· Fachbeitrag · Heilbehandlung
Bei Unverträglichkeit können teurere Medikamente beansprucht werden
| Das SG Berlin hat entschieden, dass Versicherte in Härtefällen mit Medikamenten ohne Beschränkung auf den Festbetrag zu versorgen sind. Ein solcher Härtefall liegt vor, wenn wegen gesundheitlichen Gefahren nicht getestet werden kann, ob der Patienten alternative Präparate verträgt. |
Sachverhalt
Die erkrankte Versicherte erhielt ein Präparat, das den Festbetrag übersteigt. Die Versicherte wurde mehrmals in die ärztliche Notaufnahme eingeliefert, da sie auf unterschiedliche alternative Präparate (Generika) allergisch reagierte. Ihren Antrag auf Kostenübernahme für das gewünschte Medikament wies die Krankenkasse ab. Nach erfolglosem Widerspruch erhob sie Klage zum SG. Sie beantragte, dass die Krankenversicherung den Festbetrag übersteigenden Eigenanteile für das Medikament übernimmt. Das SG gab der Versicherten Recht (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 31 SGB V, 13 Abs. 3 S. 1 SGB V).
|
Eine Vollversorgung mit Arzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag hat auch dann zu erfolgen, wenn die allergische Unverträglichkeit von Generika nicht objektiv feststellbar ist, da selbst eine Austestung unter stationären Bedingungen aufgrund der möglichen vitalen Gefährdung nicht möglich ist, seitens eines Gutachters die anamnestische Beschreibung eines anaphylaktischen Schocks jedoch als plausibel bewertet wird (Abruf-Nr. 187684). |
Entscheidungsgründe
Das SG hatte in diesem Fall die Grundsätze des BSG auszulegen, wann ausnahmsweise die Festbeträge nicht anzuwenden sind (3.7.12, B 1 KR 22/11 R). Maßgeblich ist: Teurere Medikamente können beansprucht werden, wenn eine zusätzliche Krankheit aufgetreten oder eine bestehende verschlimmert wurde, nachdem alle anwendbaren Festbetragsmittel versucht wurden. Ferner muss die zusätzliche Krankheit oder Verschlimmerung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die Festbetragsmedikamente bedingt sein. Das teurere Medikament darf keine solche Nebenwirkungen zeigen und ist daher alternativlos. Dies muss mit einem Vollbeweis ärztlicherseits gesichert sein.
Eine entsprechende ärztliche Feststellung gab es jedoch vorliegend nicht. Allerdings wertete ein Gutachter die allergischen Reaktionen auf die Generika als schwer. Ein weiterer Beweis sei nicht möglich, da der Gutachter es als „absolut kontraindiziert“ ansah, wenn die alternativen Präparate stationär getestet werden, ob sie verträglich sind. Bei einem Medikamentenwechsel könne eine vitale Gefährdung bestehen. Dieses Risiko, so das SG, könne der Versicherten nicht zugemutet werden.
Relevanz für die Praxis
Eine Härtefallregelung ist nur möglich, wenn feststeht, dass das gewünschte Medikament das einzige ist, das vertragen wird. Dass es alternativlos ist, muss klar aus einer schriftlichen ärztlichen Einschätzung oder einem Attest hervorgehen. Verweist die Krankenkasse auf Generika, die Ihr Mandant nicht verträgt, sollte zügig eine solche fachärztliche Bescheinigung eingeholt werden, die auch die unverträglichen Präparate bzw. ihre Wirkstoffe benennt.
Insbesondere ist darin ein mögliches Risiko zu nennen, wenn der Patient auf andere Festbetragsmedikamente getestet oder eingestellt werden soll. Zu erläutern ist ggf. auch, dass ein Medikamentenersatz wegen der Gefahr eines häufigen Wechsels je nach Verfügbarkeit des Medikaments strikt zu vermeiden ist und ob Lieferschwierigkeiten bei den Medikamenten bestehen (VG Stuttgart 20.5.16, 2 K 4409/15). Insbesondere ist ärztlicherseits zu erläutern, dass und warum möglicherweise (mehrere) Generika nicht vertragen werden, jedoch das gewünschte Medikament, obwohl der Wirkstoff derselbe ist (z.B. Angaben zu Zusammensetzung, medizinische Wirkmechanismen).
MERKE | Im vergangenen Jahr entschied das OVG Berlin-Brandenburg, dass Berliner Beamte bei der Beihilfe für Medikamente genauso zu behandeln sind, als wenn sie gesetzlich krankenversichert wären (9.12.15, OVG 7 B 13.15). Daher darf auf das günstigste Medikament verwiesen werden. Auch hier gilt: Ausnahmen können in Härtefällen gelten. |
Weiterführende Hinweise
- Medikamente bis zur Höhe des Festbetrags beihilfefähig, SR 16, 17
- Krankenkassen müssen teure Hörgeräte zahlen, SR 15, 159