01.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223201
Landgericht Köln: Urteil vom 20.11.2020 – 89 O 21/20
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 117.477,81 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.064,40 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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Tatbestand:
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Der Kläger ist als Insolvenzverwalter über das Vermögen des I, Tstraße 46, #### T1 (im Folgenden: Insolvenzschuldner) bestellt. Als solcher macht er mit dem vorliegenden Rechtsstreit einen Ausgleichsanspruch des Insolvenzschuldners gegen die Beklagte geltend.
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Der Insolvenzschuldner war aufgrund des Vertrages vom 23.7.1983 seit dem 1.8.2003 als Versicherungsvertreter für die Beklagte tätig.
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Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 30.11.2016 wurde der Insolvenzschuldner wegen Steuerhinterziehung in 9 Fällen zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 30,00 € rechtskräftig verurteilt.
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Nachdem bei der Beklagten am 23.9.2016 eine ‒ formell unwirksame - Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes B einging, forderte die Beklagte den Insolvenzschuldner auf, eine aktuelle SCHUFA-Auskunft vorzulegen. Aus dieser ergaben sich keine Besonderheiten. Die Finanzverwaltung erließ nach erfolgter Korrektur unter dem 24.10.2016 eine wirksame Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Beklagten.
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Unter dem 1.2.2017 forderte die Beklagte den Insolvenzschuldner unter Fristsetzung von einem Monat turnusmäßig auf, ein aktuelles Führungszeugnis vorzulegen. Nach fruchtlosem Fristablauf erfolgte am 7.3.2017 eine schriftliche Erinnerung seitens der Beklagten. Der Insolvenzschuldner legte das Führungszeugnis, welches die Verurteilung durch das Amtsgericht Bonn auswies, dann am 27.3.2017 bei der Beklagten vor.
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Mit Schreiben vom 27.3.2017 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis fristlos. Der Insolvenzschuldner hielt die Kündigung für unwirksam und kündigte seinerseits mit Schreiben vom 11.4.2017 fristlos.
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Mit Schreiben vom 3.11.2017 machte der Insolvenzschuldner gegenüber der Beklagten einen Ausgleichsanspruch unter Fristsetzung bis zum 17.11.2017 geltend.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Verurteilung des Insolvenzschuldners die seitens der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung nicht rechtfertigen könne. Daher sei dieser berechtigt gewesen, seinerseits die fristlose Kündigung auszusprechen.
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Weiter ist der Kläger der Ansicht, dass deswegen ein Ausgleichsanspruch des Insolvenzschuldners nicht ausgeschlossen sei. Diesen beziffert er für den Bereich SHUR mit 134.836,43 €, für den Bereich Kfz mit 10.336,65 € und für den Bereich Leben mit 11.500,00 €, insgesamt mithin mit 156.673,08 €.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 156.637,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.11.207 zu zahlen.
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Die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.874,92 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Verurteilung des Insolvenzschuldners einen wichtigen Grund darstelle, der die fristlose Kündigung rechtfertige, so dass diese wirksam sei.
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Darüber hinaus ergebe sich schon aus dem eigenen Bericht des Klägers gegenüber dem Insolvenzgericht vom 23.7.2018, dass sich der Insolvenzschuldner im Zeitpunkt der Kündigung bereits seit Jahren in gänzlich ungeordneten finanziellen Verhältnissen befunden habe. Auch dies rechtfertige die ausgesprochene fristlose Kündigung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gereichten Unterlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
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Dem Insolvenzschuldner steht gegen die Beklagte ein Handelsvertreterausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 1, 5 HGB in Höhe von 117.477,81 € zu.
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Dieser Ausgleichsanspruch ist insbesondere nicht gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 HGB ausgeschlossen.
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Allerdings ist die fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.3.2017 wirksam. Die Beklagte konnte sich insoweit auf einen wichtigen Grund stützen, der es ihr unzumutbar machte, das Vertragsverhältnis mit dem Insolvenzschuldner bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ‒ hier also bis zum 31.12.2017 - fortzusetzen.
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Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob alleine die rechtskräftige Verurteilung des Insolvenzschuldners wegen Steuerhinterziehung in 9 Fällen zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen einen wichtigen Grund darstellt, der die Kündigung rechtfertigen kann. Denn jedenfalls in der gebotenen Zusammenschau mit den weiteren Umständen ist ein wichtiger Grund gegeben. Ausweislich des Berichts des Klägers vom 23.7.2018 an das Insolvenzgericht lebte der Insolvenzschuldner im Zeitpunkt der Kündigung seit längerer Zeit in wirtschaftlich gänzlich ungeordneten Verhältnissen. In dem Bericht heißt es ausdrücklich:
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„Auch haben meine Ermittlungen ergeben, dass der Schuldner in wirtschaftlich gänzlich ungeordneten Verhältnissen lebt und den Überblick über seien finanziellen Verhältnisse gänzlich verloren hat. … Abgesehen davon, dass er seinen steuerlichen Erklärungspflichten bereits seit Jahren nicht mehr nachkam, … Hieraus ergab sich, dass der Schuldner bereits seit Jahren mit Gerichts-, Mahn-, Bußgeld- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzogen wird und durchgängig Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt ist, die jedoch regelmäßig fruchtlos verlaufen.“
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„Der Schuldner ist offenkundig zahlungsunfähig und befindet sich in wirtschaftlich vollends ungeordneten Verhältnissen. Wie der Schuldner vor diesem Hintergrund jahrelang als selbständiger Handelsvertreter für die o.g. Versicherungen tätig sein konnte, bleibt unerklärlich. Hierzu dürfte er nach den gewonnenen Eindrücken tatsächlich nicht in der Lage gewesen sein.“
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Danach liegt jedenfalls in einer Gesamtschau der ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse des Insolvenzschuldners und seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung unter Berücksichtigung der ordentlichen Kündigungsfrist, die hier nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Insolvenzschuldner und der Beklagten 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres beträgt, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 89a HGB vor.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagten der Bericht des Klägers an das Insolvenzgericht und die daraus ergebenden Umstände betreffend die wirtschaftlichen Verhältnisses des Insolvenzschuldners bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren. Da sie zum Kündigungszeitpunkt bereits vorlagen und es für eine wirksame Kündigung aus wichtigem Grund nach § 89a HGB nicht erforderlich ist, dass die konkreten Kündigungsgründe dem Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt sind und in dem Kündigungsschreiben benannt werden, können sie ohne weiteres nachgeschoben werden (vgl. Baumbach-Hopt, HGB, 37. Auflage zu § 89a Rz. 14 m.w.Nw.).
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Eine Abmahnung ist in diesem Fall nicht erforderlich. Zwar mag die weitere Begehung von Straftaten nicht naheliegen. Hinsichtlich der im Zeitpunkt der Kündigung aber schon länger andauernden, gänzlich ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse des Insolvenzschuldners, die letztlich auch zu dem Insolvenzverfahren geführt haben, war mit einer Besserung infolge einer Abmahnung nicht zu rechnen.
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Die wirksame fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.3.2017 führt allerdings nicht zu einem Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB. Anders als für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung erfordert der Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 HGB in richtlinienkonformer Auslegung, dass der wichtige Grund ursächlich für die Kündigung gewesen ist (vgl. BGH in NJW-RR 2011, 614; Baumbach-Hopt, HGB, 37. Aufl., zu § 89b Rz. 66 m.w.Nw.). Daraus ergibt sich, dass anders als bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, bei der ‒ wie oben ausgeführt auch Umstände berücksichtigt werden können, die der Kündigende im Zeitpunkt der Kündigung nicht kannte, die aber in diesem Zeitpunkt vorlagen ‒ im Rahmen des § 89b Abs. 3 HGB nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die dem Kündigenden, hier also der Beklagten, im Zeitpunkt der Kündigung bekannt waren und ihn zur Kündigung veranlasst haben. Es können daher, anders als bei der Frage der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung, hier keine Kündigungsgründe, die erst nach der Kündigungserklärung bekannt geworden sind, nachgeschoben werden.
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Hier kann somit nur die Verurteilung des Insolvenzschuldners wegen Steuerhinterziehung berücksichtigt werden. Diese alleine stellt aber keinen wichtigen Grund dar, der der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit mit dem Handelsvertreter für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar macht. Zwar kann die nicht unerhebliche Verurteilung des Versicherungsvertreters wegen Steuerhinterziehung das Vertrauensverhältnis zwischen Vertreter und Unternehmer erheblich beeinträchtigen. Es sind aber immer alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei ist einerseits zu beachten, dass es sich hier , wie sich aus dem Strafmaß ergibt, um erhebliche Straftaten handelt. Allerdings richten sich diese nicht gegen die Beklagte und stehen diese auch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausübung der Versicherungsvertretertätigkeit des Insolvenzschuldners. Hinzu kommt, dass die Straftaten, die der Verurteilung zugrunde liegen (als Tag der Tat ist in dem Führungszeugnis der 31.10.2014 angegeben) im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung schon länger zurück lagen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist demgegenüber unerheblich, dass die Verurteilung durch einen Strafbefehl und nicht aufgrund einer Hauptverhandlung erfolgt ist. Soweit der Kläger behauptet, dass es bei Durchführung einer Hauptverhandlung nicht zu einer Verurteilung gekommen wäre, ist das reine Spekulation. Entscheidend ist, dass der Insolvenzschuldner insoweit rechtskräftig verurteilt worden ist.
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Soweit die Beklagte vorträgt, dass der Insolvenzschuldner die Vorlage des Führungszeugnisses, aus der sich die Verurteilung ergibt, verzögert habe, ergibt sich daraus nichts anderes. Zwar hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass der Insolvenzschuldner ihrer Aufforderung vom 1.2.2017 ein aktuelles Führungszeugnis vorzulegen erst nach einer nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Monatsfirst erfolgten Erinnerung vom 1.3.2017 am 27.3.2017 gefolgt ist. Darin kann aber noch keine so gravierende Verzögerung der Vorlage gesehen werden, dass sich daraus entgegen den obigen Ausführungen eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte.
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Alledem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes B vom 24.10.2016 bekannt war. Zum einen liegen zwischen dieser Verfügung und der Kündigung 5 Monate. Zum anderen dürfte zwar eine solche Pfändungs- und Einziehungsverfügung Anlass für Nachfragen zu den finanziellen Verhältnissen des Versicherungsvertreters geben. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang angeforderte SCHUFA-Auskunft ließ aber keinen Rückschluss auf ungeordnete finanzielle Verhältnisse des Insolvenzschuldners zu.
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Nach alledem ist der Ausgleichsanspruch vorliegend nicht nach § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 HGB ausgeschlossen.
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Dem Insolvenzschuldner steht gegen die Beklagte allerdings nur ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 117.477,81 € zu. Der Kläger hat den Ausgleichsanspruch gestützt auf Berechnungen der Beklagten mit 156.673,08 € beziffert. Dem ist die Beklagte nicht entgegen getreten.
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Von diesem Betrag ist allerdings gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB ein Billigkeitsabzug in Höhe von ¼ vorzunehmen, so dass ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 117.477,81 € verbleibt. Im Rahmen der Billigkeit können dabei insbesondere auch Umstände berücksichtigt werden, die zwar die fristlose Kündigung rechtfertigen, nicht aber zu einem Ausschluss des Ausgleichsanspruchs führen, wie sie hier nach dem oben Gesagten vorliegen (vgl. EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, HGB § 89b Rn. 179). Dabei ist hier erneut eine Gesamtschau aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmen.
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Dabei sind zum einen die nicht unerhebliche strafrechtliche Verurteilung und der Umstand, dass der Insolvenzschuldner schon längere Zeit in gänzlich ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte, die auch zu einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Beklagten führten, zu berücksichtigen. Der Kläger führt selbst in seinem Bericht vom 23.7.2018 aus: „Wie der Schuldner vor diesem Hintergrund jahrelang als selbständiger Handelsvertreter für die o.g. Versicherungen tätig sein konnte, bleibt unerklärlich Hierzu dürfte er nach den gewonnenen Eindrücken tatsächlich nicht in der Lage gewesen sein.“ Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass das Vertreterverhältnis 14 Jahre Bestand hatte und offensichtlich im Übrigen keine Beanstandungen zu beklagen waren. Bei Abwägung all dieser Umstände hält die Kammer einen Billigkeitsabzug im Umfang von ¼ für angemessen, so dass sich ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 117.477,81 € ergibt.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug. In dem Schreiben des Insolvenzschuldners an die Beklagte vom 3.11.2017 ist eine verzugsbegründende Mahnung zu sehen. Im Hinblick auf die darin gesetzte Zahlungsfrist bis 17.11.2017 ist Zinsbeginn der 18.11.2017.
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Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der borgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.064,40 € gegen die Beklagte. Da nach dem oben Gesagten aber nur ein Hauptanspruch in Höhe von 117.477,81 € besteht, sind auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten an diesem Wert zu orientieren.
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Die Ausführungen des Klägers in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 9.10.2020 geben keinen Anlass für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Streitwert: 156.673,08 €