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16.03.2022 · IWW-Abrufnummer 228071

Sozialgericht Karlsruhe: Gerichtsbescheid vom 17.12.2021 – S 12 R 1017/21

Es übersteigt regelmäßig die an einen durchschnittlichen Rentenversicherten zu richtenden Sorgfaltsanforderungen, einen umfangreichen und schwer verständlichen Altersrentenbescheid aufmerksam zu Ende zu lesen.


Sozialgericht Karlsruhe
vom 17.12.2021


Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 29.06.2020 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 10.03.2021 wird aufgehoben, soweit darin die Bewilligung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte vom 16.01.2017 für die Zeit vom 01.02.2017 bis einschließlich 31.10.2019 der Höhe nach teilweise zurückgenommen und vom Kläger die teilweise Rückerstattung der Überzahlung für die Zeit vom 01.02.2017 bis 31.08.2019 anteilig in Höhe von 4.508,05 EUR zurückgefordert wurde.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die bezüglich der Rentenhöhe erfolgte teilweise Rücknahme einer vorbewilligten Altersrente für besonders langjährige Versicherte für die Zeit ab 01.02.2017 sowie die sich darauf bis 31.08.2019 beziehende Erstattungsforderung in Höhe von 4.508,05 EUR.

Der am XX.XX.1953 geborene Kläger begann mit 14 Jahren eine Berufsausbildung zum Maler und war zuletzt 30 Jahre lang als Gärtner einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Bereits durch Urteil des Amtsgerichts XXXX XXXX vom XX.XX.1992 war er von seiner Ehefrau geschieden worden. In dem Scheidungsurteil wurde ein Versorgungsausgleich der während der Ehe erworbenen Anwartschaften gegenüber den Trägern der Altersvorsorge festgelegt worden. Danach wurden von dem Versicherungskonto des Klägers bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (LVA Baden) Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 154,36 DM, bezogen auf den 31.12.1990, auf das Versorgungskonto seiner vormaligen Ehefrau übertragen. Im Rahmen der Umsetzung dieses Scheidungsurteils registrierte die Beklagte fehlerhaft den durchgeführten Versorgungsausgleich nicht zu Lasten des Klägers, sondern zu seinen Gunsten.

Der Kläger beantragte am 04.10.2016 die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte und gab im Antragsformular zutreffend an, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei. Mit Bescheid vom 16.01.2017 bewilligte ihm die Beklagte ab dem 01.02.2017 eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte, ohne ihren Fehler im Zusammenhang mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs zu bemerken. Sie gewährte dem Kläger eine Rente mit einem monatlichen Zahlbetrag von zunächst 1.320,71 EUR und führte im Rahmen des Begründungsteils ihrer Verwaltungsentscheidung auf Seite 28 des (insgesamt 34-seitigen) Bescheides (nebst Vordruck "Hinweise und Erläuterungen zum Rentenbescheid") unter der Überschrift "Versorgungsausgleich" aus:

"Der zugunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich ergibt einen Zuschlag an Entgeltpunkten." (....) "Für die Ehezeit vom 01.10.1975 bis 31.12.1990 sind zu Gunsten des Versicherungskontos Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen worden. Die übertragene Rentenanwartschaft ist festgestellt auf monatlich 154,36 DM. Der aktuelle Rentenwert bei Ende der Ehezeit beträgt 39,58 DM. Die Entgeltpunkte errechnen sich aus 154,36 DM: 39,58 DM = 3,8999 Punkte."

Anlässlich der Rentenantragstellung der früheren Ehefrau des Klägers registrierte die Beklagte die Unrichtigkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs und die hieraus folgende rechnerische Unrichtigkeit der dem Kläger bewilligten Rente. Mit Anhörungsschreiben vom 18.10.2019 teilte sie ihm sinngemäß mit, sie beabsichtige, den hinsichtlich der Rentenhöhe unrichtigen Bescheid vom 16.01.2017 teilweise zurückzunehmen. Sie wolle den für die Zeit vom 01.02.2017 bis 31.08.2019 zu Unrecht zu Gunsten des Klägers überzahlten Betrag von 6.762,08 EUR von ihm zurückzufordern, weil aufgrund des Scheidungsurteils zu Lasten des Klägers ein Abschlag an Entgeltpunkten vorzunehmen gewesen wäre anstelle eines Zuschlags zu seinen Gunsten.

Unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Einwendungen der vom Kläger hiernach bevollmächtigten Rechtsanwältin übte die Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2021 ihr Rücknahmeermessen dahingehend aus, dass sie wegen ihres Mitverschuldens die überzahlten Rentenleistungen nur im Umfang von 2/3 der Gesamthöhe bzw. nur einen Teilbetrag von 4.508,05 EUR zurückfordere und ab 01.09.2019 die Altersrente nur noch in der geringerer Höhe von monatlich 1.244,75 EUR auszahle, welche sich rechnerisch bei einer korrekten Durchführung des Versorgungsausgleichs ergibt. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem aus, der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die für eine Rücknahme geltenden Fristen seien nicht abgelaufen und auch die vorzunehmende Ermessensprüfung führe zu keinem anderen Ergebnis. Wegen der Einzelheiten der weiteren, umfangreichen Ausführungen wird auf die Bescheide der Beklagten Bezug genommen.

Der Kläger erhob hiergegen am 08.04.201 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Er hat im Klageverfahren klargestellt, dass er die Rücknahme- und Erstattungsentscheidung der Beklagten vollumfänglich, d. h. auch soweit sie für die Zukunft erfolgte, anfechte. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass für ihn persönlich als juristischem Laien die fehlerhafte Durchführung des Versorgungsausgleichs im Zuge der 25 Jahre zuvor veranlassten Übertragung der Rentenanwartschaften nicht erkennbar gewesen sei. Die Beklagte selbst habe ihren Fehler erst Jahrzehnte später erkannt und berichtigt. Hier würden falsche Maßstäbe angelegt. Zwischenzeitlich habe er das Geld im Vertrauen auf die Richtigkeit der Bescheide verbraucht. Unter Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes könnte er sich jedoch eine einvernehmliche Regelung dahingehend vorstellen, dass für ihn die Erstattungsforderung bezüglich der in der Vergangenheit überzahlten Leistungen gänzlich entfalle und es bei der, von der Beklagten für die Zukunft berichtigten Altersrente (unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rentenanpassungen) verbleibe.

Das Gericht hat sich diesen Vergleichsvorschlag im Wesentlichen zu eigen gemacht. Für den Fall, dass sich die Beklagte diesem modifizierten Vorschlag nicht anschließen könne, hat das Gericht die Beteiligten zum Erlass einer teilweise stattgebenden Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und eine Aufhebung der seiner vorläufigen Ansicht nach rechtswidrigen Rücknahme(- und Erstattungs-)entscheidung angekündigt, soweit diese sich auf Zeiten vor dem Beginn des Monats nach dem Zugang des Anhörungsschreibens vom 18.10.2019 erstreckt. Der fachkundig vertretene Kläger beantragt wörtlich:

Der Bescheid der Beklagten vom 29.06.2020 sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10.03.2021 werden aufgehoben.

Die Beklagte lehnt den Vergleichsvorschlag ab, beantragt die Klageabweisung und verweist auf die angefochtenen Bescheide und den Verwaltungsvorgang; wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf dessen Inhalt und den der Prozessakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 SGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter, weil der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar ist und die Streitsache keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten bereitet.

Die form- und fristgerecht erhobene und auch sonst zulässige Anfechtungsklage ist teilweise begründet. Die Behörde hat die die streitgegenständliche Altersrente für langjährige Versicherte zwar zurecht hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise mit Wirkung für die Zukunft bzw. ab dem 01.11.2019 aufgehoben, weil der Kläger von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungshöhe aufgrund des Anhörungsschreiben vom 18.10.2019 nicht mehr vertrauen konnte und ab dem darauf folgenden Monat November 2019 nicht mehr gutgläubig beim Verbrauch entsprechender Überzahlungen sein konnte. Insoweit lagen zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsentscheidung die von der Beklagten bejahten gesetzlichen Voraussetzungen des angefochtenen Rücknahmebescheides aus den von der Beklagten hinlänglich ausgeführten Gründen vor, ohne dass der Kläger hiergegen etwas Substantiiertes eingewendet hätte, sodass das Gericht hier insoweit nach § 136 Abs. 4 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe teilweise absehen kann, soweit es den Begründungen in Verwaltungsakt und Widerspruchsbescheid folgt und dies - hiermit - in seiner Entscheidung feststellt.

Im Übrigen ist die Klage aber begründet, weil der Kläger die gerichtliche Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 29.06.2020 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 10.03.2021 beanspruchen kann, soweit damit die Beklagte damit die Bewilligung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte für die Zeit vom 01.02.2017 bis einschließlich 31.10.2019 der Höhe nach teilweise zurückgenommen und vom Kläger die teilweise Rückerstattung der Überzahlung für die Zeit vom 01.02.2017 bis 31.08.2019 anteilig in Höhe von 4.508,05 EUR zurückgefordert hat. In eben diesem Umfang war das angefochtene Verwaltungshandeln rechtswidrig und verletzte klägereigene Rechte, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme- und Erstattungsentscheidung gemäß § 45 Abs. 1 bzw. § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) insoweit nicht vorlagen.

§ 50 Abs. 1 SGB X bestimmt: Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauensschutz nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nur in den Fällen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

Vorliegend sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X erst ab dem Beginn des Monats nach Zugang des Anhörungsschreibens vom 18.10.2019 erfüllt. Der später aufgehobene Rentenbescheid vom 16.01.2017 war nämlich zwar rechtswidrig, soweit darin aufgrund des anlässlich der Scheidung von 1992 durchgeführten Versorgungsausgleichs ein Zuschlag von 3,8999 Entgeltpunkten zu Gunsten des Klägers berücksichtigt worden war, obwohl richtigerweise ein Abschlag in dieser Höhe zu seinen Lasten vorzunehmen gewesen wäre.

Entgegen der Einschätzung der Beklagten konnte sich der Kläger insoweit aber bis zum Ablauf des Monats des Zugangs des Anhörungsschreibens auf Vertrauensschutz nach § 45 SGB X berufen und die ihm ausgezahlten Rentenleistungen gutgläubig verbrauchen. Erst nach der Lektüre des Schreibens der Beklagten vom 18.10.2019 bestanden hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer positiven Kenntnis von der teilweisen Rechtswidrigkeit des Bescheides bzw. einer insoweit grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers. Für die davorliegende Zeit vom 01.02.2017 bis 31.10.2019 ist hingegen gerade nicht von einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers auszugehen. Seine diesbezügliche Unkenntnis war vielmehr allenfalls leicht fahrlässig.

Ein für die Annahme grober Fahrlässigkeit erforderlicher besonders schwerer Sorgfaltspflichtverstoß ist anzunehmen, wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dieser Verhaltensvorwurf muss sich gerade auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts beziehen. Der Adressat eines Verwaltungsakts ist nämlich gehalten, einen Bewilligungsbescheid zu lesen und auch zur Kenntnis zu nehmen. Dabei besteht im Allgemeinen aber kein Anlass, einen Verwaltungsakt näher auf seine Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind. Deshalb besteht keine Rechtspflicht eines Bescheid-Adressaten, den Verwaltungsakt umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Vielmehr liegt grobe Fahrlässigkeit nur vor, wenn er aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen die Rechtswidrigkeit hätte erkennen können (BSG, Urteil vom 26.08.1987 - 11a RA 30/86 - Juris) oder er das nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen. Bei komplizierten Berechnungen mit maschineller Verschlüsselung wird hingegen von einer groben Fahrlässigkeit nur ausgegangen werden können, wenn diese durch einen erklärenden Langtext hinreichend verständlich ist (vgl. Schütze, a.a.O., Rdnr. 57; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 30. Juli 2019 - L 3 R 64/18 -, Rn. 25, juris).

Objektiv - das heißt: unbeachtet der individuellen Erkenntnismöglichkeiten des hiesigen Klägers als Bescheid-Adressat - betrachtet genügt der Rentenbescheid vom 16.01.2017 zwar eben diesen Anforderungen. Indessen ist auch unschädlich, dass sich noch nicht aus seinem Verfügungssatz die Fehlerhaftigkeit der Berechnung objektiv erkennen ließ, da dieser lediglich die Zahlung einer monatlichen Rente in der angegebenen Höhe regelte, welche nicht so hoch war, dass irgendein Leser allein deshalb von einer fehlerhaften Berechnung hätte ausgehen müssen. Denn gleichwohl ergab sich aus dem Wortlaut der Begründung des Rentenbescheides vom 16.01.2017 für einen sehr rechtskundigen wie sehr aufmerksamen Leser hinreichend eindeutig, dass der Versorgungsausgleich 1992 fehlerhaft rentenerhöhend durchgeführt worden war, weil der danach ausdrücklich berücksichtigte "Zuschlag" gerade kein "Abschlag" ist, zumal eine "zu Lasten" durchgeführte Übertragung von Rentenanwartschaften das genaue Gegenteil von einer "zu Gunsten" erfolgten Abänderung des Versicherungskontos darstellt. Die diesbezügliche Fehlerhaftigkeit der Berechnung der Rentenhöhe ließ der Begründungsteil vom 16.01.2017 erkennen, da dessen 28. Seite ausdrücklich eben diese Informationen enthielt.

Allein dies genügt aber gerade nicht, um den Verhaltensvorwurf der groben Fahrlässigkeit zu begründen. Es ist allgemein anerkannt, dass im Rahmen der Prüfung von § 45 SGB X von einem subjektiven Sorgfaltsmaßstab auszugehen ist, der sich an der persönlichen Einsichtsfähigkeit orientiert. Es ist daher erforderlich, dass sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns nach der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Adressaten des Bescheides bemisst. Einem Leistungsempfänger kann nur dann grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wenn ihm der Fehler nach seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten geradezu "in die Augen springt", weil er sich aus dem Verfügungssatz, aus der Bescheidbegründung oder aus anderen Gründen ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen erkennen lässt (BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R - Juris; Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Auflage, § 45 Rn. 56 ff.).

Allein die auf den hinteren Seiten eines Rentenbewilligungsbescheides erfolgten Informationen, dass anstelle eines familiengerichtlich eigentlich ausgeurteilten Abschlags zulasten des Versicherungskontos ..."Der zu Gunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich einen Zuschlag an Entgeltpunkten" ergeben habe bzw. (...) "Für die Ehezeit vom (...) bis (...) zu Gunsten des Versicherungskontos Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen worden" seien, rechtfertigen an und für sich niemals die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis einer rechtswidrig zu hohen Rentenauszahlung, weil es daneben immer auch der Zugrundelegung eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs bedarf (Klarstellung zu: Schaer, jurisPR-SozR 10/2020 Anm. 3). Soweit in der diesbezüglichen juristischen Fachliteratur unter der Überschrift "Orientierungssätze zur Anmerkung" (zu) pauschal formuliert wird: "Zu den Sorgfaltspflichten des Bescheidempfängers zählt es, den gesamten Rentenbescheid aufmerksam zu lesen. Wenn statt eines Abschlages ein Zuschlag nach einem Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, muss dieser Fehler ins Auge springen." (vgl. Schaer, jurisPR-SozR 10/2020 Anm. 3), darf diese missglückte Verkürzung auf einen allem Anschein nach verobjektivierenden Sorgfaltsmaßstab von den Trägern der Rentenversicherung nicht dahingehend missverstanden werden, dass jedes Nichterkennen entsprechender Fehler als grob fahrlässig anzusehen wäre. Wie sich sowohl aus der Lektüre von Schaers Entscheidungsbesprechung als auch aus dem Wortlaut der Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg in dessen Urteil vom 30. Juli 2019 - L 3 R 64/18 selbst ergibt, ist immer ein dezidiert individueller Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Schaer und das Landessozialgericht bejahen in dem Hamburger Einzelfall den groben Fahrlässigkeitsvorwurf gerade nur deshalb, weil der dortige Kläger nach seinen individuellen Erkenntnismöglichkeiten subjektiv befähigt war, für Laien tatsächlich schwer verständlichen oder schwer nachvollziehbaren Ausführungen zu Berechnungselementen aufmerksam zu folgen und diese zu verstehen, zumal der dortige Kläger nach eigenen Angaben den Rentenbescheid nebst Anlagen sehr genau und aufmerksam durchgelesen hatte, weil für ihn gerade der Versorgungsausgleich sehr wichtig gewesen war.

In dem hier vom Sozialgericht Karlsruhe zu entscheidenden Fall gestaltet sich der Sachverhalt in Bezug auf die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Klägers anders. Im Verfahrens S 12 R 1017/21 sind daher andere Sorgfaltsmaßstäbe anzulegen als in dem vom Landessozialgericht Hamburg in seinem am 30.07.2019 im Verfahren L 3 R 64/18 entschiedenen Fall.

Die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe ist überzeugt, dass der Kläger in dem von ihr zu entscheidenden Verfahren nicht in der Lage war, die Fehlerhaftigkeit der Berechnung aus der Begründung auf Seite 28 des Rentenbescheides vom 16.01.2017 zu erkennen. Zwar enthielt auch diese 28. Seite des damaligen Bescheides die Information, dass der zugunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich einen Zuschlag an Entgeltpunkten ergeben habe und vorliegend Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen wurden. Hieraus ergab sich auch für einen so rechtskundigen und so aufmerksamen Leser wie den im Hamburger Fall L 3 R 64/18 hinreichen deutlich und unmissverständlich, dass der Versorgungsausgleich fehlerhaft rentenerhöhend durchgeführt worden sein musste, weil ein "Zuschlag" gerade kein "Abschlag" ist und "zu Lasten" das genaue Gegenteil von "zu Gunsten".

Allerdings ist dem Kläger des Verfahrens S 12 R 1017/21 zuzugestehen, dass er gemessen an seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten individuell außerstande war, den Bedeutungsgehalt dieser Ausführungen zutreffend zu erfassen, sodass nach dem gebotenen subjektiven Sorgfaltsmaßstab kein Fall einer groben Fahrlässigkeit gegeben ist. Es war für den Kläger - einem ausgesprochen ungebildeten Maler bzw. ungelernten und einigermaßen betagten Gärtner - allenfalls leicht fahrlässig, die maßgeblichen Sätze auf der 28ten Seites des an ihn gerichteten Rentenbescheides vom 16.01.2017 vollständig zu begreifen.

Der 1953 geborene Kläger des Verfahrens S 12 R 1017/21 hatte seine schulische Laufbahn bereits mit 14 Jahren beendet, eine Ausbildung zum Maler angefangen und zuletzt 30 Jahre lang als Gärtner eines öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft gearbeitet. Gemessen an einer derartigen persönlichen Bildungsbiographie und den äußerst geringen geistigen Anforderungen jahrzehntlanger dieser rein körperlichen Berufstätigkeiten liegt es fern, von ihm eine verständige Lektüre eines mehr als 34-seitigen Rentenbescheides nebst anliegenden Vordruck mit "Hinweisen und Erläuterungen zum Rentenbescheid" zu erwarten.

Es übersteigt regelmäßig die an einen durchschnittlichen Rentenversicherten zu richtenden Sorgfaltsanforderungen, einen umfangreichen und schwer verständlichen Altersrentenbescheid aufmerksam zu Ende zu lesen, weil den Angehörigen sehr breiter Bevölkerungsschichten auch ein - wie hier - so gut als eben möglich formulierter Rentenbewilligungsbescheid wegen seiner in weiten Teilen unumgänglich komplizierten Darstellungen als ein bürokratisches und schlechterdings unbegreifliches Ungetüm anmutet. Im Fall eines Rentenversicherten mit einem sehr niedrigen Bildungsniveau und fehlender Übung im Umgang mit bürokratischen Ungetümen dieser Art ist im altersrentenberechtigenden Alter aufgrund seines nicht übermäßigen Textverständnisses (d. h. vorbehaltlich etwaiger Ausnahmekonstellationen wie im Hamburger Fall, s. o.) davon auszugehen, dass er außerstande ist, die in Altersrentenbewilligungsbescheiden notwendiger Weise niedergelegten, tatsächlich und rechtlich sehr komplexen Sachverhalte gedanklich in ihren Einzelheiten zu durchdringen. Ein solcher Rentenversicherter genügt daher seinen Sorgfaltspflichten auch dann, wenn er von dem untauglichen Versuch, ein Verständnis derartiger Bescheide zu entwickeln, nach der probeweisen Lektüre der ersten ein bis zwei Seiten Abstand nimmt, falls die von der Rentenversicherung errechnete Rentenhöhe nicht ausnahmsweise erheblich von der in Anbetracht des individuellen Versicherungsverlaufs von ihm subjektiv zu erwartenden Rentenhöhe abweicht. Altersrentenleistungsempfänger mit niedrigem Bildungsniveau sind gerade nicht gehalten, wieder und wieder sinnlos ihre Rentenbewilligungsbescheide vollständig zu studieren, obwohl dies ohnehin zu nichts führt, da ohne eine fachkundige und ausführliche mündliche Beratung nach § 14 SGB I für sie persönlich auch bestens formulierte Rentenbescheide ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, solange sie vom Rentenversicherungsträger mit deren Lektüre auf sich allein gestellt bleiben.

Das Bundessozialgericht hat sich bereits vor Jahrzehnten zur Risikoverteilung in Fällen vergleichbarer Art in erhellender Form wie folgt geäußert: Fehlt es an Anhaltspunkten für eine Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide, dürfte der Kläger keinen Anlass gehabt haben, die Bemessungsfaktoren an Hand des auf der Rückseite der Bewilligungsbescheide mitgeteilten Schemas oder des Merkblatts zu überprüfen oder nachzufragen, um zwar erkennbare, aber nicht wahrgenommene Unstimmigkeiten (...) aufzudecken (BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45, Rn. 28). Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen (BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45, Rn. 25).

Da Rentenversicherten mit einem sehr niedrigen Bildungsniveau und fehlender Übung im Umgang mit bürokratischen Ungetümen bereits die vollständige aufmerksame Lektüre ganzer Rentenbewilligungsbescheide nicht zugemutet werden kann, kann es erst recht regelmäßig nicht als grob fahrlässig angesehen werden, wenn sie lediglich einen unrichtigen zwei-buchstabigen Präfix auf Seite 28 eines solchen Ungetüms übersehen und nicht selbständig schwierige Erwägungen zu den Rechtswirkungen ihrer Scheidung auf ihre Rentenanwartschaft anstellen, um von selbst zu erkennen, dass ihnen ein Abschlag anstelle eines Zuschlags an Entgeltpunkten hätte angerechnet werden müssen. Dergleichen sticht Rentenversicherten ohne nennenswerte akademische Bildung und/oder Berufserfahrung mit einer Erwerbsbiographie bestehend aus im Wesentlichen geistig wenig anspruchsvollen Berufstätigkeiten gerade nicht ins Auge.

Aus welchen außerordentlichen Gründen der Kläger dieses Rentenverfahrens in Anbetracht seines niedrigen Bildungsniveaus und seines beruflichen Werdegangs bei einer hypothetischen vollständigen Lektüre des Rentenbewilligungsbescheides vom 16.01.2017 ausnahmsweise überhaupt irgendeine zutreffende Vorstellung davon gehabt haben sollte, was sich hinter dem terminus technicus iuridicus des sogenannten "Versorgungsausgleichs" verbergen könnte, ist von der Beklagten nicht dargetan oder von Amts wegen ersichtlich. Selbst doppelt staatsexaminierte Volljuristen beherrschen dieses hochkomplexe Rechtsinstitut regelmäßig allenfalls in Grundzügen, und zwar selbst dann, wenn sie zufällig einen familienrechtlichen oder sozialrechtlichen Studienschwerpunkt gewählt haben und fachlich überdurchschnittlich befähigt sind.

Überdies ist in Anbetracht einer personell seit Langem in quantitativer Hinsicht mangelhaft ausgestatten Sozialgerichtsbarkeit nicht gerichtsbekannt, dass berufserfahrene erstinstanzliche Sozialrichter im sozialgerichtlichen Rentenverfahren anlässlich einer ihnen theoretisch obliegenden Prüfung eines Rentenbewilligungsbescheides von Amts wegen auf die aus Sicht eines vom Haushaltsgesetzgeber im Stich gelassenen Praktikers geradezu abwegige Idee kämen, die ihnen für die Vielzahl der zur Bearbeitung der Fälle viel zu knappe Dienstzeit ohne konkreten Anlass im Einzelfall darauf zu verwenden, einen 34-seitigen Rentenbewilligungsbescheid bis einschließlich seiner Seite 28 Satz für Satz zu lesen und in der von der Beklagten eingeforderten Sorgfalt auf etwaige tatsächliche oder rechtliche Unrichtigkeiten hin zu überprüfen, weil hierdurch dringlichere Aufgaben warten müssten. Ebenso bleiben tragende Elemente ausführlicher Entscheidungsbegründungen zuweilen selbst dann ohne nachvollziehbaren Grund außer Acht, wenn deren Würdigung obergerichtlichen Kollegialorganen unter Mitwirkung dreier besonders erfahrener und bewährter Berufsrichter obliegt (vgl. exemplarisch: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020, L 8 SB 3852/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2020, L 12 SB 3633/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020, L 8 SB 3630/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 24.07.2020, L 12 SB 4344/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 26.06.2020, L 8 SB 304/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 24.07.2020, L 12 SB 293/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 26.06.2020, L 8 SB 376/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 24.07.2020, L 12 SB 305/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 22.04.2020, L 8 SB 367/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 17.06.2020, L 3 SB 2685/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 23.01.2020, L 6 SB 3637/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 17.06.2020, L 3 SB 3634/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 23.01.2020, L 6 SB 3628/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 17.06.2020, L 3 SB 13/20; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil, 23.01.2020, L 6 SB 3627/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 2 AS 1032/21 ER-B, 19.04.2021; Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 9 AS 534/21 ER-B, 03.05.2021).

Wenn aber selbst Berufsrichter erster und zweiter Instanz der Landessozialgerichtsbarkeit vor Textlängen jenseits der 20.ten Seite zuweilen kapitulieren, kann einem viel weniger gebildeten und weniger rechtstextsicheren Maler und Gärtner mit einer 45 Jahre zuvor abgeschlossenen, nur rudimentären Schulbildung nicht grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, nur, weil er auf Seite 28 einen Präfix sorglos überlesen habe, da ihm die sehr schwer verständlichen Zusammenhänge zwischen Familien- und Rentenrecht im Zusammenhang mit einer vor einem Vierteljahrhundert erfolgten Scheidung infolgedessen "hätten einleuchten müssen". Es wäre mit Recht und Gesetz nämlich unvereinbar, an relativ ungebildete Sozialleistungsempfänger bei der Lektüre bürokratischer Textungetüme solche Sorgfaltsanforderungen zu stellen, denen nicht einmal die einschlägig spezialisierte Landeselite genügt.

Der Kläger des Verfahrens S 12 R 1017/21 moniert nach alldem zurecht die (völlig) überzogenen Sorgfalts-Maßstäbe der Beklagten und Teilen der Sozialgerichtsbarkeit.

Zur Feststellung der individuellen Erkenntnismöglichkeiten zu einem bereits seit einigen Jahren vorvergangenen Zeitpunkt bedarf es im Falle einer offenkundig sehr spärlichen Bildungsbiographie ausnahmsweise auch keines richterlichen Eindrucks aus einer persönlichen Anhörung des Klägers (Weiterentwicklung von: Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X (Stand: 04.06.2021), Rn. 91). Die Beklagte hat hier nicht ansatzweise dargetan und es ist auch nicht von Amts wegen ersichtlich, aufgrund welcher besonderen Umstände der klagende Maler und Gärtner 40 Jahre nach dem Ende seiner vorzeitig beendeten Bildungskarriere in dem hier maßgeblichen Umfang annähernd ausreichende Verständnismöglichkeiten gehabt haben sollte. Überdies verfügen tatrichterliche Volljuristen ohnehin nicht über die neuropsychologische oder wenigstens schauspielschulische Fachkompetenz, um allein aufgrund ihres persönlichen Eindrucks aus einer einige Minuten umfassenden mündlichen Verhandlung den sich nur einfältig darstellenden Laienaggravanten von einem tatsächlich wenig verständigen Rentenversicherten zuverlässig zu unterscheiden, wenn zum Zeitpunkt einer hypothetischen mündlichen Verhandlung bereits einige Jahre vorvergangen sind seit dem entscheidungserheblichen Tatzeitpunkt des Verbrauchs rechtswidrig erlangter Leistungen. Ob ein solcher Bescheidempfänger vor einigen Jahren in der Lage gewesen wäre, dessen Tragweite und Bedeutung in den Einzelheiten zu erfassen, können nicht einmal Sachverständige mit der gebotenen Zuverlässigkeit rückblickend einschätzen, da sich die kognitiven Fertigkeiten für Zeiten, die mittlerweile Jahre zurückliegen, infolge des Zeitablaufs nicht mehr messen lassen. Dies gilt erst recht in Fällen betagter Altersrentenempfänger, deren kognitive Leistungsfähigkeit altersbedingt von Jahr zu Jahr abnimmt und täglichen Schwankungen unterliegt. Der Tatrichter wird maßlos überschätzt, wenn man ihm zutraut, allein mithilfe seines professionellen Blicks dasjenige zu erkennen, was neuropsychologisch fachkundige Gutachter selbst mithilfe umfangreicher fachärztlicher Befragung nebst wissenschaftlich fundierter Testbatterien nicht mehr zutage zu fördern vermögen.

Soweit sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen kann, ist die angefochtene Rücknahmeentscheidung der Beklagten rechtswidrig und aufzuheben, sodass auch der zu ihr akzessorische Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X insoweit nicht gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ist ermessensgerecht wegen der einseitigen Veranlassung des Rechtsstreits und seiner strittigen Entscheidung durch die Beklagte. Sie hat den teilweise rechtswidrigen Verwaltungsakt erlassen und sich auf den von der Klägerin sinnvoller Weise mit der Klageerhebung angeregten Vergleich zur Beendigung des Rechtsstreits nicht eingelassen und hierdurch der Gegenseite vermeidbare Aufwendungen verursacht.

RechtsgebietSGB XVorschriften§ 45 Abs. 1 SGB X