19.12.2019 · IWW-Abrufnummer 213194
Bundesgerichtshof: Urteil vom 27.11.2019 – IV ZR 314/17
Der Eintritt in die Freistellungsphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit führt nicht zum Wegfall der Voraussetzungen für die Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung. Krankentagegeld, das der Versicherer in der Freistellungsphase geleistet hat, muss der Versicherungsnehmer nicht nach § 15 Buchst. a i.V.m. § 11 Satz 2 MB/KT zurückgewähren.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterin Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2019
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart - 7. Zivilsenat - vom 30. November 2017 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Der Kläger, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, nimmt den beklagten Versicherungsnehmer auf Rückzahlung von Krankentagegeldleistungen in Anspruch.
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Der Beklagte unterhält seit 1985 bei dem Kläger eine Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif TA 6, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen MB/KT in der Fassung von 1984 zugrunde liegen (im Folgenden: MB/KT). Darin heißt es:
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Ziffer 1 des vereinbarten Tarifs lautet auszugsweise:
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Der Beklagte, der als Versicherungsvermittler angestellt war und zugleich eine Privatagentur unterhielt, trat am 1. Juli 2012 in die passive Phase der Altersteilzeit ein. Sein Arbeitsverhältnis wurde am 9. August 2013 fristlos gekündigt. Ab dem 13. August 2013 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 9. Mai 2014 schloss er einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht, wonach die fristlose Kündigung gegenstandslos war, die passive Altersteilzeit vom 1. Juli 2012 bis 31. Januar 2015 andauerte und die Privatagentur mit Wirkung zum 9. August 2013 geendet hatte.
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Der Kläger zahlte dem Beklagten für die Zeit vom 2. November 2013 bis zum 12. November 2014 Krankentagegeld in Höhe von 21.710 €. Davon entfielen 14.362 € auf dessen nichtselbständige Tätigkeit und 7.348 € auf die selbständige Tätigkeit. Nachdem dem Kläger der Vergleich und der Zeitraum der passiven Altersteilzeit bekannt geworden waren, forderte er diese Zahlungen - erfolglos - zurück.
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Die auf Zahlung von 21.710 € gerichtete Klage hat vor dem Landgericht lediglich hinsichtlich des auf die nichtselbständige Tätigkeit entfallenden Betrages Erfolg gehabt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein Rückzahlungsanspruch gemäß § 15 Buchst. a i.V.m. § 11 Satz 2 MB/KT zu. Die Versicherungsfähigkeit des Beklagten sei nicht durch den Eintritt in die Passivphase der Altersteilzeit entfallen. Das Altersteilzeitverhältnis sei ein vollwertiges Arbeitsverhältnis sowohl in der Aktivphase als auch in der Passivphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit. Der Beklagte habe im maßgeblichen Zeitraum als Gehaltsempfänger in einem festen Arbeitsverhältnis gestanden und sei auch lohnsteuerpflichtig gewesen. Seine Versicherungsfähigkeit habe fortbestanden.
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Ein Rückzahlungsanspruch bestehe auch nicht deshalb, weil das versicherte Risiko nicht mehr eintreten könne. Es liege eine Summenversicherung vor. Das zu zahlende Krankentagegeld sei nicht an die Höhe des jeweils entstehenden Verdienstausfalls geknüpft, sondern der Höhe nach konkret vereinbart. Für die Frage der Leistungspflicht des Klägers komme es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang der Beklagte tatsächlich einen Verdienstausfallschaden erlitten habe oder noch erleiden könne. Das Bereicherungsverbot ( § 200 VVG ) sei nicht anwendbar.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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1. Der Eintritt in die Freistellungsphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit führt nicht zum Wegfall der Voraussetzungen für die Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung. Krankentagegeld, das der Versicherer in der Freistellungsphase geleistet hat, muss der Versicherungsnehmer nicht nach § 15 Buchst. a i.V.m. § 11 Satz 2 MB/KT zurückgewähren. Das ergibt die Auslegung der maßgeblichen Bedingungen.
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a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind ( Senatsurteil vom 6. März 2019 - IV ZR 72/18 , VersR 2019, 542 Rn. 15; st. Rspr.).
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b) Ein Rückzahlungsanspruch besteht nach § 11 Satz 2 MB/KT hinsichtlich der für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses empfangenen Leistungen. Gemäß § 15 Buchst. a MB/KT endet das Versicherungsverhältnis bei Wegfall "einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit". Damit wird der Versicherungsnehmer für die Voraussetzungen der Versicherungsfähigkeit auf den Tarif verwiesen und damit zugleich auf die Tarifbedingung, welche die Frage der Versicherungsfähigkeit allgemein regelt, nämlich Ziffer 1. Nach dieser Bestimmung sind versicherungsfähig unter anderem "die Angestellten, die als Gehaltsempfänger in einem festen Arbeitsverhältnis stehen und lohnsteuerpflichtig sind".
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Danach wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer annehmen, dass ein Arbeitnehmer versicherungsfähig bleibt, wenn er im Rahmen einer im Blockmodell wahrgenommenen Altersteilzeit von der Arbeits- in die Freistellungsphase wechselt. Das Arbeitsverhältnis besteht während der Freistellungsphase fort. Es endet erst zum vereinbarten Endtermin und nicht bereits mit dem Übergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase (BAG NZA 2013, 575 [BAG 16.10.2012 - 9 AZR 234/11] Rn. 19 m.w.N.). Während der Freistellungsphase hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die durch seine Vorarbeit in der Arbeitsphase erworbenen Entgeltansprüche (BAGE 118, 1 [BAG 11.04.2006 - 9 AZR 369/05] [juris Rn. 50]; 116, 86 [juris Rn. 16]; 106, 353 [juris Rn. 32 f.]). Bei dem in der Freistellungsphase ausgezahlten Entgelt handelt es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach allgemeinen Regeln der Lohnsteuer unterliegen (vgl. BFHE 232, 436 [BFH 12.01.2011 - I R 49/10] [juris Rn. 8]; Seidel in Küttner, Personalbuch 26. Aufl. Stichwort Altersteilzeit Rn. 26 f.).
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c) Eine davon abweichende Beurteilung ist nicht nach dem dem Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung geboten. Zwar soll die Krankentagegeldversicherung grundsätzlich den Versicherungsnehmer vor Verdienstausfall durch Arbeitsunfähigkeit als Folge von Krankheiten oder Unfällen schützen. Dieser Zweck ist in § 1 Abs. 1 Satz 1 MB/KT ausdrücklich niedergelegt. Insoweit dient die Versicherung auch der sozialen Absicherung erwerbstätiger Personen ( Senatsurteil vom 11. März 2015 - IV ZR 54/14 , VersR 2015, 570 Rn. 18 m.w.N.). Wie die Revision zutreffend bemerkt, kommen Verdienstausfälle bei Arbeitsunfähigkeit während der Freistellungsphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit regelmäßig nicht in Betracht, weil der Arbeitnehmer nicht mehr zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Vor diesem Hintergrund wird die Versicherungsfähigkeit in der Freistellungsphase teilweise abgelehnt (LG Oldenburg r+s 2014, 512 [juris Rn. 15 ff.]; Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 15 MB/KT 2009 Rn. 8).
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Dem steht aber die regelmäßige Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als Summenversicherung (dazu Senatsurteile vom 6. Juli 2016 - IV ZR 44/15 , BGHZ 211, 51 Rn. 18; vom 4. Juli 2001 - IV ZR 307/00 , VersR 2001, 1100 unter 2 b, 4 [juris Rn. 25, 30 ff.]) entgegen (ebenso LG Nürnberg-Fürth NJW 2012, 464 [juris Rn. 22 ff.]; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 45 Rn. 31; Grams FD-VersR 2011, 324377). Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann erkennen, dass sich der versprochene Versicherungsschutz nicht unmittelbar an seinem tatsächlichen Einkommensverlust orientiert, er vielmehr im Versicherungsfall eine im Voraus bestimmte, pauschalierte Entschädigung für jeden Tag bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit ohne Rücksicht darauf erhält, welchen Verdienstausfall er tatsächlich erlitten hat (vgl. Senatsurteil vom 6. Juli 2016 aaO; Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 5. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 4 ff.). Versichert ist nicht ein konkreter Verdienstausfall, sondern der abstrakte Bedarf, von dem angenommen wird, dass er bei Arbeitsunfähigkeit entstehen könnte (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2008 - IV ZR 219/06 , BGHZ 175, 322 Rn. 24 ). So liegt es auch im Streitfall. Entgegen der Auffassung der Revision führen Klauseln, die eine Anpassung des Versicherungsschutzes an den Zeitraum der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ermöglichen sollen, nicht dazu, dass eine Mischung von Schaden- und Summenversicherungselementen anzunehmen wäre (vgl. Senatsurteil vom 6. Juli 2016 aaO).
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Aus dieser Ausgestaltung des Versicherungsschutzes wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer folgern, dass zwar nicht jede Anknüpfung an einen durch Arbeitsunfähigkeit eintretenden Verdienstausfall fehlen darf (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2008 aaO Rn. 28), dass der Versicherungsschutz aber nicht entfällt, wenn im Einzelfall aufgrund besonderer arbeits- oder sozialrechtlicher Regelungen trotz Arbeitsunfähigkeit kein Verdienstausfall droht. So liegt es während der Freistellungsphase einer in Blöcken wahrgenommenen Altersteilzeit . Der Versicherte behält auch während der Freistellungsphase die Möglichkeit, etwa bei einem Sinneswandel wieder in das Erwerbsleben einzutreten oder sich arbeitsuchend dem Arbeitsmarkt zur Verfügu ng zu stellen; insbesondere wird er mit Erreichen der Passivphase nicht schon zu einem aus dem Arbeitsleben endgültig ausgeschiedenen Altersrentner (BSG USK 2010, 47 [juris Rn. 18]). Ebenso wie eine Arbeitssuche nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (dazu Senatsurteil vom 27. Februar 2008 - IV ZR 219/06 , BGHZ 175, 322 Rn. 23 ) ist auch die Freistellungsphase in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis Teil der auf die Erzielung von Arbeitsverdienst gerichteten Erwerbstätigkeit des Versicherten, auf die sich der in § 1 Abs. 1 MB/KT versprochene Schutz gegen krankheitsbedingten Verdienstausfall bezieht.
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d) Entgegen der Auffassung der Revision fehlt während der Freistellungsphase nicht der Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr kann auf den bisherigen Beruf in seiner konkreten Ausprägung abgestellt werden, wie dies der Senat auch für Versicherte angenommen hat, die im Zeitpunkt der geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit arbeitslos waren (Senatsbeschluss vom 27. März 2013 - IV ZR 256/12 , VersR 2013, 848 Rn. 6 ff.).
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e) Daran gemessen endete das Versicherungsverhältnis der Parteien nicht gemäß § 15 Buchst. a MB/KT mit dem Eintritt des Beklagten in die Freistellungsphase. Auf die Frage der Wirksamkeit dieser Klausel kommt es daher vorliegend nicht an (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2008 - IV ZR 219/06 , BGHZ 175, 322 Rn. 19 ff. m.w.N.). Eine Bedingung, nach welcher der Vertrag beim Eintritt in die Freistellungsphase endet, haben die Parteien nicht vereinbart. Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine entsprechende ergänzende Auslegung (dazu Senatsurteil vom 22. Januar 1992 - IV ZR 59/91 , BGHZ 117, 92 [juris Rn. 24 ff.]) des 1985 abgeschlossenen Versicherungsvertrages mit Blick auf das 1996 in Kraft getretene Altersteilzeitgesetz (BGBl. I 1078) nicht in Betracht. Zweifelhaft ist bereits, ob eine Regelungslücke vorliegt, da der Vertrag - wie oben aufgezeigt - die Voraussetzungen der Beendigung des Versicherungsverhältnisses regelt. Unabhängig hiervon ist der Senat nicht überzeugt, dass die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen Leistungsbezug in der Freistellungsphase einer im Blockmodell wahrgenommenen Altersteilzeit redlicherweise ausgeschlossen hätten, wenn sie deren Möglichkeit gekannt und bedacht hätten. Nach dem oben zu c) Gesagten entspricht es vielmehr d em Regelungsgefüge des Vertrages, die Freistellungsphase in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis als Teil der auf die Erzielung von Arbeitsverdienst gerichteten Erwerbstätigkeit des Versicherten anzusehen, auf die sich der in § 1 Abs. 1 MB/KT versprochene Schutz gegen krankheitsbedingten Verdienstausfall bezieht.
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f) Das Bereicherungsverbot des § 200 VVG führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gilt es nicht für die Summenversicherung (BT-Drucks. 16/3945 S. 113; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 200 Rn. 1; Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 200 Rn. 4 f.).
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2. Ein Rückzahlungsanspruch des Klägers besteht auch nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB , denn der Beklagte hat das Krankentagegeld nach dem Gesagten nicht ohne Rechtsgrund erhalten.
Felsch
Harsdorf-Gebhardt
Prof. Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Dr. Götz
Von Rechts wegen