16.01.2020 · IWW-Abrufnummer 213599
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 04.12.2019 – XII ZB 392/19
Hat das Beschwerdegericht in einem Betreuungsverfahren ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, ist der Betroffene vor der Entscheidung erneut persönlich anzuhören (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 24. Juli 2019 - XII ZB 160/19 -FamRZ 2019, 1735und vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 -FamRZ 2016, 300).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2019 durch die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 9. August 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Der Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers.
2
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens für den Betroffenen eine Betreuung mit einer Überprüfungsfrist bis spätestens April 2026 eingerichtet und die weitere Beteiligte als Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst die Gesundheitssorge einschließlich der Zustimmung zu einer ärztlichen Heilbehandlung, die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge ohne Kontovollmacht, Wohnungsangelegenheiten sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen zu ihrem fachärztlichen Gutachten zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Einrichtung der Betreuung.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
4
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht unter Verstoß gegen §§ 278 Abs. 1 Satz 1 , 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG ohne persönliche Anhörung des Betroffenen entschieden hat.
5
Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem ergänzenden Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, so ist eine erneute Anhörung des Betroffenen dagegen geboten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. Juli 2019 - XII ZB 160/19 -FamRZ 2019, 1735Rn. 11 und vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 -FamRZ 2016, 300Rn. 9).
6
Danach durfte das Landgericht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nicht absehen, weil es seine Entscheidung ausdrücklich auf die von ihm eingeholte ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen vom 14. Juni 2019 gestützt hat.
7
Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Beschwerdegericht bei erneuter Anhörung des Betroffenen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
Klinkhammer
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Krüger