16.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205510
Finanzgericht Münster: Urteil vom 16.08.2018 – 10 K 3767/17 Kg
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
10 K 3767/17 Kg
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.08.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.11.2017 verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seinen am ….01.1992 geborenen Sohn A für die Monate Mai 2013 bis Januar 2017 zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
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Tatbestand
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Zu entscheiden ist, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Sohn des Klägers für Zeit von Mai 2013 bis Januar 2017 zu Recht abgelehnt hat.
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Der am ….01.1992 geborene Sohn A des Klägers absolvierte von August 2010 bis Januar 2013 eine Ausbildung als Bankkaufmann bei der B Bank in C, die als schulisches Anforderungsprofil das Abitur oder die Fachhochschulreife voraussetzte. Nach dem Ausbildungsabschluss als Bankkaufmann beschäftigte die B Bank den Sohn des Klägers im Rahmen einer Vollzeittätigkeit mit 39 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit weiter. Die Beklagte hob daher die Kindergeldfestsetzung für A mit Bescheid vom 16.01.2013 ab Februar 2013 auf.
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Seit dem 01.05.2013 ist der Sohn des Klägers an der Steinbeis-Hochschule Berlin immatrikuliert und absolviert bei der dort angegliederten ADG Business School ein Bachelorstudium im Fachbereich „Business Administration“ mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“. Hierbei handelt es sich um ein so genanntes Projekt-Kompetenz-Studium, einen dualen Studiengang mit praktischen Ausbildungszeiten im Betrieb. Diese führt der Sohn des Klägers in der B Bank durch, bei der er auch weiterhin beschäftigt ist. Zulassungsvoraussetzung für das Bachelorstudium ist bei Bestehen einer Hochschulzulassungsberechtigung in Form der allgemeinen Hochschulreife – wie im Streitfall – und eine mindestens zweijährige Berufserfahrung, die durch eine Ausbildung nachgewiesen werden kann. Wegen der Einzelheiten zur Studienordnung, zu den Zulassungsvoraussetzungen und dem Studienverlauf wird auf die Ausdrucke der Internetseiten der Steinbeis-Hochschule (www.steinbeis-hochschule.de) und der ADG Business School (www.adg-business-school.de) Bezug genommen, die zur Gerichtsakte genommen wurden. Hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen wird insbesondere auf die am 25.02.2015 in Kraft getretene Rahmenstudienordnung der Steinbeis-Hochschule verwiesen, die ebenfalls zur Gerichtsakte genommen wurde.
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Das vom Sohn des Klägers absolvierte Bachelorstudium dauert in der Regel drei Jahre. A hat die Regelstudienzeit (vom 01.05.2013 bis zum 30.04.2016) zwar überschritten. Seine Immatrikulation wurde jedoch bis zum 30.10.2018 verlängert. Insoweit wird auf die Immatrikulationsbescheinigung vom 18.04.2017 (betreffend die Zeit vom 01.05.2017 bis zum 30.10.2018) Bezug genommen.
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Im März 2018 schloss A nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2018 das Bachelorstudium erfolgreich ab.
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Die B Bank bestätigte mit Schreiben vom 08.01.2018, auf das verwiesen wird, dass die Studieninhalte des Bachelorstudiums mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“ im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Kreditanalyst in der B Bank stünden, dass es sich bei dem Bachelorstudium um eine von der B Bank geförderte Weiterbildungsmaßnahme handele, und dass die erworbenen Kenntnisse für die berufliche Tätigkeit in der B Bank von Nutzen seien.
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Bereits im Dezember 2012 hatte der Sohn des Klägers Unterlagen für eine Studienbewerbung bei der Steinbeis-Hochschule angefordert. Sodann hatte er im März 2013 wegen der geplanten Bewerbung mehrfach Kontakt zur Hochschule aufgenommen. In diesem Zusammenhang hatte ihm die ADG Business School bereits einen Platz am Studienstandort Montabaur reserviert und der Sohn des Klägers hatte die Hochschule darüber informiert, dass er vor der Abgabe seiner schriftlichen Bewerbungsunterlagen noch offene Fragen mit seinem Arbeitgeber, der B Bank, klären müsse. Am 19.04.2013 hatte A sich dann offiziell beworben und am 22.04.2013 eine Zusage für das ab dem 01.05.2013 beginnende Sommersemester erhalten.
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Am 21.07.2017 beantragte der Kläger für seinen Sohn A rückwirkend ab Februar 2013 die Bewilligung von Kindergeld, da dieser unmittelbar nach seinem Ausbildungsabschluss ein Bachelorstudium an der Steinbeis-Hochschule in Berlin begonnen habe. Insoweit nahm der Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278 Bezug.
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Mit Bescheid vom 01.08.2017 lehnte die Beklagte die Kindergeldgewährung für A ab dem Monat Mai 2013 ab. A habe bereits eine erste Berufsausbildung abgeschlossen und übe neben seiner weiteren Berufsausbildung eine Erwerbstätigkeit aus, die den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausschließe.
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Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und beantragte erneut die Festsetzung von Kindergeld für A ab Februar 2013. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 10.11.2017 ab dem Monat Mai 2013 als unbegründet zurück.
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Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, er habe einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für seinen Sohn A für die Zeit von Mai 2013 bis Januar 2017.
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Die Banklehre sowie das Bachelorstudium seines Sohnes seien als einheitliche Ausbildung zu betrachten. Denn sein Sohn habe bereits nach dem Abitur den Ausbildungsabschluss „Bachelor of Arts“ angestrebt. Dass sein Sohn den Bachelorabschluss auch auf einem anderem als dem gewählten Ausbildungsgang hätte erreichen können, stehe dem Vorliegen einer einheitlichen Berufsausbildung nicht entgegen.
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Nach Beendigung seiner Ausbildung als Bankkaufmann habe sich sein Sohn zum frühestmöglichen Zeitpunkt für den Bachelorstudiengang beworben, so dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zu bejahen sei. Mit den Schwerpunkten „Management & Finance“ stünde das Bachelorstudium zudem in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zu der vorausgegangenen Lehre als Bankkaufmann.
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Der Bachelorstudiengang bei der ADG Business School an der Steinbeis-Hochschule Berlin baue inhaltlich auf der Banklehre auf. Dies zeige sich unter anderem daran, dass sein Sohn die vorgesehene praktische Ausbildungszeit in dem Betrieb absolviere, in dem bereits seine Ausbildung zum Bankkaufmann erfolgt sei, d.h. bei der B Bank.
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Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der von seinem Sohn angestrebte Berufsabschluss „Bachelor of Arts“ nur über ein Fachhochschulstudium erreicht werden könne.
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Insoweit weist der Kläger darauf hin, dass im Jahr 2010 eine Ausbildung in Form eines dualen Studienganges nicht möglich gewesen sei. Zum damaligen Zeitpunkt habe sein Sohn das Berufsziel allein durch Absolvierung einer Ausbildung als Bankkaufmann und einem darauf aufbauenden Fachhochschulstudium erreichen können. Inzwischen sei das Ausbildungsziel im dualen System durch theoretische und praktische Ausbildungszeiten im Rahmen einer einheitlichen Ausbildung erreichbar.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.08.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.11.2017 zu verpflichten, ihm Kindergeld für seinen am ….01.1992 geborenen Sohn A für die Monate Mai 2013 bis Januar 2017 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld nicht.
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Eine einheitliche Erstausbildung sei nicht gegeben.
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Das Bachelorstudium bei der ADG Business School an der Steinbeis-Hochschule Berlin stehe in keinem engen sachlichen Zusammenhang zur ersten Berufsausbildung. Zur Höherqualifizierung würden an besonderen Akademien weiterführende Studiengänge zum Bankfachwirt oder Bankbetriebswirt angeboten. Im Streitfall sei die Erstausbildung mit dem Bestehen der Prüfung zum Bankkaufmann objektiv beendet gewesen.
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Ferner bestehe kein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten.
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Nach der aktuellen Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz wirkten Erklärungen, die eine Absicht glaubhaft machen sollen, erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Erklärung bei der Familienkasse. Die Erklärung, dass das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht sei, müsse daher spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts bei der Familienkasse eingehen.
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Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt. Der Kläger habe zu Beginn der Banklehre seines Sohnes mit Schreiben vom 28.09.2010 mitgeteilt, dass die Berufsausbildung seines Sohnes voraussichtlich im Januar 2013 ende. Eine Mitteilung darüber, dass sein Sohn ein anderes oder weiteres Berufsziel anstrebe, sei weder zu diesem Zeitpunkt noch nach Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Januar 2013 erfolgt. Eine derartige Erklärung sei erstmals im Juli 2017 abgegeben worden, was nach der Dienstanweisung jedoch nicht ausreichend sei.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Der Ablehnungsbescheid vom 01.08.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.11.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn der Kläger hat in den Monaten Mai 2013 bis Januar 2017 einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für seinen am ….01.1992 geborenen Sohn A, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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1. Der Senat hat ausschließlich über den Kindergeldanspruch in der Zeit von Mai 2013 bis Januar 2017 befunden, da der Kläger den Streitzeitraum durch seinen Klageantrag – zutreffend – auf diese Monate begrenzt hat und das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO ferner nicht über den Klageantrag hinausgehen darf. Auch der Ablehnungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung beschränken sich auf diese Monate. Da der Kläger im außergerichtlichen Verfahren weitergehende Anträge gestellt und die Kindergeldgewährung bereits ab dem Monat Februar 2013 begehrt hatte, steht insoweit noch eine Entscheidung der Beklagten aus.
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2. Der Sohn des Klägers ist im Streitzeitraum, d.h. von Mai 2013 bis Januar 2017, im Rahmen der Kindergeldgewährung zu berücksichtigen, da er in diesem Zeitraum eine Ausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG absolvierte und noch keine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen hatte.
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Gemäß §§ 62 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld unter anderem für ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Handelt es sich um eine Ausbildung nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums, wird das Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG aber nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG sind allerdings bestimmte Erwerbstätigkeiten unschädlich, und zwar solche mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, Ausbildungsdienstverhältnisse und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der §§ 8, 8a des Sozialgesetzbuchs 4. Buch (SGB IV).
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a) In Berufsausbildung befindet sich, wer „sein Berufsziel“ noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des „angestrebten“ Berufs geeignet sind. Hierbei braucht die Ausbildungsmaßnahme die Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen. Insoweit wird der Tatbestand der Berufsausbildung auch nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betrieben wird (BFH-Urteile vom 02.04.2009 III R 85/08, BStBl II 2010, 298; vom 21.01.2010 III R 68/08, BFH/NV 2010, 872 und vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278).
36 So liegt es im Streitfall.
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Das Bachelorstudium im Bereich Business Administration mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“ bei der ADG Business School stellt eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar. Die Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“ ist das Ausbildungsziel von A. Das Studium vermittelt ihm die hierzu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Grundlage des avisierten Ausbildungsziels sind. Dies ist den Informationen über das Bachelorstudium auf der Internetseite der ADG Business School sowie der Bestätigung der B Bank vom 08.01.2018 zu entnehmen.
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Anhaltspunkte dafür, dass der Sohn des Klägers das Bachelorstudium während des Streitzeitraums nicht ernsthaft und nachhaltig betrieben hat, was das Vorliegen einer Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ausschließen würde, bestehen nicht. A hat die Regelstudienzeit von drei Jahren zwar überschritten. Er blieb jedoch weiterhin an der Steinbeis-Hochschule immatrikuliert und setzte sein Bachelorstudium bis zum erfolgreichen Abschluss im März 2018 fort. Dies belegen die Immatrikulationsbescheinigung der Steinbeis-Hochschule vom 18.04.2017, die Bescheinigung der B Bank vom 08.01.2018 sowie die Angaben von A in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Insbesondere dem vorgenannten Schreiben der B Bank ist zu entnehmen, dass von einer Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsmaßnahme ausgegangen werden kann. Denn als Arbeitgeberin hätte die B Bank den Sohn des Klägers kaum weiter gefördert, wenn sie Zweifel an der Motivation ihres Mitarbeiters und dem Erreichen des Bachelorabschlusses durch diesen gehabt hätte.
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b) Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Erwerbstätigkeit von A im Umfang von 39 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit ausgeschlossen. Denn A hatte im Streitzeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Bachelorstudium stellt vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG war die Erwerbstätigkeit nicht anspruchsausschließend und eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG entfällt.
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aa) Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z. B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein. Dies folgt unter anderem aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG („Kind, das für einen Beruf ausgebildet wird“) engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteile vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152; vom 03.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166 und vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278; BFH-Beschluss vom 29.08.2017 IX B 57/17, BFH/NV 2018, 22).
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Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum „Verbrauch“ der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteile vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615 und vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163, BFH-Beschluss vom 29.08.2017 IX B 57/17, BFH/NV 2018, 22).
42
Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z. B. dieselbe Berufssparte oder derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist es erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteile vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615 und vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163).
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Der Bundesfinanzhof hat insoweit entschieden, dass der notwendige enge Zusammenhang regelmäßig nicht mehr vorliegt, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts voraussetzt, dass vorher eine Berufstätigkeit bzw. berufspraktische Erfahrung ausgeübt wurde (BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615, betreffend ein Studium an der VWA, welches eine berufspraktische Tätigkeit von in der Regel nicht unter einem Jahr voraussetzte). Gleiches gilt, wenn das Kind den zweiten Ausbildungsabschnitt erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginnt, welche nicht nur der zeitlichen Überbrückung dient (BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615; BFH-Beschluss vom 29.08.2017 IX B 57/17, BFH/NV 2018, 22; FG Saarland, Urteil vom 15.02.2017 2 K 1290/16, juris - Revision anhängig unter III 43/17; FG Düsseldorf, Urteil vom 06.12.2017 2 K 1605/17 Kg, juris - Revision anhängig unter III R 3/18 Niedersächsisches FG, Urteil vom 17.10.2017 13 K 76/17, juris).
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In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde diese Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass eine einheitliche Erstausbildung stets dann nicht mehr gegeben ist, wenn der erstrebte weitere Abschluss voraussetzt, dass vor Ablegung des Abschlusses eine Berufstätigkeit bzw. eine berufspraktische Erfahrung ausgeübt wurde. Das gelte unabhängig davon, ob die Berufstätigkeit vor Beginn der zweiten und zu dem weiteren Abschluss führenden Ausbildungsmaßnahme ausgeübt wird, oder ob die Berufstätigkeit und die weitere Ausbildungsmaßnahme parallel aufgenommen werden (FG Münster, Urteile vom 23.05.2017 1 K 2410/16 Kg, juris - BFH-Urteil vom 11.04.2018 III R 18/17, nicht veröffentlicht und 1 K 3050/16 Kg, juris - Revision anhängig unter III R 47/17, betrifft die weitere Ausbildung einer Steuerfachangestellten zur Betriebswirtin bzw. Bilanzbuchhalterin; FG Münster, Urteil vom 14.12.2017 3 K 2536/17 Kg, juris - Revision anhängig unter III R 2/18, betrifft die weitere Ausbildung einer Bankkauffrau zur staatlich geprüften Betriebswirtin; FG Münster, Urteil vom 17.01.2018 3 K 2555/17 KG, juris; anders: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.6.2017 5 K 2388/15, juris). Sehe eine Ausbildungsordnung vor, dass der Betreffende berufspraktische Erfahrungen in einem erlernten Beruf in einem nicht untergeordneten zeitlichen Ausmaß sammeln und vorweisen können soll, bevor er einen weiteren Berufsabschluss absolvieren darf, übe dieser während dieser berufspraktischen Zeit eine berufliche Tätigkeit aus und befinde sich gerade nicht mehr in einer Berufsausbildungsphase. Die praktische Berufstätigkeit stelle daher eine entsprechende Zäsur zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten dar (FG Münster, Urteile vom 23.05.2017 1 K 2410/16 Kg, juris - BFH-Urteil vom 11.04.2018 III R 18/17, nicht veröffentlicht und 1 K 3050/16 Kg, juris - Revision anhängig unter III R 47/17).
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bb) Ausgehend von den durch den Bundesfinanzhof entwickelten Rechtsgrundsätzen und deren Konkretisierung durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat der erste berufsqualifizierende Abschluss von A zum Bankkaufmann noch nicht zu einem „Abschluss der erstmaligen Berufsausbildungn“ im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geführt.
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Das Bachelorstudium im Bereich Business Administration mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“ steht in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme als Bankkaufmann bei der B Bank.
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Das vom Sohn des Klägers angestrebte Berufsziel „Bachelor of Arts“ konnte dieser im Streitfall nur über eine weitere Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung erreichen, da es zu Beginn seiner Banklehre im Jahr 2010 noch keine Ausbildung in Form eines dualen Studiengangs gab. Um den Abschluss „Bachelor of Arts“ zu erlangen, war A daher auf ein weiterführendes Studium angewiesen, das auf seiner Ausbildung als Bankkaufmann aufbaut. Dass dies bezogen auf das Bachelorstudium bei der ADG Business School an der Steinbeis-Hochschule der Fall ist, ergibt sich aus den Informationen zu den Studieninhalten auf den Internetseiten der Steinbeis-Hochschule und der ADG Business School sowie der Bescheinigung der B Bank vom 08.01.2018. Mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“ baut der Studiengang auf der Banklehre auf und bereitet zudem auf eine spätere höherwertige Tätigkeit in der Finanzbranche vor.
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Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausbildung als Bankkaufmann und dem Bachelorstudium an der Steinbeis-Hochschule ist ebenfalls gegeben. A hat sich bereits vor Abschluss seiner Banklehre über das Studium im Bereich Business Administration mit dem Schwerpunkt „Management & Finance“ bei der ADG Business School informiert und sich nach Beendigung seiner Bankausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. für das Sommersemester, an der Steinbeis-Hochschule immatrikuliert. Dass A seine schriftliche Bewerbung erst am 19.04.2013 abgesandt hat, steht der Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs nicht entgegen, da die Bewerbungsfrist für das Sommersemester noch nicht abgelaufen war, A insbesondere im März 2013 in einem regelmäßigen Kontakt zur Hochschule stand, er sich bereits einen Studienplatz am Standort Montabaur hatte reservieren lassen und er die ADG Business School ferner darüber informiert hatte, dass er noch offene Fragen mit seiner Arbeitgeberin klären müsse.
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Der enge Zusammenhang scheitert im Streitfall des Weiteren nicht daran, dass die Aufnahme des Bachelorstudiums bei der ADG Business School nach § 3 der Rahmenstudienordnung der Steinbeis-Hochschule neben der allgemeinen Hochschulreife eine mindestens zweijährige Berufserfahrung voraussetzt, denn die Erfahrung kann nach der Studienordnung sowohl in der Praxis als auch der Ausbildung erworben werden. Da die geforderte mindestens zweijährige Berufserfahrung auch durch eine entsprechende Ausbildung nachgewiesen werden kann, hatte der Sohn des Klägers die Zugangs-voraussetzungen für das Bachelorstudium bereits während seiner Ausbildung zum Bankkaufmann, und zwar nach einer zweijährigen Ausbildungszeit, erfüllt. Die allgemeine Hochschulreife hatte er bereits vor der Aufnahme der Banklehre erworben. Die erforderliche praktische Berufstätigkeit stellt daher im Streitfall keine Zäsur im Sinne der Rechtsprechung dar.
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Nach den vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätzen entfällt eine einheitliche Erstausbildung, wenn der erstrebte weitere Abschluss voraussetzt, dass vor Ablegung des Abschlusses eine Berufstätigkeit bzw. eine berufspraktische Erfahrung ausgeübt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob die Berufstätigkeit vor Beginn der zweiten und zu dem weiteren Abschluss führenden Ausbildungsmaßnahme ausgeübt wird, oder ob die Berufstätigkeit und die weitere Ausbildungsmaßnahme parallel aufgenommen werden.
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Der Senat versteht diese Rechtsprechung – unter Berücksichtigung der Sachverhalte, die den jeweiligen Entscheidungen zugrunde lagen – so, dass die dort benannte, zu einer Zäsur führende und damit anspruchsausschließende Berufstätigkeit jeweils außerhalb der ersten Ausbildungsmaßnahme ausgeübt werden muss. In dem Verfahren III R 14/15 (Urteil vom 04.02.2016, BStBl II 2016, 615) hatte der Bundesfinanzhof über einen Fall zu entscheiden, in dem für das berufsbegleitende Studium neben einer kaufmännischen Ausbildung eine einjährige Berufstätigkeit vorausgesetzt wurde. In dem vom Finanzgericht Münster entschiedenen Verfahren 3 K 2536/17 (Urteil vom 14.12.2017, juris) wurde unter anderem mindestens ein Jahr Berufserfahrung in dem Ausbildungsberuf voraussetzt, wobei das Jahr auch während des zweiten Ausbildungsabschnitts abgeleistet werden konnte. Gleiches gilt für den Fall, der dem vom Finanzgericht Münster entschiedenen Verfahren 1 K 2410/16 (Urteil vom 23.05.2017, juris) zugrunde lag. Auch der vor dem Finanzgericht Düsseldorf verhandelte Fall 2 K 1605/17 (Urteil vom 06.12.2017, juris) setzte unter anderem eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuer- und Rechnungswesens von mindestens drei Jahren bei einem Steuerberater etc. voraus.
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Vorliegend liegt der Sachverhalt insoweit anders, als die für die Zulassung notwendige mindestens zweijährige Berufserfahrung bereits durch Absolvierung des ersten Ausbildungsabschnitts – hier der Ausbildung zum Bankkaufmann – abgeleistet werden kann. Die Berufserfahrung ist – anders als in den zuvor zitierten Fällen – nicht vor oder während des zweiten Ausbildungsabschnitts zu sammeln. Der Sohn des Klägers erfüllte daher bereits zu Beginn seines Bachelorstudiums alle Zulassungsvoraussetzungen.
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3. Der Kindergeldanspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger seinen Antrag erst im Juli 2017 gestellt hat. Denn die Festsetzungsfrist für die streitigen Monate Mai 2013 bis Januar 2017 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen.
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Die ab dem 01.01.2018 geltende Regelung des § 66 Abs. 3 EStG, nach der Kindergeld rückwirkend längstens für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld bei der Familienkasse eingegangen ist, ist nicht einschlägig. Sie gilt erst für die ab dem 01.01.2018 eingehenden Kindergeldanträge.
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Ferner sind etwaigen Regelungen in der Dienstanweisung der Familienkasse für das Gericht nicht bindend.
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4. Die Kostenentscheidung basiert auf § 135 Abs. 1 FGO.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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6. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung sowie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Denn beim Bundesfinanzhof sind derzeit mehrere Revisionsverfahren zu der Frage anhängig, ob eine während des zweiten Ausbildungsabschnitts parallel ausgeübte Erwerbstätigkeit immer eine schädliche Zäsur bildet, die eine Erstausbildung entfallen lässt, auch wenn die Erwerbstätigkeit neben der Ausbildungsmaßnahme Voraussetzung für den angestrebten Abschluss ist (vgl. z. B. BFH III R 19/18, BFH III R 18/18, BFH III R 12/18 und BFH III R 8/18). Ferner ist gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 11.04.2018 9 K 2210/17 (juris), in dem das Gericht eine streng objektive Auslegung des Begriffs „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ vorgenommen hat, unter dem Aktenzeichen III R 41/18 Revision eingelegt worden.