Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Heimvertrag

Die Bedeutung von Kündigungsfristen in Heimverträgen

von RA Michael Drasdo, FA Miet- und WEG-Recht, Neuss

| Kündigungsfristen sollen die Vertragspartner schützen. Jeder soll sich innerhalb der gesetzlich vorgesehenen oder vertraglich vereinbarten Fristen darauf vorbereiten können, wann ein Vertragspartner sich von der Vereinbarung lösen kann. Im Bereich des so genannten Heimrechts ist dies jedoch teilweise einvernehmlich Hoffnung. Der Beitrag gibt einen Überblick. |

1. Vertragliche Grundlagen

Heimverträge sind im BGB nicht geregelt. Sie bilden einen eigenen typengemischten Vertragstypus, der seinen Niederschlag im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) gefunden hat. Dieses gilt zwar nicht für alle Verträge, die eine Überlassung von Wohnraum und die Erbringung von Pflegeleistungen zum Inhalt haben. Es ist aber auf die meisten Vereinbarungen über die Nutzung von Alten- und Pflegeheimen anzuwenden.

 

Die gegenseitigen Leistungspflichten regelt § 7 WBVG. Danach ist der Unternehmer verpflichtet, den Wohnraum zu überlassen und die jeweils vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen zu erbringen. Der Bewohner muss das dafür vereinbarte Entgelt entrichten. In einer Vielzahl von Fällen erhält der Bewohner Leistungen nach dem SGB IX, SGB XI und/oder SGB XII. Er wird somit über das sogenannte sozialrechtliche Dreiecksverhältnis faktisch von seiner Leistungspflicht ganz oder teilweise freigestellt. Daher regelt das WBVG in zahlreichen Bestimmungen, dass die sozialrechtlichen Vorgaben Beachtung finden müssen.

 

MERKE | Um sicher zu stellen, dass zugunsten des Bewohners dieses System eingehalten wird, ordnet § 15 WBVG ausdrücklich an, dass der Unternehmer keine Vereinbarungen mit ihm treffen darf, die den sozialrechtlichen Vorgaben widersprechen. Damit hat das Sozialrecht auf die Gestaltung des Vertrags einen nicht unerheblichen Einfluss.

 

2. Kündigungsbestimmungen nach dem WBVG

Als eigener Vertragstyp muss der nach dem WBVG geschlossene Vertrag auch Kündigungsmöglichkeiten haben. § 11 WBVG sieht diese für den Bewohner und § 12 WBVG für den Unternehmer vor. Dabei ist dem Unternehmer eine Kündigung nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich, weil der Bewohner zum Erhalt seines im Regelfall letzten Wohnsitzes weitgehend geschützt werden muss und soll.

 

Einschränkungen der Kündigungsmöglichkeiten für den Bewohner sind hingegen im Wesentlichen nicht vorgesehen. Welche Kündigungsmöglichkeiten er hat, regelt § 11 WBVG.

 

  • Nach dessen Absatz 1 kann er den Vertrag spätestens am dritten Werktage eines Kalendermonats zum Ablauf desselben kündigen.

 

  • Zudem sind ihm in besonderen Fällen weitere Kündigungsmöglichkeiten eingeräumt, auf die der Unternehmer sich dem Grunde und der Befristung nach ausreichend einstellen kann.

 

  • Teilweise sind die Kündigungsgründe auch auf ein vertragliches Fehlverhalten des Unternehmers ausgerichtet oder betreffen, wie etwa Entgelterhöhungen, ein auf dessen Verhalten zurückgehendes Kündigungsrecht.

 

Insgesamt kann der Unternehmer daher entweder anhand der dem Bewohner zustehenden allgemeinen Kündigungsmöglichkeiten oder abhängig von ihm selber veranlassten Umständen ausreichend kalkulieren, wann das Vertragsverhältnis enden kann.

3. Die sozialrechtliche „Überraschungsklausel“

Es ist nahezu eine selbstverständliche Folge, dass jeder Vertragspartner bis zum Ablauf der Kündigungsfrist seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen muss. Das gilt auch für den Bewohner, der daher nach den Vorgaben der § 7 Abs. 2, § 11 WBVG das Entgelt für den Aufenthalt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist an den Unternehmer erbringen muss. Vertraut der Unternehmer nunmehr auf diese sich aus den §§ 7, 11 WBVG ergebenden Umstände, kann er im Einzelfall enttäuscht werden.

 

Denn § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI sieht, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners oder die der hinter ihm stehenden Kostenträger mit dem Tag endet, mit dem er u. a. aus dem Heim entlassen wird. Dies gilt zum einen für den Fall, dass er sich daran anschließend nicht wieder in ein Alten- oder Pflegeheim begibt. Es gilt aber auch, wenn er in eine andere Einrichtung umzieht. Für den Tag des Umzuges in ein anderes Heim darf nur das aufnehmende Heim das Gesamtentgelt berechnen.

 

MERKE | Nach § 87a Abs. 1 S. 4 SGB XI sind davon abweichende Vereinbarungen nichtig.

 

Dies bedeutet, dass zwar der Vertrag mit dem Bewohner bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter andauert. Zieht der Bewohner jedoch vor Ablauf der Kündigungsfrist aus, erhält der Unternehmer keinerlei Zahlungen mehr. Begründet ist dies dadurch, dass § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI über § 15 Abs. 1 WBVG trotz des sozialrechtlichen Hintergrundes eine zivilrechtliche Wirkung entfaltet.

 

Dies beeinflusst zwar nicht die Kündigungsfrist und damit die Dauer des Vertragsverhältnisses. Jedoch wird die Zahlungspflicht des Bewohners mit dem Tage seines Auszugs beendet (AG Bad Segeberg, BeckRS 2015, 12323; O‘Sullivan, PK-SGB XI, § 87a Rn. 18.). Der BGH (NJW 19, 53) begründet die Richtigkeit dieser Auffassung damit, dass § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI eine heimvertragsrechtliche Sonderregelung ist, wenn die Parteien Leistungsempfänger der Pflegeversicherung sind. Die Regelung will dem Prinzip der tagesgenauen Abrechnung gerecht werden. Das Entgelt soll nur für die Zeit von dem Unternehmer gefordert werden können, in der sich der Bewohner in dem Heim aufhält. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auch den Bewohner, nicht nur den Sozialversicherungsträger von der Leistungspflicht freistellen wollen. Die dadurch entstehenden Defizite kann der Heimträger durch eine Ausfallkalkulation berücksichtigen und auffangen (BT-Drs. 14/5395, S. 35.).

 

Der BGH geht weiter davon aus, dass eine andere Betrachtung auch nicht sinnvoll wäre. So schreibt § 87a Abs. 3 S. 3 SGB XI bei einem Heimwechsel den Umzugstag nicht dem bisherigen Unternehmer abrechnungsmäßig zu (BGH NJW 19, 53). Würde man den Bewohner weiter in der Leistungspflicht sehen, hätte dies zur Folge, dass der Bewohner zwar den Umzugstag, nicht aber den verbleibenden Rest des Monats vergüten müsse (AG Bad Segeberg BeckRS 2015, 12323).

4. Ausblick

Damit hat die in § 11 WBVG geregelte Kündigungsfrist nahezu keine Bedeutung mehr, wenn es zu einem Auszug des Bewohners vor Ablauf der Kündigungsfrist kommen sollte (Drasdo, NZM 15, 601).

 

Auch wenn die Regelung in den Fällen, in denen Leistungen nach dem SGB XI nicht bezogen werden, weiterhin gilt (O’Sullivan, PK-SGB XI, § 87a Rn. 21.), darf nicht verkannt werden, dass dies allenfalls bei einem Teil von etwa 14 Prozent der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen der Fall ist.

 

Auch ist die Intention des Gesetzgebers, der Unternehmer könne den Verlust durch eine Ausgleichskalkulation auffangen, nicht nachvollziehbar. Denn bei der hohen Quote der Empfänger von Leistungen im Sinne des SGB XI würde wiederum der Sozialversicherungsträger diese tragen. Da ein Umzug vor Ablauf der Kündigungsfrist auch nicht zwingend erforderlich ist, hätte es bei einer Vertragstreue des Bewohners der Regelung nicht bedurft. Insbesondere wäre zur Entlastung der Pflegekassen nicht notwendig gewesen, auch den Bewohner aus der zivilrechtlichen Haftung zu entlassen.

 

FAZIT | Insgesamt dürfte diese Lösung nur zu einer Verteuerung der Heimkosten führen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Heimvertrag: So machen Sie Gewährleistungsansprüche geltend: Drasdo, SR 19,122
  • Heimvertrag kann wegen des Verhaltens des Betreuers gekündigt werden: OLG Frankfurt a. M. SR 19, 168
Quelle: Ausgabe 06 / 2020 | Seite 106 | ID 46531289