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· Fachbeitrag · Mandantenführung

Leichte Sprache für Mandanten im Sozialrecht: Verständlichkeit erleichtert die Kommunikation

von Rechtsanwaltsfachangestellter Christian Noe B.A., Leipzig

| Internetseiten, Behördenwegweiser und Publikationen werden immer öfter in leichter Sprache verfasst. Diese zeichnet sich durch besonderen Satzbau, Schreibweise sowie Bildern und Piktogrammen aus. Leichte Sprache richtet sich an Menschen mit Lese- und Verständnisschwierigkeiten. Wann und wie sie im Juristen- und Berateralltag und bei Vorträgen erfolgreich verwendet wird, zeigt dieser Beitrag. |

1. Leichte Sprache in der Kanzlei?

Schwierigkeiten drohen, wenn Mandanten einen Bescheid ihrer Krankenkasse oder ein Urteil in ihrem Sozialrechtsstreit nicht verstehen. Dabei ist nicht das bekannte Problem gemeint, dass Behördendeutsch und juristische Fachtermini generell für Laien unverständlich sind. Es geht speziell um Personen mit Behinderungen, älteren Menschen oder Personen, die aus unterschiedlichen Gründen ein nur schwach entwickeltes Leseverständnis haben. Sie scheitern häufig an dem für Juristen typischen Nominalstil oder langen Sätzen, mit denen ein Gesetz erklärt wird oder verstehen Verfahrensabläufe nicht.

 

Für Juristen ist es nicht ganz so einfach: Klage- oder Urteilsbegründungen, Gutachten oder komplexe juristische Sachverhalte schriftlich „leicht“ zu formulieren, ist oft nicht möglich oder zu zeitaufwendig. Leichte Sprache eignet sich daher meist für den grundsätzlichen Informationsfluss, wiederkehrende Abläufe oder Dinge, die der Mandant zu erledigen hat (z.B. fehlende Dokumente einreichen, einen Arzt zur Begutachtung aufsuchen).

 

Ebenso bedeutsam ist, vorhandene Kanzleibroschüren, im Wartebereich ausliegende Flyer und gegebenenfalls Aushänge in leichter Sprache zu verfassen. Dies entweder in unterschiedlich gestalteten Versionen oder aber „zweisprachig“ im gleichen Exemplar. Dies gilt auch für Aufnahme- oder Fragebogen, den viele Mandanten bei ihrem ersten Besuch ausfüllen müssen oder aber auch die sogenannten Fragebögen zur Person, die Sozialgerichte in Rechtsstreitigkeiten versenden.

2. So schreiben Sie leicht verständlich

Es heißt leichte Sprache, jedoch ebenso leicht vergisst man ihre Regeln zu Schriftweise, Satzbau und Ausdruck. Nachstehend die wichtigsten zu beachtenden Grundsätze, die mit speziellen Hinweisen für den Rechtsanwalt in der Checkliste ergänzt werden.

 

Checkliste 1 /  Anwaltliche Korrespondenz

  • Kein Nominalstil: Der Satz „Der Krankenversicherungsträger erinnert an die Zurverfügungstellung Ihrer Krankenunterlagen aus der XY-Klinik“) sollte lauten: „Sie waren in der ..-Klinik. Bitte senden Sie uns die Unterlagen der Klinik. Die Unterlagen heißen: Entlassungsbericht, Attest, Befundbericht. Das Gericht braucht diese Dokumente.“
  • Lange Wörter mit Bindestrich trennen („Sozial-Gesetz-Buch“, „Erwerbs-Unfähigkeits-Rente).
  • Verwenden Sie häufig Verben und aktive Wörter. Der Satz „Die Betriebsratswahl findet wie geplant statt, er wird am kommenden Montag gewählt“ wird zu einem kurzen: „Am Montag wählen Sie den Betriebsrat“.
  • Das Wort „nicht“ wird von Lesern oft übersehen - formulieren Sie positiv (anstatt „Die Gegenseite ist nicht bereit, die Original-Unterlagen bereits zum jetzigen Zeitpunkt herauszugeben.“ heißt es „[Herr/Frau] behält die Unterlagen. Wir müssen noch warten.“
  • Keine Bildsprache, Wortspiele oder englische Begriffe außer diejenigen, die in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen sind („Handy“).
  • Stets bei einem Terminus bleiben, nicht mit Synonymen arbeiten (entweder durchgängig „Berufung“ oder „Rechtsmittel, „Urteil“ oder „Entscheidung“).
  • Juristische Nomenklatur vermeiden, wenn keine Sinnentstellung droht (Begriffe wie „Spruchkörper“, „Beschleunigungsgrundsatz“, „Subsidiarität“). Grundsatz: Was gefahrlos umschrieben werden kann, wird umformuliert. Was nicht umschrieben werden kann, weil Missverständnisse drohen, wird persönlich oder telefonisch Kontakt aufgenommen.
  • Fremdwörter aus dem Behörden- und Juristendeutsch und ungenaue Oberbegriffe möglichst durch einfache Bezeichnungen ersetzen: Aus „genehmigen“ wird „erlauben“, aus „Kreditinstitut“ ggf. „Bank“.
 

Checkliste 2 /  Das müssen Ihre Schreibkräfte beachten

  • Briefbogen: Verwenden Sie dickes Briefpapier (80g oder mehr), dass zudem matt ist. Stets dunkle Schrift auf hellem Papier. Anschreiben sind zwar generell derart gestaltet, aber Aushänge oder Anlagen können häufig farbig und für die Betroffenen schlecht lesbar sein. Keine Texte auf Bildern
  • Schriftbild und -art: Gerade Schriftbilder (Arial, Calibri), Zeilen-Abstand von 1,5, nicht zwischen verschiedenen Schrifttypen wechseln, stets linksbündig schreiben (nicht einrücken)
  • Abkürzungen vermeiden oder aber ausschreiben. Besonders bekannte Abkürzungen können verwendet werden (WC, Prof.,), Zwischenüberschriften und Aufzählungselemente sind empfehlenswert
  • Keine Worttrennungen am Zeilenende. Sätze nicht in den letzten Zeilen einer Seite beginnen auf der nächsten fortsetzen, sondern Satz oder Absatz direkt auf der neuen Seite beginnen
  • Ziffern und Daten: Möglichst durchgehend arabische Ziffern, Zahlen möglichst nie ausschreiben. Daten und Fristen in der Schreibweise: 7. Oktober 2014 oder 7.10.2014, nicht: 07.10.2014), Rufnummern ohne Klammern oder Schrägstriche (Bindestriche zulässig): 02596-38 60 34 23
  • Sätze oder Wörter hervorheben: Entweder Fettdruck, Worte umrahmen oder mit heller Farbe hinterlegen. Keine Groß- oder Kursivschrift, niemals sperren (größere Buchstabenabstände)
  • Möglichst keine Sonderzeichen wie z.B. Auslandswährungen, &- und §-Zeichen, Semikolon
 

PRAXISHINWEIS | Sonderzeichen sind in der Anwaltskorrespondenz häufig nicht vermeidbar. Aber: Vielen Mandanten, die bereits Anwalts- oder Justizkontakt hatten, kennen Sonderzeichen. Alternative: Die Erklärung der wichtigsten und häufigsten Sonderzeichen kann auf einem Formblatt geschehen, dass ausgehändigt oder dem Anwaltsschreiben beigefügt wird. Sie kann auch mit Piktogrammen illustriert werden (vgl. 3). Ansonsten gilt: Erklären Sie oder schreiben Sie das Zeichen aus („Paragraf 613a“).

 
  • Beispiel: So formulieren Sie Texte um

In Ihrer Sozialrechtsangelegenheit übersenden wir Ihnen in der Anlage das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27.9.14. Die Entscheidung hat zwischenzeitlich Rechtskraft erlangt. Wie bereits die Vorinstanz hat auch die Kammer des Landessozialgerichts entschieden, dass Ihnen die Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ab Antragstellung zu gewähren sind. Ihre fernmündliche Anfrage vom heutigen Tage beantworten wir wie folgt: Sie meinten insoweit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das bereits am 18.8.06 in Kraft getreten ist.

 

Leichte Sprache: 

Das Landes-Sozial-Gericht hat jetzt entschieden. Sie haben den Prozess gewonnen. Das heißt: Die Versicherung muss die Kosten der Rehabilitation zahlen. Das Urteil ist endgültig. Ein anderes Wort dafür ist: Rechtskraft. Sie haben telefonisch nach einem Gesetzes-Text gefragt. Sie meinten das Allgemeine Gleich-Behandlungs-Gesetz. Das Gesetz gilt seit dem 18.8.06. Das schwere Wort dafür ist: Inkrafttreten. Die Abkürzung des Gesetzes heißt: AGG. Das AGG gibt es auch in leichter Sprache im Internet [Adresse einfügen]. Ziele vom AGG sind zum Beispiel

  • Benachteiligung bei der Arbeit und im Alltag stoppen,
  • Benachteiligung bei der Arbeit und im Alltag abschaffen.
  • Das AGG ist besonders wichtig für das Arbeits-Recht.
 

3. Bilder und Piktogramme einsetzen

Illustrationen vereinfachen das Verstehen von Texten. Sie eignen sich vorzugsweise für Formulare (Mandantenaufnahmebogen) oder Aushänge in der Kanzlei, in denen rechtliche Vorgänge in mehreren Schritten dargestellt werden (Ablauf der Zwangsvollstreckung, PKH-Beantragung).

 

Der Einsatz von Piktogrammen überschneidet sich häufig mit Maßnahmen der Barrierefreiheit (Noe, SR 14, 00). Aussagekräftige Piktogrammen signalisieren auch Ihre rechtlichen Fachgebiete auf dem Kanzleischild oder der Kanzlei-Website (Beispiel: www.hamburger-anwalt.de). Piktogramme gibt es auf www.lebenshilfe.de oder auch www.thenounproject.com.

4. Juristendeutsch - was kann schiefgehen?

Bei der leichten Sprache müssen Juristen häufig das vermeiden, was sie in jahrelanger Routine verinnerlicht haben: Nominalstil, Schachtelsätze, Passivkonstruktionen.

 

  • Die Vier-Punkte-Regel VEGE weist auf wichtige Gestaltungsregeln:
  • 1. Viele Absätze, viele Überschriften

Anschreiben gliedern, Zwischenüberschriften, wenn der Mandant länger informiert wird, stets linksbündig

  • 2. Einfacher Satzbau, kurze Sätze

Das Gericht entscheidet schnell.

  • 3. Genetiv und Konjunktiv vermeiden

„Der Anwalt von [Name Gegenseite] legt vielleicht Berufung ein (nicht: „Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten könnte in den kommenden Wochen Berufung einlegen“).

  • 4. Erklärung und Beispiele, wo sie sinnvoll sind

Wir haben Berufung eingelegt. Berufung heißt: Ein anderes Gericht entscheidet noch einmal. Die Entscheidung kann anders ausfallen oder gleich bleiben.

 

Viele Formulierungen und Beispiele können wiederholt verwendet oder abgewandelt werden, wie bspw. die Einlegung eines Rechtsmittels (VEGE, Punkt 4). Daher sind Textbausteine empfehlenswert.

PRAXISHINWEIS | Das Netzwerk Leichte Sprache unterstützt und begleitet die Gestaltung barrierefreier bzw. verständlicher Texte. Bei Unsicherheiten oder besonderen Fragen können Sie sich mit ihren Texten dorthin wenden.

 

5. Informationsmaterial und Ideen sammeln

Eine Anwaltskanzlei hat sich auf pflege- und krankenversicherungsrechtliche Mandate spezialisiert und betreut zahlreiche ältere Personen. Anregungen für gelungene Texte und Illustrationen bieten die kostenlosen Leitfäden „Leichte Sprache“ und „Rat-Geber“, die über das Bundesministerium zu bestellen sind (www.bundesregierung.de) .

 

Auch Justizbehörden nutzen die leichte Sprache. So hat beispielsweise das Bundessozialgericht Hinweise zum Sozialrechtsverfahren in seinen Internetauftritt integriert: www.bsg.bund.de/DE/Service/Leichte_Sprache/leichte_sprache_node.html; jsessionid=2760C1F94FA2F5107B3717074DE43E55.2_cid380. Schauen Sie einfach, was andere Behörden, Gerichte und Ämter machen und greifen Sie gelungene Ansätze für Ihre Kanzlei auf. „Das Parlament“, eine von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Zeitung, enthält in jeder Ausgabe mehrseitige Beilagen in leichter Sprache mit Bebilderungen (www.das-parlament.de).

 

Weisen Sie Ihren Mandanten auf geeignete Informationen, Gesetzestexte und Erklärungen im Internet hin. Diese sind mit dem Symbol des Netzwerkes Leichte Sprache gekennzeichnet (Viereck in blauer Farbe, darin ein Gesicht hinter einer aufgeschlagenen Zeitschrift und ein nach oben zeigender Daumen). Verweisen Sie auf wichtige Internetquellen sowie auf die Linkliste des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales:

 

Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 183 | ID 42985540