20.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221826
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 25.03.2021 – 4 Ws 53/21
Unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG) ist der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Rechtmäßigkeit einer dreimonatigen Zwangsmedikation (zweimalige Injektion) gemäß § 17 a MRVG NRW auf 2.000 € festzusetzen.
Oberlandesgericht Hamm
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 01.09.2020 wird aufgehoben und der Streitwert auf bis zu 2.000 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden insoweit nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
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I.
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Der Beschwerdeführer vertritt den seit dem 06.09.2016 nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Betroffenen, der an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) leidet. Da sich die psychotische Symptomatik des Betroffenen seit Mitte Juni 2019 deutlich verschlechtert hatte, beabsichtigte die Klinik, den Betroffenen zur Erreichung seiner Entlassfähigkeit entgegen seinem Willen mit 150 mg Haloperidol-Dec. (3 ml) i. m. alle drei Wochen zunächst für die Dauer von drei Monaten zu behandeln. Hiergegen stellte der Betroffene mit Eingaben vom 21.11.2019, 29.11.2019 und 02.01.2020 Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn mit Beschluss vom 27.01.2020 als unbegründet zurückwies. Gegen diesen ‒ ihm am 06.02.2020 zugestellten ‒ Beschluss legte der Betroffenen mit Schreiben vom 18.02.2020 Rechtsbeschwerde ein. Im Verfahren vor dem 1. Strafsenat des OLG Hamm (Az. III-1 Vollz(Ws) 81/20) wurde dem Betroffenen sodann der Verteidiger beigeordnet und zudem Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Verteidiger legte für den Betroffenen mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.03.2020 erneut Rechtsbeschwerde ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 20.03.2020. Mittlerweile war allerdings die angeordnete und am 11.12.2019 sowie am 02.01.2020 bereits erfolgte Zwangsmedikation mit dem Medikament Haldol nicht weiter fortgesetzt worden, da der Betroffene seit geraumer Zeit eine orale Gabe des Medikaments Abilify akzeptiert hatte. Daher beantragte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.03.2020 nun festzustellen, dass die erfolgte Anordnung der Zwangsmedikation rechtswidrig gewesen sei. Mit Beschluss vom 17.06.2020 verwies der 1. Senat des OLG Hamm die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Feststellungsantrag des Betroffenen zurück an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Paderborn.
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Mit Beschluss vom 01.09.2020 wies das Landgericht Paderborn den Antrag auf gerichtliche Entscheidung erneut als unbegründet zurück und setzte den Verfahrenswert auf bis zu 500 € fest. Dieser Beschluss ist in der Hauptsache seit dem 11.10.2020 rechtskräftig.
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Mit Schriftsatz vom 18.02.2021 legte der Verteidiger gegen den Beschluss vom 01.09.2020 (isolierte) Streitwertbeschwerde ein und beantragte, den Streitwert auf 5.000 € heraufzusetzen. Er ist der Ansicht, im vorliegenden Fall biete der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltpunkte, so dass gemäß § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. § 60 GKG ein Streitwert von 5.000 € anzusetzen sei. Falls das Gericht die Auffassung vertrete, dass doch eine Streitwertbestimmung nach § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. § 60 GKG zu erfolgen habe, sei bei der Streitwertbemessung die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen zu berücksichtigen, die ein Erfolg des Antrags für den Untergebrachten gehabt hätte. Bei der Anordnung der Zwangsmedikation handele es sich um einen Eingriff in die Grundrechte des Untergebrachten.
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Mit Beschluss vom 09.03.2021 half das Landgericht Paderborn der Streitwertbeschwerde nicht ab und legte die Sache dem Senat zu Entscheidung vor. Es beruft sich für die Bemessung des Streitwertes auf die geringe finanzielle Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen, weshalb der der Streitwert in Strafvollzugssachen eher niedrig festzusetzen sei, da die Bemessung des Streitwerts aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen dürfe, dass die Anrufung des Gerichts mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden sei. Vom Bundesverfassungsgericht sei ein noch deutlich unter 500 € liegender Streitwert in Höhe von 200 € nicht beanstandet worden. Da die Zwangsmedikation einen spürbaren Grundrechtseingriff für den Unterbrachten bedeute, sei der Streitwert vorliegend auf mehr als 200 € festgesetzt worden. Andererseits handele es sich letztlich nur um eine einzelne Behandlungsmaßnahme im Rahmen des Maßregelvollzuges und der Untergebrachte verfüge praktisch über keine eigenen finanziellen Mittel.
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II.
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Die Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts Paderborn vom 01.09.2020 ist zulässig; sie wurde insbesondere innerhalb der Sechs-Monatsfrist nach Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung (§ 68 Abs. 1 Satz 3 GKG i. V. m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) eingelegt.
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Die Beschwerde hat auch in der Sache teilweise Erfolg. Der Streitwert war im vorliegenden Fall zwar nicht antragsgemäß auf 5.000 €, aber zumindest auf 2.000 € festzusetzen (§§ 65 S. 1, 60 Halbsatz 1, 52 Abs. 1 GKG).
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Der Senat hat sich bei der Wertfestsetzung an der sich aus dem Antrag des Betroffenen für ihn ergebenden Bedeutung der Sache orientiert (§ 52 Abs. 1 GKG). Die subsidiäre Regelung des § 52 Abs. 2 GKG war nicht anzuwenden, da der Sach- und Streitstand genügende Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG bietet.
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Bei der Streitwertbestimmung war nach § 52 Abs. 1 i. V. m. § 60 Halbsatz 1 GKG die hier besonders hoch anzusetzende Tragweite der Entscheidung für den Untergebrachten zu berücksichtigen.
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Dem Landgericht Paderborn ist zwar insoweit zuzustimmen, als der Streitwert in Straf- und Maßregelvollzugssachen angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen bzw. Untergebrachten wegen des Kostenrisikos eher niedrig festzusetzen ist, allerdings muss dieser aber bei Mitwirkung eines Verteidigers zumindest so hoch bemessen sein, dass die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheint. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit der Wahl eines Rechtsanwalts seines Vertrauens faktisch genommen wird (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2019, Az. 2 Ws 767/18 Voll m. w. N.).
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Soweit das Landgericht Paderborn ausführt, das Bundesverfassungsgericht habe sogar einen Streitwert von 200 € nicht beanstandet, greift dieses Argument schon deswegen nicht durch, weil das Bundesverfassungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit in der zitierten Entscheidung zur Angemessenheit der Höhe eines Streitwerts von 200 € inhaltlich gerade keine Stellung genommen hat. Die Festsetzung des Streitwerts auf 500 € statt auf 200 € bietet im Übrigen hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Verteidiger keine Vorteile, da sowohl § 13 Abs. 1 Satz 1 RVG als auch § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG den ersten Gebührensprung erst bei 500 € ansetzen.
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Unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG) durch die angeordnete dreimonatige Zwangsmedikation und aufgrund der Tatsache, dass dem Betroffenen das Medikament Haloperidol bereits zweimal injiziert worden war, ist der Streitwert im konkreten Fall auf bis zu 2.000 € festzusetzen.