19.12.2017 · IWW-Abrufnummer 198450
Sozialgericht Gießen: Urteil vom 25.07.2017 – S 18 SO 160/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Gießen
Urt. v. 25.07.2017
Az.: S 18 SO 160/16
Tenor:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Vermögenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro.
Die 1929 geborene Klägerin lebt seit dem 20.10.2015 in einem Seniorenzentrum in A-Stadt. Am 23.05.2016 hat die Klägerin einen Bestattungsvorsorgevertrag abgeschlossen und insgesamt 6.300,00 Euro für Bestattungskosten auf ein Treuhandkonto eingezahlt. Den Antrag der Klägerin vom 13.10.2015, Leistungen für die durch eigene Einkünfte gedeckten Heimkosten zu zahlen, lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 09.11.2015 zunächst ab. Am 06.06.2016 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Gewährungen von Leistungen nach dem SGB XII - Hilfe in Einrichtungen. Nach einem Schriftwechsel teilte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11.08.2015 mit, er leiste im Ergebnis ab 01.06.2016 Heimpflegekosten. Für den Monat Juni 2016 legte der Beklagte einen Einkommenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro fest.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05.09.2016 Widerspruch ein und machte geltend, der Betrag von 6.300,00 Euro sei für die Bestattungsvorsorge bzw. für die Bestattung anzuerkennen.
Nach weiterem Schriftwechsel wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 08.11.2016.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, der Kostenbeitrag von 4.000,00 Euro entspräche nicht der Realität. Sie verweist auf das Urteil des BSG vom 18.03.2008, B 8/9b SO 9/06 R). Das Schonvermögen in Höhe von 2.600,00 Euro diene ausschließlich privaten Bedürfnissen. Bei dem Ansatz von 4.000,00 Euro handele es sich um eine "Sparausstattung". Mit Blick auf die emotionale Betroffenheit der Hinterbliebenen gelte das SGB XII überhaupt nicht. Im Übrigen seien die Bestattungsunternehmenskosten nicht überhöht. Insgesamt sei Bestattungsvorsorge mindestens in Höhe von 8.800,00 Euro anrechnungsfrei. Zur Begründung ihres Antrags stützt sich die Klägerin ergänzend auf ihre Schriftsätze vom 12.01., 17.03., 25.04. und 08.06.2017.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 abzuändern, soweit vom Beklagten ein Vermögenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro festgesetzt wurde.
Der Beklagte beantrage,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und bezieht sich zur Begründung seines Antrags auf seine Schriftsätze vom 28.12.2016, 03.02., 10.04., 04.05. und 11.07.2017. Das Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag sei zu berücksichtigen, soweit es 4.000,00 Euro übersteige. Die Kostenaufstellung des Bestattungsunternehmens sei höher als die Kosten, die nach der Handlungsanweisung zu übernehmen seien.
In erster Linie seien die Kinder der Klägerin nach § 1968 BGB bestattungspflichtig. Im Übrigen habe die Klägerin ein Wohnrecht, was im Todesfall der Finanzierung der Bestattung dienen könne.
Dem Gericht lagen die Akten des Beklagten vor.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87,90,92 SGG).
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 11.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 erweist sich im Umfang der Teilanfechtung als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat für den Monat Juni 2016 keinen Einsatz von Vermögen in Höhe von 587,09 Euro zu leisten.
Soweit der Beklagte einen entsprechenden Vermögenseinsatz gefordert hat, steht dies nicht im Einklang mit § 90 Abs. 2 Nr. 9 und Abs. 3 SGB XII.
Da es sich im vorliegenden Fall um eine Grundsatzentscheidung handelt, weist das Gericht auf Folgendes hin:
Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2003 (5 C 84.02) ist grundsätzlich nicht mehr eine leistungsrechtliche Verschonung einer angemessenen finanziellen Vorsorge für den Todesfall abzulehnen. In der Entscheidung stellt das Bundesverwaltungsgericht eine angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall unter den Vermögensschutz des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG der dem heutigen § 90 Abs. 3 SGB XII inhaltlich entspricht. Zugleich stellte das Gericht in dieser Entscheidung klar, dass einem Sozialhilfeempfänger eine Kündigung, die im Einzelfall rechtlich möglich sein müsse, nur insoweit abverlangt werden könne, als eine angemessene Vorsorge erhalten bleibe und ein Teil der - vorausgeleisteten - Vergütung erlangt werden könne. Das für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des SGB XII höchstrichterlich zuständige BSG ist der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts unter ausdrücklicher Berufung auf diese gefolgt (BSG Urteil vom 18.03.2008, B 8/9b SO 9/06 R). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Wunsch von Menschen, für die Zeit nach ihrem Tod vorzusorgen, sozialhilferechtlich zu respektieren. Ihnen sind dabei die Mittel zu belassen, die sie für eine angemessene Bestattung und eine angemessene Grabpflege zurückgelegt haben. Das Anliegen von Menschen, bereits zu Lebzeiten für die Zeit nach dem Tod vorzusorgen, wird hinsichtlich der Art und Weise der Bestattung durch Bestattungsvorsorgeverträge ermöglicht. Bestattungsvorsorgeverträge stellen, worauf das BSG in seiner Entscheidung vom 18.03.2008 hingewiesen hat, einen sogenannten gemischten Vertragstyp dar, der überwiegend dem Werkvertragsrecht unterliegt. Die in einem solchen Vertrag zu bewerkstelligende Konfliktlage ist dadurch gekennzeichnet, dass der die Vorsorge betreibende sichergestellt haben will, dass seine Wünsche auch tatsächlich umgesetzt werden. Der Bestatter wiederum will sicherstellen, dass er auch tatsächlich für sein Werk den vereinbarten Lohn erhält. Sowohl Bestatter als auch Besteller wiederum sind daran rechtlich interessiert, dass Dritte, insbesondere die Erben des Bestellers nicht in den Vertrag eingreifen können. Danach bestehen Bestattungsvorsorgeverträge im Kern aus drei Elementen. Einem Werkvertrag zwischen Besteller und Bestatter, einem Sicherungsvertrag zwischen Besteller/Sicherungsnehmer und einem Sicherungsgeber (Bank/Versicherung/Treuhänder) sowie einer Abtretungsvereinbarung zwischen Sicherungsgeber und Bestatter. Von entscheidender Bedeutung aus sozialhilferechtlicher Sicht ist das Sicherungsgeschäft. Im Werkvertrag zwischen Leistungsberechtigtem - dem Sozialhilfeleistungen Begehrenden - und Bestatter verpflichtet sich der Bestatter als Werkunternehmer, den Leichnam des Bestellers nach dessen Tod gemäß dessen Wünschen, konkretisiert in einer Leistungsbeschreibung, zu bestatten. Das werkvertraglich geschuldete Werk ist daher die Bestattung. Der Besteller hingegen ist verpflichtet, dem Bestatter den vereinbarten Werklohn für die Bestattung zu zahlen. Der Vertrag ist, soweit alle sonstigen zivilrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen, rechtlich bindend und geht über den Tod des Bestellers hinaus. Die Finanzierung der Werklohnforderung des Bestatters muss nicht zu Lebzeiten des Bestellers sichergestellt. sein.
Das Sicherungsgeschäft ist ein eigenständiger Vertrag zwischen Auftraggeber - Besteller des Werkvertrages - und einem Treuhänder für den Fall des Todes des Auftraggebers. Der Treuhänder ist verpflichtet, einen zuvor näher bestimmten Geldbetrag an den vom Auftraggeber benannten Bestatter zu zahlen. Den Geldbetrag hat der Auftraggeber - wie vorliegend - vorher auf ein Treuhandkonto eingezahlt oder spart diesen an. Der Treuhänder/Sicherungsgeber ist verpflichtet, das Geld für den Auftraggeber anzulegen und zu verwalten gegebenenfalls auch zu verzinsen. Zu seinen Pflichten gehört auch, den Geldbetrag im Fall des Todes des Auftraggebers mit Zinsen wieder auszuzahlen. Das Geld wird mit einer Zweckbindung versehen; der Zweck besteht in der Begleichung der Werklohnforderung des Bestatters.
In dem dritten Vertrag tritt der Sicherungsnehmer/Auftraggeber seine Auszahlungsansprüche gegen die Bank/Treuhänder/Versicherung schon vorab an den Bestatter ab. Hierdurch wird sichergestellt, dass der Bestatter auch den Versicherungsgeber auch vom Tod informieren kann. Die Auszahlung des Geldbetrages erfolgt regelmäßig gegen Vorlage der Sterbeurkunde. Der Bestatter nimmt die Abtretung dieser Ansprüche an.
In der Rechtsprechung ist, wie eingangs erwähnt, hinreichend anerkannt, dass die Verwertung eines angemessenen Vermögens, das der Bestattungsvorsorge dient, als unzumutbare Härte anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat unter Verweis auf diese Rechtsprechung eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für nicht erforderlich angesehen (BT Drucksache 16/239 Seite 17 zu Nr. 4, vgl. auch Schriftsatz des Beklagten vom 03.02.2017).
§ 90 Abs. 1 SGB XII verpflichtet als Ausfluss des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes einen Sozialhilfeleistungen Begehrenden, vor der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Leistungen sein gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen. Die Einordnung von Bestattungsvorsorgeverträgen im Kontext des § 90 Abs. 3 SGB XII, der ebenso wie § 90 Abs. 2 SGB XII eine Ausnahme vom § 90 Abs. 1 SGB XII und damit eine Ausnahme vom vorrangigen Vermögenseinsatz festlegt, erfordert daher die Feststellung, dass es sich bei Bestattungsvorsorgeverträgen überhaupt um verwertbares Vermögen handelt.
§ 90 Abs. 1 SGB XII definiert den Begriff des Vermögens nicht, sondern setzt ihn voraus. Einigkeit besteht darin, dass vom Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII auch Forderungen erfasst werden (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 21). Forderungen sind Ansprüche gegen Dritte (LPK-SGB XII, § 90 Rn. 3). Ein Bestattungsvorsorgevertrag enthält mehrere Ansprüche gegen Dritte. Zum einen stellt der jeweilige vertragliche Hauptleistungsanspruch gegen den Bestatter einen solchen Anspruch dar. Daneben besteht aber auch der direkte Anspruch gegen den Sicherungsgeber sowie im Falle der Vertragsauflösung ein Rückabwicklungsanspruch, die ebenfalls als Forderung unter den Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII fallen.
Für den vorrangigen sozialhilferechtlichen Zugriff ist daher entscheidend, ob die Forderung als Vermögensbestandteil auch verwertbar ist. Einzusetzen ist nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 SGB XII nur das "verwertbare" Vermögen. Der Verwertbarkeitsbegriff im § 90 Abs. 1 SGB XII knüpft an den Selbsthilfegrundsatz des § 2 SGB XII an (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 21). Das Vermögen oder in der konkreten Fragestellung die Forderung muss durch Veräußerung, Beleihung, Auflösung oder auf andere Weise zur Deckung des Bedarfs in Geld umgewandelt werden können, tatsächlich zur Verfügung stehen (LPK - SGB XII § 90 Rn. 9). Fehlt es an bereiten Vermögensmitteln, müssen Sozialhilfeleistungen erbracht werden. Es stellt sich damit die Frage, ob die Forderung aus dem Bestattungsvorsorgevertrag verkauft, verbraucht, übertragen und/oder belastet werden können. Tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte können einer Verwertung entgegenstehen. Unter Heranziehung dieser Grundsätze wird der vertragliche Hauptleistungsanspruch gegen den Bestatter als tatsächlich nicht verwertbar angesehen, weil diese üblicherweise so individuell ausgestaltet ist, dass nach Ansicht der Rechtsprechung ein anderer an der Übernahme eines solchen Rechts keinerlei Interesse haben dürfte (BSG Urteil vom 19.03.2008 B 8/9b SO 9/06 R). Entscheidend ist damit, ob der weitere Anspruch, nämlich der Anspruch aus dem Sicherungsgeschäft rechtlich und tatsächlich verwertbar ist. Das Sicherungsgeschäft dient der finanziellen Absicherung des Vergütungs-/Werklohnanspruchs des Bestatters. Der als Sicherheit hinterlegte oder angesparte Betrag ist jedoch rechtlich nur dann verwertbar, wenn der Leistungsbegehrende diesen Betrag verlangen kann. Einen direkten vertraglichen Anspruch auf den Vertrag dürfte der Leistungsbegehrende regelmäßig nicht haben, da der Betrag der Absicherung des Hauptleistungsanspruchs dienst und daher rechtlich an diesen gekoppelt ist. An den hinterlegten oder angesparten Betrag kann der Leistungsbegehrende zum Zwecke des vorrangigen Einsatzes von Sozialhilfe Leistungen daher nur dann gelangen, wenn eine Pflicht zur Rückgewährung des Betrages besteht. Dies setzt die Kündbarkeit und tatsächliche Kündigung des Bestattungsvorsorgevertrages voraus. Es ist daher zu prüfen, ob der konkret vorliegende Bestattungsvorsorgevertrag eine Kündbarkeit ermöglicht. Ohne Kündbarkeit und Kündigung keine Verwertbarkeit und damit auch keinen vorrangigen Vermögenseinsatz.
Die Frage der Kündbarkeit von Bestattungsvorsorgeverträgen wird teilweise ohne nähere Auseinandersetzung mit den anstehenden Rechtsfragen pauschal bejaht (so Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 28) oder ohne Eingehen auf die zivilrechtliche Problematik allein unter Hinweis auf die Möglichkeit, Verträge aus wichtigem Grund kündigen zu müssen, einfach unterstellt (so VG Minden, Urteil vom 09.08.1999, 6 K 4252/98). Dies wird der zivilrechtlichen Problematik nicht gerecht. Bereits in der ersten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum vorliegenden Problemkreis hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Frage der Kündbarkeit aus Rechtsgründen weder sicher ist noch ausgeschlossen ist und daher individuell geprüft werden müsse. Eine Kündigungsmöglichkeit kann sich gegebenenfalls aus dem jeweiligen Bestattungsvorsorgevertrag kraft ausdrücklicher Regelung ergeben. Soweit keine individualvertragliche Regelung über die Kündigung im jeweils vorliegenden Bestattungsvorsorgevertrag besteht, greift bei Bestattungsvorsorgeverträgen die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 BGB. Da Bestattungsvorsorgeverträge im Schwerpunkt dem Werksvertragsrecht unterliegen, besteht Einigkeit, auf das gesetzlich dem Besteller eines Werks eingeräumte Kündigungsrecht zurückzugreifen. Nach § 649 BGB kann ein Besteller bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen.
Allerdings verleiht eine Kündigung des Vertrages dem Werkunternehmer einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Hierbei muss er sich dasjenige anrechnen lassen, was er in Folge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Gesetzlich wird im Wege einer Fiktion vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistungen entfallenen vereinbarten Vergütung zustehen. Diese Fiktion kann durch tatsächlichen Nachweis entkräftet werden. Damit steht fest, dass im Falle der Kündigung eines Bestattungsvorsorgevertrages nach 649 BGB der Hilfesuchende nur dann über die im Sicherungsvertrag hinterlegte Summe in Gänze verfügen kann, wenn der Bestatter auf die ihn gesetzlich zustehenden Vergütungsersatzansprüche verzichtet.
Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Kündigungsmöglichkeit im jeweiligen Vertrag ausgeschlossen wurde. Bei § 649 BGB handelt es sich um abdingbares Recht, so dass vertraglich eine Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 18.03.2008 B 8/9b SO 9/06 R). Soweit der Ausschluss aufgrund allgemeiner Geschäftsbedingungen erfolgt, hat der BGH (Urteil vom 12.03.2009, III ZR 142/08) zumindest bei langfristigen Grabpflegeverträgen einen Verstoß gegen § 309 Nr. 9a BGB angenommen. Die Anwendung dieser Rechtsprechung auch auf Bestattungsvorsorgeverträge setzt voraus, dass der Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit durch allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB erfolgte und nicht durch eine individualvertragliche Ausgestaltung. In der täglichen Praxis ist in der Mehrzahl der Fälle ein unter Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbarter Vertrag geschlossen worden. Gleichwohl spricht gegen die Anwendung der Rechtsprechung des BGH zu längerfristigen Grabpflegeverträgen auch auf Bestattungsvorsorgeverträge, dass jeder Mensch seine Vorstellung für die eigene Bestattung ändern können muss (A. A.: VG Gelsenkirchen Urteil vom 03.05.2004, 11 K 609/02, weil ein Bestattungsvorsorgevertrag nicht wie ein Grabpflegevertrag eine langfristige Leistung beinhalte, sondern eine einzelne Leistung, die zu einem unbestimmten Zeitpunkt erfüllt werden solle).
Besteht rechtlich keine Kündigungsmöglichkeit des Bestattungsvorsorgevertrages, was den Interessen der Vertragspartner entspricht, um ein Eingreifen der Erben in einen solchen Vertrag zu vermeiden, ergibt sich hieraus die Konsequenz, dass das Vermögen mangels Verwertbarkeit nicht eingesetzt werden kann. Ein Zugriff des Sozialhilfeträgers auf diesen Vertrag ist damit nicht möglich.
Nach § 90 Abs. 3 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine Unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. § 90 Abs. 3 SGB XII soll atypische Fallkonstellationen im Einzelfall auffangen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 72). Bestattungsvorsorgeverträge sind jedoch nur dann nach § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt, wenn sie angemessen sind. Hinsichtlich der Bestattungsvorsorgeverträge sind zur Bestimmung der Angemessenheit die örtlichen Preise für eine Bestattung und die Beurteilung der Wünsche des Vorsorgenden entscheidend. Die Angemessenheit hat sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu orientieren (§ 9 SGB XII), und insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Verhältnisse sowie nachvollziehbarer Wünsche (vgl. SG Detmold, Urteil vom 30.07.2010, S 16(19) SO 116/08).
Welche Höhe dabei im Einzelnen anzusetzen ist, ist umstritten. Die Gerichte haben sich bisher mit der Frage der Angemessenheit von Bestattungsvorsorgeverträgen beschäftigt und dabei Beträge zwischen 3.200,00 Euro und 8.800,00 Euro anerkannt (SG Schleswig, S 12 SO 104/08, Bayrisches LSG, 25.09.2008, L 11 SO 32/07, 3.200,00 Euro; SG Dortmund, 13.02.2009, S 47 SO 188/06, 3.500,000 Euro; SG Hildesheim, 24.07.2009, S 34 SO 75/07, 6.500,00 Euro; SG Aachen, 11.10.2011, S 20 SO 134/10, 8.800,00 Euro, Übersicht in LPK-SGB XII, § 90 Rn. 12).
Die Festlegung eines Betrages ist vor dem Hintergrund der an dem Einzelfall orientierten Definition des Begriffs der Angemessenheit, die auch die konkreten Friedhofsgebühren berücksichtigten muss, kaum möglich. Der gelegentlich vorzufindende Versuch, durch eine schlichte Benennung eines Betrages zwischen 1.500,00 Euro und 2.500,00 Euro eine gerichtsfeste Angemessenheit der Beträge vorzugeben (so Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 80) muss vor dem Hintergrund der Notwendigen individuellen Einzelfallprüfung scheitern.
Prüft man den vorliegenden Sachverhalt nach diesen Kriterien, so gilt Folgendes:
Zur Bestimmung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag), denn insofern wird den örtlichen Besonderheiten wie unterschiedlichen Friedhofskosten Rechnung getragen. Dabei ist hinsichtlich der Art der Bestattung (Erdbestattung, Feuerbestattung usw.) in der Regel die Entscheidung des Heimbewohners zugrunde zu legen. Der sich hieraus ergebene Kostenbetrag, der einen einfachen Standard repräsentiert ist unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). So können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.11.2009, 12 A 1363/09). Nach den nunmehr im Gerichtsverfahren gewonnen Erkenntnissen des Beklagten (Schriftsatz vom 04.05.2017), dem sich das erkennende Gericht insoweit anschließt, belaufen sich die Kosten nach der Handlungsanweisung zur Gewährung von Leistungen nach § 74 SGB XII "Bestattungskosten" vom 10.03.2015 im vorliegenden Fall auf 2.500,00 Euro. Die Kosten für eine durchschnittliche Bestattung sind bei ca. 7.000,00 Euro als Richtwert anzusetzen (Bericht der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 06.01.2017, Umdruck Seite 20 unter Hinweis auf eine Prüfung der Stiftung Warentest). Vor diesem Hintergrund ist der von der Klägerin für die Bestattungsvorsorge auf das Treuhandkonto überwiesene Betrag in Höhe von 6.300,00 Euro in Höhe von mindestens 5.000,00 Euro als angemessen anzusehen. Dies allein führt im vorliegenden Fall zum vollständigen Wegfall des Vermögenseinsatzes. Ausgehend von einer von dem Beklagten zugrunde gelegten Gesamtsumme als Vermögen von 7.187,09 Euro sind sowohl mindestens 5.000,00 Euro für die Bestattungsvorsorge als auch 2.600,00 Euro nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII abzuziehen. Bereits nach dieser Berechnung ergibt sich, dass kein von der Klägerin noch einzusetzender Vermögensbeitrag zu leisten ist.
Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass mit der vorliegenden Entscheidung keine endgültige und unwiderrufliche Festlegung einer Anerkennung von 5.000,00 Euro von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen verbunden ist. Die Anerkennung von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen ist stets eine Frage des im Einzelfall als geschützt anzuerkennenden Betrages.
Ebenfalls klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass es auch in Zukunft der Handlungsanweisung zur Gewährung von Leistungen gemäß § 74 SGB XII "Bestattungskosten" vom 10.03.2015 folgen wird. Allerdings bedarf es einer rechtlich getrennten Betrachtungsweise hinsichtlich der Kosten die gegebenenfalls nach § 74 SGB XII zu erstatten sind einerseits und der Anerkennung von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen andererseits.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtsmittelbelehrung berücksichtigt die Höhe des streitigen Anspruchs, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.
Urt. v. 25.07.2017
Az.: S 18 SO 160/16
Tenor:
- Der Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 wird abgeändert, soweit der Beklagte den Einsatz von Vermögen für den Monat Juni 2016 in Höhe von 587,09 festgesetzt hat.
- Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Vermögenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro.
Die 1929 geborene Klägerin lebt seit dem 20.10.2015 in einem Seniorenzentrum in A-Stadt. Am 23.05.2016 hat die Klägerin einen Bestattungsvorsorgevertrag abgeschlossen und insgesamt 6.300,00 Euro für Bestattungskosten auf ein Treuhandkonto eingezahlt. Den Antrag der Klägerin vom 13.10.2015, Leistungen für die durch eigene Einkünfte gedeckten Heimkosten zu zahlen, lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 09.11.2015 zunächst ab. Am 06.06.2016 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Gewährungen von Leistungen nach dem SGB XII - Hilfe in Einrichtungen. Nach einem Schriftwechsel teilte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11.08.2015 mit, er leiste im Ergebnis ab 01.06.2016 Heimpflegekosten. Für den Monat Juni 2016 legte der Beklagte einen Einkommenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro fest.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05.09.2016 Widerspruch ein und machte geltend, der Betrag von 6.300,00 Euro sei für die Bestattungsvorsorge bzw. für die Bestattung anzuerkennen.
Nach weiterem Schriftwechsel wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 08.11.2016.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, der Kostenbeitrag von 4.000,00 Euro entspräche nicht der Realität. Sie verweist auf das Urteil des BSG vom 18.03.2008, B 8/9b SO 9/06 R). Das Schonvermögen in Höhe von 2.600,00 Euro diene ausschließlich privaten Bedürfnissen. Bei dem Ansatz von 4.000,00 Euro handele es sich um eine "Sparausstattung". Mit Blick auf die emotionale Betroffenheit der Hinterbliebenen gelte das SGB XII überhaupt nicht. Im Übrigen seien die Bestattungsunternehmenskosten nicht überhöht. Insgesamt sei Bestattungsvorsorge mindestens in Höhe von 8.800,00 Euro anrechnungsfrei. Zur Begründung ihres Antrags stützt sich die Klägerin ergänzend auf ihre Schriftsätze vom 12.01., 17.03., 25.04. und 08.06.2017.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 abzuändern, soweit vom Beklagten ein Vermögenseinsatz in Höhe von 587,09 Euro festgesetzt wurde.
Der Beklagte beantrage,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und bezieht sich zur Begründung seines Antrags auf seine Schriftsätze vom 28.12.2016, 03.02., 10.04., 04.05. und 11.07.2017. Das Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag sei zu berücksichtigen, soweit es 4.000,00 Euro übersteige. Die Kostenaufstellung des Bestattungsunternehmens sei höher als die Kosten, die nach der Handlungsanweisung zu übernehmen seien.
In erster Linie seien die Kinder der Klägerin nach § 1968 BGB bestattungspflichtig. Im Übrigen habe die Klägerin ein Wohnrecht, was im Todesfall der Finanzierung der Bestattung dienen könne.
Dem Gericht lagen die Akten des Beklagten vor.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87,90,92 SGG).
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 11.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 erweist sich im Umfang der Teilanfechtung als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat für den Monat Juni 2016 keinen Einsatz von Vermögen in Höhe von 587,09 Euro zu leisten.
Soweit der Beklagte einen entsprechenden Vermögenseinsatz gefordert hat, steht dies nicht im Einklang mit § 90 Abs. 2 Nr. 9 und Abs. 3 SGB XII.
Da es sich im vorliegenden Fall um eine Grundsatzentscheidung handelt, weist das Gericht auf Folgendes hin:
Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2003 (5 C 84.02) ist grundsätzlich nicht mehr eine leistungsrechtliche Verschonung einer angemessenen finanziellen Vorsorge für den Todesfall abzulehnen. In der Entscheidung stellt das Bundesverwaltungsgericht eine angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall unter den Vermögensschutz des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG der dem heutigen § 90 Abs. 3 SGB XII inhaltlich entspricht. Zugleich stellte das Gericht in dieser Entscheidung klar, dass einem Sozialhilfeempfänger eine Kündigung, die im Einzelfall rechtlich möglich sein müsse, nur insoweit abverlangt werden könne, als eine angemessene Vorsorge erhalten bleibe und ein Teil der - vorausgeleisteten - Vergütung erlangt werden könne. Das für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des SGB XII höchstrichterlich zuständige BSG ist der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts unter ausdrücklicher Berufung auf diese gefolgt (BSG Urteil vom 18.03.2008, B 8/9b SO 9/06 R). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Wunsch von Menschen, für die Zeit nach ihrem Tod vorzusorgen, sozialhilferechtlich zu respektieren. Ihnen sind dabei die Mittel zu belassen, die sie für eine angemessene Bestattung und eine angemessene Grabpflege zurückgelegt haben. Das Anliegen von Menschen, bereits zu Lebzeiten für die Zeit nach dem Tod vorzusorgen, wird hinsichtlich der Art und Weise der Bestattung durch Bestattungsvorsorgeverträge ermöglicht. Bestattungsvorsorgeverträge stellen, worauf das BSG in seiner Entscheidung vom 18.03.2008 hingewiesen hat, einen sogenannten gemischten Vertragstyp dar, der überwiegend dem Werkvertragsrecht unterliegt. Die in einem solchen Vertrag zu bewerkstelligende Konfliktlage ist dadurch gekennzeichnet, dass der die Vorsorge betreibende sichergestellt haben will, dass seine Wünsche auch tatsächlich umgesetzt werden. Der Bestatter wiederum will sicherstellen, dass er auch tatsächlich für sein Werk den vereinbarten Lohn erhält. Sowohl Bestatter als auch Besteller wiederum sind daran rechtlich interessiert, dass Dritte, insbesondere die Erben des Bestellers nicht in den Vertrag eingreifen können. Danach bestehen Bestattungsvorsorgeverträge im Kern aus drei Elementen. Einem Werkvertrag zwischen Besteller und Bestatter, einem Sicherungsvertrag zwischen Besteller/Sicherungsnehmer und einem Sicherungsgeber (Bank/Versicherung/Treuhänder) sowie einer Abtretungsvereinbarung zwischen Sicherungsgeber und Bestatter. Von entscheidender Bedeutung aus sozialhilferechtlicher Sicht ist das Sicherungsgeschäft. Im Werkvertrag zwischen Leistungsberechtigtem - dem Sozialhilfeleistungen Begehrenden - und Bestatter verpflichtet sich der Bestatter als Werkunternehmer, den Leichnam des Bestellers nach dessen Tod gemäß dessen Wünschen, konkretisiert in einer Leistungsbeschreibung, zu bestatten. Das werkvertraglich geschuldete Werk ist daher die Bestattung. Der Besteller hingegen ist verpflichtet, dem Bestatter den vereinbarten Werklohn für die Bestattung zu zahlen. Der Vertrag ist, soweit alle sonstigen zivilrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen, rechtlich bindend und geht über den Tod des Bestellers hinaus. Die Finanzierung der Werklohnforderung des Bestatters muss nicht zu Lebzeiten des Bestellers sichergestellt. sein.
Das Sicherungsgeschäft ist ein eigenständiger Vertrag zwischen Auftraggeber - Besteller des Werkvertrages - und einem Treuhänder für den Fall des Todes des Auftraggebers. Der Treuhänder ist verpflichtet, einen zuvor näher bestimmten Geldbetrag an den vom Auftraggeber benannten Bestatter zu zahlen. Den Geldbetrag hat der Auftraggeber - wie vorliegend - vorher auf ein Treuhandkonto eingezahlt oder spart diesen an. Der Treuhänder/Sicherungsgeber ist verpflichtet, das Geld für den Auftraggeber anzulegen und zu verwalten gegebenenfalls auch zu verzinsen. Zu seinen Pflichten gehört auch, den Geldbetrag im Fall des Todes des Auftraggebers mit Zinsen wieder auszuzahlen. Das Geld wird mit einer Zweckbindung versehen; der Zweck besteht in der Begleichung der Werklohnforderung des Bestatters.
In dem dritten Vertrag tritt der Sicherungsnehmer/Auftraggeber seine Auszahlungsansprüche gegen die Bank/Treuhänder/Versicherung schon vorab an den Bestatter ab. Hierdurch wird sichergestellt, dass der Bestatter auch den Versicherungsgeber auch vom Tod informieren kann. Die Auszahlung des Geldbetrages erfolgt regelmäßig gegen Vorlage der Sterbeurkunde. Der Bestatter nimmt die Abtretung dieser Ansprüche an.
In der Rechtsprechung ist, wie eingangs erwähnt, hinreichend anerkannt, dass die Verwertung eines angemessenen Vermögens, das der Bestattungsvorsorge dient, als unzumutbare Härte anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat unter Verweis auf diese Rechtsprechung eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für nicht erforderlich angesehen (BT Drucksache 16/239 Seite 17 zu Nr. 4, vgl. auch Schriftsatz des Beklagten vom 03.02.2017).
§ 90 Abs. 1 SGB XII verpflichtet als Ausfluss des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes einen Sozialhilfeleistungen Begehrenden, vor der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Leistungen sein gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen. Die Einordnung von Bestattungsvorsorgeverträgen im Kontext des § 90 Abs. 3 SGB XII, der ebenso wie § 90 Abs. 2 SGB XII eine Ausnahme vom § 90 Abs. 1 SGB XII und damit eine Ausnahme vom vorrangigen Vermögenseinsatz festlegt, erfordert daher die Feststellung, dass es sich bei Bestattungsvorsorgeverträgen überhaupt um verwertbares Vermögen handelt.
§ 90 Abs. 1 SGB XII definiert den Begriff des Vermögens nicht, sondern setzt ihn voraus. Einigkeit besteht darin, dass vom Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII auch Forderungen erfasst werden (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 21). Forderungen sind Ansprüche gegen Dritte (LPK-SGB XII, § 90 Rn. 3). Ein Bestattungsvorsorgevertrag enthält mehrere Ansprüche gegen Dritte. Zum einen stellt der jeweilige vertragliche Hauptleistungsanspruch gegen den Bestatter einen solchen Anspruch dar. Daneben besteht aber auch der direkte Anspruch gegen den Sicherungsgeber sowie im Falle der Vertragsauflösung ein Rückabwicklungsanspruch, die ebenfalls als Forderung unter den Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII fallen.
Für den vorrangigen sozialhilferechtlichen Zugriff ist daher entscheidend, ob die Forderung als Vermögensbestandteil auch verwertbar ist. Einzusetzen ist nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 SGB XII nur das "verwertbare" Vermögen. Der Verwertbarkeitsbegriff im § 90 Abs. 1 SGB XII knüpft an den Selbsthilfegrundsatz des § 2 SGB XII an (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 21). Das Vermögen oder in der konkreten Fragestellung die Forderung muss durch Veräußerung, Beleihung, Auflösung oder auf andere Weise zur Deckung des Bedarfs in Geld umgewandelt werden können, tatsächlich zur Verfügung stehen (LPK - SGB XII § 90 Rn. 9). Fehlt es an bereiten Vermögensmitteln, müssen Sozialhilfeleistungen erbracht werden. Es stellt sich damit die Frage, ob die Forderung aus dem Bestattungsvorsorgevertrag verkauft, verbraucht, übertragen und/oder belastet werden können. Tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte können einer Verwertung entgegenstehen. Unter Heranziehung dieser Grundsätze wird der vertragliche Hauptleistungsanspruch gegen den Bestatter als tatsächlich nicht verwertbar angesehen, weil diese üblicherweise so individuell ausgestaltet ist, dass nach Ansicht der Rechtsprechung ein anderer an der Übernahme eines solchen Rechts keinerlei Interesse haben dürfte (BSG Urteil vom 19.03.2008 B 8/9b SO 9/06 R). Entscheidend ist damit, ob der weitere Anspruch, nämlich der Anspruch aus dem Sicherungsgeschäft rechtlich und tatsächlich verwertbar ist. Das Sicherungsgeschäft dient der finanziellen Absicherung des Vergütungs-/Werklohnanspruchs des Bestatters. Der als Sicherheit hinterlegte oder angesparte Betrag ist jedoch rechtlich nur dann verwertbar, wenn der Leistungsbegehrende diesen Betrag verlangen kann. Einen direkten vertraglichen Anspruch auf den Vertrag dürfte der Leistungsbegehrende regelmäßig nicht haben, da der Betrag der Absicherung des Hauptleistungsanspruchs dienst und daher rechtlich an diesen gekoppelt ist. An den hinterlegten oder angesparten Betrag kann der Leistungsbegehrende zum Zwecke des vorrangigen Einsatzes von Sozialhilfe Leistungen daher nur dann gelangen, wenn eine Pflicht zur Rückgewährung des Betrages besteht. Dies setzt die Kündbarkeit und tatsächliche Kündigung des Bestattungsvorsorgevertrages voraus. Es ist daher zu prüfen, ob der konkret vorliegende Bestattungsvorsorgevertrag eine Kündbarkeit ermöglicht. Ohne Kündbarkeit und Kündigung keine Verwertbarkeit und damit auch keinen vorrangigen Vermögenseinsatz.
Die Frage der Kündbarkeit von Bestattungsvorsorgeverträgen wird teilweise ohne nähere Auseinandersetzung mit den anstehenden Rechtsfragen pauschal bejaht (so Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 28) oder ohne Eingehen auf die zivilrechtliche Problematik allein unter Hinweis auf die Möglichkeit, Verträge aus wichtigem Grund kündigen zu müssen, einfach unterstellt (so VG Minden, Urteil vom 09.08.1999, 6 K 4252/98). Dies wird der zivilrechtlichen Problematik nicht gerecht. Bereits in der ersten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum vorliegenden Problemkreis hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Frage der Kündbarkeit aus Rechtsgründen weder sicher ist noch ausgeschlossen ist und daher individuell geprüft werden müsse. Eine Kündigungsmöglichkeit kann sich gegebenenfalls aus dem jeweiligen Bestattungsvorsorgevertrag kraft ausdrücklicher Regelung ergeben. Soweit keine individualvertragliche Regelung über die Kündigung im jeweils vorliegenden Bestattungsvorsorgevertrag besteht, greift bei Bestattungsvorsorgeverträgen die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 BGB. Da Bestattungsvorsorgeverträge im Schwerpunkt dem Werksvertragsrecht unterliegen, besteht Einigkeit, auf das gesetzlich dem Besteller eines Werks eingeräumte Kündigungsrecht zurückzugreifen. Nach § 649 BGB kann ein Besteller bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen.
Allerdings verleiht eine Kündigung des Vertrages dem Werkunternehmer einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Hierbei muss er sich dasjenige anrechnen lassen, was er in Folge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Gesetzlich wird im Wege einer Fiktion vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistungen entfallenen vereinbarten Vergütung zustehen. Diese Fiktion kann durch tatsächlichen Nachweis entkräftet werden. Damit steht fest, dass im Falle der Kündigung eines Bestattungsvorsorgevertrages nach 649 BGB der Hilfesuchende nur dann über die im Sicherungsvertrag hinterlegte Summe in Gänze verfügen kann, wenn der Bestatter auf die ihn gesetzlich zustehenden Vergütungsersatzansprüche verzichtet.
Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Kündigungsmöglichkeit im jeweiligen Vertrag ausgeschlossen wurde. Bei § 649 BGB handelt es sich um abdingbares Recht, so dass vertraglich eine Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 18.03.2008 B 8/9b SO 9/06 R). Soweit der Ausschluss aufgrund allgemeiner Geschäftsbedingungen erfolgt, hat der BGH (Urteil vom 12.03.2009, III ZR 142/08) zumindest bei langfristigen Grabpflegeverträgen einen Verstoß gegen § 309 Nr. 9a BGB angenommen. Die Anwendung dieser Rechtsprechung auch auf Bestattungsvorsorgeverträge setzt voraus, dass der Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit durch allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB erfolgte und nicht durch eine individualvertragliche Ausgestaltung. In der täglichen Praxis ist in der Mehrzahl der Fälle ein unter Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbarter Vertrag geschlossen worden. Gleichwohl spricht gegen die Anwendung der Rechtsprechung des BGH zu längerfristigen Grabpflegeverträgen auch auf Bestattungsvorsorgeverträge, dass jeder Mensch seine Vorstellung für die eigene Bestattung ändern können muss (A. A.: VG Gelsenkirchen Urteil vom 03.05.2004, 11 K 609/02, weil ein Bestattungsvorsorgevertrag nicht wie ein Grabpflegevertrag eine langfristige Leistung beinhalte, sondern eine einzelne Leistung, die zu einem unbestimmten Zeitpunkt erfüllt werden solle).
Besteht rechtlich keine Kündigungsmöglichkeit des Bestattungsvorsorgevertrages, was den Interessen der Vertragspartner entspricht, um ein Eingreifen der Erben in einen solchen Vertrag zu vermeiden, ergibt sich hieraus die Konsequenz, dass das Vermögen mangels Verwertbarkeit nicht eingesetzt werden kann. Ein Zugriff des Sozialhilfeträgers auf diesen Vertrag ist damit nicht möglich.
Nach § 90 Abs. 3 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine Unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. § 90 Abs. 3 SGB XII soll atypische Fallkonstellationen im Einzelfall auffangen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 72). Bestattungsvorsorgeverträge sind jedoch nur dann nach § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt, wenn sie angemessen sind. Hinsichtlich der Bestattungsvorsorgeverträge sind zur Bestimmung der Angemessenheit die örtlichen Preise für eine Bestattung und die Beurteilung der Wünsche des Vorsorgenden entscheidend. Die Angemessenheit hat sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu orientieren (§ 9 SGB XII), und insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Verhältnisse sowie nachvollziehbarer Wünsche (vgl. SG Detmold, Urteil vom 30.07.2010, S 16(19) SO 116/08).
Welche Höhe dabei im Einzelnen anzusetzen ist, ist umstritten. Die Gerichte haben sich bisher mit der Frage der Angemessenheit von Bestattungsvorsorgeverträgen beschäftigt und dabei Beträge zwischen 3.200,00 Euro und 8.800,00 Euro anerkannt (SG Schleswig, S 12 SO 104/08, Bayrisches LSG, 25.09.2008, L 11 SO 32/07, 3.200,00 Euro; SG Dortmund, 13.02.2009, S 47 SO 188/06, 3.500,000 Euro; SG Hildesheim, 24.07.2009, S 34 SO 75/07, 6.500,00 Euro; SG Aachen, 11.10.2011, S 20 SO 134/10, 8.800,00 Euro, Übersicht in LPK-SGB XII, § 90 Rn. 12).
Die Festlegung eines Betrages ist vor dem Hintergrund der an dem Einzelfall orientierten Definition des Begriffs der Angemessenheit, die auch die konkreten Friedhofsgebühren berücksichtigten muss, kaum möglich. Der gelegentlich vorzufindende Versuch, durch eine schlichte Benennung eines Betrages zwischen 1.500,00 Euro und 2.500,00 Euro eine gerichtsfeste Angemessenheit der Beträge vorzugeben (so Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rn. 80) muss vor dem Hintergrund der Notwendigen individuellen Einzelfallprüfung scheitern.
Prüft man den vorliegenden Sachverhalt nach diesen Kriterien, so gilt Folgendes:
Zur Bestimmung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag), denn insofern wird den örtlichen Besonderheiten wie unterschiedlichen Friedhofskosten Rechnung getragen. Dabei ist hinsichtlich der Art der Bestattung (Erdbestattung, Feuerbestattung usw.) in der Regel die Entscheidung des Heimbewohners zugrunde zu legen. Der sich hieraus ergebene Kostenbetrag, der einen einfachen Standard repräsentiert ist unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). So können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.11.2009, 12 A 1363/09). Nach den nunmehr im Gerichtsverfahren gewonnen Erkenntnissen des Beklagten (Schriftsatz vom 04.05.2017), dem sich das erkennende Gericht insoweit anschließt, belaufen sich die Kosten nach der Handlungsanweisung zur Gewährung von Leistungen nach § 74 SGB XII "Bestattungskosten" vom 10.03.2015 im vorliegenden Fall auf 2.500,00 Euro. Die Kosten für eine durchschnittliche Bestattung sind bei ca. 7.000,00 Euro als Richtwert anzusetzen (Bericht der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 06.01.2017, Umdruck Seite 20 unter Hinweis auf eine Prüfung der Stiftung Warentest). Vor diesem Hintergrund ist der von der Klägerin für die Bestattungsvorsorge auf das Treuhandkonto überwiesene Betrag in Höhe von 6.300,00 Euro in Höhe von mindestens 5.000,00 Euro als angemessen anzusehen. Dies allein führt im vorliegenden Fall zum vollständigen Wegfall des Vermögenseinsatzes. Ausgehend von einer von dem Beklagten zugrunde gelegten Gesamtsumme als Vermögen von 7.187,09 Euro sind sowohl mindestens 5.000,00 Euro für die Bestattungsvorsorge als auch 2.600,00 Euro nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII abzuziehen. Bereits nach dieser Berechnung ergibt sich, dass kein von der Klägerin noch einzusetzender Vermögensbeitrag zu leisten ist.
Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass mit der vorliegenden Entscheidung keine endgültige und unwiderrufliche Festlegung einer Anerkennung von 5.000,00 Euro von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen verbunden ist. Die Anerkennung von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen ist stets eine Frage des im Einzelfall als geschützt anzuerkennenden Betrages.
Ebenfalls klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass es auch in Zukunft der Handlungsanweisung zur Gewährung von Leistungen gemäß § 74 SGB XII "Bestattungskosten" vom 10.03.2015 folgen wird. Allerdings bedarf es einer rechtlich getrennten Betrachtungsweise hinsichtlich der Kosten die gegebenenfalls nach § 74 SGB XII zu erstatten sind einerseits und der Anerkennung von Bestattungsvorsorgeverträgen als geschütztes Vermögen andererseits.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtsmittelbelehrung berücksichtigt die Höhe des streitigen Anspruchs, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.