· Fachbeitrag · Gesetzliche Rentenversicherung
Abschlag bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente
von VRiOLG a.D. Hartmut Wick, Celle
| Werden Altersrenten vorzeitig in Anspruch genommen, werden sie regelmäßig in verringerter Höhe gezahlt. Bei der gesetzlichen Rente bleibt dieser Abschlag im Versorgungsausgleich außer Betracht. Das hat der BGH in teilweiser Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung entschieden. |
Sachverhalt
In den Versorgungsausgleich (VA) wurden Anrechte beider Ehegatten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Der Ehemann bezieht bereits eine Altersrente, seitdem er das 62. Lebensjahr vollendet hat. Diese ist gekürzt worden, weil er sie vorzeitig in Anspruch genommen hat. Es erfolgte ein Abschlag, der durch den in die Rentenformel eingearbeiteten sog. Zugangsfaktor bewirkt wird. Der Versicherungsträger hat diese Kürzung in seiner Auskunft nicht berücksichtigt und den Ausgleichswert nur auf Basis der in der Ehezeit erworbenen Entgeltpunkte berechnet. Dem ist das OLG in seiner Entscheidung gefolgt. Dagegen wendet sich der Ehemann mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er hält es für grob unbillig, dem VA die fiktive höhere Regelaltersrente zugrunde zu legen.
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Entscheidungsgründe
Nach § 43 Abs. 1 i. V. mit § 39 VersAusglG ist der Ehezeitanteil eines Anrechts aus der gesetzlichen Rentenversicherung (nur) aus den in der Ehezeit erworbenen Entgeltpunkten zu berechnen. Weder der Rentenbetrag noch die weiteren für seine Berechnung maßgebenden Faktoren bilden eine den Ehezeitanteil prägende Bezugsgröße i. S. v. § 5 Abs. 1 VersAusglG.
Auch der Abschlag, der dadurch ausgelöst wird, dass der Ehemann schon vor dem Ehezeitende vorzeitig Altersrente beansprucht hat, bleibt unbeachtet.
Schon nach früherem Recht war bei Renten und Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung im VA der Betrag zugrunde zu legen, der sich am Ende der Ehezeit aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors ergäbe, § 1587a Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. Zwar hat der BGH seinerzeit Ausnahmen von diesem Grundsatz für Fälle zugelassen, in denen der Ausgleichspflichtige bereits während der Ehe vorzeitige Altersrente bezogen hat (BGH FamRZ 05, 1455).
Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf das neue Recht übertragen werden. Hier bleibt der den Abschlag bewirkende Zugangsfaktor nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers außer Betracht. Der Halbteilungsgrundsatz wird dadurch nicht verletzt.
Zwar bleibt dem Ehemann aus dem geteilten Anrecht eine geringere Rente, als sie die Ehefrau erhalten würde, wenn sie die Altersrente erst ab der Regelaltersgrenze beansprucht. Der Ehemann erhält seine Rente aber mit einem früheren Lebensalter und damit länger, als wenn er sie erst ab der Regelaltersgrenze beantragt hätte. Der verlängerte Rentenbezug spiegelt den versicherungsmathematischen Barwert einer höheren, aber erst ab einem späteren Zeitpunkt bezogenen Regelaltersrente wider.
Zu Recht hat das OLG es abgelehnt, den Ausgleichswert nach § 27 VersAusglG zu kürzen. Dies wäre nur gerechtfertigt, wenn der VA unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls zu einem unerträglichen Ergebnis führen würde. Dass die Rente um einen Abschlag gekürzt wird, ist aber die vorhersehbare Folge der eigenen Entscheidung des Ehemanns, die Rente bereits in Anspruch zu nehmen, bevor er die Regelaltersgrenze erreicht hat.
Relevanz für die Praxis
Nimmt ein Ehegatte eine Altersrente in Anspruch, bevor er die Regelaltersgrenze erreicht hat, bewirkt der Zugangsfaktor, dass der Rentenbetrag für jeden Monat, um den der Rentenbeginn vor der Regelaltersgrenze liegt, um 0,3 Prozent abgesenkt wird, § 77 SGB VI. Dieser Abschlag gleicht versicherungsmathematisch die verlängerte Rentenbezugsdauer aus.
Obwohl der Zugangsfaktor schon nach früherem Recht im VA außer Betracht bleiben sollte, hatte der BGH eine Korrektur vorgenommen, wenn die vorzeitige Rente bereits während der Ehezeit bezogen worden war. Nach neuem Recht hält der BGH an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest: Der Ausgleichswert einer gesetzlichen Rente ist jetzt stets ausschließlich aus den während der Ehezeit erworbenen Entgeltpunkten zu berechnen.
Auch eine Korrektur über die Härteklausel lehnt der BGH ausdrücklich ab. Falls keine anderen Härtegründe vorliegen, ist ein Antrag auf Herabsetzung des VA daher ohne Aussicht auf Erfolg.
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Ein rentenversicherter Ehegatte hat in der Ehezeit eine Anwartschaft im Ausgleichswert von 7,6132 Entgeltpunkten erworben. Dies entspricht bei Ehezeitende (31.3.16) einer monatlichen Rente von (x 29,21 [akt. Rentenwert] =) 222,38 EUR.
Da die Rente bereits 17 Monate vor der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen wurde, wird dieser Rentenbetrag um (17 x 0,3 % =) 5,1 % gekürzt, also auf 211,04 EUR. Im VA bleibt diese Rentenkürzung außer Betracht, auch wenn die Rente bereits während der Ehezeit begonnen hat. |
Die Rechtsprechung des BGH lässt sich auch auf andere Versorgungsanrechte übertragen, deren Ehezeitanteil nach der unmittelbaren Bewertungsmethode des § 39 VersAusglG zu berechnen ist, z. B. Anrechte aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes.
Für Anrechte, deren Ehezeitanteil nach § 40 VersAusglG zeitratierlich zu berechnen ist (z. B. Beamtenversorgung), gilt dies jedoch nicht. Hier wirkt sich der vorzeitige Rentenbezug nicht nur auf die Höhe der Versorgung aus, sondern es verkürzt sich auch die Gesamtdienstzeit. Damit erhöht sich das nach § 40 Abs. 2 S. 3 VersAusglG maßgebende Zeit/Zeit-Verhältnis (ehezeitliche Dienstzeit zur Gesamtdienstzeit). Der Zugangsfaktor dürfte hier Teil der bei Ehezeitende maßgeblichen Bezugsgröße „Rentenbetrag“ und seiner individuellen Bemessungsgrundlagen sein. Deshalb spricht viel dafür, dass der Ehezeitanteil nach dem Zeit/Zeit-Verhältnis der tatsächlich bezogenen Rente zu berechnen ist. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/10144, 80).
Auch der BGH hat nach früherem Recht entschieden, dem VA sei die um den Abschlag gekürzte Versorgung zugrunde zu legen, wenn der Rentenbezug noch während der Ehezeit begonnen hat (BGH FamRZ 12, 769). Ob er daran auch nach neuem Recht festhält, ist aber noch offen.
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Ein Ehemann, geb. am 16.5.51, hat während der Ehezeit (1.10.85 bis 31.3.16) ein Anrecht auf Beamtenversorgung erworben. Die Regelaltersgrenze liegt für ihn bei 65 Jahren und 5 Monaten. Er würde sie erst am 1.1.16 erreichen. Er hat die Pension vorzeitig ab 1.6.15 in Anspruch genommen. Dies hat zu einem Versorgungsabschlag von 5,1 % geführt. Die Anwartschaft auf die volle Pension betrug bei Ehezeitende monatlich 3.000 EUR. Aufgrund des Abschlags erhielt er bei Ehezeitende nur monatlich 2.847 EUR. Die tatsächliche ruhegehaltfähige Dienstzeit dauerte vom 1.4.73 bis 31.5.15 (506 Monate). Davon entfallen 356 Monate auf die Ehezeit (1.10.85 bis 31.5.15). Die bis zur Regelaltersgrenze erreichbar gewesene (fiktive) Gesamtdienstzeit hätte vom 1.4.73 bis 31.10.16 gedauert (516 Monate). Davon würden 366 Monate auf die Ehezeit entfallen (1.10.85 bis 31.3.16).
Berechnung des Ausgleichswerts auf Basis der tatsächlichen Pension: 2.847 EUR x 356 : 506 = 2.003,03 EUR : 2 = 1.001,52 EUR. Berechnung des Ausgleichswerts auf Basis der fiktiven vollen Dienstzeit und vollen Pension: 3.000 EUR x 366 : 516 = 2.127,91 EUR : 2 = 1.063,96 EUR.
Die fiktive Berechnung ist hier (wie meistens, aber nicht immer) für den ausgleichspflichtigen Beamten ungünstiger und für den Ausgleichsberechtigten günstiger. |
PRAXISHINWEIS | Die zeitratierliche Berechnung des Ehezeitanteils aus der vorgezogenen Rente kann sowohl einen niedrigeren als auch einen höheren Betrag ergeben als die Berechnung des Ehezeitanteils aus der fiktiven Regelaltersrente.
Bevor gegen eine Entscheidung Beschwerde eingelegt wird, müssen Sie daher prüfen, welches Ergebnis für den eigenen Mandanten günstiger ist. |
Weiterführender Hinweis
- Wick, Der Versorgungsausgleich, 3. Aufl., Rn. 187