04.01.2010
Bundessozialgericht: Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
Verkündet am
29.9.2009
in dem Rechtsstreit
Az: B 8 SO 23/08 R
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29.9.2009 durch den Vorsitzenden Richter Eicher, den Richter Coseriu und die Richterin Behrend sowie die ehrenamtliche Richterin Klein und den ehrenamtlichen Richter Lübking
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Im Streit ist die Zahlung von Kosten für die Bestattung des Ehemannes der Klägerin.
Der Ehemann der Klägerin verstarb am 2007. Zu diesem Zeitpunkt bezog sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Das Erbe haben sie wie auch die Mutter des Verstorbenen, die über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.978,13 Euro verfügte, ausgeschlagen.
Am 13.2.2007 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für die von ihr zu einem Paketpreis in Höhe von 1.071 Euro in Auftrag gegebene Bestattung sowie der Kosten der Einäscherung am 20.2.2007 in Höhe von 323,12 Euro. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Mutter des Verstorbenen ebenfalls verpflichtet sei, die Bestattungskosten zu tragen; der Klägerin stünden gegen diese Ausgleichsansprüche zu, die von ihr geltend zu machen seien (Bescheid vom 8.3.2007; Widerspruchsbescheid vom 20.4.2007). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, "die Kosten für die Bestattung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin - K. - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen" (Urteil vom 16.1.2008). Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW] vom 29.10.2008). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Klägerin sei es nicht zuzumuten, die Bestattungskosten selbst zu tragen, weil sie sie nicht aus eigenen Mitteln aufbringen könne. Es sei ihr aber angesichts der unmittelbar einzuleitenden Bestattung auch nicht zuzumuten, die zahlungsunwillige Schwiegermutter (gerichtlich) in Anspruch zu nehmen, weil dies keine präsente Hilfemöglichkeit darstelle.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 74 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Er ist der Ansicht, die Vorschrift regele nicht die Bestattung selbst als Hilfebedarf, sondern einen Anspruch auf Übernahme von Schulden, der sich von sonstigen Hilfen wesentlich unterscheide. Dies habe das LSG nicht hinreichend gewürdigt. Da der verstorbene Ehemann der Klägerin bereits am 20.2.2007 eingeäschert und im Anschluss hieran bestattet worden sei, gehe es auch nicht um den Ausnahmefall eines unabweisbaren sozialhilferechtlichen Bedarfs, bei dem die Bestattung seitens des Bestatters von einer Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers abhängig gemacht werde und der Verpflichtete deswegen nicht auf bereite Mittel verwiesen werden könne. Müsse er (der Beklagte) allein wegen der Weigerungshaltung der Schwiegermutter in Vorleistung treten, widerspreche dies dem Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG) insbesondere zur Einkommens- und Vermögenssituation der Klägerin kann der Senat nicht entscheiden, ob der Klägerin die Übernahme der Bestattungskosten für die Bestattung ihres Ehemannes zu Unrecht verwehrt wurde.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 8.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.4.2007 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für die Bestattung des am 11.2.2007 verstorbenen Ehemannes der Klägerin abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4, § 56 SGG. Der Anspruch auf "Übernahme" der Bestattungskosten iS von § 74 SGB XII richtet sich auf Zahlung der erforderlichen Bestattungskosten an den Leistungsempfänger, gleich, ob die Forderung des Bestattungsunternehmens bereits beglichen - Feststellungen des LSG dazu fehlen - oder aber nur fällig sein sollte. Der Begriff der Übernahme des § 74 SGB XII ist also nicht im Sinne eines Schuldbeitritts zur Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Bestattungsunternehmen zu verstehen (vgl dazu aber Urteil des Senats vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R - SozR 4-1500 § 75 Nr 9). Dies ergibt sich aus § 10 Abs 3 SGB XII, der den Vorrang der Geldleistung normiert. Selbst wenn also die Klägerin die Schuld gegenüber dem Bestattungsunternehmer noch nicht beglichen haben sollte, wäre der maßgebliche Betrag an sie zu zahlen, damit sie die Rechnung des Bestattungsunternehmers begleichen kann. Sollte sie den Anspruch an den Bestattungsunternehmer allerdings abgetreten haben, bestünde schon kein Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten (mehr), den die Klägerin gegen den Beklagten geltend machen könnte.
Richtiger Beklagter ist der nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Bürgermeister der kreisfreien Stadt Köln, die als örtlicher Träger der Sozialhilfe den angegriffenen Bescheid erlassen hat (§ 98 Abs 3 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und § 1 Landesausführungsgesetz zum SGB XII [AG-SGB XII] für das Land NRW vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt [GVBl] NRW 816). Ob die Stadt Köln für den geltend gemachten Anspruch nach § 74 SGB XII im konkreten Fall tatsächlich örtlich zuständig ist, kann der Senat allerdings mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht entscheiden. Nach § 98 Abs 3 SGB XII ist in den Fällen des § 74 SGB XII der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der bis zum Tod der leistungsberechtigten Person Sozialhilfe leistete, in anderen Fällen der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Sterbeort liegt. Abzustellen ist danach auf die Person des Verstorbenen, nicht auf die des Verpflichteten. Feststellungen dazu, ob der Ehemann der Klägerin Sozialhilfeleistungen bezogen hat, fehlen ebenso wie Feststellungen zum Sterbeort. Diese wird das LSG nachzuholen haben.
Auch die sachliche Zuständigkeit des Beklagten ist für den Senat nicht nachprüfbar. Nach § 97 Abs 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (§ 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII, hier § 2 AG-SGB XII NRW iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW [AV-SGB XII NRW] vom 16.12.2004 - GVBl NRW 816). Das Landesrecht sieht nicht die generelle Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers für Leistungen nach § 74 SGB XII vor. Gemäß § 2 AG-SGB XII NRW iVm § 2 Abs 1 Nr 1 AV-SGB XII NRW bleibt aber die Regelung des § 97 Abs 4 SGB XII unberührt. Danach umfasst die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind, sowie für eine Leistung nach § 74 SGB XII. Deshalb kommt hier eine sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe - hier der Landschaftsverband Rheinland - in Betracht, wenn stationäre Leistungen, für die der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig ist (§ 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NRW), vorangegangen sind. Auch dies wird das LSG bei seiner Entscheidung zu beachten haben.
Der Senat war insoweit zur eigenständigen Anwendung und Auslegung des Landesrechts befugt, weil das LSG dieses unberücksichtigt gelassen hat (s dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 7b mwN). Die mit Zustimmung der Beteiligten vorgenommene Korrektur des Rubrums beruht darauf, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Klage nach bundesrechtlichen Regelungen gegen die Behörde zu richten ist, wenn das jeweilige Landesrecht das Behördenprinzip anordnet. Nur diese Anordnung beruht auf Landesrecht, nicht die daraus resultierende Rechtsfolge.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme der Bestattungskosten ist § 74 SGB XII (in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat). Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Klägerin ist Verpflichtete im Sinne dieser Vorschrift. Die Verpflichtung, die Kosten einer Bestattung zu tragen, wird in § 74 SGB XII nicht näher umschrieben oder definiert. Sie kann insbesondere erbrechtlich (§ 1968 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; vgl BVerwGE 116, 287, 289) oder unterhaltsrechtlich (§ 1615 Abs 2 BGB) begründet sein, aber auch aus landesrechtlichen Bestattungspflichten hergeleitet werden (BVerwGE 114, 57, 58 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr 5). Die Klägerin ist jedenfalls auf Grund landesrechtlicher Regelungen verpflichtet iS des § 74 SGB XII. Nach § 8 des Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen in NRW (BestG NRW) vom 17.6.2003 (GVBl NRW 313) sind auf Grund der den Senat bindenden Ausführungen des LSG (§ 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung und § 162 SGG) in der nachstehenden Reihenfolge Ehegatten, Lebenspartner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern und volljährige Enkelkinder zur Bestattung verpflichtet. Die hieraus resultierende Bestattungspflicht der Klägerin regelt zwar nicht die Verpflichtung, die Kosten der Beerdigung zu tragen, wie dies etwa § 1968 BGB oder § 1615 Abs 2 BGB tun; wird aber - wie hier - die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht erfüllt, resultieren hieraus Kosten wie Entgeltansprüche des Bestattungsunternehmers, die Gegenstand der übernahmefähigen Kostenverpflichtung iS des § 74 SGB XII sind (BVerwGE 114, 57 ff; Gotzen, ZfF 2006, 1, 3).
Ob es der Klägerin zumutbar ist, die Kosten der Bestattung zu tragen, lässt sich anhand der Feststellungen des LSG nicht abschließend klären. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ergibt sich insbesondere aus den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts (Gotzen, ZfF 2006, 1, 3; offen gelassen BVerwGE 114, 57, 60). Da § 74 SGB XII den Anspruch auf Kostenübernahme nicht zwingend an die Bedürftigkeit des Anspruchsinhabers (der Verpflichtete) knüpft, sondern die eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit verwendet (BVerwGE 105, 51 ff), nimmt § 74 SGB XII im Recht der Sozialhilfe aber eine Sonderstellung ein. Die Regelung unterscheidet sich von anderen Leistungen des 5. bis 9. Kapitels ua dadurch, dass der Bedarf bereits vorzeitig (vor Antragstellung) gedeckt sein kann, eine Notlage, die andere Sozialhilfeansprüche regelmäßig voraussetzen, also nicht mehr gegeben sein muss. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe setzt nach § 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf bereits beglichenen) Kosten "erforderlich" sind und es dem Verpflichteten nicht "zugemutet" werden kann, diese Kosten zu tragen, ohne ausdrücklich und ausschließlich auf die Bedürftigkeit abzustellen.
Der sozialhilferechtliche Bedarf der Sozialleistung nach § 74 SGB XII ist daher nicht die Bestattung, sondern die Entlastung des Verpflichteten von den Kosten. Damit wird die Verbindlichkeit als solche als sozialhilferechtlicher Bedarf anerkannt (BVerwGE 105, 51 ff; Gotzen, ZfF 2006, 1, 2). Dass die Bestattung und die Begleichung der Bestattungsrechnung ohne vorherige Unterrichtung der Sozialhilfebehörde dem Anspruch danach nicht entgegensteht (Loos, Die Sozialhilfe, der Tod und das Recht, 2004, S 25 ff), ist vorliegend ohne Bedeutung, weil die Klägerin den Beklagten durch den Antrag bereits am 13.2.2007 informiert hat. § 18 SGB XII, wonach die Sozialhilfe (erst) einsetzt, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (wobei die erforderliche Kenntnis auch durch einen Antrag - selbst bei einem unzuständigen Leistungsträger - vermittelt wird, vgl BSG SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 23), findet folgerichtig keine Anwendung (Mrozynski, ZfSH/SGB 2007, 463, 471), soweit hiermit die Forderung verbunden wird, dass Leistungen für die Vergangenheit bei fehlender Kenntnis des Sozialhilfeträgers nicht erbracht werden (vgl auch Gotzen, ZfF 2006, 231).
Da die Sonderregelung des § 74 SGB XII die eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit verwendet (BVerwGE 105, 51 ff), sind neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten zwar auch andere Momente zu berücksichtigen (H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 74 SGB XII RdNr 10); deshalb können auch Umstände eine Rolle spielen, die als solche im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, denen aber vor dem Hintergrund des Zwecks des § 74 SGB XII Rechnung getragen werden muss, so dass, selbst wenn die Kostentragung nicht zur Überschuldung oder gar zur Sozialhilfebedürftigkeit des Kostenverpflichteten führt, der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Kostenbelastung beachtlich sein kann (BVerwGE 120, 111 ff). Der Begriff der Zumutbarkeit ist damit nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls auszulegen (BVerwGE aaO); dies entspricht § 9 Abs 1 SGB XII, wonach sich die Leistungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls richten (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.3.1992 - 6 S 1736/90 -, FEVS 42, 380 ff). Je enger das Verwandtschaftsverhältnis oder die rechtliche Beziehung war, desto geringer sind in der Regel die Anforderungen an die Zumutbarkeit des Einkommens- und Vermögenseinsatzes. Umgekehrt können etwa zerrüttete Verwandtschaftsverhältnisse höhere Anforderungen an die Zumutbarkeit begründen. Entscheidend sind jeweils die Verhältnisse des Einzelfalls (vgl auch Paul, ZfF 2006, 103, 106).
Eine besondere Bedeutung kommt gleichwohl im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit zunächst den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten zu. Dies ergibt sich aus § 2 iVm § 19 Abs 3 SGB XII, wonach ua Hilfen in anderen Lebenslagen (§§ 70 - 74 SGB XII) nur geleistet werden, soweit den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des 11. Kapitels des SGB XII nicht zugemutet werden kann (so genannter Nachranggrundsatz). Anders ausgedrückt: Ist der Bestattungspflichtige bedürftig, kann ihm die Übernahme der Bestattungskosten nicht zugemutet werden; nur bei fehlender Bedürftigkeit kommen sonstige Zumutbarkeitsgesichtspunkte zum Tragen. Bedürftigkeit bzw Unzumutbarkeit aus anderen Gründen muss insoweit nach Sinn und Zweck der Regelung des § 74 SGB XII zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung des Bestattungsunternehmens vorliegen, weil - wie oben ausgeführt - der Leistungsfall die Verbindlichkeit, nicht die erforderliche Bestattung selbst, ist. Resultiert die Unzumutbarkeit (allein) aus der Bedürftigkeit, muss diese auch noch zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorliegen, es sei denn, es wäre dem Hilfesuchenden nicht zuzumuten, diese Entscheidung abzuwarten (vgl BVerwGE 90, 160, 162). Entfällt die Bedürftigkeit erst nach der (ablehnenden) Entscheidung des Sozialhilfeträgers (zB im Klageverfahren), ist hingegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes Vorrang zu geben. Das Entfallen der Bedürftigkeit schadet dann nicht (dazu: BVerwGE 40, 343, 346; 58, 68, 74; 90, 154, 156; 90, 160, 162; 94, 127, 133; 96, 18, 19). Soweit es um den Einsatz von Einkommen geht, ist im Hinblick darauf, dass § 74 SGB XII als Hilfe in anderen Lebenslagen dem 9. Kapitel des SGB XII zugeordnet wurde, vorrangig auf die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII zu rekurrieren.
Nach § 85 Abs 1 SGB XII ist die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn von dem Anspruchsteller eine Einkommensgrenze nicht überschritten wird, die sich ua ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes sowie den Kosten der Unterkunft. Nach den Feststellungen des LSG stand die Klägerin im Leistungsbezug nach dem SGB II. Es fehlen jedoch konkrete Feststellungen des LSG zum genauen Zeitpunkt des Leistungsbezuges und zur Fälligkeit der Forderung des Bestattungsunternehmens, wenn man einmal davon absieht, dass die sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ohnedies nicht bekannt sind. Es fehlen nämlich auch Feststellungen dazu, ob die Klägerin - ggf neben einer Leistung zum SGB II - andere Einnahmen in Geld oder Geldeswert hatte, was nach Aktenlage jedenfalls für Februar 2007 (400 Euro aus einer Nebenbeschäftigung) und für die Zeit ab März 2007 (Witwenrente und Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung) der Fall gewesen sein dürfte. Dies wird das LSG noch zu prüfen haben. Überschreitet das zu berücksichtigende Einkommen der Klägerin nicht die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII, ist ihr die Aufbringung der Mittel (aus Einkommen) für die Kosten der Bestattung nicht zuzumuten. Gleiches muss aber auch gelten, wenn die Klägerin (nur) iS des SGB II bei Berücksichtigung der jeweiligen Absetzbeträge nach § 11 Abs 2 SGB II sowie Freibeträge nach § 30 SGB II bedürftig (gewesen) sein sollte. Angesichts des bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen unterschiedlich definierten soziokulturellen Existenzminimums kann es für die Beurteilung der Zumutbarkeit keinen Unterschied machen, ob Bedürftigkeit nach dem einen oder nach dem anderen Existenzsicherungssystem vorliegt (vgl zu diesem Gesichtspunkt: BSGE 100, 139 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4).
Hat ein etwaiges Einkommen die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII überschritten, rechtfertigt dies allein noch nicht zwingend den Einsatz des die Einkommensgrenze überschießenden Teils des Einkommens. Dies ergibt sich nicht nur aus der oben beschriebenen Sonderstellung des Anspruchs aus § 74 SGB XII und der dort normierten eigenst ändigen Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit. Auch § 87 Abs 1 S 1 SGB XII knüpft den Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze ebenfalls an Zumutbarkeit und beschränkt dessen Einsatz auf einen angemessenen Umfang. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen (§ 87 Abs 1 S 2 SGB XII). Die Aufzählung ist nicht abschließend, wie die Formulierung "insbesondere" zeigt (Paul, ZfF 2006, 103, 106). Zudem stellt § 87 Abs 1 S 2 SGB XII auf die Art des Bedarfes ab. Geht es im Ergebnis um die Übernahme von Schulden und nicht um einen aktuell zu deckenden (Not-)Bedarf, also um die Abwendung einer gegenwärtigen Notlage, der nur mit präsenten Hilfsmöglichkeiten begegnet werden kann, kann es dem Anspruchsteller dann auch zumutbar iS des § 74 SGB XII sein, zur Tragung der Bestattungskosten etwaige Ansprüche gegen Dritte geltend zu machen und durchzusetzen.
Sind die Einkommens- und Vermögensgrenzen ohne die denkbaren Ausgleichsansprüche unterschritten, kann der Kl ägerin nicht unter Hinweis auf § 2 Abs 1 SGB XII (so genannter Nachranggrundsatz) entgegengehalten werden, sie müsse sich vorrangig um die Realisierung von Ausgleichsansprüchen gegen Dritte bemühen. Der Senat hat bereits früher angedeutet (Urteil vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 16/07 R - FamRZ 2009, 44 - RdNr 15), dass es sich bei § 2 Abs 1 SGB XII nicht um eine isolierte Ausschlussnorm handelt, was sich insbesondere aus der Systematik des SGB XII insgesamt ergibt. Nicht zuletzt beweist dies auch der Wortlaut der Norm, der nicht auf bestehende andere Leistungsansprüche, sondern auf den Erhalt anderer Leistungen abstellt. Eine Ausschlusswirkung ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist allenfalls denkbar in extremen Ausnahmefällen (allgemeine Selbsthilfe nach § 2 Abs 1, 1. Alt SGB XII), etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind. Dies ist indes vorliegend nicht anzunehmen.
Ob ein Ausgleichsanspruch bezüglich der Bestattungskosten gegen die Mutter des Verstorbenen besteht, erscheint zweifelhaft. Ein solcher kann sich allenfalls aus § 1615 Abs 2 BGB ergeben, wonach im Falle des Todes des Unterhaltsberechtigten in Abkehr von der Grundregel des § 1615 Abs 1 BGB, der ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs mit dem Tod des Berechtigten vorsieht, der Unterhaltsverpflichtete (gegenüber dem Bestattungsberechtigten) die Kosten der Beerdigung zu tragen hat, soweit ihre Bezahlung nicht von dem Erben zu erlangen ist. Es ist hier bereits fraglich, ob die Bezahlung nicht von einem Erben, der nach § 1968 BGB vorrangig die Kosten der Beerdigung des Erblassers trägt, zu erlangen ist. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin das Erbe ausgeschlagen. Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt nach § 1953 Abs 1 BGB der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt. Die Ausschlagung wirkt auf den Erbfall zurück (ex tunc), sodass der Ausschlagende von Anfang an nicht Erbe ist und ihn die Regelung des § 1968 BGB nicht belasten kann. Da auch die Mutter des Verstorbenen die Erbschaft ausgeschlagen hat, dürfte wohl der Fiskus, hier das Land NRW, gesetzlicher Erbe geworden sein (§ 1936 Abs 1 BGB). § 1968 BGB wird in der Literatur zwar mit der Begründung einschränkend ausgelegt, dass der Fiskus als Zwangserbe nicht Verpflichteter iS des § 74 SGB XII iVm § 1968 BGB sein könne (Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 74 SGB XII RdNr 23; Gudat in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Sozialrecht - SGB II, SGB III, SGB VIII, SGB XII -, 2008, § 74 SGB XII RdNr 5; Berlit in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 8. Aufl 2008, § 74 SGB XII RdNr 5; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 74 SGB XII RdNr 6), er sein gesetzliches Erbrecht weder ausschlagen noch darauf verzichten könne (§§ 1942 Abs 2, 2346 BGB) und anderenfalls bei ausgeschlagener Erbschaft trotz des in den Bestattungsgesetzen der Länder hinsichtlich der Bestattungspflicht vorgesehenen Vorrangs Verwandter in erster Linie als Kostenpflichtiger für die Bestattungskosten in Betracht käme, was von § 1968 BGB nicht gewollt sei, und ohnehin nur mit dem Nachlass, mag dieser unzulänglich oder auch überschuldet sein (Edenhofer in Palandt, BGB, 68. Aufl 2009, § 2011 RdNr 1) hafte. Es lässt sich aber auch diskutieren, dass der Fiskus uU als Erbe haftet. Ist nämlich Nachlass vorhanden, ist nicht ohne weiteres einsichtig, weshalb der Fiskus, so wie er Nachlassverbindlichkeiten erfüllen muss, nicht auch die Kosten der Beerdigung nach § 1968 BGB tragen soll, es sei denn der Nachlass ist überschuldet oder wertlos, sodass die Haftung des Fiskus auf den Nachlass beschränkt werden kann, mit der Folge, dass es dann zu einer Verpflichtung nach § 1615 Abs 2 BGB kommen könnte.
Zweifelhaft ist zudem, ob der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes überhaupt einen Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter hatte, wie dies § 1615 Abs 2 BGB voraussetzt. Nach § 1615 Abs 1 BGB erlischt ein Unterhaltsanspruch mit dem Tod des Berechtigten. § 1615 Abs 2 BGB enthält hinsichtlich der Beerdigungskosten eine Ausnahme hiervon. Die Vorschrift leitet die Kostentragungspflicht nach dessen Abs 2 - wie sich aus der Systematik zu Abs 1 ergibt - erkennbar aus der Unterhaltspflicht ab. Deshalb gelten die Bestimmungen für die Unterhaltspflicht auch für die Bestattungskosten (Kappe/Engler in Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung 1997, § 1615 RdNr 15). Der "Berechtigte" muss also vor seinem Tod, der nach § 1615 Abs 1 BGB grundsätzlich zum Erlöschen seines Unterhaltsanspruchs führt, unterhaltsberechtigt gewesen sein, weil § 1615 Abs 2 BGB nach seinem Sinn und Zweck, der Systematik und seinem Wortlaut einen Unterhaltsanspruch voraussetzt und nicht erst nach bzw mit dem Tod begründet.
Allein die "grundsätzliche Verpflichtung" Verwandter gerader Linie, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB), genügt nicht, um eine Unterhaltspflicht zu bejahen. Zum einen setzt die Unterhaltspflicht eine eigene Leistungsfähigkeit voraus (§ 1603 BGB). Zum anderen ist (unterhalts-)berechtigt iS des § 1615 Abs 2 BGB nach § 1602 BGB nur der, der außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Wenn der Ehemann der Klägerin eine Ausbildung abgeschlossen hat und eine eigene wirtschaftliche Selbstständigkeit erreicht hat, dürften Unterhaltsansprüche in der Regel ausgeschlossen sein. Ein Volljähriger, der sich nicht (mehr) in der Berufsausbildung befindet, ist zunächst ausschließlich für sich selbst verantwortlich, auch wenn aus § 1610 Abs 2 BGB nicht im Umkehrschluss abgeleitet werden kann, dass Volljährige nur bis zum Abschluss der Ausbildung Unterhalt beanspruchen können (vgl Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 6.12.1984 - IVb ZR 53/83 -, BGHZ 93, 123 = NJW 1985, 806, 807); eine Unterhaltspflicht Verwandter setzt in einem solchen Fall erst (wieder) ein, wenn der Volljährige sich unverschuldet nicht selbst unterhalten kann. Im Hinblick auf das Bestehen einer entsprechenden Eigenverantwortung und des Erreichens einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit, die es nicht mehr erlaubt, an die Lebensstellung der Eltern anzuknüpfen, selbst wenn nach Abschluss der Ausbildung keine Berufstätigkeit aufgenommen wird (BGH, Urteil vom 30.1.1985 - IVb ZR 67/83 -, FamRZ 1985, 371, 373), erscheint es allerdings unwahrscheinlich, dass der Ehemann der Klägerin (noch) einen Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter hatte. Er war 58 Jahre alt und bezog eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer, die zusammen mit dem Einkommen der Ehefrau seine eigene Lebensstellung geprägt haben d ürfte.
Hinzu kommt, dass nach § 1608 Satz 1 BGB der Ehegatte des Bedürftigen - hier die Klägerin selbst - vor dessen Verwandten haftet. Nach § 1360 Satz 1 BGB sind Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. § 1360a Abs 3 BGB sieht für den Umfang der Unterhaltspflicht die entsprechende Anwendung der für die Unterhaltspflicht unter Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1613 bis 1615 BGB vor. Nur soweit der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gewährung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren, haften die Verwandten vor dem Ehegatten (§ 1608 Satz 2 BGB). Dies kann hier nur dann angenommen werden, wenn der Verstorbene bedürftig sowie die Klägerin trotz Erfüllens ihrer Erwerbsobliegenheit (iS der strengen familiengerichtlichen Rechtsprechung) leistungsunfähig war. Allein aus dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II kann nicht schon geschlossen werden, dass die Klägerin gegenüber ihrem Ehemann nicht leistungsfähig gewesen wäre.
Ist mithin ein etwaiger Ausgleichsanspruch derart zweifelhaft und ist sogar dessen gerichtliche Durchsetzung erforderlich, weil der Anspruchsgegner die Übernahme der Kosten bereits abgelehnt hat, oder mit derartigen Unwägbarkeiten wie vorliegend verbunden, dass ein Erfolg unsicher ist, kann es der Klägerin nach obigen Maßstäben nicht zugemutet werden, gegen die Mutter des Verstorbenen oder gar das Land gerichtlich vorzugehen und sich auf einen langwierigen Prozess mit ungewissem Ausgang einzulassen (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.1.2005 - 12 A 11605/04, FEVS 56, 476 ff, wenn der Hilfesuchende einen Anspruch auf Bestattungskosten gerichtlich gegen einen Erben geltend machen müsste, der bereits vorgerichtlich die Zahlungsaufforderung ignoriert und die Möglichkeit besitzt, seine Haftung auf einen nicht verwertbaren Nachlass zu beschränken). Der Beklagte erleidet hierdurch keinen unverhältnismäßigen Nachteil; denn er hat die Möglichkeit, den behaupteten Ausgleichsanspruch gegen die Mutter des Verstorbenen auf sich nach § 93 SGB XII überzuleiten. Er trägt dann allerdings das Prozessrisiko, das der Klägerin im Rahmen der Zumutbarkeit iS von § 74 SGB XII nicht auferlegt werden darf. Bei den denkbaren Forderungen der Klägerin handelt es sich nicht um bereites Vermögen, durch dessen Einsatz sie sich iS des § 2 Abs 1 SGB XII selbst helfen kann.
Da die Klägerin nur ein Grundurteil (§ 130 Abs 1 SGG) begehrt, bedarf es keines näheren Eingehens auf die Erforderlichkeit der Bestattungskosten, die sich an den Kosten für ein ortsübliches, angemessenes Begräbnis orientiert (H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 74 SGB XII RdNr 15). Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.