber aber der Gutachter Dr. D. am 26. September 2018 die Mangelhaftigkeit des Zahnersatzes und das Erfordernis von Nachbesserungen festgestellt hat.
Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht worden. Dieser folgt ohne Weiteres aus den glaubhaften Angaben der Antragstellerin zu den durch den Zahnersatz bedingten Schmerzen und Beeinträchtigungen beim Essen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.