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· Fachbeitrag · Einkommensteuer

Gesetzliche Renten: Werden sie in verfassungswidriger Weise doppelt besteuert?

von RA Matthias Trinks, Eisenhüttenstadt, www.txt.de

| Die Hinweise mehren sich, wonach alsbald festgestellt werden könnte, dass gesetzliche Renten in verfassungswidriger Weise doppelt besteuert werden. SR stellt Ihnen die Hintergründe vor und erläutert, wie Sie in der Zwischenzeit die Rechte Ihrer Mandanten wahren. |

1. So werden Renten bisher besteuert

Die Besteuerung der gesetzlichen Altersrente in Deutschland löst bei Rentnern oftmals Verärgerung aus. Viele fühlen sich bei den Ein- und Auszahlungen vor und nach dem Renteneintritt doppelt besteuert. Im Jahr 2002 entschied das BVerfG, dass die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung (also deren Absetzbarkeit) mit der Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen (Rente) abgestimmt sein müsse. Eine doppelte Besteuerung müsse vermieden werden.

 

Es folgte die gesetzliche Reform der Rentenbesteuerung. Die sieht vor, dass Renten nachgelagert besteuert werden, nämlich bei der Auszahlung der Rente. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese Regelung den Anforderungen des BVerfG genügt, also verfassungsgemäß ist.

2. Wann liegt eine Doppelbesteuerung vor?

In der Fachwelt wurde später abgeleitet, wann eine Doppelbesteuerung von Renten vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die Rententeilbeträge, die dem Rentner voraussichtlich steuerunbelastet zufließen, geringer sind, als die Altersvorsorgeaufwendungen, die er aus versteuertem Einkommen bezahlt hat. Dieser Grundsatz erscheint gefestigt.

 

Wichtig | Offen ist bislang allerdings, wie genau dieser steuer(un)belastete Teil der Rente zu berechnen ist. Davon hängt ab, ob im Einzelfall tatsächlich eine Doppelbesteuerung vorliegt.

3. So sehen es die Finanzgerichte

Inzwischen liegen die ersten Urteile der Finanzgerichte vor. Sie stammen vom FG Baden-Württemberg und vom FG Hessen.

 

a) Die Entscheidung des FG Baden-Württemberg

Das FG Baden-Württemberg sah im konkreten Fall keine unzulässige Doppelbesteuerung. Es entschied, dass die Summe der Rententeilbeträge, die dem Rentner nach seiner statistischen Lebenserwartung voraussichtlich steuerunbelastet zufließen werden, höher sei, als der Teil seiner Altersvorsorgeaufwendungen, die er aus versteuertem Einkommen geleistet habe.

 

Wichtig | Das Urteil betrifft zwar nur den konkreten Einzelfall. Das FG hat aber einige Aussagen getroffen, die für die Allgemeinheit wichtig sind. So rechnet das FG für den steuerfreien Teil der Rente zugunsten der Rentner, indem es folgende Abzugsbeträge unberücksichtigt ließ (FG Baden-Württemberg 1.10.19, 8 K 3195/16, Abruf-Nr. 213392):

 

  • den Werbungskostenpauschbetrag
  • den Sonderausgabenpauschbetrag
  • Sonderausgabenabzüge für die aus der Rente zu zahlenden Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge
  • steuerfreie Zuschüsse der Rentenversicherungsträger zu Krankenversicherungsbeiträgen

 

b) Die Entscheidung des FG Hessen

Auch das FG Hessen hat eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung verneint. Der Fall war aber ungleich komplexer, weil der Rentner nicht nur die gesetzliche Altersrente bezog, sondern auch diverse private Rentenversicherungen abgeschlossen hatte. Besonders interessant ist hier, dass das FG eine geringfügige Doppelbesteuerung für zulässig hält. Ob eine solche „Bagatellregelung“ aber rechtmäßig wäre, ist stark umstritten (FG Hessen 28.5.18, 7 K 2456/14, Abruf-Nr. 213563).

4. So wahren Rentner ihre Rechte

Die Darlegungslast für eine Doppelbesteuerung trägt der Rentner selber. Da derzeit nicht zu erwarten ist, dass Gesetzgeber oder Finanzverwaltung an der bestehenden Situation etwas zu seinen Gunsten ändern, muss er selbst aktiv werden. Als Handlungsoption bleibt also nur die Möglichkeit, eine etwaige Doppelbesteuerung selbst zu begründen und entsprechende Rechtsbehelfe ab dem Moment zu ergreifen, ab dem er in Rente geht.

 

Wichtig | Der Zeitpunkt des Renteneintritts macht den Unterschied. Bei Arbeitnehmern, die bis zum Jahr 2015 in Rente gegangen sind, ist tendenziell nicht von einer Doppelbesteuerung auszugehen. Dieses Risiko erhöht sich aber für alle Rentner, die danach in den Ruhestand gegangen sind bzw. gehen. Erst bei Renten, die etwa ab dem Jahr 2040 beginnen, mindert sich das Doppelbesteuerungsrisiko wieder.

 

PRAXISTIPPS |

  • Wenn Ihr Mandant nach 2015 in den Ruhestand gegangen ist bzw. geht, sollten Sie gegen Steuerbescheide Einspruch einlegen und sich auf die beiden Revisionsverfahren berufen, die zu den oben erwähnten Urteilen beim BFH anhängig geworden sind (X R 20/19 ‒ FG Hessen und X R 33/19 ‒ FG Baden-Württemberg). Beantragen Sie, dass das Verfahren ruht, bis der BFH entschieden hat. Denken Sie aber daran, dass Sie alle Steuerunterlagen für den Zeitraum der Renteneinzahlung vorhalten. Denn nur dann kann eine Doppelbesteuerung rechnerisch nachgewiesen werden.
  • Bündnis 90/Die Grünen haben im Bundestag einen Antrag zur Neuregelung der nachgelagerten Besteuerung gestellt. Die Besteuerung von Alterseinkünften soll vereinfacht und an den Bedürfnissen der Rentnerinnen und Rentner ausgerichtet werden. Die Details finden Sie in der BT-Drs. 19/16494, Abruf-Nr. 213642.
 
Quelle: Ausgabe 04 / 2020 | Seite 71 | ID 46407909