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15.06.2011

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 17.02.2011 – 10 K 258/10

- Zur Abgrenzung zwischen selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit.


- Erbringt ein Stpfl. hauswirtschaftliche und pflegerische Dienstleistungen, führt das zu gewerblichen Einkünften.


- Das Wahlrecht zwischen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG und § 4 Abs. 3 EStG steht nicht buchführungspflichtigen Stpfl. prinzipiell unbefristet zu; es kann nachträglich auch noch ausgeübt werden, wenn die Höhe des Gewinns zu schätzen ist.


Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin in den Veranlagungszeiträumen (VZ) 2004 bis 2008 durch die Erbringung von hauswirtschaftlichen und pflegerischen Leistungen bei einem Nachbarn Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte.

Die Kläger sind Eheleute. Der Kläger erzielte im Streitzeitraum Einkünfte aus nicht-selbständiger Arbeit i.S.d. § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In den Einkommensteuererklärungen der Jahre 2002 bis 2008 waren für die Klägerin keine Einkünfte erklärt.

Der Beklagte veranlagte die Kläger gemäß §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer und für die Jahre 2002 bis 2006 zunächst erklärungsgemäß.

Im Januar 2009 erhielt der Beklagte durch eine Anzeige Kenntnis davon, dass die Klägerin in den Jahren 1997 bis 2008 einen nicht mit ihr verwandten Nachbarn, Herrn S, in seiner Doppelhaushälfte in R versorgt hat. Nach dieser Anzeige erbrachte die Klägerin hauswirtschaftliche und pflegerische Leistungen.

Ermittlungen des Beklagten ergaben, dass die Klägerin mit notariellem Übergabevertrag nebst Pflegevereinbarung zum 01.01.2002 von Herrn S als Gegenleistung für dessen Versorgung dessen Doppelhaushälfte in R unter Vorbehalt eines nach Maßgabe von § 3 Abs. 4 des Übergabevertrags befristeten Nießbrauchs übertragen erhalten hatte.

Der notarielle Übergabevertrag nebst Pflegevereinbarung sah – auszugsweise – folgende Regelungen vor:

§ 1

Die Übertragung erfolgt als Gegenleistung für die von der Erschienenen zu 2. (Klägerin) bisher erbrachten und nach diesem Vertrag künftig zu erbringenden Versorgungs- und Pflegeleistungen.

Diese werden von den Parteien übereinstimmend mit durchschnittlich 900,00 DM monatlich bewertet.

§ 2

Der unmittelbare Besitz sowie Nutzungen und Lasten gehen mit Beendigung des bestellten Nießbrauchs auf die Übernehmerin über.

§ 3

Das lebenslängliche Nießbrauchsrecht soll ersatzlos enden, wenn der Nießbrauchs-berechtigte (Herr S) auf Dauer in ein Alten- oder Pflegeheim oder eine ähnliche Einrichtung aufgenommen werden muss.

§ 4

Die Erschienene zu 2. (Klägerin) verpflichtet sich, den Erschienenen zu 1. (Herrn S) in dem Hause in R in kranken und alten Tagen zu pflegen und zu versorgen.

Die Pflege- und Versorgungsleistungen beziehen sich auf körperliche Pflege, die Reinhaltung der Wohnung, waschen und zurechtmachen der Wäsche, Zubereitung der Speisen – wobei auf den Gesundheitszustand des Erschienenen zu 1. (Herrn S) Rücksicht zu nehmen ist–; soweit erforderlich, ist Diätkost zuzubereiten. Die notwendigen Naturalien zum Lebensbedarf des Erschienenen zu 1. (Herrn S) sind jedoch auf seine Kosten zu beschaffen.

Darüber hinaus verpflichtet sich die Erschienene zu 2. (Klägerin), den Erschienenen zu 1. (Herrn S) bei der Erledigung aller Angelegenheiten gegenüber Privatpersonen und Behörden zu unterstützen, für ihn Einkäufe zu besorgen und hin und wieder auch die Freizeit mit ihm zu gestalten.

Die vorstehenden Leistungen werden als Gegenleistung für die Übertragung des Grundbesitzes erbracht, allerdings beschränkt auf das eineinhalbfache der statistischen Lebenserwartung des Erschienenen zu 1. (Herrn S) nach der Anlage 9 zum Bewertungsgesetz bezogen auf den Tag der Übergabe des Grundbesitzes (= 4,284 x 1,5 abgerundet = 6,5 Jahre).

Sollte über diesen Zeitpunkt hinaus die Pflege des Erschienenen zu 1. (Herrn S) im Hause in R notwendig sein, sind die insoweit zu erbringenden Pflegeleistungen durch die Übertragung des Grundbesitzes nicht abgegolten.

Sollte die Erschienene zu 2. (Klägerin) innerhalb des vorgenannten Zeitraumes von 6,5 Jahren die Pflege und Versorgung des Erschienenen zu 1. (Herrn S) im Hause in R einstellen, ohne dass er dies durch schuldhaftes Verhalten zu vertreten hat, ist er berechtigt, die Rückübertragung des Grundbesitzes zu verlangen. In diesem Falle sind der Erschienenen zu 2. (Klägerin) die ihr für die vorerwähnten 4,5 Jahre erbrachter Pflege zustehenden 27.000 DM = 13.804,90 EUR und weiterhin vom Tage der Übergabe bis zur Einstellung der Pflege monatlich 900,00 DM (460,16 EUR) zu erstatten, und zwar Zug um Zug gegen Rückübertragung des Grundbesitzes.

Nach Ablauf der 6,5 Jahre entfällt das Rückübertragungsrecht ersatzlos.

Nach diesem Vertrag betrug der Verkehrswert des übertragenen Grundbesitzes ca. 90.000 DM (46.016,27 EUR). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Übergabevertrag nebst Pflegevereinbarung Bezug genommen.

Am 30.07.2009 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzungen für 2002 bis 2006 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und setzte für die Klägerin jährliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 5.521 EUR an (12 x 460,16 EUR).

Die Veranlagungen für 2007 und 2008 erfolgten erstmals am 30.07.2009 unter Berücksichtigung des mittlerweile bekannt gewordenen Sachverhaltes und unter Ansatz von Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von 5.521 EUR im Jahre 2007 und in Höhe von 4.601 EUR (10 Monate) im Jahre 2008 (ab November 2008 kam Herr S in ein Alten-/Pflegeheim).

Gegen die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 legten die Kläger Einspruch ein mit der Begründung, für die VZ 2002, 2003 und 2004 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Steuerhinterziehung könne nicht ernsthaft angenommen werden. Die Kläger hätten sämtliche Steuererklärungen der Streitjahre selbst erstellt und seien davon ausgegangen, dass dieses Gefälligkeitsverhältnis unter Nachbarn nicht steuerpflichtig, sondern allenfalls als geringfügige Beschäftigung zu qualifizieren sei, die nicht in der Steuererklärung anzugeben sei. Vorliegend habe es sich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt, zu dem der Arbeitgeber die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten gehabt und der Arbeitnehmer die Einkünfte nicht in seiner Einkommensteuererklärung zu deklarieren gehabt hätte.

Der Beklagte hob daraufhin die Einkommensteueränderungsbescheide 2002 und 2003 vom 30.07.2009 wegen eingetretener Festsetzungsverjährung auf.

Den Einspruch der Kläger gegen die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2008 wies der Beklagte als unbegründet zurück. Die reguläre Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2004 sei am 30.07.2009 nicht abgelaufen gewesen. Die an Herrn S erbrachten Versorgungsleistungen der Klägerin seien als gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG zu qualifizieren.

Hiergegen richtet sich die erhobene Klage.

Zur Klagebegründung beziehen sich die Kläger im Wesentlichen auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren.

Sie sind der Ansicht, die Tätigkeit der Klägerin sei steuerrechtlich nicht als selbständiger Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Sie habe vielmehr Einkünfte im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses erzielt. Sie habe keine eigenen Angestellten zur Pflege beschäftigt, sei nicht werbend am Markt für die Pflegeleistung aufgetreten, habe nur „einen Auftraggeber” gehabt und sei an die Weisungen des Herrn S gebunden gewesen. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit habe weniger als 15 Stunden pro Woche ausgemacht. Die erbrachten Pflegeleistungen seien nicht steuerpflichtig.

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2006 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 jeweils vom 30.07.2009 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 dahingehend zu ändern, dass keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfasst werden,

hilfsweise

das Verfahren solange auszusetzen, bis das bereits angestrengte

Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung abgeschlossen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Tätigkeit der Klägerin sei als Gewerbetrieb zu qualifizieren. Der Wert des unter Nießbrauchsvorbehalt übertragenen Grundstücks stelle für die vereinbarte und geleistete Zeit der Versorgung von 6,5 Jahren laufende Einnahmen aus Gewerbebetrieb dar.

Gründe

I. Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2007 vom 30.07.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Einkommensteuerbescheid 2008 ist dagegen rechtmäßig.

1. Die Erbringung von hauswirtschaftlichen und pflegerischen Leistungen durch die Klägerin ist als gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu qualifizieren.

a) Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind Einkünfte aus gewerblichen Unternehmen. Ein Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und – zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgeht (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.06.1984, GrS 4/82, BStBl II 1984, 751, 762).

Die negative Abgrenzung zur Selbständigkeit entspricht der Begriffsbestimmung des Dienstverhältnisses in § 1 Abs. 2 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung – LStDV – (Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 14.10.1976, V R 137/73, BStBl II 1977, 50 m.w.N.). Danach liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Beschäftigte dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Maßgebend ist das Gesamtbild der Verhältnisse (ständige Rechtsprechung BFH, z.B. Urteil vom 20.02.1979, VIII R 52/77, BStBl II 1979, 414 m.w.N.). Hierzu hat der BFH zahlreiche Kriterien beispielhaft aufgeführt, die für die Abgrenzung bedeutsam sind (BFH-Urteil vom 14.06.1985, VI R 150-152/82, BStBl II 1985, 661), wobei die für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechenden Merkmale, im Einzelfall jeweils einzeln zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind (BFH-Urteil vom 23.04.1997, VI R 12/96, BFH/NV 1997, 656). In diese Würdigung sind auch die der Tätigkeit zugrunde liegenden Vertragsverhältnisse einzubeziehen, sofern sie ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sind.

Für die Nichtselbständigkeit können insbesondere folgende Merkmale sprechen: persönliche Abhängigkeit; Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit; feste Arbeitszeiten; Ausübung der Tätigkeit gleich bleibend an einem bestimmten Ort; feste Bezüge; Urlaubsanspruch; Anspruch auf sonstige Leistungen; Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall; Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern; Eingliederung in den Betrieb; Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges; Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsgebundenheit die Regel ist.

Für eine Selbständigkeit sprechen: Selbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit; Unternehmerrisiko; Unternehmerinitiative; geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern.

b) Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ist der Senat der Überzeugung, dass die für eine selbständig gewerbliche Tätigkeit der Klägerin sprechenden Merkmale überwiegen.

Im Rahmen der Gesamtwürdigung kommt dabei dem von der Klägerin geschuldeten Arbeitserfolg sowie dem übernommenen Unternehmerrisiko besondere Bedeutung zu. Die für eine unselbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale fallen gegenüber den für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Merkmalen insgesamt weit weniger ins Gewicht.

aa. Zwar wendet die Klägerin ein, sie sei an die Weisungen des Herrn S gebunden gewesen. Der Vertrag vom …. enthält jedoch keine Bestimmungen darüber, wann und wo welche der in § 4 des Vertrages vereinbarten Tätigkeiten von der Klägerin zu verrichten waren. Die Tatsache, dass sich die von der Klägerin zu verrichtenden Tätigkeiten in erster Linie nach dem aktuellen Bedarf des Herrn S richteten, führt jedoch zu keiner inhaltlichen Weisungsgebundenheit. Vielmehr liegt dies bei einem Versorgungs- und Pflegeverhältnis in der Natur der Sache. Im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses wäre eine konkrete Aufgabenzuweisung bereits wesentlicher Inhalt des Arbeitsverhältnisses gewesen. Vorliegend stand es der Klägerin vielmehr frei, selbst zu bestimmen, wann, wie und in welcher Reihenfolge sie die erforderlichen hauswirtschaftlichen und pflegerischen Tätigkeiten verrichtete. Sie unterlag keiner inhaltlichen Weisung und bestimmte den Umfang der von ihr zu verrichtenden Tätigkeiten selbst. Diese fehlende inhaltliche Weisungsgebundenheit ist ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Selbständigkeit.

bb. Für die Selbständigkeit der Klägerin spricht zudem, dass sie nach Aktenlage keinen vertraglich gesicherten Anspruch auf Zahlungen im Krankheits- und Urlaubsfall besaß.

cc. Besonders gewichtig für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit ist vorliegend, dass die Klägerin nach dem Willen der Vertragsparteien allein den Arbeitserfolg und gerade nicht nur ihre Arbeitsleistung schuldete. Dieser Umstand wird aus dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom …. besonders deutlich. Hier führte die Klägerin aus, sie sei Ende Mai 2008 von der Leiter gefallen, habe deshalb fortan nicht mehr für Herrn S arbeiten können und sich bis zur Übernahme der Pflege durch einen Pflegedienst für die gegenüber Herrn S geschuldeten Leistungen durch ihre Tochter vertreten lassen müssen.

Der Umstand, dass die Klägerin nach ihrem krankheitsbedingten Ausfall die von ihr geschuldeten Pflegeleistungen durch ihre Tochter hat erbringen lassen müssen, macht deutlich, dass die Klägerin gegenüber Herrn S (selbst im Krankheitsfalle) einen Arbeitserfolg zu erbringen hatte. Diesen Umstand gewichtet der Senat als so schwerwiegend, dass alle gegen eine selbständige Tätigkeit der Klägerin sprechenden Indizien hinter diesem Merkmal zurücktreten.

dd. Nach Ansicht des erkennenden Senates trug die Klägerin darüber hinaus auch ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Wie bereits ausgeführt, schuldete die Klägerin den Arbeitserfolg, wobei nach der Vereinbarung mit Herrn S der Umfang der von ihr vertraglich geschuldeten Tätigkeit offen gewesen ist. Der Umfang der Tätigkeiten hing wesentlich von der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit des Herrn S ab, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vollständig ungewiss gewesen ist und sich zu ungunsten für die Klägerin hätte ausdehnen können.

ee. Auch der Vortrag der Klägerin, sie habe bis auf Mittwoch, Samstag und Sonntag jeden Tag die Woche in der Zeit von 8.30 Uhr bis 11.30 Uhr die Versorgung und Pflege des Herrn S ausgeführt, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Die Einhaltung fester Arbeitszeiten ist lediglich ein Indiz für eine Arbeitnehmerstellung, ändert nichts an der grundsätzlichen Einordnung der Tätigkeit der Klägerin als selbständig. Insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden inhaltlichen Weisungsgebundenheit, des allein geschuldeten Arbeitserfolges sowie des übernommenen erheblichen Risikos, fällt die möglicherweise teilweise zeitliche Gebundenheit, die im Übrigen nicht vertraglich festgelegt ist, nicht wesentlich ins Gewicht.

ff. Nach Überzeugung des Senates ist auch nicht von einer ein nichtselbständiges Arbeitsverhältnis maßgebend prägenden persönlichen Abhängigkeit von Herrn S auszugehen. Die Klägerin hätte ihre Tätigkeit nach Überzeugung des Senates auch ohne Weiteres auf andere Personen ausweiten können. Insbesondere bei den vorgetragenen Betreuungszeiten wäre dies zeitlich möglich gewesen.

gg. Gegen das Vorliegen einer nichtselbständigen Tätigkeit spricht zudem, dass die Vertragsparteien selbst nicht die Folgerungen aus der Annahme eines nichtselbständigen Beschäftigungsverhältnisses gezogen haben. So sind in der Vergangenheit weder Sozialversicherungsbeiträge entrichtet noch ist die Lohnsteuer einbehalten und abgeführt worden.

hh. Die Nachhaltigkeit der Tätigkeit folgt daraus, dass sie sich durch den notariellen Übergabevertrag nebst Pflegevereinbarung über einen Zeitraum von 6,5 Jahren (beginnend ab 01.01.2002) verbindlich verpflichtete, Versorgungsleistungen an Herrn S als Gegenleistung für die Übertragung des Grundbesitzes in R zu erbringen.

ii. Die Tätigkeit erfolgte auch mit Gewinnerzielungsabsicht und unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr liegt vor, wenn die Tätigkeit am Markt und für Dritte äußerlich erkennbar angeboten wird.

Die Absicht der Klägerin, Gewinn zu erzielen folgt ersichtlich schon aus der Tatsache, dass mit dem notariellen Vertrag die Versorgungsleistungen der Klägerin durch die Übertragung des Grundstücks vergütet wurden und Sie nicht lediglich ihre mit der Tätigkeit verbundenen Unkosten ersetzt erhalten sollte, die Tätigkeit mithin auf die Erzielung eines positiven Ergebnisses ausgerichtet war. Da in § 4 des Vertrages zudem ausdrücklich vereinbart war, dass die Klägerin verpflichtet war, Herrn S bei der Erledigung aller Angelegenheiten gegenüber Privatpersonen und Behörden zu unterstützen, war die Tätigkeit der Klägerin auch für Dritte erkennbar. Hieran ändert ihr Vortrag, sie sei für die Pflegeleistung nicht werbend am Markt aufgetreten, nichts.

2. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb der Klägerin in den Streitjahren ist nach den Grundsätzen der Einnahme-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln.

Gewinn ist der um Entnahmen und Einlagen korrigierte Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Steuerpflichtige, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und die auch keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, können unter den in § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen anstelle des durch Bestandsvergleich ermittelten Gewinns den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen (Einnahme-Überschussrechnung).

Nicht buchführungspflichtige Steuerpflichtige, die auch freiwillig keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen – wie vorliegend die Klägerin –, haben grundsätzlich das Recht, zwischen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG und nach § 4 Abs. 3 EStG zu wählen.

Es besteht für die Klägerin weder eine derivative (§ 140 AO) noch eine originäre (§ 141 AO) Buchführungspflicht. Sie hat weder eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich noch durch Einnahme-Überschussrechnung vorgenommen. Daher ist die Höhe des von ihr erzielten gewerblichen Gewinnes zu schätzen.

In der mündlichen Verhandlung am 17.02.2011 hat die Klägerin das ihr grundsätzlich zustehende Wahlrecht nachträglich dahingehend ausgeübt, dass sie die Gewinnermittlungsart nach § 4 Abs. 3 EStG wählte.

Der BFH hat in seiner Rechtsprechung hervorgehoben, dass das Wahlrecht zwischen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG nicht buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen prinzipiell unbefristet zusteht (BFH-Urteil vom 19.10.2005, XI R 4/04, BStBl II 2006, 509). Formal wird das Wahlrecht hiernach allein durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung bzw. Feststellung begrenzt. Dies entspricht im Ergebnis auch der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (z.B. HHR/Kanzler, § 4 EStG, Stand: September 2009, Rn. 550; Blümich/Wied, § 4 EStG Rn. 134 ff.; Frotscher in Frotscher, EStG, Stand: Dezember 2009, § 4 Rn. 19; Kanzler, FR 1998, 233, 245; Drüen, DStR 1999, 1589; Drüen/Krumm, FR 2004, 685; Hofer, DStR 2000, 1635).

Der erkennende Senat tritt der im BFH-Urteil vom 19.10.2005, XI R 4/04, BStBl II 2006, 509 vom XI. Senat vertretenen Rechtsansicht bei (so auch: IV. Senat im BFH-Urteil vom 19.03.2009, IV R 57/07, BStBl II 2009, 659) und gesteht der Klägerin auch in vorliegendem Fall, in dem die Höhe des erzielten Gewinnes mangels entsprechenden Zahlenwerks zu schätzen ist, das Wahlrecht hinsichtlich der Gewinnermittlungsart nachträglich zu.

3. Da der Gewinn der Klägerin entsprechend dem ausgeübten Wahlrecht nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln ist, sind Einnahmen nach dem Zuflussprinzip gemäß § 11 Abs. 1 EStG in dem VZ einkommensteuerlich zu erfassen, in dem sie ihr zugeflossen sind.

Ein Zufluss liegt vor, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (BFH-Urteil vom 30.01.1975, IV R 190/71, BStBl II 1975, 776). Einnahmen fließen selbst dann zu, wenn noch nicht zweifelsfrei feststeht, ob sie beim Empfänger endgültig verbleiben; stellt sich später heraus, dass der Empfänger den ihm zunächst zugegangenen Wert nicht endgültig behalten darf, sondern in einem späteren VZ zurückgewähren muss, so ist dieser Rückgewährvorgang einkommensteuerrechtlich nach § 11 EStG erst in dem späteren VZ zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 01.03.1977, VIII R 106/74, BStBl II 1977, 545; vom 13.12.1963, VI 22/61 S, BStBl III 1964, 184). Denn Einnahmen liegen auch dann vor, wenn der Empfänger über einen Wert vorübergehend wirtschaftlich verfügen kann (BFH-Urteil vom 01.03.1977, VIII R 106/74, BStBl II 1977, 545).

Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall zwei Zuflusszeitpunkte anzunehmen:

a. Der erste Zuflusszeitpunkt liegt außerhalb des Streitzeitraums im Jahre 2002. In diesem Jahr ist der Klägerin ein Betrag in Höhe des Wertes des zum 01.01.2002 übertragenen Grundbesitzes abzüglich des Wertes des von Herrn S vorbehaltenen Nießbrauchs – unabhängig von einer (möglichen) Rückübertragungsverpflichtung in § 4 des Übergabevertrages – i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen. In den streitbefangenen Jahren 2004, 2005, 2006 und 2007 sind mangels Zuflusses von Geld oder in geldeswert bestehenden Gütern keine Einnahmen gegeben.

b. Ein weiterer steuerbarer Vorgang ist erst im VZ 2008 anzunehmen. Nach eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat sie die Tochter des Herrn S, die die Vormundschaft über ihren Vater erhielt, entlassen, so dass sie ab spätestens September 2008 nicht mehr für Herrn S tätig geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin ihre Tätigkeit endgültig eingestellt und ihren Gewerbebetrieb aufgegeben.

Eine Betriebsaufgabe liegt vor, wenn aufgrund eines Entschlusses des Steuerpflichtigen, den Betrieb aufzugeben, die bisher in diesem Betrieb entfaltete gewerbliche Tätigkeit endgültig eingestellt wird, alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang entweder insgesamt in das Privatvermögen überführt bzw. anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt oder insgesamt einzeln an verschiedene Erwerber veräußert werden und dadurch der Betrieb als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 09.09.1993, IV R 30/92, BStBl II 1994, 105; vom 26.04.2001, IV R 14/00, BStBl II 2001, 798; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 29. Aufl., § 16 Rn. 173, jeweils m.w.N.).

Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG ist der entstehende Aufgabegewinn durch Bestandsvergleich zu ermitteln. Diejenigen, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, sind deshalb so zu behandeln, als wären sie im Augenblick der Betriebsaufgabe zunächst zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG übergegangen. Dies hat zur Folge, dass ein Übergangsgewinn zu ermitteln und im Jahr der Betriebsaufgabe (2008) zu besteuern ist.

Geht ein Steuerpflichtiger von der Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 über, so erfordert der Wechsel vom Zu- und Abflussprinzip zum Realisationsprinzip die Vornahme von Zu- und Abrechnungen, damit sich Geschäftsvorfälle nicht doppelt oder (andererseits) überhaupt nicht auswirken (ständige Rechtsprechung seit dem Urteil des Reichsfinanzhofs – RFH – vom 07.12.1938, VI 774/37, RStBl 1939, 172; BFH-Urteile vom 28.05.1968, IV R 202/67, BStBl II 1968, 650, und vom 24.01.1985, IV R 155/83, BStBl II 1985, 255 sowie BFH-Beschluss vom 23.08.1995, IV B 78/94, BFH/NV 1996, 119). Dabei erhöht ein entstehender Übergangsgewinn den laufenden Gewinn des Steuerpflichtigen im letzten Wirtschaftsjahr (BFH-Urteil vom 13.12.1979, IV R 69/74, BStBl II 1980, 239). Insofern wird der Übergangsgewinn nicht anders behandelt als die Zurechnungen, die sich aus dem vor der Aufgabe oder der Veräußerung eines Betriebs mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gebotenen fiktiven Bestandsvergleich ergeben (BFH-Urteil vom 23.11.1961, IV 98/60 S, BStBl III 1962, 199).

Im Rahmen der Ermittlung des Übergangsgewinns der Klägerin von der Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 ist im VZ 2008 der Wert des weggefallenen Nießbrauchs als Zufluss gewinnerhöhend zu erfassen.

Da das Finanzgericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über das Klagebegehren nicht hinausgehen und damit nicht verbösern darf, ist kein höherer Wert als 4.601 EUR im VZ 2008 (10 Monate à 460 EUR= 900 DM) anzusetzen. Daher kann der erkennende Senat offen lassen, welcher Wert dem vereinbarten Nießbrauch beizumessen wäre, da dieser in jedem Fall im VZ 2008 über 4.601 EUR läge.

II. Dem Antrag der Klägerin, das Klageverfahren so lange auszusetzen, bis das bereits angestrengte Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung abgeschlossen ist, kann nicht entsprochen werden.

Das Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung ist für das die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2008 betreffende Klageverfahren nicht vorgreiflich i.S.d § 74 FGO, da es keinen rechtlichen Einfluss hierauf hat. Im Streitfall war die selbständige gewerbliche Tätigkeit der Klägerin von einer nichtselbständigen Tätigkeit abzugrenzen. Die Kriterien hierfür stimmen nicht mit den Tatbestandsmerkmalen überein, die für die Sozialversicherungspflicht gelten (so auch: FG Hamburg vom 12.11.2004, VI 230/02). So können beispielsweise Personen, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit erzielen, der Sozialversicherungspflicht unterliegen (sog. Scheinselbständige).

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

IV. Die Revision wird hinsichtlich der Zweifel, ob die Rechtsprechung des BFH zur nachträglichen Bestimmung der Gewinnermittlungsart auch für Schätzungszwecke anzuwenden ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

VorschriftenEStG § 4 Abs. 1, EStG § 4 Abs. 3, EStG § 15