08.03.2022 · IWW-Abrufnummer 227907
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 02.02.2022 – XII ZB 530/21
a) Der Betroffene ist auch im Fall der Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung in seinen Rechten beeinträchtigt, sodass der Betreuer im Namen des Betroffenen eine zulässige Beschwerde einlegen kann.
b) Das gilt ungeachtet dessen, dass der Betroffene mit der Unterbringung nicht einverstanden ist. Ob der Wille des Betroffenen frei gebildet ist und die Unterbringung hindert, ist erst im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels zu prüfen.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 83. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 12. März 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Der Beteiligte ist für die Betroffene unter anderem hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung und Gesundheitssorge zum Betreuer bestellt. Er hat die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen zum Zweck einer psychiatrischen Heilbehandlung beantragt. Das Amtsgericht hat die Genehmigung abgelehnt.
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Dagegen hat der Beteiligte Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die Beschwerde verworfen, weil dem Betreuer weder aus eigenem Recht noch namens der Betroffenen ein Beschwerderecht zustehe. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat die Verwerfung der Beschwerde unter Verweis auf eine frühere, veröffentlichte Entscheidung (FamRZ 2018, 1859) mit der mangelnden Beschwerdeberechtigung des Betreuers begründet. Zwar sei eine nicht ausdrücklich im eigenen Namen eingelegte Beschwerde aufgrund der mangelnden Beschwerdeberechtigung des Betreuers regelmäßig dahin auszulegen, dass diese im Namen des Betroffenen eingelegt sein solle. Auch eine im Namen des Betroffenen eingelegte Beschwerde sei aber unzulässig, weil die Betroffene durch die Ablehnung der Genehmigung nicht beschwert sei. Diese Frage sei vom Bundesgerichtshof bisher nicht ausdrücklich entschieden worden. Allerdings habe er im Beschluss vom 29. Juli 2020 (XII ZB 173/18 -FamRZ 2020, 1868) hinsichtlich der Versagung der Genehmigung bezüglich einer ärztlichen Zwangsmaßnahme eine durch den Betreuer im Namen des Betroffenen eingelegte Beschwerde als zulässig angesehen. In jenem Verfahren habe die Vorinstanz dagegen die zutreffende Ansicht vertreten, im deutschen Recht gebe es keinen Rechtsanspruch des Betroffenen auf Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit gegen seinen Willen.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Auslegung des Landgerichts, dass der Beteiligte die - insoweit nicht eindeutige - Beschwerde im Namen der Betroffenen eingelegt hat, ist nicht zu beanstanden. Dementsprechend hat das Landgericht auch (nur) die so verstandene Beschwerde der Betroffenen verworfen. Das steht im Einklang damit, dass es die Rechtsbeschwerde einschränkungslos zugelassen und den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wegen der von ihm verneinten Frage der Beschwer der Betroffenen bei Ablehnung der Unterbringungsgenehmigung angenommen hat.
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b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Betroffene durch die Ablehnung einer Unterbringungsgenehmigung aber beschwert. Dies hat der Senat, wie das Beschwerdegericht gesehen hat, der Sache nach bereits entschieden (Senatsbeschluss vom 29. Juli 2020 - XII ZB 173/18 -FamRZ 2020, 1868; ebenso BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Januar 2022] § 335 Rn. 11 mwN).
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aa) Die Frage ist allerdings noch umstritten. Die Gegenansicht (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 20. Aufl. § 59 Rn. 76; Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 335 Rn. 2; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 335 Rn. 9) verweist wie das Beschwerdegericht insbesondere auf eine zum früheren Recht ergangene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 3. November 2004 (FamRZ 2005, 834). Nach dessen Auffassung ist das Freiheitsrecht des Betroffenen durch die Ablehnung der Unterbringungsgenehmigung nicht beeinträchtigt, weil es dem Betroffenen freistehe, sich in die von ihm gewünschte ärztliche Behandlung zu begeben.
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Die Entscheidung betraf indessen einen Fall, in dem der Betroffene die Unterbringung abgelehnt und zugleich im Widerspruch dazu Beschwerde gegen die Versagung der Unterbringungsgenehmigung eingelegt hatte. Zudem stand dem Betreuer auf der Grundlage der damaligen Rechtslage nach § 70 m Abs. 2 FGG iVm § 70 d Abs. 1 Nr. 3 FGG noch ein eigenes Beschwerderecht zu.
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bb) Die Gegenansicht verkennt vor allem die Rechtsnatur des mit der zivilrechtlichen Unterbringung bezweckten Erwachsenenschutzes. Dieser erschöpft sich nicht in der Wahrung des Freiheitsrechts.
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Die zivilrechtliche Unterbringung ist vielmehr - wie das Betreuungsrecht insgesamt - ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (Senatsbeschluss vom 25. März 2015 - XII ZA 12/15 -FamRZ 2015, 1017Rn. 8). Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf die staatliche Maßnahme (Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 -FamRZ 2015, 650Rn. 13 mwN zur Betreuerbestellung). Die §§ 1896 ff. BGB haben nicht nur einen in die Grundrechte eingreifenden Gehalt, sondern dienen insbesondere der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde des Betroffenen, der wegen seiner Krankheit oder Behinderung nicht eigenverantwortlich entscheiden kann, sowie dem Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit (Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -FamRZ 2015, 1484Rn. 50).
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Dementsprechend stellen sich zivilrechtliche Unterbringung und ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht nur als Grundrechtseingriffe, sondern vor allem auch als den Betroffenen begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge dar. Ihr Zweck besteht neben ihrer die Eingriffsvoraussetzungen festlegenden und damit Grundrechtseingriffe beschränkenden Funktion insbesondere darin, den Anspruch des Betroffenen auf Schutz und Behandlung umzusetzen, wenn er krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich ohne medizinische Behandlung erheblich schädigen würde. Dass diese nur mittels schwerwiegender Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen möglich ist, ändert an dem begünstigenden Charakter nichts (Senatsbeschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 FamRZ 2015, 1484Rn. 51; vgl. LippFamRZ 2013, 913, 919).
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Im Regelfall ist die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB dementsprechend dadurch gekennzeichnet, dass den Betroffenen die notwendige Krankheitseinsicht fehlt und mithin allein die Unterbringung, erforderlichenfalls ergänzt durch medizinische Zwangsmaßnahmen, die Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass die Krankheit des Betroffenen behandelt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 -FamRZ 2015, 650Rn. 14 zur Betreuung).
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cc) Entsprechend seinem subjektiven Recht auf den staatlichen Erwachsenenschutz ist der Betroffene durch die Ablehnung der jeweiligen Maßnahme materiell beschwert. Der entgegenstehende (natürliche) Wille des Betroffenen beseitigt die Beschwer für ein in seinem Namen eingelegtes Rechtsmittel nicht. Allerdings steht ein freier Wille des Betroffenen ebenso der Betreuung ( § 1896 Abs. 1a BGB ) wie auch einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB materiell-rechtlich entgegen (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 - XII ZB 183/20 NJW-RR 2021, 3 Rn. 11 mwN). Ob ein die Betreuung oder Unterbringung ausschließender freier Wille vorliegt, ist hingegen erst im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.
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Da die Vertretungsbefugnis des Betreuers im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises grundsätzlich unbeschränkt ist, kann dieser sämtliche Rechte des Betroffenen in dessen Namen geltend machen, um damit seinem Amt entsprechend dem gebotenen Erwachsenenschutz gerecht zu werden.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen ( § 74 Abs. 7 FamFG ).
Dose
Klinkhammer
Günter
Botur
Krüger