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  • · Fachbeitrag · Haftpflicht

    Und immer wieder die gleichen Phrasen …

    | Steter Tropfen höhlt den Stein. Und so ist es eine Strategie der Versicherer, schadenrechtliche Unwahrheiten (Phrasen) so lange zu wiederholen, bis sie durch die massenhafte Wiederholung wahr klingen. Eben deshalb, weil man sie schon so oft gehört hat. Wiederholung prägt sich ein. Das weiß jeder, spätestens seit „Atemlos durch die Nacht“. Lassen Sie sich nicht einlullen. Erfahren Sie, welche Phrasen die Versicherer aktuell dreschen, und wie Sie diese einfach widerlegen. |

    Die Phrase von der Schadenminderungspflicht

    Ganz weit vorne auf der Liste der Pseudo-Rechtssätze, die - gemessen am laienhaften Rechtsgefühl - durchaus überzeugend klingen, steht die bei Versicherern überaus beliebte und aus deren Sicht auch bewährte Falschdefinition der Schadenminderungspflicht:

     

    „Der Geschädigte muss sich stets so verhalten, als müsse er den Schaden aus eigener Tasche bezahlen.“

     

    Tausendfach gelesen, tausendfach falsch, obwohl das Rechtsgefühl nicht auf Anhieb rebelliert.

     

    Wer knapp bei Kasse ist und sich selbst einen Schaden zufügt, übt oftmals Verzicht. Die Beule bleibt drin, ein Gebrauchtteil anderer Farbe muss herhalten, eine Billigreparatur unter Inkaufnahme von Reparaturrückständen wird beauftragt, zwei Stunden in Bus und Bahn statt eines Mietwagens werden akzeptiert. Und im ärgsten Fall wird der Betroffene sogar ganz auf das Auto verzichten, weil er sich kein anderes leisten kann.

     

    Das alles kann aber nicht der Maßstab der Schadenminderungspflicht sein.

    • Das sagt der BGH dazu

    „Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch, wie der Senat ebenfalls bereits ausgeführt hat, vom Geschädigten nicht, zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Denn in letzterem Fall wird der Geschädigte nicht selten Verzichte üben oder Anstrengungen machen, die sich im Verhältnis zum Schädiger als überobligatorisch darstellen und die dieser daher vom Geschädigten nicht verlangen kann. …

     

    Deshalb ist bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadenbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine subjektbezogene Schadenbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen.“ (BGH, Urteil vom 7.5.1996, Az. VI ZR 138/95, Abruf-Nr. 96494).

     

    Nicht in die Tasche des Schädigers sparen

    Der Geschädigte, so hat es der BGH auch schon formuliert, muss also „nicht in die Tasche des Schädigers sparen“. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass der Geschädigte dem beliebten Ansatz „Ist mir doch egal, was das kostet, ich muss es ja nicht selber bezahlen …“ freien Lauf lassen kann.

     

    Wo der Geschädigte keinen Einfluss hat, kann er auch nichts falsch machen.Entscheidend ist immer: Inwieweit muss dem Geschädigten eine Preisüberhöhung auffallen? Und inwieweit kann er das Entstehen einer bestimmten Schadenposition beeinflussen? Hatte er eine zumutbare Alternative? Muss er technisch schlauer sein als der Schadengutachter? Kann er selbst beurteilen, ob instandgesetzt werden kann oder erneuert werden muss?

     

    Das alles ist vom Satz des BGH „…Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen“ umfasst.

     

    An anderer Stelle hat der BGH formuliert: „Denn der erforderliche Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflußmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muß.“ (BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73).

    Die Üblichkeit wird nicht vom Durchschnitt bestimmt

    Gerne wiederholen Versicherer in beliebigem Zusammenhang zurzeit sehr gern bei den Abschleppkosten und bei den Stundenverrechnungssätzen, aber auch bei den Verbringungskosten, der „Durchschnitt“ bestimme die Üblichkeit. Die Obergrenze sei also jeweils vom Durchschnittspreis gezogen.

     

    Auch das ist schlichter Unsinn. Ein Durchschnitt setzt sich immer aus niedrigeren und höheren Einzelwerten zusammen. Das ist das mathematische Wesen des Durchschnitts. Würde man nun den Durchschnitt des Üblichen zur Obergrenze machen, hätte man ja - wegen der Kappung der höheren Werte - sofort einen neuen Durchschnitt. Wäre der nun wieder die Obergrenze, wären wir nahe am Märchen von „Hans im Glück“.

     

    Üblichkeit ergibt sich aus der Schwankungsbreite um den Durchschnitt herum. Und das was über dem Durchschnitt liegt, ist auch noch ein Element der Üblichkeit. Eben „von - bis“.

     

    Und gerade bei den Abschleppkosten gilt, dass die Rechtsprechung sehr viel „… Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten“ nimmt. Denn wenn die Polizei die Abschleppunternehmer ruft, wird sie selten akzeptieren, dass der Geschädigte Preisverhandlungen führt und den Abschleppwagen als zu teuer wieder fortschickt.

    „Nichts am Schaden verdienen…“

    Auch tausendmal gehört und dadurch jedenfalls im von Versicherern gebrauchten Zusammenhang nicht richtiger ist die Phrase: „Der Geschädigte darf am Schaden nicht verdienen“.

     

    Wer keinen Mietwagen nimmt, kann in den meisten Fällen Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen. Wer die Beule drin lässt, kann fiktiv abrechnen. Danach hat er Geld in der Hand. Aber im schadenrechtlichen Sinne ist das kein „Verdienen“, sondern ein Ausgleich für den Schaden.

     

    Ein regelmäßiger Anwendungsfall für die „Nicht am Schaden verdienen“- Phrase ist der Schaden am werkstatteigenen Fahrzeug. Der Versicherer kürzt die gutachterlich ermittelte Schadensumme um einen pauschalen Abschlag: Das sei der Unternehmergewinn, der nicht erzielt werden dürfe.

     

    Doch der BGH hat bereits vor Jahrzehnten entschieden: Wer einen Schaden in der eigenen Werkstatt beseitigt, bekommt jedenfalls dann den Marktpreis erstattet, wenn diese Werkstatt eigentlich für Fremdreparaturen bestimmt ist und eine ausreichende Auslastung hat, dass die Kapazitäten auch bestimmungsgemäß für Fremdreparaturen gebraucht wurden. Entschieden wurde das erstmals im Fall einer Schiffsreparatur. Wegen der Einheitlichkeit des Schadenersatzrechts ist das Urteil jedoch auch auf Fahrzeugfälle anwendbar.

     

    • Der maßgebliche Leitsatz des BGH lautet:

    „Einem Reeder, der sich gewerbsmäßig auch mit der Reparatur von Schiffen befasst, ist es nicht zuzumuten, bei der Reparatur eines eigenen Schiffes zugunsten des Schädigers auf seinen bei Reparaturarbeiten anfallenden Unternehmergewinn zu verzichten. Der Verzicht, in der Zeit einen Fremdauftrag zu bearbeiten, ist eine überobligatorische Anstrengung. Auf den Ertrag daraus hat der Schädiger keinen Anspruchn“ (BGH, Urteil vom 8.12.1977, Az. II ZR 189/75).

     

    Wichtig | Das hat der BGH 2013 noch einmal wiederholt. Damit ist die These der Versicherer vom Tisch, das 1977er Urteil sei veraltet (BGH, Urteil vom 19.11.2013, Az. VI ZR 363/12, Abruf-Nr. 140203).

     

    Daran hat auch die Entscheidung des BGH zur Anrechnungspflicht eines Werksangehörigenrabatts nichts geändert. Denn das ist ein ganz anderes Thema. Versicherer behaupten zwar nun, der Rabatt des Autohändlers bzw. der Werkstatt auf die UPE des Herstellers bei Ersatzteilen sei auch so eine Art „Werksangehörigenrabatt“, und deshalb sei er anzurechnen. Doch das ist jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht richtig. In der Werksangehörigenrabattentscheidung hat der BGH ausdrücklich betont, dass ein Ertrag aus einer überpflichtigen Anstrengung beim Geschädigten verbleibt.

     

    Der Unterschied ist eben: Dem Werksangehörigen fällt der Rabatt in den Schoß. Der Werkstattunternehmer dagegen muss seine Abläufe durcheinanderbringen und Kundenarbeiten vor sich herschieben, wenn er sein eigenes Fahrzeug repariert.

    Nutzungsausfall bei gewerblich genutzten Fahrzeugen

    In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass es für die Reparatur eines werkstatteigenen Fahrzeugs durchaus einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung geben kann. Und das trotz des Dauerbrenners, der da - falsch - lautet:

     

    „Bei gewerblich genutzten Fahrzeugen gibt es keinen Anspruch auf pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung. Der BGH hat den Anspruch auf privat genutzte Fahrzeuge begrenzt.“

     

    Das war einmal. Die moderne Rechtsprechung inklusive des BGH sieht das heute anders: Wenn das Fahrzeug so eingesetzt ist, dass sich ein Ertrag als Basis eines konkret bezifferbaren Schadens nicht errechnen lässt, wird auf die Pauschalierung nach der Nutzungsausfalltabelle zurückgegriffen (BGH, 4.12.2007, Az. VI ZR 241/06, Abruf-Nr. 080282).

    Erst fiktiv, dann doch repariert

    „Ihr Kunde hat mit uns bereits auf Gutachtenbasis abgerechnet. Nachforderungen wegen der nun durchgeführten Reparatur sind deshalb ausgeschlossen.“

     

    Auch diese These ist falsch. Denn der BGH hat mehrfach entschieden: Der Übergang von fiktiv auf konkret bleibt innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren möglich. Es sind keine Alternativen mit abschließender Wahl, sondern es bleibt derselbe Anspruch in einer anderen Abrechnungsmodalität (BGH, Urteil vom 17.10.2006, VI ZR 249/05, Abruf-Nr. 063557; BGH, Urteil vom 18.10.2011, Az. VI ZR 17/11, Abruf-Nr. 113481).

     

    Das erstgenannte BGH-Urteil betraf sogar einen Fall, bei dem der Schaden im 130-Prozent-Bereich lag. Ursprünglich wollte der Geschädigte das Fahrzeug abschaffen, dann hat er es sich anders überlegt und Wochen später die Reparatur in Angriff genommen. Auch das ist also möglich.

     

    PRAXISHINWEIS | Ein Hindernis könnte es aber geben. Und da müssen Sie genauer hinschauen: Wenn Ihr Kunde seine erste Abrechnung mit irgendeiner Erklärung versehen hat, die endgültig klingt („Bitte überweisen Sie den sich aus dem Gutachten ergebenden Schadenbetrag, damit ist die Sache dann erledigt.“), kann der Versicherer wohl darauf vertrauen, dass nichts mehr kommt.

     

    Einschränkung der freien Gutachterwahl

    „Wir haben bereits einen Gutachter beauftragt. Deshalb darf Ihr Kunde keinen weiteren Sachverständigen einschalten/hätte Ihr Kunde keinen Gutachter mehr einschalten dürfen“.

     

    Auch diese These ist nicht haltbar. Es ist gerade das Recht des Geschädigten, einen Gutachter auszuwählen und zu beauftragen. Auf einen vom Versicherer gewählten Experten muss er sich nicht einlassen. Die tägliche Praxis zeigt, dass Versicherer den von Ihnen beauftragten Gutachtern klare Anweisungen geben, wie kalkuliert werden soll.

     

    • Beispiel

    Bei klaren Reparaturschäden solle mit dem niedrigsten vor Ort auffindbaren Stundenverrechnungssatz und ohne UPE-Aufschläge und Verbringungskosten gerechnet werden. Lasse sich der Schaden damit jedoch in den Totalschaden treiben, solle der höchste Stundenverrechnungssatz genommen werden. Alle weiteren Positionen, so auch die sonst ungeliebten Aufschläge und Nebenkosten, sollen dann großzügig gerechnet werden.

     

    Vor solchem Hintergrund ist es nur richtig, dass die Rechtsprechung das Gebot der Waffengleichheit hochhält und das Recht auf den Gutachter auch dann nicht abspricht, wenn die Versicherung selbst aktiv wurde.

     

    Wichtig | Eine einzige Ausnahme gibt es: Wenn sich der Geschädigte mit der Versicherung ausdrücklich darauf geeinigt hat, dass der Gutachter von dort entsandt werden soll, hat er sein Recht quasi aufgegeben. Aber auch von der Ausnahme gibt es eine Ausnahme: Wenn sich der Geschädigte zwar mit dem eintrittspflichtigen Versicherer darauf verständigt hat, dass letzterer einen Schadengutachter entsendet, das Schadengutachten dann aber offensichtlich falsch ist, darf der Geschädigte selbst einen Schadengutachter einschalten, dessen Kosten der Versicherer erstatten muss (LG Saarbrücken, Urteil vom 22.2.2013, Az. 13 S 175/12, Abruf-Nr. 131016; AG Neumarkt i.d.Opf., Urteil vom 17.6.09, Az. 1 C 169/09, Abruf-Nr. 092694).

    Wertminderung bei älteren Fahrzeugen

    „Ab einer Laufleistung von 100.000 km und/oder einem Alter von mehr als fünf Jahren besteht kein Anspruch auf Wertminderung mehr“.

     

    Zu dieser „Uralt-Phrase“ hat der BGH das Gegenteil entschieden: Es gibt keine schematischen Grenzen für die Zuerkennung von Wertminderung (BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VI ZR 357/03, Abruf-Nr. 050015). Der einzige Maßstab ist das prognostizierte Marktverhalten bei Offenbarung eines reparierten Unfallschadens im Falle des gedachten Fahrzeugverkaufs.

    Wertminderung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen

    „Für gewerblich genutzte Fahrzeuge gibt es keine Wertminderung“.

     

    So tönt es immer wieder bei den Versicherern. Doch auch das ist Unsinn. Denn der BGH hat bereits für ausgewachsene Lkw entschieden, dass dort eine Wertminderung entstehen kann (BGH, Urteil vom 18.9.1979, Az.VI ZR 16/79).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2016 | Seite 7 | ID 44126406