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22.09.2011

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 16.06.2011 – 6 K 165/10

1. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist ein Grundlagenbescheid, der das Finanzgericht bis zu seinem förmlichen Widerruf oder bis zum Ablauf einer Befristung bindet.

2. Eine Nachhilfelehrerin, die lese-, rechtschreib- oder rechenschwachen Schülern selbständig Nachhilfeunterricht erteilt, kann sich, auch wenn sie kein Hochschulstudium absolviert hat, grundsätzlich unmittelbar auf die Steuerfreiheit ihrer Leistungen gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Leistungen der Klägerin, die sie als Nachhilfelehrerin erbracht hat, umsatzsteuerfrei sind.

Die Klägerin ist staatlich geprüfte Erzieherin und war viele Jahre lang als Tages- und Pflegemutter tätig. Sie absolvierte am bundesdeutschen Institut für ... eine zweijährige private Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin sowie eine weitere private Ausbildung an dem von Frau A betriebenen „E-Institut” in B zur ”...-Beraterin”. Hierbei handelt es sich um eine theoretische und praktische Ausbildung zur Legasthenie- und Dyskalkulietherapeutin nach einem von Ronald Davis entwickelten Konzept (vgl. www..., Ausdruck Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 30 ff.). Ferner nahm sie an einer zweijährigen Fortbildung am C Institut e. V. in B zum Thema ”...” teil und an einer verhaltenstherapeutischen Fortbildung über das autistische Kind bei der „D Elterntherapie”.

In den Streitjahren unterhielt die Klägerin einen Büroservice. Daneben war sie bis einschließlich 2007 als ”...-Beraterin” für das E-Institut tätig. Für dieses Institut führte sie Legasthenie- und Dyskalkulietherapien durch. Sie unterrichtete jeweils ein Kind für jeweils eine Woche aufgrund eines mündlich mit dem E-Institut geschlossenen Vertrages. Der Unterricht fand z. T. in den Institutsräumen und z. T. im Haus der Klägerin statt. Die Klägerin legte den Inhalt des Unterrichts selbst auf der Grundlage des sog. „Davis-Konzeptes” fest. Dabei vermittelte sie den unterrichteten Kindern über das Basiswissen im Schreiben und Lesen hinaus die notwendigen Fähigkeiten, um trotz ihrer Lese-/Rechtschreib- bzw. Rechenschwäche dem Schulunterricht folgen zu können. Ihre Leistungen rechnete die Klägerin gegenüber dem Institut ab, das die Leistungen seinerseits den Eltern der unterrichteten Kinder weiterberechnete. Für ausgefallenen Unterricht erhielt die Klägerin keine Vergütung.

Ferner erteilte die Klägerin unabhängig von dem E-Institut Nachhilfeunterricht, der sich inhaltlich von den für das Institut erbrachten Leistungen nicht unterschied. Zum Teil unterrichtete sie Pflegekinder; die Kosten trug insoweit das Jugendamt.

Die Klägerin erzielte aus der Nachhilfetätigkeit in den Streitjahren folgende Umsätze (in €; vgl. Aufstellung des Beklagten vom 02.12.2009, Umsatzsteuerakten -UStA- Bl. 86):

E-Institutsonstige Nachhilfe
2005 2.384,00 0,00
2006 5.015,15 0,00
2007 5.860,003.744,56
2008 0,002.899,30
Die Klägerin reichte für die Streitjahre - wie auch in den Vorjahren - jeweils Umsatzsteuererklärungen ein, in denen sie die Umsätze aus dem Büroservice als steuerpflichtig und die Umsätze aus der „Erziehungs- und Legasthenieberatung” als umsatzsteuerfrei erklärte.

Der Beklagte erließ am 10.12.2009 nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen er die Umsätze aus der Nachhilfetätigkeit als umsatzsteuerpflichtig behandelte. Die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 21b Umsatzsteuergesetz (UStG) scheide aus, weil die Klägerin keine Bescheinigung i. S. des § 4 Nr. 21a UStG für das E-Institut vorgelegt habe. Die Leistungen seien weder als Heilbehandlung i. S. des § 4 Nr. 14 UStG zu qualifizieren noch als Leistungen im Rahmen der Fürsorge oder sozialen Sicherheit (§ 4 Nr. 25 UStG). Die auf die Unterrichtsleistungen entfallende Vorsteuer schätzte der Beklagte (Aktenvermerk vom 02.12.2009, UStA Bl. 86 f.). Es ergaben sich Nachzahlungen in Höhe von € 328,80 für 2005, € 641,68 für 2006, € 1.393,49 für 2007 und € 412,84 für 2008.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 12.01.2010 Einspruch gegen die Änderungsbescheide ein. Gegenstand ihrer Tätigkeit sei die Förderung bei Lern-, Lese-, Rechen-, Schreib-, Konzentrations- und Sprachschwierigkeiten von Kindern und Erwachsenen, denen dadurch zu einem regulären Schulabschluss verholfen werde. Der Beklagte habe die Umsätze in den Streit- und den Vorjahren in Kenntnis aller Umstände stets als umsatzsteuerfrei behandelt. Die Klägerin fügte dem Schreiben die dem „E Institut”, X-Straße ..., von der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung der ... B (im Folgenden: Schulbehörde) erteilte Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21b UStG vom 18.11.1999 bei, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (UStA Bl. 104).

Die Schulbehörde lehnte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG durch inzwischen bestandskräftigen Bescheid vom 14.01.2010 ab.

Der Beklagte wies den Einspruch der Klägerin gegen die Änderungsbescheide durch Einspruchsentscheidung vom 07.07.2010 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 08.08.2010 Klage eingereicht und eine Bescheinigung des E-Instituts vom 20.09.2010 beigefügt (FGA Bl. 11), auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die zuständige Mitarbeiterin der Schulbehörde hat auf Anfrage des Beklagten durch Schreiben vom 23.08.2010 (UStA Bl. 152) mitgeteilt, dass sie die dem E-Institut erteilte Bescheinigung „heute nicht mehr als gültig betrachten würde”. Das Umsatzsteuergesetz habe sich seit 1999 mehrfach geändert und das Institut habe zwischenzeitliche Änderungen nicht angezeigt. Die Bescheinigung habe sich nur auf die seinerzeit beschäftigten Lehrkräfte erstrecken können.

Die Klägerin trägt vor, die dem E-Institut erteilte Bescheinigung der Schulbehörde sei in den Streitjahren gültig gewesen. Die Mitarbeiterin der Schulbehörde habe ihre gegenteilige Auffassung lediglich im Konjunktiv und zudem aus der Sicht des Jahres 2010 geäußert, nicht aus der Sicht der Streitjahre. AD(H)S-Therapien habe sie, die Klägerin, nicht durchgeführt. Sie habe zwar auch an diesem Syndrom leidende Kinder unterrichtet, doch sei ihre Aufgabe ausschließlich die Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie gewesen.

Die Weigerung der Schulbehörde, ihr, der Klägerin, eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG auszustellen, sei rechtswidrig. Die Schulbehörde habe die Ablehnung damit begründet, dass sie, die Klägerin, nicht über einen Hochschulabschluss verfüge. Jedoch setze das Umsatzsteuerrecht für die Erteilung von Nachhilfeunterricht keine Hochschulausbildung voraus. Sie, die Klägerin, sei aufgrund ihrer zahlreichen Zusatzausbildungen ausreichend qualifiziert. In anderen Bundesländern werde die Bescheinigung für Berufskollegen mit exakt derselben Ausbildung erteilt.

Jedenfalls seien die - und zwar auch die auch außerhalb des E-Instituts erbrachten - Leistungen nach europäischem Recht umsatzsteuerfrei.

Die Klägerin beruft sich hilfsweise auf ihren im Erörterungstermin erklärten Widerruf des Verzichts auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung.

Die Klägerin beantragt,

die geänderten Umsatzsteuerbescheide für 2005, 2006, 2007 und 2008, jeweils vom 10.12.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.07.2010, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die dem E-Instituts erteilte Bescheinigung der Schulbehörde erzeuge für die dort nicht namentlich genannte Klägerin keine Wirkung. Im Übrigen habe die Schulbehörde telefonisch bestätigt, dass diese Bescheinigung den Bereich „AD(H)S-Therapie” nicht umfasse.

Auf die Sitzungsniederschriften des Erörterungstermins vom 11.02.2011 (FGA Bl. 24 ff.) und der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2011 (FGA Bl. 44 ff.) wird Bezug genommen.

Dem Gericht hat ein Band Umsatzsteuerakten (St.-Nr. ...) vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Der Beklagte hat die streitgegenständlichen Umsätze zu Unrecht als steuerpflichtig behandelt.

I.

Die Leistungen, die die Klägerin gegenüber dem E -Institut erbracht hat, sind umsatzsteuerbar (1.), aber steuerfrei (2.).

1. Der für das E-Institut erteilte Nachhilfeunterricht ist eine sonstige Leistung, die die Klägerin im Inland gegen Entgelt im Rahmen ihres Unternehmens ausgeführt hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Die Klägerin handelte insoweit als Unternehmerin.

a. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG ist gewerblich oder beruflich jede Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.

Diese Vorschriften beruhen gemeinschaftsrechtlich auf Art. 9 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL; bis 31.12.2006 Art. 4 Abs. 1 und 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -Richtlinie 77/388/EWG-). Danach gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig und unabhängig ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Keine selbständige Tätigkeit liegt vor, soweit Lohn- und Gehaltsempfänger an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.

Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 20.10.2010 VIII R 34/08, BFH/NV 2011, 585; vom 14.04.2010 XI R 14/09, BFHE 230, 245, BFH/NV 2010, 2201; vom 25.06.2009 V R 37/08, BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873). Selbständigkeit in der Organisation und bei der Durchführung der Tätigkeit, Unternehmerrisiko, Unternehmerinitiative, Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb und geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern sprechen für persönliche Selbständigkeit. Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, die Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Erfolgs und Ausführung von einfachen Tätigkeiten, die regelmäßig weisungsgebunden sind, sprechen gegen die Selbständigkeit der Tätigkeit (BFH-Urteile vom 20.10.2010 VIII R 34/08, BFH/NV 2011, 585; vom 14.04.2010 XI R 14/09, BFHE 230, 245, BFH/NV 2010, 2201; vom 14.06.1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661). Besondere Bedeutung kommt dem Handeln auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung und dem Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko) zu. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit; ist der Steuerpflichtige von einem Vermögensrisiko der Erwerbstätigkeit grundsätzlich freigestellt, spricht dies gegen Selbständigkeit (BFH-Urteil vom 25.06.2009 V R 37/08, BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873).

b. Die Klägerin war bei Erbringung ihrer Leistungen gegenüber dem E-Institut in diesem Sinne selbständig tätig. Sie unterlag nach ihrem unstreitigen Bekunden bzgl. des Unterrichtsinhalts sowie Zeit und Ort des Unterrichts keinen Weisungen des Instituts, sondern konnte ihre Leistungen selbständig organisieren und durchführen. Sie hatte keine feste Arbeitszeit und erhielt keine festen Bezüge. Vielmehr handelte sie auf eigene Rechnung und trug das Vergütungsrisiko allein; für ausgefallenen Unterricht erhielt sie keine Zahlungen.

2. Die Umsätze sind gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb i. V. m. Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei. Danach sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer an privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass die Schule oder Einrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Bei der von der zuständigen Landesbehörde zu erteilenden Bescheinigung, die ein selbständiger Verwaltungsakt ist, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung und damit um einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO. Ob die Einrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, unterliegt nicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden oder die Finanzgerichte (BFH-Urteile vom 20.08.2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15; vom 03.05.1989 V R 83/84, BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815).

a. Ein Nachhilfeinstitut ist eine allgemeinbildende Einrichtung i. S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG (Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 21 Rz. 73). Eine Einrichtung in diesem Sinne kann auch eine natürliche Person sein (Tehler in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 21 Rz. 127).

b. Ferner bereitete das E-Institut auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vor. Letzteres hat die Schulbehörde durch den das Gericht insoweit bindenden Bescheid vom 18.11.1999 bescheinigt.

Dieser Bescheid war jedenfalls in den Streitjahren wirksam. Er wurde unbefristet erteilt und in den Streitjahren nicht widerrufen. Dass die zuständige Sachbearbeiterin gegenüber dem Beklagten erklärte, sie würde den Bescheid „heute nicht mehr als wirksam betrachten”, beinhaltet zum einen keinen Widerruf der Bescheinigung gegenüber dem E-Institut und hätte zum anderen nur Wirkung für die Zukunft (§ 49 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz -VwVfG-), nicht hingegen für die Streitjahre. Dass das E-Institut die im Bescheid enthaltene Auflage, der Schulbehörde jede neue Lehrkraft anzuzeigen, nicht erfüllt hat, führt nicht per se zur Unwirksamkeit des Bescheides, sondern hätte lediglich ein Widerrufsrecht für die Schulbehörde begründet (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG), von dem diese jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. Die Schulbehörde hätte die Bescheinigung befristet erteilen oder in angemessenen Zeitabständen überprüfen können und müssen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung noch vorliegen. Der Beklagte hätte die Überprüfung auch anregen können (vgl. hierzu Huschens in Vogel/Schwarz, § 4 Nr. 21 Rz. 45). Da dies nicht geschehen ist, blieb der Verwaltungsakt in den Streitjahren wirksam und für Beklagten und Gericht bindend.

c. Aus der Entscheidung des BFH, auf die der Beklagte Bezug nimmt (BFH-Urteil vom 18.02.2010 V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl II 2010, 876), folgt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, dass die Klägerin in dem Bescheid namentlich hätte genannt werden müssen. Die Entscheidung des BFH behandelt den Fall eines einzelnen Orchestermusikers. Die Steuerfreiheit seiner gegenüber dem Orchester erbrachten Leistungen setzte nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG seine eigene Anerkennung als Einrichtung durch den Mitgliedstaat und damit seine namentliche Nennung voraus. Im Streitfall kommt es für die dem E-Institut gegenüber erbrachten Leistungen hingegen, wie ausgeführt, allein auf die Bescheinigung für das E-Institut an; eine eigene Bescheinigung für die Klägerin ist insoweit nicht erforderlich.

d. Die Klägerin erbrachte unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck des E-Instituts dienende Leistungen. Dieses Erfordernis bezieht sich nicht auf den Inhalt der erbrachten Leistungen, sondern beschreibt die Art und Weise, in der die Leistungen bei Erfüllung des Schul- und Bildungszwecks eingesetzt werden müssen. Sie müssen ihn nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken (BFH-Urteil vom 21.03.2007 V R 28/04, BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999). Das ist bei einer Unterrichtung in Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeit der Fall (BFH-Urteil vom 21.03.2007 V R 28/04, BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999).

e. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen entsprechen dem in der für das E-Institut erteilten Bescheinigung der Schulbehörde aufgeführten Leistungsumfang. Wie die Klägerin glaubhaft versichert hat und auch unstreitig ist, hat sie keine AD(H)S-Therapien durchgeführt, sondern lediglich auch Kinder unterrichtet, die an diesem Syndrom litten.

f. Nach dem Gesetzeswortlaut ist für die Steuerbefreiung nicht erforderlich, dass die Einrichtung, für die der Steuerpflichtige die Unterrichtsleistungen erbringt, diesem eine entsprechende Bescheinigung ausstellt (Tehler in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 21 Rz. 430). Die Finanzverwaltung verlangt hingegen, dass der Unternehmer eine Bestätigung der Bildungseinrichtung vorlegt, die folgende Angaben enthält: Bezeichnung und Anschrift der Bildungseinrichtung, Name und Anschrift des Unternehmers, Bezeichnung des Fachs, des Kurses oder Lehrgangs, in dem der Unternehmer unterrichtet, Unterrichtszeitraum und Versicherung über das Vorliegen einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG für den vorbezeichneten Unterrichtsbereich (Abschn. 112a Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 4 Satz 1 UStR 2008).

Ob eine derartige Bescheinigung zum Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen erforderlich ist, kann im Streitfall offen bleiben, weil die Klägerin eine Bescheinigung des E-Instituts vorgelegt hat, die sämtliche o. g. Angaben enthält (FGA Bl. 104). Aus dieser von Frau A ausgestellten Bescheinigung geht auch hervor, dass sich Name und Anschrift des E-Instituts seit Erteilung der Bescheinigung durch die Schulbehörde geändert haben, die rechtliche Identität und inhaltliche Arbeit aber unverändert geblieben sind.

II.

Steuerbar, aber ebenfalls steuerfrei sind die Unterrichtsleistungen, die die Klägerin unabhängig vom E-Institut erbracht hat.

1. Der von der Klägerin erteilte Nachhilfeunterricht ist eine sonstige Leistung, die die Klägerin im Inland gegen Entgelt im Rahmen ihres Unternehmens ausgeführt hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

2. a. Zwar sind die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG insoweit nicht erfüllt. Denn der Klägerin wurde die nach dieser Vorschrift erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nicht erteilt.

b. Aus demselben Grunde kann die Klägerin sich nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) berufen. Danach befreien die Mitgliedstaaten die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung. Die „Anerkennung” der Zielsetzung i. S. dieser Vorschrift setzt ebenfalls die Erteilung einer Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde voraus (BFH-Urteil vom 27.09.2007 V R 75/03, BFHE 219, 250, BStBl II 2008, 323).

c. Auch die Berufung auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin die hier in Rede stehenden Leistungen nicht gegenüber dem E-Institut oder einer anderen Bildungseinrichtung erbracht hat.

d. Jedoch setzt diese Vorschrift die Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) nicht hinreichend um. Danach befreien die Mitgliedstaaten von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Steuer, ohne dass die Leistung gegenüber einem Träger einer Schule oder Hochschule erbracht werden müsste (Tehler in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 21 Rz. 363 f.). Die Klägerin kann sich daher unmittelbar auf die Richtlinie berufen (vgl. Beschluss des FG Köln vom 31.05.2010 4 V 312/10, EFG 2010, 1461; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 4 Nr. 21 Rz. 11).

aa. Die Klägerin erteilte Schulunterricht. Der gemeinschaftsrechtliche Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH-Urteil vom 14.06.2007 C-445/05, Haderer, UR 2007, 592; BFH-Urteil vom 27.09.2007 V R 75/03, BFHE 219, 250, BStBl II 2008, 323). Entscheidend ist, ob vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden (BFH-Urteil vom 24.01.2008 V R 3/05, BFHE 221, 302, BFH/NV 2008, 1078).

Dabei ist zu beachten, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG) umschrieben sind, zwar eng auszulegen sind. Doch würde eine besonders enge Auslegung des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht” die Gefahr einer je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuersystems hervorrufen, weil die jeweiligen Unterrichtssysteme der Mitgliedstaaten unterschiedlich gestaltet sind. Die in Art. 132 der Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen sind aber autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine derartige unterschiedliche Anwendung in den Mitgliedstaaten verhindern sollen (EuGH-Urteil vom 28.01.2010 C-473/08 Eulitz GbR, juris).

Unterricht zur Entwicklung und Verbesserung der Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit wird in Schulen erteilt. Das gilt auch für die Unterrichtung von Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche. Diese Kinder werden an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet und nach Möglichkeit auch speziell gefördert. Der von der Klägerin erteilte Unterricht entspricht diesem an den Schulen erteilten Unterricht und hat nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung.

bb. Die Klägerin erteilte den Unterricht als Privatlehrerin. Das ist der Fall, wenn der Lehrer für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt (EuGH-Urteil vom 14.06.2007 C-445/05, Haderer, UR 2007, 592) und die Ausbildungsleistungen unmittelbar gegenüber den Schülern und nicht gegenüber einer eigenen Bildungseinrichtung erbringt (EuGH-Urteil vom 28.01.2010 Rs. C-473-08 Eulitz GbR, juris).

Die Klägerin erteilte den Nachhilfeunterricht unstreitig auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung und erbrachte die Leistungen unmittelbar gegenüber den Nachhilfeschülern.

cc. Die Klägerin ist ausreichend qualifiziert. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nicht, ob und ggf. welche Anforderungen an die Qualifikation des Privatlehrers zu stellen sind. Doch besteht zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und der Qualifikation des Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang (EuGH-Urteil vom 14.06.2007 C-445/05, Haderer, UR 2007, 592). Ob der Tatbestand erfüllt ist, hängt entscheidend von der Art der erbrachten Dienstleistung ab. Der Unternehmer muss folglich eine bestimmte Mindestqualifikation haben, um die Dienstleistung erbringen zu können (Tehler in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 21 Rz. 365). Dabei kann die Frage, ob jemand als „Privatlehrer” i. S. der Vorschrift handelt, nicht von den Qualifikationsanforderungen des jeweiligen Mitgliedstaates abhängen. Ebenso wie bei der Auslegung des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht” muss nach der oben dargelegten Rechtsprechung des EuGH auch hier eine einheitliche Anwendung der Befreiung in den Mitgliedstaaten gewährleistet sein.

Der Begriff „Privatlehrer” setzt daher nicht voraus, dass der Unternehmer ein Hochschulstudium absolviert und nach deutschem Recht die Befähigung zum Lehramt innehat. In der Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte gibt es für ein derartiges Verständnis dieses Begriffs auch keine Anhaltspunkte (vgl. BFH-Urteile vom 28.01.2009 XI R 77/07, BFH/NV 2009, 1676 und vom 10.01.2008 V R 52/06, BFHE 221, 295, BFH/NV 2008, 725 , zu „Erste-Hilfe-Kurs” und Kursen über „Sofortmaßnahmen am Unfallort”; vom 24.01.2008 V R 3/05BFH/NV 2008, 1078, zu Ballettstudio; Beschluss des FG Köln vom 31.05.2010 4 V 312/10, EFG 2010, 1461, zum Betreiber einer privaten Schwimmschule).

Die Klägerin ist ausgebildete Erzieherin und hat Zusatzausbildungen für die Förderung von Kindern mit Legasthenie oder Dyskalkulie absolviert. Sie ist damit für den von ihr erteilten Nachhilfeunterricht hinreichend qualifiziert. Ihre Qualifikation spiegelt sich auch in ihrer fortlaufenden Beauftragung zu einem nicht unerheblichen Honorar wider.

Es ist im Übrigen gerichtsbekannt, dass an B Schulen nicht nur Hochschulabsolventen mit der Befähigung zum Lehramt, sondern auch Erzieher und Sozialpädagogen als Lehrkräfte tätig sind, die sich, ebenso wie die Klägerin, u.a. mit der Unterrichtung besonders förderungsbedürftiger Kinder befassen. Der B Senat plant zudem, an Schulen einen kostenlosen Nachhilfeunterricht anzubieten, der von pensionierten Lehrern, aber auch von Studenten und Referendaren erteilt werden soll, also von Personen, denen die Befähigung zum Lehramt ebenfalls (noch) fehlt. Dann kann der Klägerin die notwendige Qualifikation ebenso wenig abgesprochen werden.

3. Da die Unterrichtsleistungen somit steuerfrei waren, kommt es auf den von der Klägerin gemäß § 19 Abs. 2 Satz 3 UStG erklärten Widerruf des Verzichts auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 UStG nicht an. Der Senat weist aber darauf hin, dass dieser Widerruf für die bei Erlass der streitgegenständlichen Änderungsbescheide bereits unanfechtbaren Steuerfestsetzungen der Streitjahre keine Wirkung entfalten konnte, da er gemäß § 19 Abs. 2 Satz 4 UStG spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären ist.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

3. Gründe, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, liegen nicht vor.

VorschriftenUStG § 2 Abs. 1, UStG § 2 Abs. 2 Nr. 1, UStG § 4 Nr.21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, UStG § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb MwStSystRL Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL Art. 10 MwStSystRL Art. 132 Abs.1 Buchst. i und j, VwVfG § 49 Abs. 1, VwVfG § 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2