30.10.2008
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 04.09.2008 – I R 41/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Gewährung des sog. Schachtelprivilegs nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 (BGBl I 1969, 18) im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2002 einer Kommanditgesellschaft als Konzernobergesellschaft. Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf hat der Klage gegen den Feststellungsbescheid durch (in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 981 abgedrucktes) Urteil vom 6. März 2008 15 K 713/07 F stattgegeben und die Revision gegen seine Entscheidung zugelassen. Das Urteil wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) am 27. März 2008 zugestellt.
Das FA hat seine am 23. April 2008 eingelegte Revision mit Schriftsatz vom 23. Mai 2008 begründet. Mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 30. Mai 2008 wurde das FA darauf hingewiesen, dass der Schriftsatz erst am 28. Mai 2008 und damit verspätet beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist.
Daraufhin hat das FA am 30. Juni 2008 sowohl die Revisionsbegründung als auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand übermittelt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat das FA sich auf die regulären Brieflaufzeiten bezogen und in diesem Zusammenhang vorgetragen, dass es für die Postbeförderung bzw. die Postzustellung ein Zustellunternehmen beauftragt habe. Dazu sei am 4. Dezember 2002 ein entsprechender Zustellvertrag zwischen dem FA und der W-GmbH geschlossen worden. Im Jahre 2008 sei die X-GmbH in diesen Vertrag eingetreten. Nach diesem Vertrag, der dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beigefügt worden ist, betraut der Auftraggeber W-GmbH mit der Zustellung seiner Post bzw. Briefe im jeweils aktuellen --und Teile Nordrhein-Westfalens einschließenden-- Zustellgebiet der W-GmbH. Der Vertrag sieht von Montag bis Freitag um 7.45 Uhr eine tägliche Abholung der Post beim FA vor und sichert dem Auftraggeber zu, dass seine Post grundsätzlich am gleichen Tag der Abholung oder Einlieferung durch den Auftraggeber zugestellt wird. Auf Wunsch wird die außerhalb des "W-GmbH Gebietes" zuzustellende Post abgeholt, frankiert und der Deutschen Post AG zur Zustellung übergeben. Das FA trägt vor, die zuständige Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle habe die bereits kuvertierte und an den BFH adressierte Revisionsbegründung am 23. Mai 2008 um 11.30 Uhr persönlich in der Poststelle des FA abgegeben. Von dort sei es vom Boten der X-GmbH in der Zeit von 13.30 bis 14.30 Uhr abgeholt und in das Verteilzentrum des Zustellers verbracht worden. Dort sei es nach Auskunft des Zustellers in den späten Abendstunden aussortiert und im nächtlichen Austausch nach Düsseldorf zum Konsolidierungsunternehmen Y gebracht worden. Da dieses Unternehmen samstäglich nicht arbeite, habe eine Weiterverarbeitung und eine Weiterleitung des Schriftstücks an die Deutsche Post AG erst in den Morgenstunden des 26. Mai 2008 stattgefunden. Von der Einschaltung des Konsolidierungsunternehmens habe es, das FA, nichts gewusst. Erst jetzt sei im Zuge weiterer Nachforschungen bekannt geworden, dass die X-GmbH die außerhalb ihres Zustellbereichs zuzustellende Post entgegen den vertraglichen Vereinbarungen nicht selber frankiere und auch nicht unmittelbar an die Deutsche Post AG übergebe, sondern dass es mit diesen Aufgaben das besagte Konsolidierungsunternehmen beauftragt habe. Das aber sei ihm, dem FA, nicht zuzurechnen. Es habe die Fristversäumnis nicht zu vertreten, denn es habe unter Zugrundelegung der regulären Postlaufzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der persönlichen Abgabe des Briefes in seiner Poststelle davon ausgehen können, dass der Schriftsatz mit der Revisionsbegründung fristgerecht beim BFH eingehen werde.
Das FA beantragt sinngemäß, die Entscheidung des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen oder als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Sie ist nicht fristgerecht begründet worden, was nicht durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden kann.
1. Gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO muss eine Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet werden. Im Streitfall ist das angefochtene Urteil des FG dem FA am 27. März 2008 zugestellt worden. Die Revisionsbegründung hätte deshalb bis zum Ablauf des 27. Mai 2008 beim BFH eingehen müssen. Das ist nicht geschehen. Die damit vorliegende Versäumung der Begründungsfrist führt zur Unzulässigkeit der Revision.
2. Eine abweichende Beurteilung würde sich nur dann ergeben, wenn dem FA eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) gewährt werden könnte. Das würde aber voraussetzen, dass das FA ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist zu wahren. Daran fehlt es im Streitfall.
a) Nach ständiger Rechtsprechung schließt jedes Verschulden eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 11. Oktober 1991 VII R 32/90, BFH/NV 1994, 553; vom 25. April 2005 VIII B 42/02, BFH/NV 2005, 1821; vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945).
b) Vom Vorliegen eines solchen Verschuldens ist im Streitfall auszugehen.
Zwar trifft es zu, dass einem Prozessbeteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung gemeinhin nicht als Verschulden anzurechnen sind. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß abzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Beauftragt der Prozessbeteiligte einen privaten Zustelldienst, verhält es sich prinzipiell nicht anders (vgl. zu einem privaten Kurierdienst z.B. Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 4. April 2000 1 BvR 199/00, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2000, 2657; Bundesgerichtshof --BGH--, Beschluss vom 23. Januar 2008 XII ZB 155/07, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2008, 930, jeweils m.w.N.).
Das gilt jedoch nicht, wenn sich im Einzelfall nicht ausschließen lässt, dass mit längeren Postlaufzeiten gerechnet werden muss. So verhält es sich nach den geschilderten Gegebenheiten des Streitfalles. Es mag zutreffen, dass dem FA die internen Abläufe bei dem von ihm mit dem Postversand beauftragten Zustellunternehmen und hierbei insbesondere die geschilderte Einschaltung des sog. Konsolidierungsunternehmens nicht bekannt gewesen sind. Ihm ist aber als zumindest fahrlässig anzulasten, dass es sich über die Postlaufzeiten des von ihm beauftragten Zustellunternehmens bei Postzustellungen außerhalb des sog. "W-GmbH Gebiets" nicht beizeiten kundig gemacht hat. Denn der mit der W-GmbH geschlossene Zustellvertrag sichert die zeitnahe Zustellung ihm übergebener Briefsendungen nur innerhalb dieses regional begrenzten und dem FA nahegelegenen Zustellgebiets und dies auch nur arbeitstäglich von Montag bis Freitag zu. Für die auf besonderen Wunsch des Auftraggebers erfolgte Weiterleitung von Briefsendungen an Empfänger außerhalb dieses Gebietes gelten diese Zusicherungen nicht. Hierfür wird lediglich die Abholung, Frankierung und Übergabe an die Deutsche Post AG zugesagt; Erklärungen dazu, ob dies unmittelbar durch den Auftragnehmer selber oder durch weitere --zwischengeschaltete-- Auftragnehmer erfolgt, wurden ausweislich des Vertrages ebenso wenig gegeben, wie Zusagen zu den zeitlichen Beförderungsabläufen. Das FA hat auch weder behauptet noch belegt, dass überregionale Sendungen nach den Erfahrungen der Vergangenheit bei normalem Betriebsablauf gleichwohl in der geschilderten Weise zeitnah befördert und zugestellt worden wären. Das beauftragte Zustellunternehmen ist auch kein Universalanbieter für Postdienstleistungen, für die die Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2418) und die darin eingeforderten Qualitätsmerkmale f ür die Briefbeförderung (§ 2 PUDLV) Anwendung findet. In Anbetracht dessen hätte das FA als Auftraggeber sich namentlich bei fristwahrenden Briefsendungen außerhalb des eigentlichen Zustellbezirks einschlägig über die Abläufe informieren müssen. Das FA konnte sich nicht schlicht darauf verlassen, dass die "normalen" und von der Deutschen Post AG erwarteten und gemeinhin auch zuverlässig erfüllten Brieflaufzeiten eingehalten werden würden. Es konnte dies umso weniger, als die in Rede stehende Briefsendung an den BFH mit der Revisionsbegründung an einem Freitag und erst um die Mittagszeit an die Poststelle des Amtes übergeben worden ist. Die vertraglich zugesicherten Laufzeiten ließen sich an dem fraglichen Freitag schon von daher nicht mehr einhalten; eine Bearbeitung durch das Zustellunternehmen kam frühestens am darauffolgenden Montag, dem 26. Mai 2008, in Betracht. Im Ergebnis muss daher davon ausgegangen werden, dass das FA nicht alles in seinem Verantwortungsbereich Liegende getan hat, um den rechtzeitigen Zugang des in Rede stehenden Briefs an den BFH sicherzustellen und dass die Versäumung der Frist deswegen auf einem ihm zuzurechnenden Verschulden beruht.