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18.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216329

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen: Urteil vom 07.02.2020 – L 2 R 377/19

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Urteil vom 07.02.2020


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. August 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1966 geborene Kläger begehrt höheres Übergangsgeld für die Dauer der ihm von der Beklagten mit Bescheid vom 22. Januar 2018 bewilligten Teilnahme an einem Reha-Vorbereitungslehrgang vom 14. März bis 12. Juni 2018 sowie an einer sich über 24 Monate erstreckenden Weiterbildung zum Verwaltungsfachwirt mit Beginn im Juni 2018.

Der Kläger war zuletzt bis zum Eintritt einer Arbeitslosigkeit im Jahr 2014 als Kraftfahrer tätig. In dem entsprechenden Fragebogen der Beklagten hat der Kläger im März 2018 als "höchste berufliche Qualifikation" "Berufskraftfahrer" angegeben, wobei er jedoch keine förmliche Prüfung als Berufskraftfahrer abgelegt hat. Seiner Auffassung nach ist jedoch die mehr als fünfzehnjährige Tätigkeit als Kraftfahrer einem Abschluss als Berufskraftfahrer gleichzusetzen, wobei er zugleich darauf hinwies (vgl. Erklärung vom 4. März 2018, Bl. 114 VV), dass er aufgrund "von sehr schwierigen Verhältnissen in der Branche" und häufigen Fehlzeiten keine lückenlosen Nachweise in Form von Arbeitszeugnissen erbringen könne.

Von 2015 bis Anfang 2018 hat der Kläger im Rahmen einer neben dem Bezug von Arbeitslosengeld bzw. von Leistungen nach dem SGB II ausgeübten geringfügigen Beschäftigung weiterhin als Kraftfahrer gearbeitet. Im Dezember 2017, Januar und Februar 2018 hat er jeweils vier Stunden gearbeitet und dafür einen Bruttolohn in Höhe von 48 EUR erhalten (vgl. Arbeitgeberauskunft vom 4. Mai 2018, Bl. 126 ff. VV).

Mit Bescheiden vom 17. Mai 2018 und vom 22. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2018 sprach die Beklagte dem Kläger für die Dauer der mit Bescheid vom 11. Januar 2018 bewilligten Teilhabeleistungen Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich 26,92 EUR zu. Zur Begründung erläuterte Sie, dass der Berechnung des Übergangsgeldes nach den Vorgaben des § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße und damit in Höhe von 60,90 EUR zugrunde zu legen sei, da der Kläger weder über eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX noch über eine höherwertige Berufsausbildung verfüge. Der Berechnung des Übergangsgeldes seien nach § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB IX 65 % dieses fiktiven Arbeitsentgelts, d.h. ein Betrag von kalendertäglich 39,59 EUR, zugrunde zu legen. Von dieser Berechnungsgrundlage seien nach § 66 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB IX 68 %, entsprechend 26,92 EUR je Kalendertag, in Ansatz zu bringen, da der Kläger kein Kind habe auch sonst keinen der in § 66 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 aufgeführten Tatbestände für die Heranziehung eines Bemessungssatzes von 75 % erfülle.

Mit der am 20. Juli 2018 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er auch ohne abgeschlossene Ausbildung zum Berufskraftfahrer wie ein Versicherter mit abgeschlossener Ausbildung für die Bemessung des Übergangsgeldes zu behandeln sei. Dementsprechend sei der Berechnung des Übergangsgeldes nach den Vorgaben des § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße zugrunde zu legen.

Er habe insbesondere an einzelnen Modulen einer Weiterbildung zum Berufskraftfahrer teilgenommen. So habe er am 14. Mai 2011 und am 21. April 2012 an einer jeweils siebenstündigen Weiterbildung im Bereich Gesundheit, Verkehrs- und Umweltsicherheit, Dienstleistung, Logistik, am 2. Juli und 17. November 2011 an einer jeweils siebenstündigen Weiterbildung im Bereich Verbesserung des Fahrverhaltens auf der Grundlage von Sicherheitsregeln und am 4. Juni 2011 an einer siebenstündigen Weiterbildung im Bereich Anwendung der Vorschriften teilgenommen (vgl. Bescheinigungen Bl. 56 ff. GA). Eine weitere 24 Stunden umfassende Weiterbildung in den vorstehend angesprochenen Bereichen habe er im Dezember 2016 absolviert (vgl. Bescheinigung des Fahrlehrers Röper vom 16. Dezember 2016, Bl. 61 GA).

Mit Urteil vom 26. August 2016, der Beklagten zugestellt am 19. September 2016, hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide dazu verpflichtet, für die mit Bescheid vom 22. Januar 2018 bewilligten Teilhabeleistungen das Übergangsgeld unter Zugrundelegung einer Zuordnung des Klägers zur Qualifikationsgruppe 3 im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX zu berechnen. Nach den gesetzlichen Vorgaben sei auf den förmlichen Abschluss einer Berufsausbildung abzustellen. Einen förmlichen Ausbildungsabschluss habe der Kläger nicht erworben. Da es allerdings der Arbeitswirklichkeit entspricht, dass Arbeitnehmer durch erfolgreiche Berufstätigkeit in Positionen hineinwachsen, für die sie die formale Qualifikation nicht besitzen, sollte auch die Qualität der nicht nur kurzzeitig ausgeübten bisherigen Berufstätigkeit "ergänzend in den Blick genommen werden". Eine daran anknüpfende Gleichstellung erachte die Kammer für "gerechtfertigt".

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 18. Oktober 2019. Nach den gesetzlichenVorgaben des § 68 Abs. 2 SGB IX seien nur "abgeschlossene Berufsausbildungen" maßgeblich; einen förmlichen Ausbildungsabschluss habe der Kläger in der beruflichen Tätigkeit eines Kraftfahrers jedoch nicht erlangt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. August 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Berechnung des Übergangsgeldes in den Bescheiden vom 17. Mai 2018 und vom 22. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2018, wegen deren weiteren Einzelheiten der Senat auf die zutreffenden Gründe dieser Bescheide verweist, lässt keinen Fehler zulasten des Klägers erkennen.

Bei der Berechnung des Übergangsgeldes für die mit Bescheid vom 22. Januar 2018 bewilligten Teilhabeleistungen hat die Beklagte ein fiktives Übergangsgeld unter Heranziehung der Vorgaben des § 68 Abs. 1 und 2 SGB IX (in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - BTHG - v. 23.12.2016, BGBl. I 3234) zugrunde gelegt.

Im Ausgangspunkt ist die Ausnahmevorschrift des § 68 SGB IX herangezogen worden. Eine Ausrichtung des Überganggeldes entsprechend den Vorgaben des § 67 Abs. 1 SGB IX an dem von dem Kläger im letzten vor Beginn der Leistung abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt würde zu einem deutlich geringeren Übergangsgeldanspruch führen, da der Kläger in den Jahren vor den bewilligten Teilhabeleistungen lediglich in geringfügigem Umfang neben dem Bezug von Sozialleistungen noch als LKW-Fahrer beruflich tätig war.

Für die Berechnung des Übergangsgeldes während des Bezuges von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden nach § 68 Abs. 1 SGB IX 65 Prozent eines fiktiven Arbeitsentgelts zugrunde gelegt, wenn (Nr. 1) die Berechnungnach den §§ 66 und 67 SGB IX zu einem geringeren Betrag führt, (Nr. 2) Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist oder (Nr. 3) der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als drei Jahre zurückliegt.

Während die bis 2017 maßgeblichen Vorgaben des damaligen § 48 SGB IX maßgebend (ausgehend von dem tariflichen oder, wenn es an einer tariflichen Regelung fehlt, von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt, vgl. § 48 Abs. 1 a.F.) auf das Arbeitsentgelt in dem letzten Kalendermonat vor dem Beginn der Leistungen (bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze) für diejenige Beschäftigung, für die Leistungsempfänger ohne die Behinderung nach ihren beruflichen Fähigkeiten, ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit und nach ihrem Lebensalter in Betracht kämen, abgestellt haben (§ 48 Abs. 2 a.F.), richtet sich die seit Januar 2018 maßgebliche Neufassung des § 68 SGB IX an dem beruflichen Qualifikationsniveau aus.

Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Leistungsempfänger gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die seiner beruflichen Qualifikation entspricht. Dafür gilt folgende Zuordnung: (Nr. 1) für eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße, (Nr. 2) für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meisterin oder Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße, (Nr. 3) für eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße und (Nr. 4) bei einer fehlenden Ausbildung (Qualifikationsgruppe 4) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.

Die Vorgaben des § 68 Abs. 2 SGB IX hat die Beklagte zutreffend angewandt. Da der Kläger nicht über eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf im Sinne der in § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX normierten Qualifikationsgruppe 3 (und nicht über eine höherwertige Ausbildung) verfügt, ist er angesichts der "fehlenden Ausbildung" der Qualifikationsgruppe 4 im Sinne von § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX zuzuordnen, so dass entsprechend den zutreffenden Berechnungen in dem angefochtenen Bescheid der Ermittlung des Übergangsgeldes nach § 68 Abs. 1 SGB IX ein fiktives (Tages-)Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße zugrunde zu legen ist.

Soweit § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IX auf den Begriff einer abgeschlossenen Ausbildung in einem Ausbildungsberuf abstellt, knüpft das Gesetz im Ergebnis an die Vorgaben des § 4 BBiG betreffend die Anerkennung von Ausbildungsberufen an. Für einen anerkannten Ausbildungsberuf darf nur nach der Ausbildungsordnung ausgebildet werden (§ 4 Abs. 2 BBiG).

Der Kläger hatte vor den streitbetroffenen Teilhabeleistungen keinen förmlichen Berufsabschluss erlangt. Soweit in § 1 Verordnung über die Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer/zur Berufskraftfahrerin (Berufskraftfahrer-Ausbildungsverordnung - BKV) der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin staatlich anerkannt wird; hat der Kläger die nach § 8 dieser Verordnung erforderliche Abschlussprüfung nie abgelegt. Auch anderweitig verfügte er bei Maßnahmebeginn nicht über eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf. Dementsprechend hat ihn die Beklagte zutreffend der Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet.

Für die Einstufung der Versicherten in diese im Gesetz normierten Qualifikationsgruppen kommt es allein auf den förmlichen Abschluss der maßgeblichen Berufsausbildung an. Das Gesetz eröffnet schon im Ausgangspunkt gar nicht die Möglichkeit, einen Versicherten auch ohne den geforderten förmlichen Ausbildungsabschluss so einzustufen, als ob er einen förmlichen Abschluss erlangt hätte.

Bei der Normierung der Vorgaben des § 68 Abs. 2 SGB IX hat sich der Gesetzgeber (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/9522, S. 258) von folgenden Erwägungen leiten lassen: § 68 SGB IX trifft eine Sonderregelung für die Fälle, in denen die Berechnung des vom Rehabilitationsträger zu leistenden Übergangsgeldes nach dem letzten Verdienst zu einem unangemessenen oder zu gar keinem Ergebnis führt. Nach der geltenden Regelung ist in diesen Fällen eine Berechnung auf der Basis des tariflichen oder, sofern eine tarifliche Regelung fehlt, auf der Basis des ortsüblichen Arbeitsentgelts durchzuführen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Verfahren mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden ist, da in jedem Einzelfall das tarifvertragliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt zu ermitteln ist. Zudem hat der Bundesrechnungshof im Zuge einer Prüfung bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) festgestellt, dass dieses Verfahren sehr fehlerträchtig ist. Zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens wird in Anlehnung an § 152 SGB III eine fiktive Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde gelegt, die das Bemessungsentgelt abhängig von Qualifikation und dem entsprechenden Prozentsatz der Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) bestimmt.

Der Gesetzgeber hat sich damit an der vorgefundenen Regelung des § 152 SGB III (vormals: § 132 SGB III a.F.) im Arbeitslosenrecht orientiert. Bei dieser in Bezug genommenen Regelung hat er sich insbesondere von der Einschätzung leiten lassen (BT-Drs. 15/1515, S. 85), dass mit ihr die Vielfalt und Komplexität der Regelungen zum Bemessungsrecht zurückzuführen und das Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig zu vereinfachen sei. Die angestrebte Verwaltungsvereinfachung sei allerdings nur zu erreichen, wenn detaillierte Einzelfallregelungen durch ein größeres Maß an Pauschalierung ersetzt und Ausnahmeregelungen beschränkt werden.

Gerade entsprechend diesem vom Gesetzgeber im Interesse der Vereinfachung der Gesetzesanwendung verfolgten pauschalierenden Ansatz bleibt kein Raum, abweichend vom Gesetzeswortlaut auch eine Bewertung der inhaltlichen Qualität der im Berufsalltag tatsächlich ausgeübten Tätigkeit in die Zuordnung zu den genannten Qualifikationsgruppen einfließen zu lassen. Eine Erfassung und Gewichtung von Einzelheiten der im jeweiligen Einzelfall tatsächlich ausgeübten Berufstätigkeit im Sinne ihrer qualitativen Gewichtung würde im Ergebnis wiederum einen ähnlichen großen Arbeitsaufwand wie bei der Anwendung des bis zum 31. Dezember 2017 maßgeblichen Fassung der Vorgängervorschrift des § 48 Abs. 2 SGB IX verursachen, obwohl der Gesetzgeber gerade diesen Aufwand reduzieren wollte. Angesichts des Fehlens klarer und konkreter Bewertungsmaßstäbe für die Ermittlung einer solchen inhaltlichen Qualität wäre überdies die Gesetzesanwendung weiterhin in einer wie bei der Anwendung der Vorgängervorschrift des § 48 Abs. 2 SGB IX a.F. vergleichbaren Weise fehlerträchtig, obwohl der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichmäßigkeit der Gesetzesanwendung gerade auf das formale und im Regelfall einfach zu ermittelnde Kriterium des (höchsten) förmlich erlangten Berufsausbildungsabschlusses abstellen will.

Dementsprechend stellt auch die Rechtsprechung zu § 152 SGB III bzw. § 132 SGB III a.F. für die Zuordnung zu der jeweiligen Qualifikationsgruppe jedenfalls im Ausgangspunkt darauf ab, ob der Arbeitslose tatsächlich über den für die angestrebte Beschäftigung erforderlichen förmlichen Berufsabschluss verfügt (BSG, Urteil vom 04. Juli 2012 - B 11 AL 21/11 R -, SozR 4-4300 § 132 Nr 8, Rn. 17 mwN; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Januar 2019 - L 9 AL 50/18 -, Rn. 38, juris; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. November2018 - L 3 AL 10/17 -, Rn. 38, juris).

Die vom Sozialgericht herangezogene Auffassung von Reyels (in Schlegel/Voelzke; jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., 2018, § 68 SGB IX, Rn. 25) geht zunächst von diesem Ansatz aus und formuliert die Voraussetzungen im Ausgangspunkt wie folgt: Entscheidend ist, welcher förmliche Abschluss durch eine Berufsausbildung - einschließlich erfolgreich absolvierter Weiterbildungsmaßnahmen - in der Vergangenheit erreicht worden ist. Einen solchen förmlichen Abschluss hat der Kläger gerade nicht erreicht.

Allerdings hat Reyels (aaO) noch folgende Ergänzung - ohne nähere Begründung anhand der üblichen Auslegungskriterien - hinzugefügt: Da es der Arbeitswirklichkeit aber durchaus entspricht, dass Arbeitnehmer in Positionen hineinwachsen, für welche sie die formale Qualifikation nicht vorweisen können, sollte hier zusätzlich auch berücksichtigt werden, welche Tätigkeiten in der Vergangenheit - nicht nur für kurze Zeit - ausgeübt wurden. Bezogen auf den vorliegenden Fall dürfte auch ein solcher Ansatz jedoch schon deshalb nicht weiterhelfen, weil eine Tätigkeit als Kraftfahrer schon im Ausgangspunkt keine "formale Qualifikation" im Sinne etwa einer Ausbildung in einem Ausbildungsberuf gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IX voraussetzt, in die ein Arbeitnehmer "hineinwachsen" könnte. Jedenfalls dürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 SGB IX angesichts der erläuterten gesetzgeberischen Zielvorstellungen nicht losgelöst von den im Einzelfall auf Seiten des betroffenen Versicherten tatsächlich förmlich erlangten Berufsausbildungsabschlüssen angewandt werden.

Selbstverständlich muss ein Kraftfahrer über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügen. Soweit das Gesetz über die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güterkraft- oder Personenverkehr (Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz - BKrFQG) darüber hinaus (vorbehaltlich der Besitzstandsregelungen in § 3, von denen auch der Kläger erfasst wird), eine Grundqualifikation im Sinne von § 4 BKrFQG verlangt, entspricht diese schon in ihrem Umfang nach keiner Ausbildung in einem Ausbildungsberuf im Sinne des BBiG. Vielmehr reichen dafür 140 Unterrichtseinheiten zu je 60 Minuten aus (vgl. § 2 Abs. 2 Verordnung zur Durchführung des BerufskraftfahrerQualifikations-Gesetzes - Berufskraftfahrer-QualifikationsVerordnung - BKrFQV). Für die alle fünf Jahre erforderliche Weiterbildung im Sinne von § 4 BKrFQG reichen sogar 35 Unterrichtseinheiten aus (§ 4 Abs. 2 BKrFQV).

Unter Berücksichtigung der Besitzstandsregelungen des § 3 BKrFQG musste der Kläger nicht einmal die angesprochene vierwöchige Grundqualifikation nach § 4 BKrFQG förmlich erwerben. Die von ihm herangezogene lediglich 35 Stunden umfassende Weiterbildung im Dezember 2016 diente ohnehin nicht einer förmlichen Ausbildung zum Berufskraftfahrer, sondern lediglich der berufsbegleitenden Weiterbildung nach § 5 BKrFQG. Eine solche Weiterbildung schreibt das BKrFQG ausdrücklich auch für berufsmäßig tätige LKW-Fahrer vor, die keine förmliche Berufsausbildung durchlaufen haben, sondern ihren Beruf lediglich auf der Basis der entsprechenden Fahrerlaubnis (und nach aktueller Rechtslage auf der Grundlage einer vierwöchigen Grundqualifikation nach § 4 BKrFQG) ausüben.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die typisierende Regelung in § 68 Abs. 2 SGB IX sind nicht ersichtlich. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Insbesondere im Bereich der Sozialpolitik kommt ihm dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfG, B.v. 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983/10 - NVwZ 2012, 1535, Rn. 49 mwN). Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (BVerfG, B.v. 19. November 2019 - 2 BvL 22/14 -, DStR 2020, 93. Rn. 102). Die angesprochenen Grenzen werden im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang nicht überschritten. Der Gesetzgeber durfte sich typisierend für die Berechnung des Übergangsgeldes in den von § 68 SGB IX erfassten Fallgestaltungen von der Annahme leiten lassen, dass eine Korrelation zwischen dem Niveau eines erlangten förmlichen Ausbildungsabschlusses und dem ohne die Behinderung zu erwartenden Erwerbseinkommen besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

RechtsgebietSGB IXVorschriften§ 68 SGB IX