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10.12.2015 · IWW-Abrufnummer 145990

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 07.05.2015 – 5 RVs 55/15

Wesentliches Merkmal der Schmähkritik ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung.

Eine solche persönliche Kränkung liegt vor, wenn der Partei eines Mietrechtsstreits eine "verdorbene charakterliche Natur" bescheinigt wird.


Oberlandesgericht Hamm

5 RVs 55/15

Tenor:

Die Revision wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO), dass es im Tenor des angefochtenen Berufungsurteils lauten muss: Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 22. Mai 2014 wird mit der Einschränkung verworfen, dass der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt wird.

Die Kosten der Revision trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

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G r ü n d e:

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I.

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Durch Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Gelsenkirchen vom 22. Mai 2014 wurde der Angeklagte, der als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht in Gelsenkirchen tätig ist, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,00 Euro verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die VIII. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen mit Urteil vom 29. Januar 2015 das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,00 Euro verurteilt worden ist.

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Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

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„Vor dem Hintergrund einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung, die zwischen dem Angeklagten als Beklagtem und Mieter einerseits und Q als Kläger und Vermieter – welcher durch seinen Bruder Rechtsanwalt Q vertreten wurde – andererseits vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen anhängig war, schrieb der Angeklagte in einem Schreiben vom 4.12.2013 an das Amtsgericht Gelsenkirchen u.a.:

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„Sie macht es sich leicht, unterstellt dem Beklagten ohne jegliche Nachprüfung, es seien noch Schilder im Hausflur angebracht und stellt eiligst Zwangsvollstreckungsanträge, um – siehe Punkt 3 – entsprechend der verdorbenen charakterlichen Natur der beiden Q-Brüder auch weiter hin für „Ärger und Krawall hier im Hause zu sorgen“.“

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Q stellte Strafantrag gegen den Angeklagten.“

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Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Er rügt, das Landgericht habe das Vorliegen eines form- und fristgerechten Strafantrags nicht festgestellt. Auch habe das Landgericht eine wesentliche Äußerung des Anzeigeerstatters – Rechtsanwalt Q – unberücksichtigt gelassen. Dieser habe vor dem Amtsgericht wörtlich erklärt: „Ich bin schon zu lange Rechtsanwalt, um mich persönlich angegriffen zu fühlen“. Des Weiteren beanstandet der Angeklagte im Wege der Sachrüge, dass die getroffenen Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht trügen. Als synonym für die Bezeichnung „verdorben“ sei das Wort „unanständig“ heranzuziehen, wodurch – so die Ansicht des Angeklagten – keine Beleidigung zum Ausdruck gebracht werde, zumal es sich hier um ein Werturteil zwischen Anwälten beim „Kampf um das Recht“ und damit um einen Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gehandelt habe. Die gewählte Formulierung müsse außerdem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass von Vermieterseite – vertreten durch Rechtsanwalt Q – im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen (32 C 636/12) „nachweislich wissentlich falsch vorgetragen“ worden sei. Schließlich beanstandet der Angeklagte mit näheren Darlegungen die Strafzumessung. Insbesondere sei es zu Unrecht strafschärfend berücksichtigt worden, dass – so die Formulierung des angefochtenen Urteils – „das Schreiben an das Amtsgericht und damit an persönlich nicht beteiligte Dritte versandt“ worden sei.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Hierzu hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 02. Mai 2015 ergänzend Stellung genommen.

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II.

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Die zulässige Revision ist unbegründet.

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1.

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Ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis besteht nicht.

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Der nach § 194 StGB erforderliche Strafantrag ist mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 gestellt worden. Das Schreiben bringt das Begehren des Anzeigeerstatters nach einem strafrechtlichen Einschreiten wegen der nur zwei Wochen zuvor getätigten Äußerung des Angeklagten (Schriftsatz vom 04. Dezember 2013) klar und deutlich zum Ausdruck.

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Soweit der Angeklagte geltend macht, der Anzeigeerstatter habe sich ausweislich einer bereits vor dem Amtsgericht getroffenen Aussage gar nicht „persönlich angegriffen gefühlt“, geben die Feststellungen des angefochtenen Urteils hierfür nichts her und eine etwaige Rüge nach § 261 StPO ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Unabhängig hiervon ist die vom Angeklagten behauptete Aussage des Anzeigeerstatters bei verständiger Betrachtung ohnehin nicht als Rücknahme des Strafantrags zu werten. Dass der Anzeigeerstatter den Inhalt des Schriftsatzes vom 04. Dezember 2013 als Beleidigung aufgefasst hat, ist bereits durch den Strafantrag vom 18. Dezember 2013 hinreichend und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden. Die vermeintliche Äußerung des Anzeigeerstatters im späteren Verfahren ist vor diesem Hintergrund nur so zu verstehen, dass die Äußerung zwar als Beleidigung verstanden, jedoch ein darüber hinausgehender Erfolg nicht eingetreten ist.

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2.

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Die Sachrüge hat keinen Erfolg. Sowohl der Schuld- als auch der Rechtsfolgenausspruch sind nicht zu beanstanden.

18

a)

19

Die vom Angeklagten verwendete Bezeichnung „entsprechend der verdorbenen charakterlichen Natur der beiden Q-Brüder“ fällt unter den Tatbestand des § 185 StGB. Es handelt sich um eine ehrverletzende Äußerung, die eine persönliche Kränkung und Schmähung des Verletzten zum Ausdruck bringt.

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Hierbei werden die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik nicht verkannt.

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Zwar ist der Begriff der Schmähkritik wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng zu definieren, weshalb auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung macht. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 2014, 3357, 3358 m.w.Nachw.).

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Aber auch vor dem Hintergrund dieser engen Vorgaben ist im vorliegenden Fall die Grenze des Hinzunehmenden überschritten. Der Angeklagte hat mit der von ihm gewählten Formulierung eindeutig den Charakter und damit die Person des Anzeigeerstatters selbst diffamiert. Im Ergebnis sind dem Anzeigeerstatter die persönlichen Kompetenzen, die die Voraussetzung für ein moralisches Handeln bilden, abgesprochen worden. Seine persönliche Integrität und auch die Fähigkeit, das eigene Verhalten nach allgemein anerkannten moralischen Maßstäben auszurichten, wurden in Gänze in Abrede gestellt. Der Versuch des Angeklagten, die Bedeutung des Wortes „verdorben“ nunmehr dadurch zu relativieren, dass als Synonym das Wort „unanständig“ herangezogen wird, schlägt fehl. Unabhängig davon, dass auch die Bezeichnung als „unanständig“ geeignet ist, den Charakter und damit die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters zu diffamieren, werden üblicherweise als Synonym zu „verdorben“ die Wörter „unmoralisch“, „sittenlos“ oder auch „schamlos“ verwendet. Unter allen Bezeichnungen wird eine persönliche Kränkung des Anzeigeerstatters herbeigeführt, die eine besondere Abwertung seiner Person zum Ausdruck bringt.

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Der Senat hat dabei – wie auch das Landgericht – nicht übersehen, dass im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vor Gericht eine scharfe Sprache angebracht sein kann. Im „Kampf um das Recht“ müssen durchaus starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte hingenommen werden (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 1988, 191, 193; BGH, NJW 1988, 1099; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 5, 7). Dies gilt auch für den Fall, dass ein Anwalt – wie hier – in eigener Sache tätig wird. An ihn dürfen keine höheren Anforderungen gestellt werden als an andere im Rahmen der anwaltlichen Wahrnehmung von Mandanteninteressen (vgl. KG, JR 1988, 523; Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 193 Rdnr. 22). Hinsichtlich der Bewertung von Werturteilen gilt, dass es zwar zulässig ist, wenn der Anwalt in einem Schriftsatz aus der im Einzelnen aufgelisteten sachlichen Kritik ehrenrürige Schlussfolgerungen zieht, jedoch darf hiermit keine zusätzliche Abwertung des Betroffenen einhergehen und zum Ausdruck gebracht werden (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; Lencker/Eisele, a.a.O.). Letzteres ist indes im vorliegenden Fall geschehen. Der Angeklagte hat mit der von ihm gewählten Formulierung, die auch nicht als bloß polemische oder ironisierende Äußerung eingeordnet werden kann, die Grenzen einer sachlichen Auseinandersetzung vor Gericht überschritten. Der Hinweis auf eine „verdorbene charakterliche Natur“ des Vermieters bzw. seines anwaltlichen Vertreters lässt keinen Sachzusammenhang zu miet- oder vollstreckungsrechtlichen Fragen erkennen. Die eigene Rechtsposition ist hierdurch in keiner Weise argumentativ untermauert worden. Der Angeklagte hat das Verfahren lediglich zum Anlass genommen, die Betroffenen persönlich zu kränken.

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Die vorstehenden Ausführungen gelten auch vor dem Hintergrund, dass der Adressatenkreis des Schriftsatzes vom 04. Dezember 2013 überschaubar geblieben ist.

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Hinzu kommt, dass die Äußerung nicht etwa im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erfolgt ist – weshalb an den Begriff der Schmähkritik noch strengere Anforderungen zu stellen wären (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 2009, 3016, 3018) –, sondern im Rahmen einer rein privaten Auseinandersetzung.

26

b)

27

Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.

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Das Landgericht hat insbesondere die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände nach den Vorgaben des § 46 StGB abgewogen und berücksichtigt. Die Kammer war in diesem Zusammenhang nicht daran gehindert, zu Lasten des Angeklagten zu werten, dass die beleidigende Äußerung in einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz erfolgt ist. Da sich der Angeklagte gerade nicht – wie bereits ausgeführt – auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen in einem gerichtlichen Verfahren berufen kann, verbleibt es dabei, dass die beleidigende Äußerung eben nicht nur auf das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Verletzten beschränkt geblieben, sondern darüber hinaus auch Dritten zugänglich bzw. bekannt gemacht worden ist.

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Die erkannte Geldstrafe ist auch nicht unangemessen hoch. Sie liegt noch im Rahmen des Vertretbaren.

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III.

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Der Tenor des Berufungsurteils war wie geschehen klarstellend zu ergänzen. Denn im Rahmen der eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts (§ 328 StPO) ist bei einem Teilerfolg der Berufung herauszustellen, in welchem Umfang diese verworfen worden ist.

RechtsgebieteStGB, GGVorschriftenStGB §§ 185, 193; GG Art. 5 Abs. 1