Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Berufsunfähigkeit

BU-Versicherer darf nicht hingehalten werden

| Hat der Versicherer fehlerhaft belehrt, kann der Versicherte die Berufsunfähigkeitsversicherung widerrufen. Und zwar auch noch, nachdem die Jahresfrist (§ 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F.) abgelaufen ist. Aber zwischendurch Leistungen beantragen und erst viele Jahre später widerrufen ‒ das geht nicht, sagt das OLG Karlsruhe (30.5.18, 12 U 14/18, Abruf-Nr. 203132 ). |

 

Sachverhalt

Der Rechtsstreit zeichnete sich durch einen besonders langen Zeitraum zwischen dem ursprünglichen Abschluss der BU-Versicherung und dem Widerspruch durch den Versicherten aus.

 

 

Entscheidungsgründe

Zwar war der Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt worden, da die fristauslösenden Unterlagen unvollständig benannt waren (BGH 28.9.16, IV ZR 192/14). Schon der Hinweis fehlte, dass der Beginn der Widerspruchsfrist nicht nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, sondern auch den Erhalt der Verbraucherinformationen nach § 10a VAG sowie der Versicherungsbedingungen geknüpft ist (§ 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F.). Daher bestand die Widerspruchsfrist auch nach Ablauf der Jahresfrist fort.

 

Verwirkt kann ein Widerspruchsrecht trotzdem sein, wenn seit der möglichen Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände eine verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Dies ist der Fall, wenn der Verpflichtete (hier: der BU-Versicherer) aus dem Verhalten des Versicherten schließen darf, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend macht. Erweckt er jedoch den Eindruck, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen, so erscheint sein nachträglicher Widerspruch treuwidrig. Dafür müssen aber besonders gravierende Umstände vorliegen, zu denen der BGH in zahlreichen Einzelfällen entschieden hat. Hier hatte der Kläger den Vertrag erst 17 Jahre nach Vertragsschluss bzw. 11 Jahre nach Kündigung durch die Beklagte widerrufen. Zudem hatte er 2004 Leistungen beantragt, worin eine vertragsbestätigende Handlung liegt. Der Kläger habe jahrelang die Rückabwicklung des Vertrages durch die Beklagte akzeptiert. Zeit- und Umstandsmoment seien daher nicht voneinander unabhängig zu betrachten, sondern stünden in einer Wechselwirkung.

 

Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner

in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden.

 

Relevanz für die Praxis

Konflikte im Rahmen einer BU-Versicherung drehen sich regelmäßig um zwei neuralgische Punkte: Zum einen die (auch hier gegenständliche) Frage, ob der Versicherer korrekt belehrt und alle Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Zum anderen, ob der Versicherer lückenlos alle Beschwerden und behandelnden Ärzte angegeben hat (SR 17, 4). Aber: Nicht jeder unerwähnte Arzttermin ist gleich ein arglistiges Verschweigen. Z. B., wenn es sich um einen unstreitig vereinzelt gebliebenen Arztbesuch handelt, bei dem auf dem Formular eines Rentenversicherers körperliche und psychische Beschwerden attestiert werden, und es nahe liegt, dass dies hauptsächlich für eine zu bewilligende „Familienkur“ geschieht (OLG Saarland, 9.5.18, 5 U 23/16). Bevollmächtigte müssen daher darauf achten, ob der Versicherer sich schnell als „arglistig getäuscht“ sieht, obwohl der jeweilige Arztbesuch diesen Vorwurf kaum hergibt. Mandanten müssen wissen, dass der Versicherer umfassend prüfen darf, ob bei Vertragsschluss auch korrekte Angaben gemacht wurden, bevor er eine BU-Rente auszahlt. Und hiervon werden Versicherer auch künftig Gebrauch machen, da BU-Renten einen erheblichen Kostenfaktor für den Versicherer darstellen (BGH 22.2.17, IV ZR 289/14, Abruf-Nr. 193773).

 

PRAXISTIPP | Es kommt auch darauf an, wie der Versicherte den Vertrag einsetzt: Er verwirkt sein Widerspruchsrecht, wenn er den Vertrag abtritt, um ein Baudarlehen zu sichern, und ihn dann über einen Zeitraum von 20 Jahren weiterführt (OLG Dresden 3.1.18, 4 U 1235/17). Dabei ist es egal, ob die Abtretung vor oder nach Vertragsabschluss erfolgte, es genügt ein enger zeitlicher Zusammenhang. Belehrt der Versicherer im Rahmen des 8-seitigen Antragsformulars (sog. „Doppelbelehrung“), erfüllt dies nicht die Anforderungen an eine Mitteilung im Sinne des § 19 Abs. 5 VVG (Hinweis auf Folgen einer Anzeigepflichtverletzung). Das hat kürzlich das OLG Saarland bestätigt (9.5.18, 5 U 23/16).

 

Weiterführende Hinweise

  • Berufsunfähigkeit: Versicherer darf umfassend prüfen, SR 17, 112
  • BU-Versicherung: Grunderkrankungen müssen angegeben werden, SR 17, 4
Quelle: Ausgabe 09 / 2018 | Seite 148 | ID 45392744