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16.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219489

Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 14.10.2020 – 2 K 323/20

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Sachsen

Urteil vom 14.10.2020


In dem Finanzrechtsstreit
Frau
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 2018

hat der 2. Senat unter Mitwirkung von , und sowie der ehrenamtlichen Richter und auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 14. Oktober 2020 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Einkommensteuerbescheid für 2018 vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... wird dahingehend geändert, dass eine Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 EStG in Höhe von € ... berücksichtigt wird. Die Berechnung wird dem Beklagten übertragen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Streitig ist die Berücksichtigung eines Hausnotrufsystems im Zusammenhang mit haushaltsnahen Dienstleistungen.

Die Klägerin ist eine im Jahr 1933 geborene Rentnerin und wird vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Im Jahr 2018 nahm sie Leistungen der ... GmbH für ein Hausnotrufsystem in Anspruch und zahlte dafür € .... Dabei buchte sie das Paket Standard, mit Gerätebereitstellung und 24-Stunden-Servicezentrale. Nicht gebucht hat sie u.a. den Sofort-Helfer-Einsatz an ihrer Wohnadresse sowie die Pflege- und Grundversorgung.

Sie reichte eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 beim Beklagten ein. Der Beklagte setzte erklärungsgemäß durch Bescheid vom ... die Einkommensteuer für 2018 auf € ... fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte eine Steuerermäßigung für die Aufwendungen für ein Hausnotrufsystem außerhalb des betreuten Wohnens. Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom ... den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein Hausnotrufsystem eine Pflege- und Betreuungsleistung sei, die innerhalb eines Haushaltes erbracht werde. Diese würden im Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen unter der Gruppe der Pflegehilfsmittel zur selbständigen Lebensführung/Mobilität gelistet. Die permanente Rufbereitschaft sei eine haushaltsnahe Tätigkeit, da sie eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung der Klägerin aufweise. Diese Tätigkeit habe nicht durch andere Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft erledigt werden können, da die Klägerin allein lebe. Der Leistungserfolg dieser externen Dienstleistung trete in der Wohnung der Klägerin ein.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... dahingehend zu ändern, dass eine Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 EStG in Höhe von € ... berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass keine haushaltsnahe Dienstleistung im Haushalt der Klägerin vorliege. Es sei zwar anerkannt, dass innerhalb eines betreuten Wohnens ein Hausnotrufsystem eine unselbständige Nebenleistung der dort erbrachten Pflege- und Betreuungsleistungen darstelle. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall, weil die Klägerin nicht in einer Einrichtung mit betreutem Wohnen wohne. Insbesondere fehle es hier an der räumlichen Nähe des Dienstleistungserbringers zum Haushalt der Klägerin.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakte sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. EStG auf Antrag um 20%, höchstens € 4.000, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Die Steuerermäßigung kann gemäß § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist unter dem Begriff des Haushalts die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen Person zu verstehen. Das Wirtschaften im Haushalt umfasst Tätigkeiten, die für die Haushaltung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden. Dazu gehören Einkaufen von Verbrauchsgütern, Zubereitung von Mahlzeiten, Wäschepflege, Reinigung und Pflege der Räume, des Gartens und auch Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, alten und kranken Haushaltsangehörigen (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 29. Januar 2009 - VI R 28/08, zitiert nach Juris). "Haushaltsnahe" Leistungen sind solche, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören Tätigkeiten, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen. "In" einem Haushalt wird die haushaltsnahe Dienstleistung erbracht, wenn sie im räumlichen Bereich des vorhandenen Haushalts geleistet wird. Der Begriff des Haushalts ist insoweit räumlich-funktional auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 1. Februar 2007 - VI R 77/05, zitiert nach Juris).

Die Klägerin nimmt in diesem Sinn eine haushaltsnahe Dienstleistung in Anspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 3. September 2015 - VI R 18/14, BStBl II 2016, 272) sind Aufwendungen für ein mit einer Betreuungspauschale abgegoltenes Notrufsystem, durch das im Rahmen des "Betreuten Wohnens" in einer Seniorenresidenz Hilfeleistung rund um die Uhr sichergestellt wird, die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG anzuerkennen. Danach stellt das Notrufsystem die Rufbereitschaft für den Fall sicher, dass der Bewohner sich in seiner Wohnung aufhält, um dort im Not- und sonstigen Bedarfsfall eine Hilfeleistung zu gewährleisten. Die Leistung wird mithin im räumlichen Bereich des Haushalts erbracht und der Leistungserfolg tritt in der Wohnung des Steuerpflichtigen ein. Bei dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall lag eine Betreuungspauschale vor, mit der das Notrufsystem abgegolten war. Dies ist eine haushaltsnahe Dienstleistung, denn durch die Rufbereitschaft wird sichergestellt, dass ein Bewohner, der sich im räumlichen Bereich seines im Rahmen des "Betreuten Wohnens" geführten Haushalts aufhalte, im Bedarfsfall Hilfe rufen kann. Eine solche Rufbereitschaft leisten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige und stellen damit im räumlichen Bereich des Haushalts sicher, dass kranke und alte Haushaltsangehörige im Bedarfsfall Hilfe erhielten (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 3. September 2015, a.a.O.).

Zwar befand sich die Notrufzentrale beim vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall in der vom dortigen Kläger bewohnten Seniorenresidenz, sodass die über das Notrufsystem gerufenen Pflegekräfte innerhalb des Gebäudes die jeweilige Wohnung der Bewohner aufsuchen konnten. Die Notrufzentrale des ... befindet sich im Streitfall nicht in der räumlichen Nähe der Wohnung der Klägerin. Gleichwohl ist die Entscheidung auf den Streitfall übertragbar, denn maßgeblich ist, dass die Dienstleistung - das Rufen eines Notdienstes - in der Wohnung der Klägerin stattfindet. Auch ein Bewohner des Haushaltes der Klägerin hätte diese erbringen können. Für Alarmüberwachungsleistungen, bei denen eine Notrufzentrale kontaktiert wird, wenn etwa ein Brand ausbricht oder ein Einbruch verübt wird, ist die Annahme einer haushaltsnahen Dienstleistung zwar bereits verneint worden (so für den Notruf einer Sicherheitsfirma: Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 20. Januar 2009 - 3 K 245/08, zitiert nach Juris). Es liegen jedoch insoweit unterschiedliche Dienstleistungen vor, die eine andere Behandlung rechtfertigen. Die Überwachung einer Wohnung im Hinblick auf mögliche Einbrüche und/oder Überfälle sowie Brand- und Gasaustrittsfälle wird nicht gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt. Derartige Notfälle treten nicht in gleicher Weise regelmäßig ein wie Fälle der Hilfsbedürftigkeit bei leichten Erkrankungen älterer Personen, die sich in ihrem Haushalt aufhalten (Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. September 2017 - 7 K 7128/17, zitiert nach Juris).

Die Klägerin hat - im Unterschied zum o.g. Fall des Bundesfinanzhofes - keine Pflege- oder Hilfeleistungen mit der ... GmbH vereinbart. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, da der Bundesfinanzhof in seiner oben genannten Entscheidung die weiteren vereinbarten Leistungen nicht zur Begründung der Haushaltsnähe des Notrufsystems heranzieht.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 150, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Senat nicht von den oben zitierten Entscheidungen der Finanzgerichte Hamburg und Berlin-Brandenburg abweicht, da diese einen anderen Sachverhalt betrafen.