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25.09.2018 · IWW-Abrufnummer 204569

Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 27.07.2017 – 2 K 376/16

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Hessen

Urt. v. 27.07.2017


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Dem Kläger zu 1 war von seinem Arbeitgeber am x.2012 fristlos gekündigt worden. Nach der Kündigung erhielt der Kläger im Jahr 2012 Arbeitslosengeld und Krankengeld.

Der Kläger zu 1 strengte nachfolgend einen Prozess beim Arbeitsgericht an, der mit einem Vergleich vom x.2013 vor dem Landesarbeitsgericht X abgeschlossen wurde. Hiernach musste der Arbeitgeber dem Kläger die Bruttomonatsvergütung i.H.v. 5420 € nachträglich abrechnen. Außerdem hatte der Kläger Anspruch auf eine Abfindung i.H.v. 30.000 €. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgrund des gerichtlichen Vergleichs zum x.2013 für beendet erklärt.

Der ehemalige Arbeitgeber erstellte daraufhin Ende Januar 2013 monatliche Lohnabrechnungen für die Zeiträume März 2012 bis Januar 2013 und zahlte den hierbei errechneten Nettolohn per Banküberweisung am 31.1.2013 aus. Die Monate Februar bis März 2013 inklusive der vereinbarten Abfindung i.H.v. 30.000 € wurden am 17.4.2013 abgerechnet und im Laufe des Februar und März 2013 ausgezahlt. Die noch zu leistenden Lohnzahlungen für 2012 wurden mit den zu Unrecht geleisteten Krankengeldzahlungen und Arbeitslosengeldzahlungen verrechnet.

In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres 2013 beantragte der Kläger die Anwendung des § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes für die gesamten in 2013 durch seinen ehemaligen Arbeitgeber gezahlten Arbeitslöhne. Der Beklagte gewährte im Einkommensteuerbescheid für 2013 vom x.2015 die Tarifbegünstigung jedoch nur für den Anteil i.H.v. 30.000 €, der aus der Abfindung resultiert, nicht jedoch für die übrigen nachträglich gezahlten Arbeitslöhne. Hiergegen haben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben.

Die Kläger sind der Ansicht, dass für das gesamte in 2013 durch den ehemaligen Arbeitgeber gezahlte Gehalt die Tarifbegünstigung anzuwenden sei, da § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes auch neben der Begünstigung des § 32 b des Einkommensteuergesetzes (negativer Progressionsvorbehalt) anzuwenden sei. Außerdem führen die Kläger an, dass aufgrund des Gesetzestextes des § 34 des Einkommensteuergesetzes für die Anwendung der Tarifermäßigung lediglich eine mehrjährige Tätigkeit von mehr als 12 Monaten vorliegen muss, die sich über mindestens 2 Veranlagungszeiträume erstreckt. Die Kläger gehen dabei davon aus, dass als Tätigkeitszeitraum im vorliegenden Fall der gesamte Zeitraum von März 2012 bis März 2013 zu berücksichtigen sei, da der von dem gerichtlichen Vergleich betroffene Zeitraum zugrundezulegen sei.

Der hier einschlägige § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes solle eine Milderung der Progressionsbelastung schaffen, die aufgrund von außerordentlichen Einkünften eintreten würde. Nach dem Gesetzeszweck von § 34 des Einkommensteuergesetzes solle die progressionsbedingte Mehrbelastung von Einkünften verringert werden, deren Zufluss sich normalerweise auf mehrere Jahre verteilt hätte.

Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kämen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten im Sinn von § 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz des Einkommensteuergesetzes in Betracht. Mehrjährig sei nach der Legaldefinition in § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens 2 Veranlagungszeiträume erstrecke und ein Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasse. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben.

Der Arbeitgeber habe sich im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches auf Zahlung des Arbeitslohnes an den Kläger zu 1 für den Tätigkeitszeitraum vom 28.3.2012 bis zum 31.3.2013 verpflichtet.

Im Streitfall hätte es auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für die im Jahr 2013 erfolgte zusammen geballte Entlohnung gegeben. Diese Gründe seien in dem vom Kläger zu 1 arbeitsrechtlich geführten Rechtsstreit aufgrund einer unbegründeten fristlosen Kündigung zu sehen. Dieser Rechtsstreit sei mit dem gerichtlichen Vergleich vom x.2013 beendet worden. Hierdurch sei eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen auszuschließen. Im konkreten Fall habe der arbeitsrechtliche Rechtsstreit zur Zusammenballung der Einkünfte für eine mehrjährige Tätigkeit im Veranlagungszeitraum 2013 geführt.

Außerdem behalten sich die Kläger vor, ihre Wahl der Veranlagungsform erneut zu überdenken. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Kläger vom x.2016 Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom x.2015 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom x.2016 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes für die im Jahr 2013 an den Kläger zu 1 für den Tätigkeitszeitraum vom 28.3.2012 bis zum 31.3.2013 geleisteten Zahlungen des Arbeitgebers i.H.v. 69.471,40 € gewährt wird;

hilfsweise,

eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2012 und 2013 gemäß § 163 der Abgabenordnung.
Außerdem beantragen die Kläger,

für den Fall ihres Obsiegens eine Einzelveranlagung durchzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt aus, dass die gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes ermäßigt zu besteuernde Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes i.H.v. 30.000 € korrekt besteuert worden sei und nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sei.

Für den Restbetrag kommt die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes nicht in Betracht da Zahlungen bis zur rechtswirksamen Erfüllung des Arbeitsverhältnisses nicht unter diese Vorschrift fielen.

Nach Ansicht des Beklagten liege der Unterschied des vorliegenden Falles zu den vielen einschlägigen Urteilsfällen mit Nachzahlungen aufgrund eines Rechtsstreits darin, dass vorliegend die Zahlung der Vergütung nicht nach dem Ende des betroffenen Erdienungszeitraums erfolgt sei, sondern noch innerhalb des laut der Gerichtsentscheidung noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses. Fraglich sei daher vorliegend, ob die Begünstigung des § 34 des Einkommensteuergesetzes auf den gesamten Arbeitslohn für den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsvertrages anzuwenden sei oder für den abgrenzbaren Teil des Nachzahlungszeitraumes.

Aus Sicht des Beklagten ergebe sich aus dem Zweck von § 34 des Einkommensteuergesetzes, die Verschärfung der Progression infolge der Inkongruenz zwischen Zahlungs- und Erdienungszeitraum zu mildern, dass für die Prüfung des Zwölf-Monats-Zeitraumes nur der Teil des Arbeitslohnes herangezogen werden könne, der auf die nach gezahlten Beträge entfalle. Denn für die Zeiträume Januar bis März 2013 würden Erdienungs- und Zahlungszeitraum nicht auseinanderfallen. Ein Nachteil durch eine erhöhte Progressionswirkung könne damit nicht eintreten.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom x.2016 Bezug genommen.

Dem Gericht haben die einschlägigen Steuerakten des Beklagten vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2013 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat darin zu Recht die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes lediglich auf die vom Arbeitgeber geleistete Abfindungszahlung i.H.v. 30.000 € gewährt.

Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen 2-4 von § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes zu berechnen.

Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes sind unter anderem außerordentliche Einkünfte die Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten; mehrjährig ist eine Tätigkeit soweit sie sich über mindestens 2 Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasst. Liegen die Voraussetzungen von § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes vor, ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten besonderen Tarif zu berechnen.

Im vorliegenden Fall ist allein darüber zu befinden, ob die aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom Arbeitgeber im Streitjahr 2013 geleisteten Gehaltsnachzahlungen für den Zeitraum von April 2012 bis einschließlich März 2013 gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes ermäßigt zu besteuern sind.

Anders als bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit muss es sich, wenn die ermäßigte Besteuerung von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 19 des Einkommensteuergesetzes in Rede steht, bei der mehrjährigen Tätigkeit nicht um eine abgrenzbare Sondertätigkeit handeln. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit selbst von der regelmäßigen Erwerbstätigkeit abgrenzbar ist oder die in mehreren Veranlagungszeiträumen erdiente Vergütung auf einem besonderen Rechtsgrund beruht, der diese von den laufenden Einkünften unterscheidbar macht. Dementsprechend ist beim Arbeitnehmer jede Vergütung für eine Tätigkeit, die sich über mindestens 2 Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasst, atypisch zusammengeballt und damit "außerordentlich" im Sinn von § 34 Absatz ein S. 1 des Einkommensteuergesetzes (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 7.5.2015 VI R 44/13, Bundessteuerblatt II 2015, 890).

Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nicht selbst in der Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 7. August 2014 VI R 57/12, BFH/NV 2015, 181). Diese mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu.

Darüber hinaus müssen wirtschaftlich vernünftige Gründe für die zusammengeballte Entlohnung vorliegen. Diese können sowohl in der Person des Arbeitnehmers als auch der des Arbeitgebers vorliegen. Das Merkmal der wirtschaftlich vernünftigen Gründe dient der Verhütung von Missbräuchen. Deshalb schließt nur eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen die Anwendung der Tarifbegünstigung auf mehrjährigen Arbeitslohn aus.

Im vorliegenden Fall liegen wirtschaftlich vernünftige Gründe für die zusammengeballte Entlohnung des Klägers zu 1 vor. Diese Form des Lohnzuflusses hat ihre alleinige Ursache in der fristlosen Kündigung des Klägers durch seinen Arbeitgeber und dem nachfolgenden arbeitsrechtlichen Rechtsstreit, der mit einem Vergleich beendet wurde, mit dem der Arbeitgeber zur nachträglichen Zahlung von ausstehendem Arbeitslohn verpflichtet wurde.

Jedoch sind die weiteren Tatbestandsmerkmale für eine Steuervergünstigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes nicht erfüllt. Zwar hat der Arbeitgeber dem Kläger zu 1 aufgrund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs im Streitjahr Arbeitslohn sowohl für 2012 als auch für 2013, also veranlagungszeitraumübergreifend, ausgezahlt, die Vergütung wurde jedoch nicht für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten geleistet.

Unabhängig davon, dass für die Monate Januar bis März 2013 laufender Arbeitslohn ausgezahlt wurde, es sich also insofern nicht um außerordentliche Einkünfte im Sinn von § 34 des Einkommensteuergesetzes handelte, erhielt der Kläger zu 1 aufgrund des gerichtlichen Vergleichs Arbeitslohn für den Zeitraum von März 2012 bis März 2013, mithin für eine Zeitspanne von nicht mehr als 12 Monaten nachgezahlt.

Nach alledem war der Klage der Erfolg zu versagen.

Die Voraussetzungen für eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für 2012 und 2013 gemäß § 163 der Abgabenordnung wären unabhängig vom vorliegenden Gerichtsverfahren in einem gesonderten Verfahren zur Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen zu prüfen (vgl. Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 13. Auflage, § 163, Textziffer 135).

Die Kläger haben als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen(§ 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 34 Abs. 2