· Fachbeitrag · Erwerbsminderungsrente
Dauerhafte psychische Erkrankung muss nachgewiesen und austherapiert sein
| In vielen rentenrechtlichen Angelegenheiten spielen psychische Erkrankungen eine Rolle. Sie sind relevant, wenn trotz Behandlung davon auszugehen ist, dass sie weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft überwindbar sind. Diese Einschätzung muss sich allerdings in ärztlichen Gutachten bzw. Therapieverläufen entsprechend widerspiegeln (LSG Bayern 19.12.18, L 19 R 165/17). |
Sachverhalt
Die Erwerbsbiografie des 59-jährigen, ungelernten Klägers wies verschiedenste Tätigkeiten aus, die jeweils durch längere Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen waren. Zuletzt war er als Paketsortierer geringfügig beschäftigt, seit November 2012 bestand Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger verfügte über einen Grad der Behinderung (GdB) von 50.
Am 27.10.15 beantragte er eine Erwerbsminderungsrente. Erstinstanzlich wurden ein fachorthopädisches Gutachten eingeholt und fachpsychiatrische Befundberichte beigezogen. Das SG wies die Klage ab, da der Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen arbeiten könne. In der Berufung trug der Kläger vor, dass seine psychische und seine Schmerzerkrankung nicht umfassend berücksichtigt wurden. Er leide unter starken Schmerzzuständen, sodass er Schmerzmittel einnehmen müsse. Das LSG holte ein orthopädisches sowie ein fachpsychiatrisches Gutachten ein. Es wies die Berufung zurück, denn auch jetzt war eine ein eingeschränktes Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich nicht nachweisbar (19.12.18, L 19 R 165/17, Abruf-Nr. 208933).
Entscheidungsgründe
Alle im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten kommen zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen des Klägers, sodass die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen. Auf psychiatrischem Fachgebiet wurden eine ausführliche Testung und Testvalidierung durchgeführt.
- Eine schwere depressive und Schmerzsymptomatik zeigte sich weder in den Testverfahren noch in der Untersuchungssituation.
- Vor allem seien die Therapiemöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Der Kläger war bisher nie in einer Psychotherapie, wurde bislang auch nie wegen seiner Psyche bzw. Schmerzerkrankung stationär behandelt.
- Bei seinem Nervenarzt stelle er sich nach eigenen Angaben nur einmal pro Quartal vor, spreche mit ihm oder fülle einen Test aus. Eine leitliniengerechte Therapie habe jedoch bis heute nicht stattgefunden, obwohl der Kläger hier massive Einschränkungen seit mindestens zehn Jahren nennt.
Das BSG hat bestätigt, dass psychische Erkrankungen erst rentenrechtlich relevant sind, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte seine psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft überwinden kann (BSG 12.9.90, 5 RJ 88/89; 29.3.06, B 13 RJ 31/05 R; BayLSG 24.5.17, L 19 R 1047/14).
Relevanz für die Praxis
Um erfolgreich zu argumentieren, dass die therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sind aussagekräftige Gutachten (SR 18, 79) oder Arztberichte notwendig, die Behandlungsdauern und ausbleibende Therapieerfolge dokumentieren.
Wird das Krankheitsbild Ihres Mandanten als so chronifiziert beurteilt, dass keine begründete Aussicht oder Möglichkeit besteht, dass sich sein Leistungsvermögen wesentlich (auf über drei Stunden arbeitstäglich) verbessert, ist die Rente wegen Erwerbsminderung auch nicht zu befristen (BSG 29.3.06, B 13 RJ 31/05 R).
Prüfen Sie jedoch stets, dass die eingeholten Gutachten auch konkrete Aussagen hierzu enthalten, sofern diese den Klageanspruch stützen (LSG Hessen 29.1.19, L 2 R 237/16, Abruf-Nr. 208934, unverwertbares Gutachten).
Weiterführende Hinweise
- Unbefristete Rente: Ärztliche Prognose entscheidet, SR 18, 200
- Fibromyalgie: Wie viele Stunden kann Anspruchsteller noch arbeiten?, SR 18, 103