04.06.2010 · IWW-Abrufnummer 101767
Bundesfinanzhof: Urteil vom 07.10.2009 – II R 27/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe
I.
Der Erblasser (E) hatte im Jahr 1986 mit einer Lebensversicherungsgesellschaft (L) einen Vertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung mit abgekürzter Beitragszahlung abgeschlossen; versicherte Person war seine 19... geborene Ehefrau. Als Beitrag waren sechs Jahre lang, zuletzt am 1. September 1992, jährlich jeweils 351.811,50 DM zu zahlen. Die Versicherungssumme von 2.650.000 DM war bei Tod der Versicherten, spätestens beim Ablauf der Versicherung am 1. September 1999, zu zahlen.
1
Durch notariell beurkundeten Erbvertrag vom 23. Januar 1993 wendete E der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) im Vermächtniswege sämtliche Rechte und Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag sowie ferner einen Geldbetrag von 1.400.000 DM und ein Grundstück zu, wobei die Klägerin die auf diesem lastenden Verbindlichkeiten von ca. 4.155.000 DM zu übernehmen hatte. E verstarb am 18. Mai 1993. L zahlte an die Klägerin am 1. September 1999 die Ablaufleistung der Lebensversicherung in Höhe von 4.224.413 DM. Die Klägerin hatte bereits in den Jahren 1994 und 1998 Teilbeträge ihrer Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag zur Absicherung von Darlehen abgetreten.
2
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die Forderung der Klägerin gegen L als betagte Forderung auf den Fälligkeitszeitpunkt des 1. September 1999. Es setzte gegen die Klägerin durch Bescheid vom 15. Dezember 1999, geändert durch Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 2003, Erbschaftsteuer in Höhe von 413.792 DM fest. Die an die Klägerin gezahlte Ablaufleistung aus dem Lebensversicherungsvertrag wurde in voller Höhe berücksichtigt.
3
Die Klage, mit der die Klägerin den Ansatz der ausgezahlten Versicherungssumme mit zwei Dritteln der eingezahlten Prämien gemäß § 12 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der maßgeblichen Fassung begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1791 ver öffentlichten Urteil den Erbschaftsteuerbescheid vom 15. Dezember 1999 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 2003 auf. Die Erbschaftsteuer sei gemäß § 9 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) bereits mit dem Tod des E entstanden; die Bewertung des Anspruchs habe daher gemäß § 12 Abs. 4 BewG zu erfolgen. Ein betagter Erwerb i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG liege nicht vor, weil der Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Versicherungssumme am 1. September 1999 und damit zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig geworden sei. Mit dem Erbfall sei auch bereits die wirtschaftliche Bereicherung der Klägerin eingetreten, weil sie schon von diesem Zeitpunkt an den Versicherungsvertrag zum Schluss des jeweils laufenden Versicherungsjahres habe kündigen und sich den Rückkaufswert habe auszahlen lassen oder den Anspruch auf die Versicherungsleistung zur Besicherung von Krediten habe einsetzen können.
4
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG. Der hier verwendete Begriff der Betagung sei entsprechend der erbschaftsteuerrechtlichen Zwecksetzung dieser Bestimmung, den Erwerb einer zivilrechtlich betagten Forderung nicht bereits vor deren Fälligkeit entstehen zu lassen, im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen. Die Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem Lebensversicherungsvertrag durch E könne, nicht anders als im Fall der Abtretung einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung an einer Lebensversicherung, ihre volle Wirkung erst entfalten, sobald alle Voraussetzungen für die Entstehung der Forderung in der Person des Versicherten erfüllt seien. Das FG habe zudem verkannt, dass das Bewertungswahlrecht des § 12 Abs. 4 BewG wegen der Privilegierung der Ansprüche gegen Versicherungsunternehmen gegenüber sonstigen Geldforderungen gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße.
5
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
II.
#Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Erbschaftsteuer für den von der Klägerin vermächtnisweise erworbenen Anspruch auf die Lebensversicherungssumme bereits mit dem Tod des E entstanden ist und deshalb die Ablaufleistung der Lebensversicherung nicht in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer einzubeziehen ist.
8
1.
Als nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch der Erwerb durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die Erbschaftsteuer entsteht gemäß § 9 Abs. 1 ErbStG im Regelfall mit dem Tod des Erblassers. Hiervon abweichend entsteht jedoch die Steuer u.a. für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 2 ErbStG erst mit dem Eintritt der Bedingung oder des Ereignisses.
9
a)
Zivilrechtlich liegt eine Betagung vor, wenn eine Forderung bereits entstanden und lediglich ihre Fälligkeit hinausgeschoben ist (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 163 Rz 2). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 18. März 1987 II R 133/84, BFH/NV 1988, 489; vom 27. August 2003 II R 58/01, BFHE 203, 279, BStBl II 2003, 921 ; vom 16. Januar 2008 II R 30/06, BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626; vom 21. April 2009 II R 57/07, BFHE 224, 279) betrifft die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG jedoch nicht alle Ansprüche, die zivilrechtlich als betagt anzusehen sind. Vielmehr folgt aus der bewertungsrechtlichen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 3 BewG) Behandlung noch nicht fälliger Forderungen, dass die Erbschaftsteuer für solche Ansprüche, die zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt fällig werden, dem Regelfall des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechend bereits im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entsteht. In diesen Fällen ist ein Bereicherungszustand bereits im Zeitpunkt des Erwerbs eingetreten; dessen Wert ist auf den Stichtag --ggf. unter Abzinsung-- festzustellen. Anders sind jedoch diejenigen betagten Ansprüche zu behandeln, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. In diesen Fällen entsteht die Steuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG (ebenso wie bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Forderung) erst mit dem Eintritt des Ereignisses, welches zur Fälligkeit des Anspruchs führt.
10
Das dieser Rechtsprechung zugrunde liegende, vom Zivilrecht abweichende Verständnis der Betagung rechtfertigt sich aus der § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG zugrunde liegenden Erwägung, dass in diesen Fällen eine wirtschaftliche Bereicherung um das von Todes wegen Erworbene noch nicht im Zeitpunkt des Todes des Erblassers eintritt. Ist hingegen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses bestimmt, tritt eine Bereicherung schon mit dem Tod des Erblassers ein.
11
b)
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall die Erbschaftsteuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des E entstanden. Die Klägerin hat zu diesem Zeitpunkt das durch Vermächtnis begründete Forderungsrecht auf alle Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag erworben und ist damit im Verhältnis zu L in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers eingerückt. Der von der Klägerin vermächtnisweise erworbene Anspruch auf Auszahlung der Ablaufleistung war zu dem im Versicherungsvertrag festgelegten (bestimmten) Zeitpunkt des 1. September 1999 fällig. Ein betagter Anspruch i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG liegt daher nicht vor.
12
#Der Ansicht des FA, die von der Klägerin vermächtnisweise erworbene Rechtsstellung sei faktisch dem Erwerb einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung angenähert und die Erbschaftsteuer demgemäß --entsprechend dem zur Schenkungsteuer ergangenen BFH-Urteil vom 30. Juni 1999 II R 70/97 (BFHE 189, 543, BStBl II 1999, 742)-- erst bei Auszahlung der Versicherungssumme entstanden, kann nicht gefolgt werden. Dem steht schon entgegen, dass die Einräumung lediglich eines Bezugsrechts an einer Lebensversicherung keine Übertragung der Rechtsstellung als Versicherungsnehmer und damit auch kein umfassendes Dispositionsrecht über den Lebensversicherungsvertrag bewirkt. Vor diesem Hintergrund hat das FG auch zutreffend ausgeführt, dass die wirtschaftliche Bereicherung der Klägerin bereits bei Anfall des Vermächtnisses eingetreten war. Ob den mit der Versichertenstellung verbundenen Rechtspositionen nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ein Gewicht zukommt, ist erbschaftsteuerrechtlich unerheblich. Die Rechtsauffassung des FA hätte im Übrigen zur Folge, dass wegen der Maßgeblichkeit der jeweils ausgezahlten Versicherungssumme § 12 Abs. 4 BewG leer liefe; dies entspricht jedoch ersichtlich nicht den Intentionen des Gesetzgebers.
13
Dem Entscheidungsergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, dass nach dem zwischen E und L geschlossenen Lebensversicherungsvertrag die Zahlung der Versicherungssumme im Falle des Todes der Versicherten bereits vor dem vereinbarten Zeitpunkt des Versicherungsablaufs hätte erfolgen müssen. Erbschaftsteuerrechtlich ist ein solches Ereignis, weil nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung liegend, ohne Bedeutung.
14
2.
Das FG hat auch zutreffend den angegriffenen Steuerbescheid vom 15. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 2003 aufgehoben.
15
In die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer sind statt der Ablaufleistung gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 BewG lediglich zwei Drittel der eingezahlten Prämien einzubeziehen. Das FA beruft sich insoweit ohne Erfolg auf die Verfassungswidrigkeit der hier maßgebenden Fassung des § 12 Abs. 4 BewG. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschlüssen vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 (BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671) und vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) jeweils ausdrücklich entschieden, dass die hier maßgeblichen Vorschriften des ErbStG einschließlich der insoweit anzuwendenden Bestimmungen des BewG bis zu einer gesetzlichen Neuregelung weiter angewendet werden durften. Den vom FA geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 12 Abs. 4 BewG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, 3018) Rechnung getragen.
16
Da der Erwerb von Todes wegen bei Ansatz von zwei Dritteln der gezahlten Prämien insgesamt negativ ist, ist gegen die Klägerin keine Erbschaftsteuer festzusetzen.