19.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215755
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 22.11.2019 – L 13 SB 389/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht NRW
22.11.2019
Tenor:
Der Antrag auf Übernahme der Kosten des nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens von Dr. B aus L vom 02.03.2015 auf die Landeskasse wird abgelehnt.
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Gründe:
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I.
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Streitgegenstand des zugrunde liegenden Klage- und Berufungsverfahrens ist die Feststellung eines GdB von 50 rückwirkend ab Antragstellung im Mai 2009 gewesen.
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Im Klageverfahren sind von Amts wegen neben diversen Behandlungsunterlagen Sachverständigengutachten des Internisten Dr. L und des Orthopäden Dr. E eingeholt worden. Dr. E hat eine maßgeblich durch eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke geprägte Beeinträchtigung der unteren Extremitäten mit einem Einzel-GdB von 30, Dr. L ein Lungenleiden mit einem Einzel-GdB von schwach 30 und den GdB insgesamt mit 40 bewertet. Im Hinblick auf eine vom behandelnden Orthopäden Ende 2012 dokumentierte Verschlechterung der Kniegelenksbeweglichkeit haben der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten und Dr. E den Einzel-GdB für die unteren Extremitäten sodann als starken Einzel-GdB von 30 und den GdB insgesamt mit 50 beurteilt. Eine vergleichsweise Feststellung eines GdB von 50 ab November 2012 hat der Kläger aber abgelehnt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.05.2014 insgesamt abgewiesen, da auch ein starker Einzel-GdB von 30 durch einen schwachen Einzel-GdB von 30 nicht auf 50 erhöht werde.
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Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 ab Antragstellung begehrt. Bei zwei Einzel-GdB von 30 sei hier ein Gesamt-GdB von 50 anzunehmen. Der seinerzeit zuständige Senat hat zunächst darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt seien.
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Im Oktober 2014 hat der Kläger mitgeteilt, dass im Mai 2014 eine operative Pankreasteilresektion durchgeführt worden sei, die ihn zu einem Diabetiker mache. Die Beklagte hat hierzu weitere Ermittlungen für nötig gehalten. Der Kläger hat erklärt, die Beklagte solle auf Grundlage der neuen Befunde eine rückwirkende Überprüfung der angefochtenen Bescheide durchführen. Im Hinblick auf eine Erwerbsminderungsrente sei es für ihn entscheidend, dass ein GdB von 50 zu einem Zeitpunkt vor November 2010 festgestellt werde. Sollte die Beklagte sich zu einer solchen rückwirkenden Prüfung bereit erklären, könne das anhängige Verfahren für erledigt erklärt werden. Die Beklagte hat sich zu einer rückwirkenden Überprüfung bereit erklärt, jedoch darauf hingewiesen, dass die neuen Befunde kaum zu einer rückwirkenden Änderung ab Antragstellung führen würden.
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Daraufhin hat der Kläger nach § 109 SGG die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Chirurgen, Unfall- und Sozialmediziners Dr. B aus L beantragt und auf Anforderung des Gerichts einen Kostenvorschuss in Höhe von 2.400 EUR eingezahlt. Dr. B hat unter dem 02.03.2015 sein Gutachten vorgelegt und 2.390,48 EUR in Rechnung gestellt. Dr. B hat in seinem Gutachten den Einzel-GdB für die unteren Extremitäten mit 50 und den GdB insgesamt bis 2014 mit 60 und ab dann mit 70 bewertet. Das Knieleiden sei schon 2009 so ausgeprägt gewesen wie derzeit.
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Nach weiteren Ermittlungen des damals zuständigen Senats zu den Folgen der Pankreasteilresektion hat die Beklagte sich bereit erklärt, ab Mai 2014 einen GdB von 70 anzunehmen. Zum einen liege ab der Operation ein insulinpflichtiger Diabetes vor, der mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sei. Zum anderen sei angesichts der von Dr. B erhobenen Befunde zur Beweglichkeit des Kniegelenkes eine Verschlimmerung dieses Leidens anzunehmen. Auch der Einzel-GdB für die unteren Extremitäten sei nun mit 40 zu bewerten. Die Beteiligten haben in einem Erörterungstermin am 04.05.2016 einen entsprechenden Teilvergleich geschlossen, in dessen Rahmen auch das Merkzeichen G anerkannt worden ist.
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Nach weiteren Ermittlungen des damals zuständigen Senats zur Entwicklung der Kniegelenksbeschwerden hat dieser die verbliebene und auf die Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab Antragstellung gerichtete Berufung mit Urteil vom 16.11.2016 zurückgewiesen. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts sei zutreffend gewesen. Seinerzeit habe der GdB 40 betragen. Erst die Pankreas-OP und die Verschlechterung der Kniegelenksbeweglichkeit hätten zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse geführt, wobei offen bleiben könne, ob die von Dr. B erhobenen Befunde tatsächlich einen Einzel-GdB von 40 für die unteren Extremitäten rechtfertigten. Die nun noch begehrte weiter rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 komme jedenfalls nicht in Betracht. Die gegenteiligen Ausführungen von Dr. B seien in keiner Weise nachvollziehbar und stünden in offenkundigem Widerspruch zur Aktenlage. Es bestünden grundlegende Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Dr. B.
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Am 01.08.2019 hat die Klägerin die Übernahme der Kosten des Gutachtens von Dr. B auf die Staatskasse beantragt. Durch Präsidiumsbeschluss vom 22.10.2019 ist die Sache dem erkennenden Senat zugewiesen worden.
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II.
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Über die endgültige Tragung der Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 109 Rn. 16). Zuständig ist das Gericht, das das Gutachten eingeholt hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 18) und im vorliegenden Fall einer Erledigung durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung der Senat. Einer Zuständigkeit des Berichterstatters nach § 155 Abs. 2 Satz 1 SGG steht entgegen, dass das vorbereitende Verfahren mit Beginn der abschließenden mündlichen Verhandlung beendet worden ist (vgl. Keller, a.a.O., § 155 Rn. 8).
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Bei der Ermessensentscheidung wird berücksichtigt, ob das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat, was wiederum dann regelmäßig angenommen wird, wenn deswegen ein Vergleich geschlossen oder ein Anerkenntnis abgegeben wird (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 16a; Pitz, in: jurisPK-SGG, Stand: 28.02.2019, § 109 Rn. 37; Udsching, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl. 2016, III Rn. 101). Trotz eines Anerkenntnisses soll eine Kostenübernahme bei Mangelhaftigkeit des Gutachtens ausscheiden (Pitz, a.a.O.). Eine Übernahme soll dagegen erfolgen, wenn eigentlich eine weitere Ermittlung von Amts wegen geboten gewesen wäre (Müller, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 109 Rn. 29), etwa wenn das Gutachten nach § 109 SGG eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes belegt, da sich auch hierauf die von Amts wegen durchzuführende Sachaufklärung hätte beziehen müssen (Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl. 2014, § 109 Rn. 11 a.E.). In Abweichung von dieser letztgenannten Auffassung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 06.06.2018 (L 13 SB 241/15) die Kostenübernahme in einem Fall abgelehnt, in dem die durch das Gutachten nach § 109 SGG festgestellte Verschlimmerung erst deutlich nach Abschluss der Sachaufklärung von Amts wegen eingetreten war.
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Im Anschluss an diese Rechtsprechung sieht der Senat hier keine wesentliche Förderung der Sachaufklärung durch das Gutachten nach § 109 SGG.
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Zwar war der von Dr. B erhobene Befund zur Kniegelenksbeweglichkeit ausweislich der entsprechenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen mitursächlich für das Angebot der Beklagten, ab Mai 2014 einen GdB von 70 festzustellen. Die (Mit-) Ursächlichkeit eines Gutachtens nach § 109 SGG für ein Angebot der Gegenseite führt aber auch nach der h.M. nicht zwingend zu einer Kostenübernahme.
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Gegen eine Kostenübernahme sprechen zunächst die vom damals erkennenden Senat in seinem Urteil vom 16.11.2016 formulierten erheblichen Zweifel an der Qualität des Gutachtens und der Unvoreingenommenheit des Gutachters nach § 109 SGG, denen sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt.
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Hinzu kommt, dass zu Beginn des Berufungsverfahrens weder nach Aktenlage, noch nach dem klägerischen Vorbringen Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung bzw. Höherbewertung des Knieleidens vorlagen. Der Kläger ging in seiner Berufungsbegründung offenbar selbst von der Richtigkeit der Bewertung des Knieleidens mit einem Einzel-GdB von 30 aus. Er wandte sich lediglich gegen die Bildung des Gesamt-GdB durch das Sozialgericht. Später machte er dann eine Höherbewertung aufgrund der Folgen der Pankreasteilresektion geltend. Der von Dr. B erhobene Befund zur Kniegelenksbeweglichkeit ist damit einem Zufallsbefund vergleichbar. Der erkennende Senat hat in dem bereits angeführten Beschluss vom 06.06.2018 (L 13 SB 241/15) ausgeführt, dass eine Kostenübernahme im Wesentlichen bei Fehlerhaftigkeit der von Amts wegen eingeholten Gutachten bzw. bei sonstiger Fehlerhaftigkeit der von Amts wegen erfolgenden Sachaufklärung naheliegt. Fehlt es aber an Hinweisen auf die Verschlechterung eines Leidens und macht selbst der Kläger eine solche nicht geltend, dann liegt im Unterlassen einer entsprechenden Sachaufklärung kein Fehler des Gerichts.
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Schließlich hat der Kläger bis zum Vorliegen des Gutachtens von Dr. B lediglich die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Abgesehen davon, dass die Beklagte bereits im Klageverfahren die Feststellung eines solchen GdB angeboten hatte, waren die von Dr. B erhobenen Befunde für eine Feststellung eines GdB von 50 ab Mai 2014 nicht erforderlich, da die Beklagte diesen schon allein aufgrund des Hinzutretens der Folgen der Pankreasteilresektion festgestellt hätte. Dies zeigt sich ohne Weiteres daran, dass die Beklagte nach entsprechender Sachaufklärung durch das Gericht die Folgen der Pankreasteilresektion mit einem Einzel-GdB von 40 bewertete. Dieser führte auch aus Sicht der Beklagten zur Anhebung des bereits anerkannten Gesamt-GdB von 40. Noch bedeutsamer ist, dass es dem Kläger ausdrücklich um die rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 ab einem Zeitpunkt vor November 2010 wegen deren rentenrechtlicher Bedeutung ging. Nur deshalb hatte er der erstinstanzlich von der Beklagten vergleichsweise vorgeschlagenen Feststellung eines GdB von 50 ab 2012 nicht zugestimmt, nur deshalb war er zu Beginn des Berufungsverfahrens vorübergehend bereit, bei einer Überprüfung der angefochtenen Bescheide nach § 44 SGB X das Verfahren für erledigt zu erklären und nur deshalb war auch nach dem Teilvergleich noch eine Entscheidung des damals zuständigen Senats erforderlich.
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Auch wenn also der von Dr. B erhobene Befund zu einem teilweisen Erfolg führte, der noch vom formalen Streitgegenstand erfasst gewesen sein dürfte, war dieser Teilerfolg für den Kläger allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Der betreffende Befund stellte sich gleichsam als Zufallsbefund dar. Eine fälschliche Behandlung des Verfahrens durch das Gericht lag nicht vor. Das Gutachten nach § 109 SGG war zumindest im Übrigen unverwertbar. Damit hat dieses Gutachten die Sachaufklärung nicht wesentlich (!) gefördert und ist eine Übernahme der Kosten dieses Gutachtens auf die Landeskasse nicht geboten.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
RechtsgebietEntschädigungs-/Schwerbehindertenrecht