26.01.2022 · IWW-Abrufnummer 227130
LSG Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 13.10.2021 – L 6 KR 8/18
1. Der Senat folgt der ständigen Rechtsprechung des BSG zur zeitabschnittsweisen Entstehung und Bewilligung von Krankengeldansprüchen, wie sie schon zur Vorgängervorschrift § 182 Abs 3 S 1 RVO entwickelt wurde (BSG vom 18.3.1966 - 3 RK 58/62 = BSGE 24, 278 = SozR Nr 16 zu § 182 RVO, vom 22.3.2005 - B 1 KR 22/04 R = BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr 6 und vom 29.10.2020 - B 3 KR 6/20 R = SozR 4-2500 § 46 Nr 11).
2. Da der Gesetzgeber in Kenntnis dieser seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsprechung mit Wirkung zum 23.7.2015 die Auswirkungen der Rechtsprechung lediglich gemindert, § 46 SGB V hingegen nicht neu geregelt hat, hat er diese Rechtsprechung zumindest mittelbar bestätigt.
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern
Tenor:
Außergerichtliche Kosten sind von den Beteiligten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2
Die am … 1984 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
3
Die Klägerin war vom 16. März 2015 bis zum 15. März 2016 befristet beschäftigt und bezog für ihr Kind und sich ergänzend Leistungen nach dem SGB II (Zeitraum 01. Februar 2016 bis 31. März 2017). Das zuständige Jobcenter meldete zwischenzeitlich Erstattungsansprüche bei der Beklagten an.
4
Am 02. März 2016 wurde die Klägerin zur vollstationären Behandlung im ortsansässigen Klinikum aufgenommen. Die vollstationäre Behandlung endete am 22. März 2016. An-schließend wurde eine teilstationäre Behandlung bis zum 21. April 2016 (Donnerstag) durchgeführt. Die am selben Tag von der Klinik ausgestellte „Aufnahmebescheinigung/Mitteilung an den Arbeitgeber“ enthält keine Angaben zur Entlassung als arbeitsfähig bzw. arbeitsunfähig.
5
Am 25. April 2016 (Montag) stellte DM L., FÄ für Allgemeinmedizin, rückwirkend eine Erstbescheinigung über eine bestehende Arbeitsunfähigkeit (Diagnose F33.2) für den Zeitraum ab dem 22. April 2016 bis voraussichtlich zum 10. Mai 2016 aus.
6
Die Klägerin erhielt von ihrem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung bis zum 15. März 2016. Für die Folgezeit beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zahlung von Krankengeld (KG). Diese gewährte ihr mit Bescheid vom 14. April 2016 wegen der ab dem 02. März 2016 bestehenden Arbeitsunfähigkeit (AU) KG ab dem 16. März 2016 in Höhe von kalendertäglich 25,89 EUR brutto.
7
Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 lehnte die Beklagte die KG-Zahlung für die Zeit ab dem 22. April 2016 ab, da die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nur noch ohne Anspruch auf KG versichert gewesen sei. Erst am 25. April 2016 sei eine Erstbescheinigung mit AU ab dem 22. April 2016 ausgestellt worden. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Krankengeldanspruch sei deshalb nur bis zum 21. April 2016 erhalten geblieben.
8
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 31. Mai 2016 Widerspruch ein, den die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 05. August 2016 als unbegründet zurückwies. Nach § 44 Abs. 1 SGB V bestehe ein Anspruch auf KG, wenn die Krankheit Versicherte arbeitsunfähig mache. Nach der Rechtsprechung des BSG bestimme das bei Entstehen eines KG-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang einen Anspruch auf KG habe. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entstehe der Anspruch auf KG seit der mit Wirkung zum 23. Juli 2015 eingetretenen Gesetzesänderung von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an, während zuvor der Tag relevant gewesen sei, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU erfolgt sei. Der Anspruch auf KG bleibe nach § 46 Satz 2 SGB V jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolge. Gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestehe die Mitgliedschaft für die Dauer des KG-Bezuges fort. Die Mitgliedschaft sei vorliegend bis zum 21. April 2016 wegen des Bezuges von KG erhalten geblieben. Hier sei nicht entsprechend der Gesetzeslage spätestens am 22. April 2016, sondern erst am 25. April 2016 die weitere AU ärztlich festgestellt worden. Am 25. April 2016 hätten die Voraussetzungen für die KG-Zahlung jedoch nicht mehr vorgelegen, insbesondere keine Mitgliedschaft mit Anspruch auf KG mehr bestanden, da die Klägerin Alg II bezogen habe und aufgrund dessen ohne KG-Anspruch pflichtversichert gewesen sei.
9
Gegen den Bescheid vom 18. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2016 richtet sich die am 08. September 2016 beim Sozialgericht (SG) Neubrandenburg erhobene Klage. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei am 22. April 2016 krankheitsbedingt bettlägerig gewesen, weshalb ihre AU nicht habe festgestellt werden können.
10
Die Klägerin hat beantragt,
11
den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an sie Krankengeld nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Zeit ab dem 22. April 2016 bis zum 10. Mai 2016 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden Bezug genommen.
15
Die am 30. November 2017 in der mündlichen Verhandlung vom SG angehörte Klägerin hat bestätigt, dass ihr bis zum 10. Mai 2016 AU bescheinigt worden sei. Danach habe sie sich nicht mehr bei einem Arzt vorgestellt.
16
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. November 2017 stattgegeben und die Berufung zugelassen.
17
Die zulässige Klage sei begründet. Die vorgenannten Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Zahlung von KG auch für den o. g. streitigen Zeitraum. Die Beklagte habe gemäß §§ 130 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG sowie § 44 SGB V ‒ wie von der Klägerin beantragt und das Gericht gemäß § 123 SGG bindend ‒ zur Leistung dem Grunde nach verurteilt werden können, weil sie eine Leistung in Geld begehrt habe.
18
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von KG nach Maßgabe der §§ § 44 Abs. 1, § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der hier maßgeblichen, vom 23. Juli 2015 bis 10. Mai 2019 geltenden Fassung i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V seien gegeben. Die Pflichtversicherung der Klägerin bei der Beklagten sei am 15. März 2016 nicht gemäß § 190 Abs. 2 SGB V zugleich mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses beendet worden, denn infolge ihres mitgliedschaftserhaltenen Anspruchs auf Krankengeld sei die Klägerin gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V über den 15. März 2016 und auch über den 21. April 2016 hinaus Versicherte der Beklagten geblieben, was vom SG weiter ausgeführt worden ist. Zur Begründung des KG-Anspruchs reiche es neben den weiteren hier vorliegenden Voraussetzungen aus, dass der KG-Anspruch mit Beginn der stationären Behandlung entstanden sei. Im Zeitraum vom 02. März 2016 bis 10. Mai 2016 habe die Arbeitsunfähigkeit angedauert und damit der KG-Anspruch fortbestanden. Die Beklagte habe zudem zwischenzeitlich keine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X getroffen. Der gegenteiligen Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) zur abschnittsweisen Gewährung von KG sei nicht zu folgen, was vom SG unter Bezugnahme auf den Wortlaut der einschlägigen Vorschriften und auf Entscheidungen mehrerer Instanzgerichte eingehend begründet worden ist. Die im Tenor ausgesprochene Begrenzung des Anspruchs im Hinblick auf ein Erlöschen wegen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen sei wegen § 107 Abs. 1 SGB X erfolgt.
19
Gegen dieses der Beklagten am 22. Dezember 2017 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 17. Januar 2018. Das Urteil des SG missachte die ständige Rechtsprechung des BSG zur abschnittsweisen Gewährung von Krankengeld und sei deshalb aufzuheben. Vorliegend sei kein gesetzlicher Ausnahmefall gemäß § 46 Satz 2 SGG gegeben. Freitag, der 22. April 2016, sei ein Werk- und kein Feiertag gewesen. Es liege auch keine vom BSG anerkannte Ausnahmesituation vor. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin an diesem Tag handlungs- oder geschäftsunfähig gewesen sei.
20
Die Beklagte beantragt,
21
das Urteil des Sozialgerichts vom 30. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
22
Die Klägerin beantragt,
23
die Berufung zurückzuweisen.
24
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist auf ihren bisherigen Sachvortrag.
25
Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 hat der vormalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass er wegen „Informationsmangels“ mit sofortiger Wirkung das Mandat niederlege.
26
Mit gerichtlichem Schreiben vom 06. Oktober 2020 hat der Senat der Klägerin Hinweise zur Sach- und Rechtslage erteilt und die Rücknahme der Klage insbesondere deshalb angeregt, weil ihre Einlassung, sie sei am 22. April 2016 bettlägerig gewesen und habe keinen Arzt aufsuchen können, nicht näher begründet worden und überdies vor dem Hintergrund der Entlassung aus der tagesklinischen Behandlung am Vortag auch nicht nachvollziehbar sei. Hierauf hat die Klägerin nicht reagiert.
27
Der Senat konnte trotz Nichterscheinens der Klägerin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Die Klägerin war ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung ist auf die Möglichkeit einer Entscheidung im Falle ihres Ausbleibens hingewiesen worden.
28
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung (des bei wirtschaftlicher Betrachtung aus Sicht der Klägerin entbehrlichen) erstinstanzlichen Urteils.
29
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2016. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da sie für den Zeitraum vom 16. August 2016 bis 16. September 2016 kein KG beanspruchen kann.
30
Nach § 44 Abs.1 S.1 SGB V haben Versicherte dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert und arbeitsunfähig sind. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt.
31
Die Beschäftigung der Klägerin und damit grundsätzlich auch die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten im Rahmen der Beschäftigtenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V endete mit Ablauf des 15. März 2016. Im Anschluss blieb die Mitgliedschaft mit Anspruch auf KG gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur solange erhalten, wie die Klägerin Anspruch auf KG hatte, was die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankenhausbehandlung oder durch fristgerechte Feststellung von Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt voraussetzt. Die Klägerin war zunächst bis einschließlich 21. April 2016 infolge ihrer zunächst voll-, dann teilstationären KH-Behandlung kraft Gesetzes arbeitsunfähig. Alle Formen der Krankenhausbehandlung (Ausnahme ist die ambulante Behandlung gemäß § 115b SGB V ‒ Ambulantes Operieren im Krankenhaus) gelten als „stationär in einem Krankenhaus“ im Sinne des Gesetzes. Das bedeutet, dass der Krankengeldanspruch in den Fällen vollstationärer, (vorliegend) teilstationärer, vor- und nachstationärer Krankenhausbehandlung gegeben ist, ohne dass die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt werden muss. Für den KG-Anspruch wird der Krankenhausbehandlung folglich die gleiche Rechtswirkung wie die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit beigemessen (vgl. hierzu Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 09/20, § 44 SGB V, juris Rn. 30).
32
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war für die Aufrechterhaltung des KG-Anspruchs die gesonderte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich. Gemäß § 46 S. 2 SGB V in der ab 23. Juli 2015 geltenden Fassung bleibt der Anspruch auf KG jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, wobei Samstage insoweit nicht als Werktage gelten. Damit hätte der Klägerin spätestens am 22. April 2016 eine ärztliche AUB ausgestellt werden müssen, um den Anspruch auf KG zu erhalten. Dies geschah jedoch unstreitig erst am Montag, den 25. April 2016.
33
Eine Ausnahmesituation für eine ausnahmsweise rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gemäß den vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Die Klägerin ist ihrer Obliegenheit, alles in ihrer Macht Stehende und ihm Zumutbare zu tun, um ihre Ansprüche zu wahren, nicht nachgekommen.
34
Der Senat folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur zeitabschnittsweisen Entstehung und Bewilligung von Krankengeldansprüchen, wie sie schon zur Vorgängervorschrift § 182 Abs. 3 Satz 1 Reichsversicherungsordnung entwickelt wurde (BSG, Urteil vom 18. März 1966 ‒ 3 RK 58/62; BSG, Urteil vom 22. März 2005 ‒ B 1 KR 22/04 R; zuletzt BSG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‒ B 3 KR 6/20 R). Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG ist die Überlegung, dass KG-Ansprüche in der Regel nur zeitlich befristet entstehen. In der Praxis wird KG abschnittsweise entsprechend der bescheinigten voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit gezahlt. Hierin ist regelmäßig die Entscheidung der Krankenkasse zu sehen, dass ein KG-Anspruch für die Zeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit besteht; mit der KG-Bewilligung wird damit auch über das vorläufige Ende der KG-Bezugszeit entschieden, so dass ohne weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) der KG-Anspruch endet. Bei einer solchen abschnittsweisen KG-Zahlung ist das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen. Die Bewilligung von KG stellt keinen Verwaltungsakt für unbestimmte Dauer dar, weshalb es daher nach Ende der zeitlichen Befristung keines Aufhebungsbescheides nach § 48 SGB X bedarf. Vielmehr entsteht der KG-Anspruch nach Ablauf des bescheinigten Zeitraumes neu, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
35
Zwar ist die Rechtsprechung des BSG von den Instanzgerichten wiederholt kritisiert worden (LSG Nordrhein-Westfalen v. 17. Juli 2014 - L 16 KR 160/13; SG Trier v. 24. April 2013 ‒ S 5 KR 77/12; SG Mainz v. 24. September 2013 ‒ S 17 KR 247/12; SG Speyer v. 22. November 2013 - S 19 KR 600/11). Das BSG hat sich daraufhin erneut in mehreren Entscheidungen mit der Problematik befasst und ist unter Verweis auf die einer abweichenden Auslegung entgegenstehenden Norm des § 46 SGB V und wegen der zur Vermeidung von Leistungsmissbräuchen erforderlichen zeitnahen Überprüfung der behaupteten Arbeitsunfähigkeit bei seiner Rechtsauffassung geblieben (BSG, Urteile vom 16. Dezember 2014 ‒ B 1 KR 35/14 R; B 1 KR 31/14 R; B 1 KR 37/14 R; B 1 KR 19/14 R; B 1 KR 25/14 R). Der nach einer Änderung der Geschäftsverteilung derzeit zuständige 3. Senat des BSG hat sich wiederum mit der Problematik auseinandergesetzt und ebenfalls grundsätzlich daran festgehalten, dass aufgrund der Missbrauchsgefahr nahtlose AUBs vorliegen müssen, eine rückwirkende Bescheinigung nicht ausreicht und ggf. zu einem Verlust des gesamten Krankengeldanspruchs führen kann (BSG v. 11. Mai 2017 ‒ B 3 KR 22/15 R - juris Rn. 26 f.).
36
Da der Gesetzgeber in Kenntnis dieser seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsprechung des BSG mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ‒ GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 mit Wirkung zum 23. Juli 2015 die Auswirkungen der Rechtsprechung lediglich gemindert, § 46 SGB V hingegen nicht neu geregelt hat, hat er diese Rechtsprechung zumindest mittelbar bestätigt. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs 18/4095, S 80) ergibt sich, dass nicht die Geltung dieses Grundsatzes als solcher in Frage gestellt wurde, sondern den Versicherten lediglich ein Tag mehr für die Einholung der Anschlussbescheinigung eingeräumt werden sollte. Die auch vom erkennenden Senat vertretene Auffassung von der zeitabschnittsweisen Entstehung und Bewilligung von Krankengeldansprüchen wird somit auch vom Gesetzgeber geteilt.
37
Am 22. April 2016 war die Klägerin demnach nicht mehr aufgrund eines fortbestehenden Krankengeldanspruches mit einem solchen versichert. Ihr Versicherungsverhältnis aufgrund von Beschäftigung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V i. V. m. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) hat sich infolge des Bezugs von ALG-II als Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V fortgesetzt. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V ist mit dieser Mitgliedschaft kein Anspruch auf KG verbunden. Zugleich wird durch die (vorrangige) Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V der (subsidiäre) nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 SGB V verdrängt (vgl. Hentrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB § 19 SGB V Rn. 105 f. mit Hinweisen auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG).
38
Abschließend merkt der Senat an, dass das SG erstinstanzlich bereits auf eine unstreitige Erledigung des Rechtsstreits aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte hätte hinwirken können. Insoweit ist zu beachten, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum und auch im vorangegangenen Zeitraum mit Einkommen aus abhängiger Beschäftigung, wie es der KG-Berechnung zugrunde lag, ergänzend Leistungen nach dem SGB II bezogen hat und dementsprechend bei Gewährung von KG ein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden ist. Sofern ein Erstattungsanspruch aber besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten ‒ hier der Klägerin ‒ gegen die Beklagte als zur Leistung verpflichteter Leistungsträger gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Damit wäre der Klägerin ohnehin kein KG ausgezahlt worden.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 i. V. m. § 183 Satz 1 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
40
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG, insbesondere folgt der Senat der ständigen Rechtsprechung des BSG.
Urteil vom 13.10.2021
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 30. November 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind von den Beteiligten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist ein Krankengeldanspruch der Klägerin für die Zeit vom 22. April 2016 bis zum 10. Mai 2016.2
Die am … 1984 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
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Die Klägerin war vom 16. März 2015 bis zum 15. März 2016 befristet beschäftigt und bezog für ihr Kind und sich ergänzend Leistungen nach dem SGB II (Zeitraum 01. Februar 2016 bis 31. März 2017). Das zuständige Jobcenter meldete zwischenzeitlich Erstattungsansprüche bei der Beklagten an.
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Am 02. März 2016 wurde die Klägerin zur vollstationären Behandlung im ortsansässigen Klinikum aufgenommen. Die vollstationäre Behandlung endete am 22. März 2016. An-schließend wurde eine teilstationäre Behandlung bis zum 21. April 2016 (Donnerstag) durchgeführt. Die am selben Tag von der Klinik ausgestellte „Aufnahmebescheinigung/Mitteilung an den Arbeitgeber“ enthält keine Angaben zur Entlassung als arbeitsfähig bzw. arbeitsunfähig.
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Am 25. April 2016 (Montag) stellte DM L., FÄ für Allgemeinmedizin, rückwirkend eine Erstbescheinigung über eine bestehende Arbeitsunfähigkeit (Diagnose F33.2) für den Zeitraum ab dem 22. April 2016 bis voraussichtlich zum 10. Mai 2016 aus.
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Die Klägerin erhielt von ihrem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung bis zum 15. März 2016. Für die Folgezeit beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zahlung von Krankengeld (KG). Diese gewährte ihr mit Bescheid vom 14. April 2016 wegen der ab dem 02. März 2016 bestehenden Arbeitsunfähigkeit (AU) KG ab dem 16. März 2016 in Höhe von kalendertäglich 25,89 EUR brutto.
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Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 lehnte die Beklagte die KG-Zahlung für die Zeit ab dem 22. April 2016 ab, da die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nur noch ohne Anspruch auf KG versichert gewesen sei. Erst am 25. April 2016 sei eine Erstbescheinigung mit AU ab dem 22. April 2016 ausgestellt worden. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Krankengeldanspruch sei deshalb nur bis zum 21. April 2016 erhalten geblieben.
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Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 31. Mai 2016 Widerspruch ein, den die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 05. August 2016 als unbegründet zurückwies. Nach § 44 Abs. 1 SGB V bestehe ein Anspruch auf KG, wenn die Krankheit Versicherte arbeitsunfähig mache. Nach der Rechtsprechung des BSG bestimme das bei Entstehen eines KG-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang einen Anspruch auf KG habe. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entstehe der Anspruch auf KG seit der mit Wirkung zum 23. Juli 2015 eingetretenen Gesetzesänderung von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an, während zuvor der Tag relevant gewesen sei, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU erfolgt sei. Der Anspruch auf KG bleibe nach § 46 Satz 2 SGB V jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolge. Gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestehe die Mitgliedschaft für die Dauer des KG-Bezuges fort. Die Mitgliedschaft sei vorliegend bis zum 21. April 2016 wegen des Bezuges von KG erhalten geblieben. Hier sei nicht entsprechend der Gesetzeslage spätestens am 22. April 2016, sondern erst am 25. April 2016 die weitere AU ärztlich festgestellt worden. Am 25. April 2016 hätten die Voraussetzungen für die KG-Zahlung jedoch nicht mehr vorgelegen, insbesondere keine Mitgliedschaft mit Anspruch auf KG mehr bestanden, da die Klägerin Alg II bezogen habe und aufgrund dessen ohne KG-Anspruch pflichtversichert gewesen sei.
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Gegen den Bescheid vom 18. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2016 richtet sich die am 08. September 2016 beim Sozialgericht (SG) Neubrandenburg erhobene Klage. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei am 22. April 2016 krankheitsbedingt bettlägerig gewesen, weshalb ihre AU nicht habe festgestellt werden können.
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Die Klägerin hat beantragt,
11
den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an sie Krankengeld nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Zeit ab dem 22. April 2016 bis zum 10. Mai 2016 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden Bezug genommen.
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Die am 30. November 2017 in der mündlichen Verhandlung vom SG angehörte Klägerin hat bestätigt, dass ihr bis zum 10. Mai 2016 AU bescheinigt worden sei. Danach habe sie sich nicht mehr bei einem Arzt vorgestellt.
16
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. November 2017 stattgegeben und die Berufung zugelassen.
17
Die zulässige Klage sei begründet. Die vorgenannten Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Zahlung von KG auch für den o. g. streitigen Zeitraum. Die Beklagte habe gemäß §§ 130 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG sowie § 44 SGB V ‒ wie von der Klägerin beantragt und das Gericht gemäß § 123 SGG bindend ‒ zur Leistung dem Grunde nach verurteilt werden können, weil sie eine Leistung in Geld begehrt habe.
18
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von KG nach Maßgabe der §§ § 44 Abs. 1, § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der hier maßgeblichen, vom 23. Juli 2015 bis 10. Mai 2019 geltenden Fassung i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V seien gegeben. Die Pflichtversicherung der Klägerin bei der Beklagten sei am 15. März 2016 nicht gemäß § 190 Abs. 2 SGB V zugleich mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses beendet worden, denn infolge ihres mitgliedschaftserhaltenen Anspruchs auf Krankengeld sei die Klägerin gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V über den 15. März 2016 und auch über den 21. April 2016 hinaus Versicherte der Beklagten geblieben, was vom SG weiter ausgeführt worden ist. Zur Begründung des KG-Anspruchs reiche es neben den weiteren hier vorliegenden Voraussetzungen aus, dass der KG-Anspruch mit Beginn der stationären Behandlung entstanden sei. Im Zeitraum vom 02. März 2016 bis 10. Mai 2016 habe die Arbeitsunfähigkeit angedauert und damit der KG-Anspruch fortbestanden. Die Beklagte habe zudem zwischenzeitlich keine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X getroffen. Der gegenteiligen Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) zur abschnittsweisen Gewährung von KG sei nicht zu folgen, was vom SG unter Bezugnahme auf den Wortlaut der einschlägigen Vorschriften und auf Entscheidungen mehrerer Instanzgerichte eingehend begründet worden ist. Die im Tenor ausgesprochene Begrenzung des Anspruchs im Hinblick auf ein Erlöschen wegen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen sei wegen § 107 Abs. 1 SGB X erfolgt.
19
Gegen dieses der Beklagten am 22. Dezember 2017 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 17. Januar 2018. Das Urteil des SG missachte die ständige Rechtsprechung des BSG zur abschnittsweisen Gewährung von Krankengeld und sei deshalb aufzuheben. Vorliegend sei kein gesetzlicher Ausnahmefall gemäß § 46 Satz 2 SGG gegeben. Freitag, der 22. April 2016, sei ein Werk- und kein Feiertag gewesen. Es liege auch keine vom BSG anerkannte Ausnahmesituation vor. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin an diesem Tag handlungs- oder geschäftsunfähig gewesen sei.
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Die Beklagte beantragt,
21
das Urteil des Sozialgerichts vom 30. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
22
Die Klägerin beantragt,
23
die Berufung zurückzuweisen.
24
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist auf ihren bisherigen Sachvortrag.
25
Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 hat der vormalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass er wegen „Informationsmangels“ mit sofortiger Wirkung das Mandat niederlege.
26
Mit gerichtlichem Schreiben vom 06. Oktober 2020 hat der Senat der Klägerin Hinweise zur Sach- und Rechtslage erteilt und die Rücknahme der Klage insbesondere deshalb angeregt, weil ihre Einlassung, sie sei am 22. April 2016 bettlägerig gewesen und habe keinen Arzt aufsuchen können, nicht näher begründet worden und überdies vor dem Hintergrund der Entlassung aus der tagesklinischen Behandlung am Vortag auch nicht nachvollziehbar sei. Hierauf hat die Klägerin nicht reagiert.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz Nichterscheinens der Klägerin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Die Klägerin war ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung ist auf die Möglichkeit einer Entscheidung im Falle ihres Ausbleibens hingewiesen worden.
28
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung (des bei wirtschaftlicher Betrachtung aus Sicht der Klägerin entbehrlichen) erstinstanzlichen Urteils.
29
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2016. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da sie für den Zeitraum vom 16. August 2016 bis 16. September 2016 kein KG beanspruchen kann.
30
Nach § 44 Abs.1 S.1 SGB V haben Versicherte dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert und arbeitsunfähig sind. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt.
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Die Beschäftigung der Klägerin und damit grundsätzlich auch die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten im Rahmen der Beschäftigtenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V endete mit Ablauf des 15. März 2016. Im Anschluss blieb die Mitgliedschaft mit Anspruch auf KG gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur solange erhalten, wie die Klägerin Anspruch auf KG hatte, was die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankenhausbehandlung oder durch fristgerechte Feststellung von Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt voraussetzt. Die Klägerin war zunächst bis einschließlich 21. April 2016 infolge ihrer zunächst voll-, dann teilstationären KH-Behandlung kraft Gesetzes arbeitsunfähig. Alle Formen der Krankenhausbehandlung (Ausnahme ist die ambulante Behandlung gemäß § 115b SGB V ‒ Ambulantes Operieren im Krankenhaus) gelten als „stationär in einem Krankenhaus“ im Sinne des Gesetzes. Das bedeutet, dass der Krankengeldanspruch in den Fällen vollstationärer, (vorliegend) teilstationärer, vor- und nachstationärer Krankenhausbehandlung gegeben ist, ohne dass die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt werden muss. Für den KG-Anspruch wird der Krankenhausbehandlung folglich die gleiche Rechtswirkung wie die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit beigemessen (vgl. hierzu Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 09/20, § 44 SGB V, juris Rn. 30).
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Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war für die Aufrechterhaltung des KG-Anspruchs die gesonderte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich. Gemäß § 46 S. 2 SGB V in der ab 23. Juli 2015 geltenden Fassung bleibt der Anspruch auf KG jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, wobei Samstage insoweit nicht als Werktage gelten. Damit hätte der Klägerin spätestens am 22. April 2016 eine ärztliche AUB ausgestellt werden müssen, um den Anspruch auf KG zu erhalten. Dies geschah jedoch unstreitig erst am Montag, den 25. April 2016.
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Eine Ausnahmesituation für eine ausnahmsweise rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gemäß den vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Die Klägerin ist ihrer Obliegenheit, alles in ihrer Macht Stehende und ihm Zumutbare zu tun, um ihre Ansprüche zu wahren, nicht nachgekommen.
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Der Senat folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur zeitabschnittsweisen Entstehung und Bewilligung von Krankengeldansprüchen, wie sie schon zur Vorgängervorschrift § 182 Abs. 3 Satz 1 Reichsversicherungsordnung entwickelt wurde (BSG, Urteil vom 18. März 1966 ‒ 3 RK 58/62; BSG, Urteil vom 22. März 2005 ‒ B 1 KR 22/04 R; zuletzt BSG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‒ B 3 KR 6/20 R). Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG ist die Überlegung, dass KG-Ansprüche in der Regel nur zeitlich befristet entstehen. In der Praxis wird KG abschnittsweise entsprechend der bescheinigten voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit gezahlt. Hierin ist regelmäßig die Entscheidung der Krankenkasse zu sehen, dass ein KG-Anspruch für die Zeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit besteht; mit der KG-Bewilligung wird damit auch über das vorläufige Ende der KG-Bezugszeit entschieden, so dass ohne weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) der KG-Anspruch endet. Bei einer solchen abschnittsweisen KG-Zahlung ist das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen. Die Bewilligung von KG stellt keinen Verwaltungsakt für unbestimmte Dauer dar, weshalb es daher nach Ende der zeitlichen Befristung keines Aufhebungsbescheides nach § 48 SGB X bedarf. Vielmehr entsteht der KG-Anspruch nach Ablauf des bescheinigten Zeitraumes neu, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
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Zwar ist die Rechtsprechung des BSG von den Instanzgerichten wiederholt kritisiert worden (LSG Nordrhein-Westfalen v. 17. Juli 2014 - L 16 KR 160/13; SG Trier v. 24. April 2013 ‒ S 5 KR 77/12; SG Mainz v. 24. September 2013 ‒ S 17 KR 247/12; SG Speyer v. 22. November 2013 - S 19 KR 600/11). Das BSG hat sich daraufhin erneut in mehreren Entscheidungen mit der Problematik befasst und ist unter Verweis auf die einer abweichenden Auslegung entgegenstehenden Norm des § 46 SGB V und wegen der zur Vermeidung von Leistungsmissbräuchen erforderlichen zeitnahen Überprüfung der behaupteten Arbeitsunfähigkeit bei seiner Rechtsauffassung geblieben (BSG, Urteile vom 16. Dezember 2014 ‒ B 1 KR 35/14 R; B 1 KR 31/14 R; B 1 KR 37/14 R; B 1 KR 19/14 R; B 1 KR 25/14 R). Der nach einer Änderung der Geschäftsverteilung derzeit zuständige 3. Senat des BSG hat sich wiederum mit der Problematik auseinandergesetzt und ebenfalls grundsätzlich daran festgehalten, dass aufgrund der Missbrauchsgefahr nahtlose AUBs vorliegen müssen, eine rückwirkende Bescheinigung nicht ausreicht und ggf. zu einem Verlust des gesamten Krankengeldanspruchs führen kann (BSG v. 11. Mai 2017 ‒ B 3 KR 22/15 R - juris Rn. 26 f.).
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Da der Gesetzgeber in Kenntnis dieser seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsprechung des BSG mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ‒ GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 mit Wirkung zum 23. Juli 2015 die Auswirkungen der Rechtsprechung lediglich gemindert, § 46 SGB V hingegen nicht neu geregelt hat, hat er diese Rechtsprechung zumindest mittelbar bestätigt. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs 18/4095, S 80) ergibt sich, dass nicht die Geltung dieses Grundsatzes als solcher in Frage gestellt wurde, sondern den Versicherten lediglich ein Tag mehr für die Einholung der Anschlussbescheinigung eingeräumt werden sollte. Die auch vom erkennenden Senat vertretene Auffassung von der zeitabschnittsweisen Entstehung und Bewilligung von Krankengeldansprüchen wird somit auch vom Gesetzgeber geteilt.
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Am 22. April 2016 war die Klägerin demnach nicht mehr aufgrund eines fortbestehenden Krankengeldanspruches mit einem solchen versichert. Ihr Versicherungsverhältnis aufgrund von Beschäftigung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V i. V. m. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) hat sich infolge des Bezugs von ALG-II als Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V fortgesetzt. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V ist mit dieser Mitgliedschaft kein Anspruch auf KG verbunden. Zugleich wird durch die (vorrangige) Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V der (subsidiäre) nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 SGB V verdrängt (vgl. Hentrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB § 19 SGB V Rn. 105 f. mit Hinweisen auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG).
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Abschließend merkt der Senat an, dass das SG erstinstanzlich bereits auf eine unstreitige Erledigung des Rechtsstreits aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte hätte hinwirken können. Insoweit ist zu beachten, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum und auch im vorangegangenen Zeitraum mit Einkommen aus abhängiger Beschäftigung, wie es der KG-Berechnung zugrunde lag, ergänzend Leistungen nach dem SGB II bezogen hat und dementsprechend bei Gewährung von KG ein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden ist. Sofern ein Erstattungsanspruch aber besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten ‒ hier der Klägerin ‒ gegen die Beklagte als zur Leistung verpflichteter Leistungsträger gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Damit wäre der Klägerin ohnehin kein KG ausgezahlt worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 i. V. m. § 183 Satz 1 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
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Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG, insbesondere folgt der Senat der ständigen Rechtsprechung des BSG.