26.01.2022 · IWW-Abrufnummer 227128
Landessozialgericht Thüringen: Urteil vom 14.10.2021 – L 5 SB 1259/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
THÜRINGER LANDESSOZIALGERICHT
Az: L 5 SB 1259/19
Az: S 36 SB 2075/19
- Sozialgericht Gotha ‒
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
…
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigter: …
…
gegen
…………..
…………..
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
hat der 5. Senat des Thüringer Landessozialgerichts durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. xxx, die Richterin am Landessozialgericht Dr. xxx und die Richterin am Landessozialgericht xxx sowie die ehrenamtliche Richterin xxx und die ehrenamtliche Richterin xxx aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2021
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 10. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises.
Der 1977 geborene Kläger beantragte am 04. März 1991 beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt die Feststellung von Behinderungen.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 (Bl. 65 d. VwA.) wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht festgestellt. Mit Bescheid vom 08. März 2002 (Bl. 78 d. VwA.) wurde neben der Hörbehinderung mit Sprachbehinderung eine neu hinzugekommene operativ behandelte Erkrankung des rechten Hodens festgestellt. Zudem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der Gehörlosigkeit vorliegen.
Den Angaben des Klägers im Schreiben vom 01. Januar 2014 (Bl. 106 d. A.) zufolge war ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden. Mit diesem Schreiben beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen Schwerbehindertenausweises (entsprechend Muster 5 zu § 9 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i. d. F. des Gesetzes vom 07. Juni 2012, BGBl. I 2012, S. 1275). Dieser Ausweis wurde auf fünf Jahre befristet ausgestellt. Der gegen die Befristung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 (Bl. 114 d. VwA.) zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 03. März 2019 beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen unbefristeten Ausweises. Gegen die neuerliche Befristung erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2019 „Einspruch“ (Bl. 118 d. VwA.). Dieser wurde durch Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2019 (Bl. 122 d. VwA.) als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 05. August 2019 Klage zum Sozialgericht. Das Sozialgericht hat die auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2019 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2019 abgewiesen.
Gegen den am 30. Oktober 2019 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, die am 12. November 2019 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Er macht geltend, eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten bzw. ausgeschlossen. Die Befristung des Ausweises bedeute für ihn einen erheblichen Mehraufwand, der sich nicht nur in der Übersendung eines neuen Passbildes an den Beklagten erschöpfe, vielmehr entstünde ein Mehraufwand im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses und im Hinblick auf das Finanzamt. Bei der Regelung seiner Angelegenheiten sei er auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 10. Oktober 2019 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis auszustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 04. April 2019 darauf hingewiesen worden, dass er lediglich der Versorgungsverwaltung ein neues Passbild übersenden müsse, ohne dass es einer erneuten Antragstellung bedürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist nicht erfolgreich. Er hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises.
Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch und in diesem Umfang der Gerichtsbescheid. Den erstinstanzlich vom Sozialgericht angenommenen Antrag auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2015 (der sich allerdings in der Klageschrift nicht ausdrücklich findet), den der Kläger aber dann im Berufungsantrag zunächst aufgegriffen hat, verfolgt der Kläger nicht weiter.
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Allerdings folgt das nicht schon daraus, dass ‒ wie das Sozialgericht angenommen hat ‒ die Klage unzulässig wäre. Die Ausführungen im Gerichtsbescheid begründen keinen Tatbestand, der zur Unzulässigkeit der auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises gerichteten Klage führt.
Die auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig. Eine Anfechtungsklage kommt nicht in Betracht, denn bei der Befristung der Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises handelt es sich nicht um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt im Sinne des § 32 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Schwerbehindertenausweis stellt mangels Regelung keinen Verwaltungsakt i. S. d. § 31 SGB X dar. Vielmehr weist er gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) lediglich als öffentliche Urkunde i. S. d. § 417 Zivilprozessordnung (ZPO), d. h. als schriftlich niedergelegte Erklärung der Versorgungsverwaltung, die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 11. August 2015, B 9 SB 2/15 R, m. w. N.; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. April 2016, Az.: L 10 SB 87/15, die Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des BSG vom 24. Oktober 2016, Az.: B 9 SB 42/16 B, zurückgewiesen). Eine konstitutive Bedeutung für die verlautbarten Feststellungen hat der Ausweis in aller Regel nicht; die Erteilung des Ausweises ist ein Realakt ohne weitergehenden Regelungsgehalt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Mai 2021, Az.: L 6 SB 242/20).
Der allgemeinen Leistungsklage fehlt es auch nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis unter dem Gesichtspunkt, dass der Aufwand für den Kläger lediglich darin bestünde, dem Beklagten ein Passbild zu übersenden oder dass zum Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft auch die Vorlage des Feststellungsbescheids ausreicht. Denn nach § 152 Abs. 5 Satz 2 SGB IX dient der Ausweis dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen zustehen, und die SchwbAwV sieht die Möglichkeit der Erteilung eines unbefristeten Ausweises ausdrücklich vor.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises. Aus dem Umstand, dass ihm ein (unbefristeter) Bescheid über das Bestehen einer Schwerbehinderung erteilt wurde, folgt nach geltendem Recht nicht zwangsläufig, dass er auch Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises hat, selbst wenn eine Änderung seines Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist. Ein entsprechender Anspruch folgt weder aus § 152 SGB IX noch aus Vorschriften der SchwbAwV.
Nach § 152 Abs. 5 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung und ggf. weitere gesundheitliche Merkmale aus. Nach der eindeutigen Formulierung handelt es sich dabei (wenn ein Feststellungsbescheid vorliegt) um einen Anspruch des behinderten Menschen (subjektiv-öffentliches Recht) auf Ausstellung des entsprechenden Ausweises und dementsprechend eine gebundene Entscheidung der Versorgungsverwaltung, ohne dass insoweit für die Behörde ein Ermessensspielraum besteht. Anders verhält es sich hingegen bei der Frage, ob der Ausweis unbefristet erteilt wird. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung „soll“ die Gültigkeitsdauer des Ausweises befristet werden (§ 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX). Im Regelfall soll also ein befristeter Ausweis erteilt werden. Ausnahmen dazu sind zwar möglich, werden im SGB IX aber nicht normiert. Das Wort „soll“ in § 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX versteht der Senat ‒ entsprechend dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht - so, dass die Behörde den Ausweis in der Regel befristen muss, sie jedoch in atypischen Fällen hiervon abweichen kann. Der Senat hält die Grundgedanken der vom BSG insoweit zu § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X angestellten Erwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2016, Az.: B 5 RE 1/15 R, Rn. 23 - juris) auf § 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX für übertragbar (auch wenn der Schwerbehindertenausweis kein Verwaltungsakt ist). Danach ermangelt es Sollvorschriften an einer abstrakt-generellen - die Verwaltung bindenden - normativen Letztentscheidung. Zwar ist bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet. Anders als bei einer Regelung, bei der die tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend durch den Gesetzgeber ausformuliert sind, kann der Leistungsträger indes - gleichsam im Sinne einer normativen Offenheit - in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein striktes Umsetzen von Normbefehlen Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht zwingend gewollt und mit Billigkeitsgesichtspunkten bzw. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen wären. Dabei ist in der Rechtsprechung des BSG seit langem geklärt, dass die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist. Ein Gericht muss, wenn der Leistungsträger einen Regelfall angenommen hat, selbst prüfen, ob ein solcher vorliegt; es darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergibt. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist stets nach dem Zweck der jeweiligen Regelung und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Mai 2018, Az.: B 13 R 3/17 R, Rn. 20 - juris).
Das bedeutet im Kontext des § 152 Abs. 5 SGB IX für die Annahme eines atypischen Falls, dass der für den Kläger mit der Beantragung eines neuen Schwerbehindertenausweises verbundene Aufwand vom Normalfall derart abweichen muss, dass der Kläger deutlich stärker belastet wird, als es bei den Schwerbehinderten der Fall ist, die nach Ablauf der Befristung regelmäßig die Ausstellung eines neuen Ausweises beantragen müssen.
Davon ist nicht schon allein dann auszugehen, wenn eine wesentliche Änderung in den dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden gesundheitlichen Verhältnissen des Schwerbehinderten nicht zu erwarten ist. Denn dieser Umstand hat mit dem Aufwand bei der Beantragung des Ausweises nichts zu tun. Derartige Konstellationen sind im Schwerbehindertenrecht häufig und können angesichts der eindeutigen gesetzlichen Handlungsanweisung zur Befristung des Ausweises nicht als atypisch angesehen werden.
Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände ist nicht von einem atypischen Fall auszugehen. Der Aufwand des Klägers beschränkt sich darauf, bei dem Beklagten die Ausstellung eines neuen Ausweises schriftlich zu beantragen (dass dafür - wie in der Klageschrift angegeben - neue Formulare ausgefüllt werden müssten, bestätigt sich aus der Verwaltungsakte nicht) und ein neues Passbild zu übersenden. Dass die Behinderungen des Klägers (hauptsächlich Gehörlosigkeit) diesen - primär durch Schriftwechsel geprägten - Vorgang außergewöhnlich erschweren, ist nicht erkennbar. Die Neuanfertigung von Passbildern ist nicht mit übermäßigen Belastungen verbunden und dürfte auch am Automaten erfolgen können. Die geschilderten Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber sind nicht nachvollziehbar und dürften durch Vorlage des Feststellungsbescheids vermieden werden können.
Auch aus § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV folgt kein Anspruch des Klägers auf Erteilung eines unbefristeten Ausweises. Nach dieser Vorschrift kann der Ausweis in Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend waren, nicht zu erwarten ist, unbefristet ausgestellt werden. Beim Kläger ist zwar davon auszugehen, dass eine Besserung seines Leidens nicht zu erwarten ist und dass er diese Voraussetzung erfüllt. Ein subjektives öffentliches Recht auf Ausstellung eines unbefristeten Ausweises ergibt sich aus § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV jedoch nicht.
Dazu ist unter dem Gesichtspunkt der Normenhierarchie zunächst in den Blick zu nehmen, dass es sich nicht um eine Gesetzesnorm handelt, sondern um eine verordnungsrechtliche Vorschrift. Diese basiert zwar auf einer gesetzlichen Ermächtigung, darf aber ihrerseits das (höherrangige) Gesetz nicht ändern, sondern nur im vorgegebenen Rahmen ausfüllen. Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV diesen Rahmen nicht überschreitet, indem er der Behörde die Möglichkeit gibt, einen unbefristeten Ausweis auszustellen (zweifelnd offenbar auch BSG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: B 9 SB 2/15 R, Rn. 26 juris: „entgegen der Sollvorschrift“).
Dem braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Selbst wenn die Vorschrift rechtmäßig ist, folgt aus ihr kein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers auf Erteilung eines unbefristeten Ausweises. Es spricht viel dafür, dass es sich bei dieser Regelung nicht um eine Ermessensvorschrift, sondern um ein reines "Kompetenz-Kann" zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung handelt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 8. Juli 2021, Az.: L 13 SB 368/18, Rn. 11 - juris). Denn die Regelung wurde mit der Begründung (BTDrs. 15/2557) geschaffen, es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb in Fällen einer erwiesenen dauerhaften Behinderung der Ausweis nur befristet ausgestellt werden könne (wie bis dahin zwingend vorgeschrieben).
Aber selbst wenn man in § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV eine Ermessensvorschrift sieht, ist die Berufung nicht erfolgreich. Ein Anspruch käme allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensreduzierung auf Null bzw. Eins in Betracht, also dann, wenn jede andere Maßnahme ermessensfehlerhaft wäre. Davon kann jedoch hier nicht ausgegangen werden, denn die vom Kläger geschilderten Umstände sind nicht so gravierend, dass allein die Erteilung eines unbefristeten Ausweises als rechtmäßig angesehen werden kann.
Auch der Vortrag des Klägers, in anderen Landkreisen bzw. in Hessen werde in vergleichbaren Fällen großzügig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, unbefristete Schwerbehindertenausweise zu erteilen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar ist es auch aus Sicht des Gerichts unbedingt wünschenswert, insoweit eine einheitliche Verwaltungspraxis herzustellen, solange der Gesetzgeber an der "Soll"-Vorschrift des § 152 Abs. 5 SGB IX festhält. Daraus lässt sich jedoch gegenüber dem Beklagten ein einklagbares subjektiv-öffentliches Recht auf eine ebenso großzügige Vorgehensweise wie bei anderen Behörden nicht ableiten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick darauf, dass dem Kläger früher einmal ein unbefristeter Ausweis erteilt worden war. Denn ‒ abgesehen davon, dass seitdem bereits sechs Jahre vergangen sind ‒ stellt dieser Umstand keine geeignete Grundlage für ein Vertrauen auf den Fortbestand dar und Änderungen im Feststellungsbescheid bleiben möglich (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: B 9 SB 2/15 R, Rn. 26 - juris).
An die Empfehlungen in den beiden vom Kläger vorgelegten Schreiben des Petitionsausschusses des Thüringer Landtags ist das Gericht nicht gebunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Sie muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Beschwerde in schriftlicher Form ist zu richten an das Bundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel bzw. das Bundessozialgericht, 34114 Kassel (nur Brief und Postkarte).
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) - vom 24. November 2017 (BGBl. I 2017, S. 3803) in der jeweils gültigen Fassung. Informationen hierzu können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
1. Rechtsanwälte
2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen
3. selbstständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nr. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu den Nr. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nr. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
In der Begründung muss dargelegt werden, dass
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- die Entscheidung von einer zu bezeichnenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- ein zu bezeichnender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Bei Zustellungen im Ausland gilt anstelle der oben genannten Beschwerdeeinlegungsfrist von einem Monat eine Frist von drei Monaten und anstelle der oben genannten Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten eine Frist von vier Monaten.
Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck ist kostenfrei bei allen Gerichten erhältlich. Er kann auch über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den Belegen innerhalb der Frist für die Einlegung der Beschwerde beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Ergänzende Hinweise
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um zwei weitere Abschriften. Dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Az: L 5 SB 1259/19
Az: S 36 SB 2075/19
- Sozialgericht Gotha ‒
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
…
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigter: …
…
gegen
…………..
…………..
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
hat der 5. Senat des Thüringer Landessozialgerichts durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. xxx, die Richterin am Landessozialgericht Dr. xxx und die Richterin am Landessozialgericht xxx sowie die ehrenamtliche Richterin xxx und die ehrenamtliche Richterin xxx aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2021
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 10. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises.
Der 1977 geborene Kläger beantragte am 04. März 1991 beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt die Feststellung von Behinderungen.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 (Bl. 65 d. VwA.) wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht festgestellt. Mit Bescheid vom 08. März 2002 (Bl. 78 d. VwA.) wurde neben der Hörbehinderung mit Sprachbehinderung eine neu hinzugekommene operativ behandelte Erkrankung des rechten Hodens festgestellt. Zudem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der Gehörlosigkeit vorliegen.
Den Angaben des Klägers im Schreiben vom 01. Januar 2014 (Bl. 106 d. A.) zufolge war ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden. Mit diesem Schreiben beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen Schwerbehindertenausweises (entsprechend Muster 5 zu § 9 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i. d. F. des Gesetzes vom 07. Juni 2012, BGBl. I 2012, S. 1275). Dieser Ausweis wurde auf fünf Jahre befristet ausgestellt. Der gegen die Befristung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 (Bl. 114 d. VwA.) zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 03. März 2019 beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen unbefristeten Ausweises. Gegen die neuerliche Befristung erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2019 „Einspruch“ (Bl. 118 d. VwA.). Dieser wurde durch Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2019 (Bl. 122 d. VwA.) als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 05. August 2019 Klage zum Sozialgericht. Das Sozialgericht hat die auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2019 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2019 abgewiesen.
Gegen den am 30. Oktober 2019 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, die am 12. November 2019 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Er macht geltend, eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten bzw. ausgeschlossen. Die Befristung des Ausweises bedeute für ihn einen erheblichen Mehraufwand, der sich nicht nur in der Übersendung eines neuen Passbildes an den Beklagten erschöpfe, vielmehr entstünde ein Mehraufwand im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses und im Hinblick auf das Finanzamt. Bei der Regelung seiner Angelegenheiten sei er auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 10. Oktober 2019 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis auszustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 04. April 2019 darauf hingewiesen worden, dass er lediglich der Versorgungsverwaltung ein neues Passbild übersenden müsse, ohne dass es einer erneuten Antragstellung bedürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist nicht erfolgreich. Er hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises.
Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch und in diesem Umfang der Gerichtsbescheid. Den erstinstanzlich vom Sozialgericht angenommenen Antrag auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2015 (der sich allerdings in der Klageschrift nicht ausdrücklich findet), den der Kläger aber dann im Berufungsantrag zunächst aufgegriffen hat, verfolgt der Kläger nicht weiter.
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Allerdings folgt das nicht schon daraus, dass ‒ wie das Sozialgericht angenommen hat ‒ die Klage unzulässig wäre. Die Ausführungen im Gerichtsbescheid begründen keinen Tatbestand, der zur Unzulässigkeit der auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises gerichteten Klage führt.
Die auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig. Eine Anfechtungsklage kommt nicht in Betracht, denn bei der Befristung der Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises handelt es sich nicht um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt im Sinne des § 32 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Schwerbehindertenausweis stellt mangels Regelung keinen Verwaltungsakt i. S. d. § 31 SGB X dar. Vielmehr weist er gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) lediglich als öffentliche Urkunde i. S. d. § 417 Zivilprozessordnung (ZPO), d. h. als schriftlich niedergelegte Erklärung der Versorgungsverwaltung, die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 11. August 2015, B 9 SB 2/15 R, m. w. N.; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. April 2016, Az.: L 10 SB 87/15, die Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des BSG vom 24. Oktober 2016, Az.: B 9 SB 42/16 B, zurückgewiesen). Eine konstitutive Bedeutung für die verlautbarten Feststellungen hat der Ausweis in aller Regel nicht; die Erteilung des Ausweises ist ein Realakt ohne weitergehenden Regelungsgehalt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Mai 2021, Az.: L 6 SB 242/20).
Der allgemeinen Leistungsklage fehlt es auch nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis unter dem Gesichtspunkt, dass der Aufwand für den Kläger lediglich darin bestünde, dem Beklagten ein Passbild zu übersenden oder dass zum Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft auch die Vorlage des Feststellungsbescheids ausreicht. Denn nach § 152 Abs. 5 Satz 2 SGB IX dient der Ausweis dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen zustehen, und die SchwbAwV sieht die Möglichkeit der Erteilung eines unbefristeten Ausweises ausdrücklich vor.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises. Aus dem Umstand, dass ihm ein (unbefristeter) Bescheid über das Bestehen einer Schwerbehinderung erteilt wurde, folgt nach geltendem Recht nicht zwangsläufig, dass er auch Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises hat, selbst wenn eine Änderung seines Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist. Ein entsprechender Anspruch folgt weder aus § 152 SGB IX noch aus Vorschriften der SchwbAwV.
Nach § 152 Abs. 5 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung und ggf. weitere gesundheitliche Merkmale aus. Nach der eindeutigen Formulierung handelt es sich dabei (wenn ein Feststellungsbescheid vorliegt) um einen Anspruch des behinderten Menschen (subjektiv-öffentliches Recht) auf Ausstellung des entsprechenden Ausweises und dementsprechend eine gebundene Entscheidung der Versorgungsverwaltung, ohne dass insoweit für die Behörde ein Ermessensspielraum besteht. Anders verhält es sich hingegen bei der Frage, ob der Ausweis unbefristet erteilt wird. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung „soll“ die Gültigkeitsdauer des Ausweises befristet werden (§ 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX). Im Regelfall soll also ein befristeter Ausweis erteilt werden. Ausnahmen dazu sind zwar möglich, werden im SGB IX aber nicht normiert. Das Wort „soll“ in § 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX versteht der Senat ‒ entsprechend dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht - so, dass die Behörde den Ausweis in der Regel befristen muss, sie jedoch in atypischen Fällen hiervon abweichen kann. Der Senat hält die Grundgedanken der vom BSG insoweit zu § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X angestellten Erwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2016, Az.: B 5 RE 1/15 R, Rn. 23 - juris) auf § 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX für übertragbar (auch wenn der Schwerbehindertenausweis kein Verwaltungsakt ist). Danach ermangelt es Sollvorschriften an einer abstrakt-generellen - die Verwaltung bindenden - normativen Letztentscheidung. Zwar ist bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet. Anders als bei einer Regelung, bei der die tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend durch den Gesetzgeber ausformuliert sind, kann der Leistungsträger indes - gleichsam im Sinne einer normativen Offenheit - in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein striktes Umsetzen von Normbefehlen Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht zwingend gewollt und mit Billigkeitsgesichtspunkten bzw. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen wären. Dabei ist in der Rechtsprechung des BSG seit langem geklärt, dass die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist. Ein Gericht muss, wenn der Leistungsträger einen Regelfall angenommen hat, selbst prüfen, ob ein solcher vorliegt; es darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergibt. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist stets nach dem Zweck der jeweiligen Regelung und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Mai 2018, Az.: B 13 R 3/17 R, Rn. 20 - juris).
Das bedeutet im Kontext des § 152 Abs. 5 SGB IX für die Annahme eines atypischen Falls, dass der für den Kläger mit der Beantragung eines neuen Schwerbehindertenausweises verbundene Aufwand vom Normalfall derart abweichen muss, dass der Kläger deutlich stärker belastet wird, als es bei den Schwerbehinderten der Fall ist, die nach Ablauf der Befristung regelmäßig die Ausstellung eines neuen Ausweises beantragen müssen.
Davon ist nicht schon allein dann auszugehen, wenn eine wesentliche Änderung in den dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden gesundheitlichen Verhältnissen des Schwerbehinderten nicht zu erwarten ist. Denn dieser Umstand hat mit dem Aufwand bei der Beantragung des Ausweises nichts zu tun. Derartige Konstellationen sind im Schwerbehindertenrecht häufig und können angesichts der eindeutigen gesetzlichen Handlungsanweisung zur Befristung des Ausweises nicht als atypisch angesehen werden.
Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände ist nicht von einem atypischen Fall auszugehen. Der Aufwand des Klägers beschränkt sich darauf, bei dem Beklagten die Ausstellung eines neuen Ausweises schriftlich zu beantragen (dass dafür - wie in der Klageschrift angegeben - neue Formulare ausgefüllt werden müssten, bestätigt sich aus der Verwaltungsakte nicht) und ein neues Passbild zu übersenden. Dass die Behinderungen des Klägers (hauptsächlich Gehörlosigkeit) diesen - primär durch Schriftwechsel geprägten - Vorgang außergewöhnlich erschweren, ist nicht erkennbar. Die Neuanfertigung von Passbildern ist nicht mit übermäßigen Belastungen verbunden und dürfte auch am Automaten erfolgen können. Die geschilderten Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber sind nicht nachvollziehbar und dürften durch Vorlage des Feststellungsbescheids vermieden werden können.
Auch aus § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV folgt kein Anspruch des Klägers auf Erteilung eines unbefristeten Ausweises. Nach dieser Vorschrift kann der Ausweis in Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend waren, nicht zu erwarten ist, unbefristet ausgestellt werden. Beim Kläger ist zwar davon auszugehen, dass eine Besserung seines Leidens nicht zu erwarten ist und dass er diese Voraussetzung erfüllt. Ein subjektives öffentliches Recht auf Ausstellung eines unbefristeten Ausweises ergibt sich aus § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV jedoch nicht.
Dazu ist unter dem Gesichtspunkt der Normenhierarchie zunächst in den Blick zu nehmen, dass es sich nicht um eine Gesetzesnorm handelt, sondern um eine verordnungsrechtliche Vorschrift. Diese basiert zwar auf einer gesetzlichen Ermächtigung, darf aber ihrerseits das (höherrangige) Gesetz nicht ändern, sondern nur im vorgegebenen Rahmen ausfüllen. Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV diesen Rahmen nicht überschreitet, indem er der Behörde die Möglichkeit gibt, einen unbefristeten Ausweis auszustellen (zweifelnd offenbar auch BSG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: B 9 SB 2/15 R, Rn. 26 juris: „entgegen der Sollvorschrift“).
Dem braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Selbst wenn die Vorschrift rechtmäßig ist, folgt aus ihr kein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers auf Erteilung eines unbefristeten Ausweises. Es spricht viel dafür, dass es sich bei dieser Regelung nicht um eine Ermessensvorschrift, sondern um ein reines "Kompetenz-Kann" zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung handelt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 8. Juli 2021, Az.: L 13 SB 368/18, Rn. 11 - juris). Denn die Regelung wurde mit der Begründung (BTDrs. 15/2557) geschaffen, es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb in Fällen einer erwiesenen dauerhaften Behinderung der Ausweis nur befristet ausgestellt werden könne (wie bis dahin zwingend vorgeschrieben).
Aber selbst wenn man in § 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV eine Ermessensvorschrift sieht, ist die Berufung nicht erfolgreich. Ein Anspruch käme allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensreduzierung auf Null bzw. Eins in Betracht, also dann, wenn jede andere Maßnahme ermessensfehlerhaft wäre. Davon kann jedoch hier nicht ausgegangen werden, denn die vom Kläger geschilderten Umstände sind nicht so gravierend, dass allein die Erteilung eines unbefristeten Ausweises als rechtmäßig angesehen werden kann.
Auch der Vortrag des Klägers, in anderen Landkreisen bzw. in Hessen werde in vergleichbaren Fällen großzügig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, unbefristete Schwerbehindertenausweise zu erteilen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar ist es auch aus Sicht des Gerichts unbedingt wünschenswert, insoweit eine einheitliche Verwaltungspraxis herzustellen, solange der Gesetzgeber an der "Soll"-Vorschrift des § 152 Abs. 5 SGB IX festhält. Daraus lässt sich jedoch gegenüber dem Beklagten ein einklagbares subjektiv-öffentliches Recht auf eine ebenso großzügige Vorgehensweise wie bei anderen Behörden nicht ableiten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick darauf, dass dem Kläger früher einmal ein unbefristeter Ausweis erteilt worden war. Denn ‒ abgesehen davon, dass seitdem bereits sechs Jahre vergangen sind ‒ stellt dieser Umstand keine geeignete Grundlage für ein Vertrauen auf den Fortbestand dar und Änderungen im Feststellungsbescheid bleiben möglich (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: B 9 SB 2/15 R, Rn. 26 - juris).
An die Empfehlungen in den beiden vom Kläger vorgelegten Schreiben des Petitionsausschusses des Thüringer Landtags ist das Gericht nicht gebunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Sie muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Beschwerde in schriftlicher Form ist zu richten an das Bundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel bzw. das Bundessozialgericht, 34114 Kassel (nur Brief und Postkarte).
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) - vom 24. November 2017 (BGBl. I 2017, S. 3803) in der jeweils gültigen Fassung. Informationen hierzu können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
1. Rechtsanwälte
2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen
3. selbstständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nr. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu den Nr. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nr. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
In der Begründung muss dargelegt werden, dass
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- die Entscheidung von einer zu bezeichnenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- ein zu bezeichnender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Bei Zustellungen im Ausland gilt anstelle der oben genannten Beschwerdeeinlegungsfrist von einem Monat eine Frist von drei Monaten und anstelle der oben genannten Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten eine Frist von vier Monaten.
Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck ist kostenfrei bei allen Gerichten erhältlich. Er kann auch über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den Belegen innerhalb der Frist für die Einlegung der Beschwerde beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Ergänzende Hinweise
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um zwei weitere Abschriften. Dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.