· Fachbeitrag · Mandanten fragen
Wie wird der Pflichtteilsanspruch besteuert?
von StB Christoph Wenhardt, Brühl
| Der vermögende Senior S möchte von Ihnen als Rechtsanwalt wissen, wie der Pflichtteilsanspruch eines Abkömmlings besteuert wird und ob es hier Besonderheiten zu beachten gibt. Zudem will S noch wissen, ob es Gestaltungsmöglichkeiten beim Pflichtteil gibt. |
1. Erbrecht
Nach § 2303 BGB steht bestimmten enterbten Personen ein Pflichtteilsanspruch zu. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Pflichtteilsberechtigte sind der Ehegatte, der Abkömmling oder die Eltern des Erblassers.
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Der verwitwete Senior S hat 3 Kinder K1, K2 und K3. S hat in seinem Testament festgelegt, dass nur das Kind K1 erben soll. S verstirbt und hinterlässt einen Nachlass von 1.500.000 EUR.
Lösung: K2 und K3 sind enterbt, daher steht ihnen ein Pflichtteilanspruch zu. Dieser beträgt jeweils 250.000 EUR (1/2 von 500.000 EUR = gesetzlicher Erbteil). |
2. Erbschaftsteuerrecht
Im Erbschaftsteuerrecht ist bei den Auswirkungen des Pflichtteilsanspruchs zu unterscheiden zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erben.
a) Auswirkungen beim Pflichtteilsberechtigten
Neben Erbanfall und Vermächtnis unterliegt auch der Pflichtteilsanspruch des Pflichtteilsberechtigten der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
MERKE | Zu einer Besteuerung kommt es aber nur, wenn der Berechtigte seinen Pflichtteil auch geltend macht. |
Unter Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs versteht man dabei in dem ernstlichen Verlangen des Berechtigten auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Sie setzt nicht die Bezifferung des Pflichtteilsanspruchs voraus (BFH 19.7.06, II R 1/05, BStBl. II 06, S. 718).
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Der Senior S verstirbt. In seinem Testament hat er bestimmt, dass seine Tochter T Alleinerbin wird. S hat noch einen Sohn A. Diesen hat er wegen seines schlechten Lebenswandels enterbt. Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs beträgt 860.000 EUR.
Lösung: Der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch unterliegt bei A der Besteuerung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). |
Die Berechnung der Erbschaftsteuer für A ist wie folgt durchzuführen:
Pflichtteilsanspruch/Bereicherung | 860.000 EUR |
Persönlicher Freibetrag | ./. 400.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb | 460.000 EUR |
Nun ist der Steuersatz festzustellen. Dieser beträgt bei einem steuerpflichtigen Erwerb von 460.000 EUR = 11 Prozent (siehe § 19 Abs. 1 ErbStG). Daraus ergibt sich eine erbschaftsteuerliche Belastung für A von 50.600 EUR. Hätte A seinen Pflichtteilsanspruch dagegen nicht geltend gemacht, käme es bei ihm zu keiner Besteuerung und dementsprechend zu keiner erbschaftsteuerlichen Belastung.
b) Auswirkungen beim Erben
Der Erbe kann den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch ‒ als Nachlassverbindlichkeit ‒ bei seinem Erwerb abziehen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG).
3. Gestaltungsmöglichkeit mit der Geltendmachung
Fallen einer Person innerhalb von 10 Jahren mehrere Erwerbe von der gleichen Person an, dann sieht § 14 ErbStG eine Zusammenrechnung dieser Erwerbe vor. Die Zusammenrechnung soll erreichen, dass die persönlichen Freibeträge innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren nur einmal zur Verfügung stehen. Auch verhindert die Vorschrift einen Progressionsvorteil.
Beachten Sie | Die Geltendmachung des Pflichtteils kann nun genutzt werden, um eine Zusammenrechnung zu verhindern.
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Der Senior S hat seiner Tochter B im April 09 einen Geldbetrag von 518.000 EUR geschenkt. Im Juli 18 verstirbt S und wird nur von seinem Sohn H beerbt. Der enterbten B steht ein Pflichtteilsanspruch von 400.000 EUR zu.
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a) Besteuerung der lebzeitigen Schenkung
Die Berechnung der Schenkungsteuer für B ist wie folgt durchzuführen:
Zuwendung/Bereicherung | 398.000 EUR |
Persönlicher Freibetrag | ./. 400.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb | 0 EUR |
Es ergibt sich keine schenkungsteuerliche Belastung für Tochter T. |
b) Besteuerung bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im August 18
Es kommt zu einer Zusammenrechnung beider Erwerbe, da diese innerhalb von 10 Jahren liegen. Die Erbschaftsteuer für B berechnet sich wie folgt:
Erwerb in 2018 (Pflichtteilsanspruch) | 400.000 EUR |
Erwerb in 2009 (Schenkung) | + 398.000 EUR |
Bereicherung | 798.000 EUR |
Persönlicher Freibetrag | ./. 400.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb | 398.000 EUR |
Nun ist der Steuersatz festzustellen. Dieser beträgt bei einem steuerpflichtigen Erwerb von 398.000 EUR = 11 Prozent (siehe § 19 Abs. 1 ErbStG). Daraus ergibt sich nun eine erbschaftsteuerliche Belastung für B von 43.780 EUR.
MERKE | Wäre bei der lebzeitigen Zuwendung eine Steuer angefallen, würde diese hier angerechnet werden. |
c) Besteuerung bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im Oktober 19
Da die Zehnjahresfrist abgelaufen ist, unterbleibt eine Zusammenrechnung ‒ der persönliche Freibetrag kommt erneut zur Anwendung.
Zuwendung/Bereicherung | 400.000 EUR |
Persönlicher Freibetrag | ./. 400.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb | 0 EUR |
Es ergibt sich keine schenkungsteuerliche Belastung für B |
Beachten Sie | Mit der Wahl des richtigen Zeitpunkts der Geltendmachung ergibt sich somit eine Steuerersparnis von 43.780 EUR.
4. Nachträglicher Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch
Wird auf den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch nachträglich verzichtet, hat dies nachteilige Konsequenzen. Im Einzelnen sehen diese wie folgt aus:
- Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs unterliegt der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (s. o.).
- Aber mit dem Verzicht wird ein weiterer Besteuerungstatbestand erfüllt. Denn der Verzicht stellt eine freigebige Zuwendung des Pflichtteilsberechtigten an den begünstigten Erben dar (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Es kommt also zu einer doppelten Besteuerung.
Weiterführende Hinweise
- Eine optische Übersicht zu den Gestaltungsmöglichkeiten beim Pflichtteil, Wenhardt, BBV (BeraterBrief Vermögen 07, 8)
- Wichtige Verjährungsfristen im Pflichtteilsrecht, SR 16, 91
- Wichtige Hinweise zum Pflichtteilsrecht eines entfernteren Abkömmlings, SR 16, 32