23.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141820
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 26.03.2014 – 32 W 6/14
1. Ist ein Sachverständiger geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, ist er als Privatgutachter anzusehen, wenn unter dem Firmennamen der GmbH ein Privatgutachten erstellt wird, das keinen anderen Sachverständigen als den für seinen Inhalt verantwortlichen Verfasser erkennen lässt.
2. Ist ein Privatgutachter der Sohn des geschäftsführenden Gesellschafters eines von Seiten des Gerichts als GbR beauftragten Sachverständigenbüros und war oder ist er als angestellter Sachverständiger für das Sachverständigenbüro tätig, kann das die Besorgnis der Befangenheit anderer in dem Sachverständigenbüro tätiger Sachverständiger begründen. Zweifel an der Unparteilichkeit der in dem Sachverständigenbüro tätigen Sachverständigen können insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn die für das Büro handelnden Gesellschafter den Sachverständigen bestimmen, der den Gutachterauftrag bearbeitet, ohne den Parteien zuvor die geschäftlichen Verbindungen zwischen dem Privatgutachter und dem gerichtlich beauftragten Sachverständigenbüro zu offenbaren.
Oberlandesgericht Hamm
32 W 6/14
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 16. Zivilkammer des Landgerichts N vom 21. Januar 2014 aufgehoben.
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 16. Oktober 2013 gegen die für das Sachverständigenbüro X tätigen Sachverständigen Dr. C und Diplom Ing. Y ist begründet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.749 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die gemäß den §§ 406 Abs. 5, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
1.
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten erfasst die für das Sachverständigenbüro X GbR im vorliegenden Rechtsstreit tätig gewordenen Sachverständigen Dr. C und Diplom Ing. Y. Aufgrund der für das Gesuch gewählten Formulierung, das "Sachverständigenbüro X GbR bzw. die im vorliegenden Fall tätigen Sachverständigen Dr. C und Dipl.-Ing. Y wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen", ist es in diesem Sinne auszulegen.
2.
Das Ablehnungsgesuch ist nicht verfristet.
Es ist zwar nicht innerhalb der gemäß § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO vorgesehenen Frist von 2 Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen gestellt worden. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO aber zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Die Ablehnungsgründe sind in diesem Fall nicht binnen einer kalendermäßigen Frist, sondern grundsätzlich unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 BGB) nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes geltend zu machen. Das bedeutet, dass der Ablehnungsantrag zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, das heißt innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist anzubringen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 28.02.2013, 32 W 1/13, zit. über Juris Tz. 12; BGH Beschluss vom 15.03.2005, VI ZB 74/04, zit. über Juris, Tz. 7).
Die Frist des §§ 406 Abs. 2 S. 2 ZPO ist im vorliegenden Fall gewahrt. Die Beklagten begründen ihre Ablehnung mit persönlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen dem beauftragten Sachverständigenbüro X GbR einerseits sowie Herrn Diplom Ing. T2 als geschäftsführendem Gesellschafter der Firmen G GmbH und Z GmbH andererseits. Von diesen Verbindungen wollen sie erst aufgrund von Recherchen ihres Prozessbevollm ächtigten am Tage vor der Einreichung des Ablehnungsgesuchs vom 16.10.2013 erfahren haben. Diese durch eine eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten gestützte Darstellung ist glaubhaft. Mit ihr ist der Ablehnungsantrag rechtzeitig gestellt worden. Dem steht nicht entgegen, dass Herr Diplom Ing. T2 bereits als Sachverständiger auf dem Briefkopf des beauftragten Sachverständigenbüros aufgeführt war und die Beklagten ein Schreiben mit diesem Briefkopf bereits im Jahre 2012 erhalten hatten. Die damit erkennbare Namensgleichheit eines Sachverständigen aus dem beauftragten Sachverständigenbüro mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der bereits vorprozessual von der Klägerseite beauftragten Firma G GmbH gibt zwar Anhaltspunkte für eine mögliche persönliche oder geschäftliche Verbindung. Eine solche muss eine Partei aber nicht von sich aus recherchieren. Sie ist nicht verpflichtet, von sich aus Nachforschungen zur Neutralität eines Sachverständigen anzustellen (Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 406 ZPO Rz. 7). Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen ein beauftragter Sachverständiger von sich aus unschwer über eine mögliche persönliche oder geschäftliche Verbindung mit einem vorprozessual als Privatgutachter tätigen Sachverständigen hätte aufklären können, so wie es das beauftragte Sachverständigenbüro dann - allerdings erst nach dem Ablehnungsgesuch - in seiner Stellungnahme vom 25.10.2013 getan hat. Unterbleiben der naheliegende Hinweis des beauftragten Sachverständigen und auch eine mögliche gerichtliche Prüfung von Umständen, die der Neutralität eines beauftragten Sachverständigen entgegenstehen können, ist einer Partei dann nicht vorzuhalten, eine mögliche eigene Prüfung der Umstände nicht früher veranlasst zu haben.
3.
Die Beklagten haben einen Grund, an der Unparteilichkeit der Sachverständigen Dr. C und Diplom Ing. Y zu zweifeln.
Nach den §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO kann ein Sachverständiger wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es müssen Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des abgelehnten Sachverständigen aufkommen lassen. Als solche Umstände können nur objektive Gründe gelten, die vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverst ändige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Die Ablehnung setzt dabei nicht voraus, dass der Sachverständige tatsächlich parteilich ist. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein fehlender Neutralität die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (vgl. Senat, Beschluss vom 08.11.2012, 32 W 24/12, zit. über Juris Tz. 5).
Ein solcher Grund liegt regelmäßig vor, wenn ein Sachverständiger vorprozessual für eine Partei als privat beauftragter Sachverständiger tätig war. Erfahrungsgemäß kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Privatgutachter dazu neigt, die Erwartungen seines Auftraggebers zu bestätigen. Zudem hat er bei dem Privatgutachten die Angaben seines Auftraggebers zugrunde zu legen. Bereits aufgrund dieser Umstände kann eine verständige Partei deshalb befürchten, dass der Gutachter bei der Erstellung des gerichtlichen Gutachtens hiervon beeinflusst wird und dem gerichtlichen Gutachterauftrag nicht mehr neutral gegenübersteht (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.07.2012, 2 W 38/12, zit. über Juris, Tz. 4; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12.09.2011, 10 W 49/11, zit. über Juris, Tz. 6, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.02.2005, 2 W 8/05, Zit. über Juris, Tz. 6; auch BGH, Urteil vom 01.02.1972, VI ZR 134/70, NJW 1972, 1133 (1134)).
Im vorliegenden Fall begründet – entgegen der Auffassung des Landgerichts – der Umstand, dass auf Klägerseite bereits ein von der Fa. G erstelltes Privatgutachten vorliegt und der geschäftsführende Gesellschafter dieser Firma zum Einen der Sohn eines der geschäftsführenden Gesellschafters des beauftragten Sachverständigenbüros X GbR ist und zum Anderen auch für das Büro als Sachverständiger tätig war, die Besorgnis der Befangenheit der beiden abgelehnten Sachverständigen.
Der Sachverständige Diplom Ing. T2 ist mit der Firma G GmbH im vorliegenden Verfahren bereits als Privatgutachter tätig geworden. Der von der Firma G GmbH unter dem 19.01.2012 erstellte "Unfall-Ablauf-Report" ist als Privatgutachten anzusehen. Der Report befasst sich mit den für die Unfallanalyse bedeutsamen Fragestellungen, die auch Gegenstand des im gerichtlichen Verfahren erstatteten Sachverständigengutachtens sind. Diese werden in dem Privatgutachten - insbesondere durch grafische Darstellungen - auch im Sinne einer im Einzelnen nachvollziehbaren Analyse des Unfallverlaufs beantwortet. Es liegt bereits eine gutachterliche Stellungnahme und nicht lediglich eine erste Einschätzung eines hinzugezogenen Sachverständigen vor. Als Privatgutachter ist Diplom Ing. T2 anzusehen. Der Report der Firma G GmbH lässt nicht erkennen, dass ein anderer Sachverständiger für den Inhalt des Gutachtens verantwortlich sein k önnte, allein Diplom Ing. T2 wird als für die Firma verantwortlicher geschäftsführender Gesellschafter benannt.
Das Privatgutachten ist für den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits erstellt worden. Nach seinem Vortrag hat es seine Kfz-Haftpflichtversicherung auf seine Veranlassung hin eingeholt, um der Unfalldarstellung der Beklagten entgegenzutreten.
Der Umstand, dass der Sachverständige Diplom Ing. T2 als Privatgutachter tätig geworden ist, begründet die Besorgnis der Befangenheit der im vorliegenden Rechtsstreit als gerichtliche Sachverständige tätig gewordenen Sachverständigen Dr. C und Diplom Ing. Y. Diplom Ing. T2 ist der Sohn des geschäftsführenden Gesellschafters Prof. T und war auch für das Sachverständigenbüro X GbR als Sachverständiger tätig, so dass er als solcher auf dem Briefkopf des Büros aufgeführt wurde. Auch wenn er lediglich angestellt war - wobei die Stellungnahme des Sachverständigenbüros vom 25.10.2013 offenlässt, wann er seine Tätigkeit f ür das Büro beendet hat - gab es eine geschäftliche Verbindung zum Büro, die jedenfalls dazu führte, dass das Büro noch im vorliegenden Rechtsstreit Briefköpfe mit dem Namen Diplom Ing. T2 als einem zum Büro gehörenden Sachverständigen versandte. Zudem gibt es weiterhin eine persönliche Verbindung zu einem der verantwortlichen Gesellschafter des vom Gericht beauftragten Sachverständigenbüros. Aufgrund dieser Verbindungen kann ein Außenstehender den Eindruck gewinnen, dass Diplom Ing. T2 die Tätigkeit der zu dem Büro gehörenden Sachverständigen mit dem erstatteten Privatgutachten beeinflussen kann. Hinzu kommt, dass das Landgericht in seinem Beweisbeschluss lediglich das Sachverständigenbüro als solches mit der Begutachtung beauftragt hat, so dass die Auswahl des oder der dann bei der Begutachtung tätig werdenden Sachverständigen durch die für das Büro verantwortlich Handelnden erfolgt ist. Zu diesen gehört gerade der Vater des Privatgutachters. Auch die vor diesem Hintergrund vom Sachverständigenbüro getroffene und von den Parteien des Rechtsstreits nicht zu beeinflussende Auswahlentscheidung ist geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der tätig gewordenen Sachverständigen zu begründen, nachdem die persönlichen und - jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt - bestehenden geschäftlichen Verbindungen zwischen dem Privatgutachter und dem Sachverständigenbüro von den Verantwortlichen dieses Büros gegenüber den Parteien des Rechtsstreits zuvor nicht offenbart wurden.
II.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht in den Fällen der Sachverständigenablehnung nach ständiger Rechtsprechung des Senats einem Drittel des Streitwerts der Hauptsache.