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· Fachbeitrag · Vorsorge

Patientenverfügung: Notwendigkeit von Änderungen erkennen und umsetzen

von Christian Noe B.A., Rechtsanwaltsfachangestellter, Leipzig

| Patientenverfügungen erfüllen ihren Zweck, wenn sie präzise und für ­Mediziner aussagekräftig formuliert und jederzeit schnell aufzufinden sind. Viele Verfügungen scheitern an diesen Voraussetzungen, denn häufig sind sie aus medizinischer Sicht nicht verständlich genug oder es sind nachträgliche individuelle Anpassungen nötig. Dieser Beitrag gibt wichtige ­Hinweise für das Verfassen und Ergänzen bereits vorhandener Verfügungen und stellt „Advance Care Planning“-­Programme vor. |

1. Ausgangsproblematik

Mit einer Patientenverfügung kann eine Person seit 2009 ihren Patienten­willen zu künftigen ärztlichen Eingriffen, Heilmaßnahmen und Behandlungsformen festlegen (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). Solche Verfügungen geben, sofern überlegt und juristisch sowie medizinisch zweifelsfrei formuliert, behandelnden Ärzten und Kliniken konkrete Leitlinien an die Hand. Genau hier stellt sich ein Problem: Die meisten Verfügenden gehen davon aus, mit einer ­einmal aufgesetzten Patientenverfügung hinsichtlich sämtlichen, zukünftig auftauchenden Behandlungsfragen in ihrem Leben vorgesorgt zu haben. ­Dabei kann es durchaus notwendig werden, Verfügung anzupassen.

2. Besondere Krankheitsverläufe: Verfügungsergänzung

Jede individuelle Biographie wird mit unterschiedlichsten gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Diese reichen von genetisch bedingten ­Erkrankungen bis hin zu Unfallfolgen oder sich erst im Alter manifestierenden Leiden. ­Während sich genetische Defekte diagnostisch oft mit Prognosen und planbaren Behandlung verbinden lassen, machen es spezielle Krankheitsbilder Ärzten schwer, Patientenverfügungen korrekt auszulegen, da sie entweder nicht präzise genug sind oder zu bestimmten Behandlungen keine Angaben enthalten.

 

Ferner haben Wissenschaft und medizinische Forschung in den vergangenen Jahren beeindruckende Entwicklungssprünge verzeichnet, neue Medikamente und Therapieansätze entwickelt. Krankheiten mit noch vor Jahren schlechten Prognosen werden immer besser behandelbar oder sehen sich konkreten Heilungschancen gegenüber. Für jeden Inhaber einer Patientenverfügung bedeutet das: Was heute nicht adäquat therapierbar ist, kann es in wenigen Jahren durchaus sein. Eine derzeit abgelehnte Behandlung kann in der Zukunft durch Alternativen ersetzt werden, weitaus verträglicher werden oder sogar mit Heilungsperspektiven verbunden sein.

 

Aber auch der Patient selbst kann in der Zwischenzeit seine Ansichten über die eigene Heilbehandlung geändert haben.

 

Angehörige und Berater von Senioren und pflegebedürftigen Menschen ­haben unterschiedliche Möglichkeiten um einzuschätzen, ob vorhandene ­Patientenverfügungen ergänzt oder angepasst werden müssen. ­Folgende ­Indikatoren sollten berücksichtigt werden:

 

Checkliste / Ergänzungsbedarf von Verfügungen erkennen

  • Zeichnen sich weitere oder Folgeerkrankungen ab? Leidet der Verfügende ­unter einer Erkrankung, die jetzt oder künftig besondere Behandlungs­methoden notwendig macht, die in der Patientenverfügung unerwähnt oder nur unzureichend berücksichtigt sind (progressiv fortschreitende Erkrank­ungen, Krankheitsstadien)?

 

  • Zeichnen sich neuartige Behandlungsmethoden ab bzw. stehen neue Medikamente vor ihrer Zulassung? Sprechen Sie mit dem Haus- und behandelnden Facharzt, ob hierdurch abgelehnte Behandlungen für den Betroffenen akzeptabel werden könnten. Erklären Sie Betroffenen die neue Lage und ­informieren Sie ihn gegebenenfalls mit Publikationen, bebilderten Erläuterungen oder ­Beratungsgesprächen mit Unterstützung von Ärzten bzw. des Ethischen ­Klinik-Komitees (vgl. unten, 4.)

 

  • Der Verfügende entwickelt neue Lebensphilosophien, Perspektiven oder Sichtweisen hinsichtlich seiner Lebensgestaltung. Dies kann einhergehen mit einer religiösen Neuorientierung (Konversion, Anschluss an eine Glaubens­gemeinschaft). Infolgedessen mögen sich wichtige Behandlungswünsche ­ändern.

 

  • Der Verfügende macht Andeutungen, dass er sich nicht sicher ist, ob seine aktuellen Wünsche mit seiner Patientenverfügung übereinstimmen. Möglicherweise liegt deren Abfassung schon mehrere Jahre zurück und entstand unter starkem Einfluss von belastenden Eindrücken (z.B. Beobachtung von Krankheits­verläufen im Bekanntenkreis, starke psychische Belastungen).

 

  • Bei bereits vorliegender Pflegebedürftigkeit: Neue Einrichtungen und ­Behandlungsformen der Palliativmedizin eröffnen dem Betroffenen Möglichkeiten, auch in schwierigen Phasen seiner Erkrankung im vertrauten Umfeld betreut und mit Medikamenten behandelt zu werden, wie es in der Vergangenheit nicht möglich war.
 

Die ersten beiden Punkte der Checkliste bergen die größten Heraus­forderungen. Viele Menschen werden über Jahre geradezu zu „Experten“ von Diagnosen und Behandlungsspektren betreffend ihre Angehörigen, allerdings sind ihnen für genaue Bewertungen medizinische Zusammenhänge unbekannt und wissenschaftliche Fachpublika unverständlich. Sie müssen jedoch nicht zum Experten werden, sondern lediglich aufmerksam ­registrieren, sofern sich einschneidende Änderungen in der Behandlung der Krankheit andeuten. Vor allem, wenn die Angaben in der Verfügung angesichts der neuen Behandlungsmethoden nicht mehr eindeutig sind und ­gegenüber den Ärzten der ­Patientenwillen nicht mehr eindeutig erkennbar sein könnte.

 

  • Beispiel

In einer Patientenverfügung wird eine künstliche Beatmung komplett abgelehnt. Einige Jahre später erkrankt der Verfasser an einer neurologischen Erkrankung, die eine Beatmung notwendig macht. Damit wäre er auch einverstanden, zumal die Beatmung nur unter bestimmten Bedingungen und in einem begrenzten ­zeitlichen Rahmen erfolgt. Um rechtzeitig Vorsorge zu treffen, welche weiteren Behandlungen bei dieser Erkrankung üblich sind und ob diese gewünscht oder abgelehnt werden, ist daher das Gespräch mit den Ärzten über den Inhalt der Verfügung notwendig, um anschließend über eine Modifizierung zu entscheiden.

 

Viele Begriffe sind nicht exakt definiert, wer z.B. schlagwortartig „Apparate­medizin“ oder „Gerätschaften der Intensivmedizin“ in seiner Patientenverfügung ablehnt, wirft automatisch die Frage auf, ob er diese nur in Einzelfällen oder grundsätzlich ablehnt. Deshalb enthalten qualifizierte, aussagekräftige Verfügungen detaillierte Passagen wie z.B. „Sofern keine vernünftige Aussicht auf meine Gesundung von körperlicher oder geistiger Krankheit ­besteht“ oder „Wenn eine Situation eintritt, in der mein Leben unmittelbar gefährdet ist und in der keine Aussicht auf eine nachhaltige Verbesserung meines Zustands im Hinblick auf Lebenserwartung und Lebensqualität ­besteht“.

3. Änderung von Patientenverfügungen

Patientenverfügungen können jederzeit formlos widerrufen werden, dies auch mündlich oder lediglich durch Handzeichen/Gesten der Verfügenden. 90 Prozent der im Zentralen Vorsorgeregister (ZVR) registrierten Vorsorge­vollmachten wurden vor einem Notar errichtet. Dieser übermittelt die ­Vollmachten und Verfügungen auch dorthin elektronisch zur Eintragung (www.vorsorgeregister.de). Soll eine Verfügung geändert werden, leitet der Notar die geänderte Fassung an das ZVR weiter.

 

Wurde eine Verfügung selbst erstellt und dem ZVR zur Eintragung über­mittelt, können jederzeit Änderungen vorgenommen werden. Diese müssen

  • schriftlich dem ZVR zugeleitet werden,
  • Ort, Datum und vollständige Unterschrift enthalten und
  • in der Änderung den deutlichen Hinweis enthalten, dass hierdurch die ­vorhandene Verfügung geändert/ersetzt wird und zwar unter Angabe
    • der Registernummer und
    • des Eintragungsdatums der Verfügung. Beides erhält man mit der ­Eingangsbestätigung des ZVR.

 

PRAXISHINWEIS | Die Kenntnisnahme von nachträglichen Ergänzungen und Änderungen durch das ZVR ist besonders wichtig, da ­Gerichte und Ärzte bei Bedarf vorhandene Verfügungen der Patienten dort ­abfragen. Es kann daher geschehen, dass eine geänderte Verfügung zwar im Ordner daheim vorhanden ist, während die veraltete Fassung, die nicht mehr den aktuellen Patientenwillen dokumentiert, unverändert beim ZVR ­registriert ist.

 

Beachten Sie |Ratsuchenden Angehörigen ist zu empfehlen, notwendige ­Verfügungsänderungen möglichst frühzeitig mit den Betroffenen zu besprechen. Dabei ist behutsam und umsichtig der derzeitige Gesundheitszustand zu berücksichtigen. Bei vielen älteren Menschen haben Krankheitsverläufe und Tode von nahen Angehörigen tiefe Spuren hinterlassen. Auch wenn diese unangenehmen Erinnerungen an Krankenhausbesuche und Apparatur­medizin schon Jahrzehnte zurückliegen mögen, sind diese immer noch sehr wirkmächtig. Hier ist eine Zusammenarbeit mit dem Klinikpersonal und ­Psychologen eine wichtige Hilfe, um den Betroffenen zu zeigen, dass es diese alten Behandlungsarten und -formen nicht mehr gibt. Sehr hilfreich sind auch Bilder der medizinischen Gerätschaften und Behandlungsräume oder Erfahrungsberichte anderer Betroffene bzw. der Besuch von Personen, die gerade auf diese Art behandelt werden.

4. „Advance Care Planning“-Programme (ACP)

Eine 2012 im Ärzteblatt publizierte Studie zu Patientenverfügungen in stationären Einrichtungen der Seniorenpflege wies auf Schwierigkeiten hin. Untersucht wurden Häufigkeit, Aussagekraft und Beachtung von Verfügungen durch das Pflegepersonal. Zwar existierten Verfügungen von Patienten, allerdings waren diese häufig nicht nachvollziehbar, wenig aussagekräftig und wurden - ein wesentlicher Punkt - häufig nicht beachtet. Einen vielversprechenden Ansatz bieten die aus den USA stammenden „Advance Care Planning“-Programme (auch: ACP-Programme), mit denen Patienten von ­einem Beraternetz unterstützt und im Lesen und Verfassen von Patientenverfügungen geschult werden.

 

Auch die genaue Einhaltung von Patientenverfügungen ist Aufgabe der ­Programme. Dabei werden die Patienten, das Pflegepersonal der Einrichtung und die Angehörigen gleichermaßen einbezogen. ACP-Programme bieten Betroffenen daher die Möglichkeit, einen umfassenden, übergreifenden ­Versorgungsplan zu erstellen, der einen konkreten Krankheitsverlauf ­berücksichtigt, während dem sich möglicherweise Behandlungswünsche ­ändern. Der Patient soll sicher sein, diese Wünsche stets aussagekräftig ­darlegen und sich auf die Berücksichtigung durch die behandelnden Ärzte verlassen zu können. Junge Programme wie das Verbundprojekt „RESPEKT - Respekt für vorausverfügte Entscheidungen und Präferenzen für den Fall von Krankheit und Tod“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung spiegeln solche Konzepte wider, mit denen Mediziner, Medizinethiker und ­Juristen Betroffene beraten und deren Interessen unterstützen.

 

PRAXISHINWEIS | Die vorgenannten ACP-Programme könnten sich perspektivisch auch in Deutschland rasch durchsetzen bzw. schnell in Pflegeeinrichtungen etablieren. Entsprechende Informationen der Einrichtungen werden dabei häufig unter der Bezeichnung „Ethikberatungt“ zusammengefasst und in Universitätskliniken durch Klinische Ethik-Komitees (KEK) angeboten, die auch für Angehörige und Betreuer eine hilfreiche Anlaufstelle darstellen.

 
Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 13 | ID 42471333