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· Fachbeitrag · Auskunfts- und Datenerhebung

So weit muss der Versicherungsnehmer mitwirken

| Der Versicherungsnehmer (VN) kann sich nicht darauf zurückziehen, nur Auskunft zum aktuellen Versicherungsfall zu geben. Verweigert er Angaben, die sich auf vorvertragliche Anzeigepflichten beziehen, kann dies dazu führen, dass sein Leistungsanspruch nicht fällig wird. Der BGH hat jetzt deutlich herausgearbeitet, wie weit die abgestufte Auskunftspflicht des VN geht. |

 

Sachverhalt

Der VN machte eine Berufsunfähigkeitsrente geltend. Der VR forderte von ihm eine Schweigepflichtentbindungserklärung um zu prüfen, ob der Versicherungsvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Der VN weigerte sich. Er wollte die Erhebung von Auskünften nur genehmigen, soweit sie sich auf die Berufsunfähigkeit bezögen. Einer Datenerhebung zur Überprüfung „vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzungen“ widersprach er ausdrücklich. Der VR stellte daraufhin die weitere Leistungsprüfung ein.

 

  • 1. Zu den zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des VR notwendigen Erhebungen im Sinne des § 14 Abs. 1 VVG zählen auch solche, die klären sollen, ob der VN bei Vertragsschluss seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten im Sinne von § 19 Abs. 1 S. 1 VVG erfüllt hat.
    • 2. a) Zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR sind auch solche Auskünfte erforderlich im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 VVG , die der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen dienen. Die den VN insoweit treffende Mitwirkungsobliegenheit ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine Anzeigeobliegenheitsverletzung besteht.
    • b) Der VN hat bei der Erhebung von Daten durch den VR grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken, als diese zur Prüfung des Leistungsfalls relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem VR noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die
  • Obliegenheit des VN zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem VR eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind.
  • 3. § 213 Abs. 1 VVG steht einer Datenerhebung des VR zum Zwecke der Überprüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des VN nicht entgegen.
 

Entscheidungsgründe

Der BGH stellt klar, dass die Fälligkeit des Leistungsanspruchs nach § 14 Abs. 1 VVG auch vom Abschluss der Ermittlungen des VR abhängt. Hierzu zählen auch Nachforschungen, die klären sollen, ob der VN seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten i. S. v. § 19 Abs. 1 S. 1 VVG ordnungsgemäß erfüllt hat. Da der VN hier in keiner Weise mitgewirkt hat, hat BGH seine Leistungsklage abgewiesen.

 

Übersicht / Nachforschungsrechte des VR

  • 1. Mitwirkungspflicht des VN
  • Der VN muss grundsätzlich an einer Datenerhebung des VR mitwirken.
    • Diese Pflicht ergibt sich allerdings nicht aus § 22 Abs. 2 S. 2 AVB. Der ist infolge unangemessener Benachteiligung des VN gemäß § 307 BGB unwirksam.
  • Die Klausel bestimmt, dass die versicherte Person im Rahmen der Leistungsprüfung bestimmte Auskunftspersonen zu ermächtigen hat, auf Verlangen des VR Auskunft zu erteilen. Das benachteiligt den VN entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen, weil das Recht des Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG missachtet wird. Damit widerspricht die Klausel zugleich dem Grundgedanken des § 213 VVG.
    • Die Mitwirkungspflicht des VN ‒ auch bei der Frage vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen ‒ folgt vielmehr aus § 22 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AVB i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 2 VVG.
  • 2. Inhalt der Mitwirkungspflicht
  • Nach § 31 Abs. 1 S. 1 VVG kann der VR nach Eintritt des Versicherungsfalls verlangen, dass der VN jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR erforderlich ist.
    • Er kann insoweit alle Belege verlangen, die vom VN in zumutbarer Weise beschafft werden können (Satz 2). § 22 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AVB gestaltet die gesetzliche Regelung dahingehend aus, dass der VR auf seine Kosten vom VN notwendige Nachweise ‒ auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen ‒ fordern kann. Hierzu zählen insbesondere zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen, auch die des Arbeitgebers über den Beruf im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.
    • Die Pflicht des VN greift aber erst nach einem entsprechenden Verlangen des VR. Der VN muss also erst auf entsprechende Aufforderung hin tätig werden.
    • Der VR hat grundsätzlich einen erheblichen Beurteilungsspielraum. Er entscheidet selbst, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich die geforderten Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung tatsächlich als wesentlich erweisen, da die Frage der Erforderlichkeit ex ante zu beurteilen ist (BGH VersR 16, 1173).
  • 3. Überprüfung von möglichen Anzeigeobliegenheiten
  • Umstritten war bisher, ob der VR auch nach Umständen fragen und die Vorlage von Belegen verlangen darf, die es ihm erlauben, die Verletzung von vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten durch den VN zu beurteilen. Dies betraf insbesondere, wie das Tatbestandsmerkmal des § 31 Abs. 1 S. 1 VVG „zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR erforderlich“ auszulegen ist.
  • Der BGH hat nun entschieden, dass auch die Aufklärung solcher Umstände erforderlich im Sinne des § 31 Abs. 1 VVG ist, wenn sie dazu dienen, eine Anzeigeobliegenheitsverletzung oder arglistige Täuschung des VN bei Vertragsschluss aufzudecken. Begründung:
    • Der Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 1 VVG kann dahin verstanden werden, dass die Prüfung der Vertragswirksamkeit mitumfasst werden soll. Dafür sprechen ‒ ähnlich wie bei § 14 Abs. 1 VVG ‒ Sinn und Zweck der Vorschrift: Zielt § 14 Abs. 1 VVG darauf ab, dem VR die erforderliche Zeit zur Prüfung zu verschaffen, ob und in welcher Höhe er zur Leistung verpflichtet ist, soll § 31 Abs. 1 VVG ihn dazu befähigen, die hierzu erforderliche Tatsachengrundlage zu ermitteln.
    • Beide Regelungen bezwecken damit im Kern, dem VR eine sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen (BGH VersR 15, 45). Hierzu zählt auch die Prüfung der Vertragswirksamkeit.
    • Insoweit ist auch hier ohne Belang, ob es bei der Prüfung des VR um tatsächliche Umstände geht, welche seine Leistungspflicht unmittelbar entfallen lassen, oder solche, die ihm lediglich ein Gestaltungsrecht verschaffen, mit dessen Hilfe er den Vertrag nachträglich zu Fall bringen kann.
  • 4. Es müssen keine Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vorliegen
  • Die Obliegenheit besteht unabhängig davon, ob dem VR Anhaltspunkte für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzung des VN vorliegen.
    • Grundsätzlich stehen sich hier zwei grundrechtlich geschützte Rechte entgegen: Auf der einen Seite das Interesse des VN an informationeller Selbstbestimmung und auf der anderen Seite das ebenfalls erhebliche Offenbarungsinteresse des VR. Dieses wurzelt in der Vertragsfreiheit und genießt damit durch Art. 12 GG ebenfalls grundrechtlichen Schutz.
    • Die Abwägung der vorstehenden Belange führt nach Ansicht des BGH nicht dazu, die den VN treffende Mitwirkungsobliegenheit auf Fälle zu beschränken, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine Anzeigeobliegenheitsverletzung des VN besteht.
  • 5. Schutz des VN
  • Der BGH stellt aber auch klar, dass der Auskunftsanspruch des VR nicht ausufern darf. Er macht deutlich, dass der VN bei der Erhebung von Daten durch den VR nur soweit mitwirken muss, als diese zur Prüfung des Leistungsfalls relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem VR noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, erstreckt sich die Obliegenheit des VN zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem VR eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind (BVerfG VersR 13, 1425).
  • Dies kann im Fall eines geringen Kenntnisstands des VR eine gestufte, einem Dialog vergleichbare Datenerhebung erforderlich werden lassen. Dabei werden zunächst Vorinformationen allgemeiner Art erhoben. Auf deren Grundlage kann der VR dann einzelne, spezifischere Anfragen stellen. Die Antwort des VN hierauf kann unter Umständen wiederum zur Grundlage noch weiter ins Detail gehender Erkundigungen werden.
 

Relevanz für die Praxis

Der VN ist also aufgrund seiner Aufklärungsobliegenheit nicht gehalten, dem VR bei der Datenerhebung völlig freie Hand zu lassen. Auch muss er seinerseits vorformulierte Entwürfe des VR für weit gefasste Schweigepflichtentbindungserklärungen oder ähnliche Ermächtigungen nicht so modifizieren, dass sie über das genannte Maß nicht hinausgehen. Vielmehr muss sich der VR zunächst auf solche Informationen beschränken, die ihm einen Überblick über die zur Beurteilung des Versicherungsfalls einschließlich des vorvertraglichen Anzeigeverhaltens des VN relevanten Umstände ermöglichen.

 

  • Beispiel

Auf einer ersten Stufe kann die Frage gestellt werden, wann in dem für die Anzeigeobliegenheit maßgeblichen Zeitraum ärztliche Behandlungen/Untersuchungen stattgefunden haben. Z. B. durch eine Auskunft des Krankenversicherers, den der VN zunächst nur insoweit von seiner Schweigepflicht entbinden müsste.

 

Besonders sensible Gesundheitsdaten (etwa Diagnosen, Behandlungsweisen oder Verordnungen) sind von der Auskunftsobliegenheit des VN so lange nicht umfasst, bis der VR aufgrund seiner Prüfung der Vorinformationen sein Auskunftsverlangen weiter konkretisiert. Erst dann müsste der VN dieser Konkretisierung entsprechende Schweigepflichtentbindungen erteilen. Allerdings bleibt es ihm unbenommen, zur Beschleunigung der Leistungsprüfung stattdessen sogleich umfassende Auskünfte zu erteilen und auch eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindung zu erklären. Hierüber und über die andernfalls nach den vorgenannten Maßstäben schrittweise zu erfüllende Obliegenheit, Schweigepflichtentbindungen zu erteilen, muss der VR den VN zu Beginn seiner Erhebungen informieren.

Quelle: Ausgabe 03 / 2018 | Seite 43 | ID 45133261