· Fachbeitrag · Schadenabwicklung
10 Jahre Unfallregulierung effektiv: Die großen Themen - und was daraus geworden ist
| Mit der November-Ausgabe November 2005 ging Unfallregulierung effektiv (UE) an den Start. Mit dieser Ausgabe gibt es UE also seit zehn Jahren. Es ist interessant, einmal Rückschau zu halten und die großen Themen dieser zehn Jahre zu beleuchten. Manche Themen flackerten kurz auf, andere Themen entwickelten sich zum Dauerbrenner und werden uns auch noch lange erhalten bleiben. Eines jedoch ist über all‘ die Jahre unverändert geblieben: Wer sich auskennt, wird seltener über den Tisch gezogen. Das ist so und das bleibt so. Und daran wird UE weiter arbeiten. |
Vom Rechtsberatungs- zum Rechtsdienstleistungsgesetz
Ende 2005 war die Diskussion um die Renovierung des verstaubten Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) in vollem Gange. Das Bundesverfassungsgereicht hatte dem RBerG mehrfach attestiert, viel zu tief in die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit vieler Dienstleister einzugreifen. Das im Juli 2008 dann in Kraft getretene Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ist letztlich ein Spiegelbild der Ansichten des Bundesverfassungsgerichts. Für die Werkstatt-, Mietwagen- und Sachverständigenszene kam dabei heraus:
- Rechtsberatung bleibt im Grundsatz Sache der Rechtsanwälte und einiger anderer ausdrücklich berechtigter Berufe.
- Erst wenn in einer konkreten fremden Angelegenheit (der Unfall des Kunden ist eine solche) eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erforderlich ist, ist der erlaubnispflichtige Bereich jedoch berührt (§ 2 Abs. 1 RDG).
- Rechtliche Unterstützung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung ist in den Grenzen des § 5 Abs. 1 RDG erlaubt.
Die Standardantworten zu Schadenpositionen im Kundengespräch sind in aller Regel unterhalb der Schwelle zur rechtlichen Prüfung, also erlaubt. Die Durchsetzung der abgetretenen Forderung durch die Werkstatt, den Sachverständigen oder den Autovermieter ist ebenfalls erlaubt. Allerdings hat der BGH eingeschränkt, dass das nur solange gilt, wie nicht auch um die Haftungsverteilung hinsichtlich der Unfallentstehung gestritten wird.
FAZIT | Dieser Streitschauplatz darf inzwischen als befriedet gelten. Alle Vorhersagen der UE sind in der Rechtsprechung eingetreten. |
Der Streit um die Mietwagenkosten
Als UE an den Start ging, war es bereits passiert: Der BGH hatte seine frühere sehr großzügige Rechtsprechung wegen massiver Übertreibungen mancher Autovermieter deutlich eingeschränkt: Außer in der - sehr eng gefassten - Not- und Eilsituation muss der Geschädigte die Mietpreise verschiedener Anbieter vergleichen. Tut er das nachweislich und mietet er innerhalb der Ergebnisse zu einem üblichen Preis, muss er diese Mietkosten erstattet bekommen. Weil aber im richtigen Leben wohl kaum ein Unfallgeschädigter vor der Anmietung die Preise vergleicht, wurde das zum Problem: Dann soll der Richter „das Übliche“ zusprechen. Wie der Richter „das Übliche“ bestimmt, überlässt der BGH ihm selbst.
- Anfangs war das unproblematisch, denn es stand nur der Schwacke-Mietpreisspiegel zur Verfügung. Mit dessen Zahlen konnte man leben.
- Dann aber initiierten die Versicherer den Fraunhofer-Marktpreisspiegel zu den Mietwagenkosten. Dieser beruht im Wesentlichen auf den Preisen einer Handvoll Anbieter und auf für das Unfallgeschäft unrealistischen Vorgaben (sieben Tage vorher buchen, Vorauszahlung mit Kreditkarte etc.). Dennoch ist die Rechtsprechung irgendwann in die Richtung gekippt. Fragt man die Fraunhofer-Fans unter den Richtern hinter den Kulissen, bekommt man oft zur Antwort: „Ich habe auch schon mehrfach in der Werkstatt einen Mietwagen genommen. Der war jeweils noch viel billiger.“
Über dieses Problem wird die Werkstattbranche noch oft nachdenken müssen: Es gibt für das gleiche Produkt oft gigantische Preisspreizungen. Das ist nicht nur beim Mietwagen (Mobilität versus Unfallersatz) so, sondern auch bei den Stundenverrechnungssätzen (Großkunde versus Unfallabrechnung mit Versicherer) oder den Abschleppkosten (Schutzbrief versus Haftpflichtschaden). Das bleibt nicht ohne Spuren.
FAZIT | Der Mietwagenkrieg ist noch immer in vollem Gange. Eine Lösung ist nicht in Sicht. |
Fiktive Abrechnung und Stundenverrechnungssätze
Immer, wenn ein Fahrzeug unrepariert in Zahlung genommen wird, wird die sonst so ungeliebte fiktive Abrechnung für die Werkstatt selbst relevant. Der BGH hat insoweit vor einigen Jahren festgelegt:
- Bei Fahrzeugen, die nicht älter als drei Jahre sind, bleiben die Stundenverrechnungssätze der Marke am Ort des Geschehens der Maßstab.
- Ist das beschädigte Fahrzeug älter als drei Jahre, kommt es darauf an: War es für Wartung und Reparaturen stets in der Markenwerkstatt, bleibt es bei deren Preisen. Wenn nicht, darf der Versicherer auf die Kosten anderer gleichwertiger Preise verweisen. Das ist soweit geklärt.
Der Streit verlagert sich auf die Ebene, wie der Versicherer den Verweis vornehmen kann: Genügt eine Umrechnung auf theoretische Beträge oder muss - wie beim Restwert - ein Angebot vorgelegt werden? Das wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich gesehen. Auch die Frage, wie die technische Gleichwertigkeit nachgewiesen werden muss, wird in der Rechtsprechung mit einer sehr großen Bandbreite beantwortet.
FAZIT | Wegen der für die Versicherer großen Relevanz wird der Streit noch ewig weitergehen. |
Das Hinweis- und Informationssystem (HIS) des GDV
In den Zusammenhang der fiktiven Abrechnung gehört das Hinweis- und Informationssystem, das der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft zum 1. April2011 installiert hat. Darin werden Daten zu Unfällen gespeichert und allen Versicherern sichtbar gemacht.
Mag man gegen den Aspekt der Betrugsabwehr gar nichts einwenden können, so sind die Risiken und Nebenwirkungen dieser „Versicherer-Schufa“ doch bemerkenswert. Derzeit häufen sich die Fälle, bei denen der Versicherer einen dem Gebrauchtwagenkäufer unbekannten fiktiv abgerechneten Vorunfall ausgräbt. Betrifft der die räumlich gleiche Stelle am Fahrzeug, muss nach der Rechtsprechung der Geschädigte nachweisen, wie der alte Schaden beseitigt wurde. Weil er das regelmäßig nicht kann, bekommt er auch für den Neuschaden nichts. Ein solcher Fall liegt derzeit beim BGH zur Klärung, welche Pflichten der Geschädigte in der Situation hat.
FAZIT | Für die Versicherungswirtschaft wird die fiktive Abrechnung damit immer attraktiver: Netto und oft mit reduzierten Stundenverrechnungssätzen. Und mit Glück ist das der letzte Schaden, der an dem Fahrzeug zu erstatten sein wird. |
Die „Prüfberichte“ und die Nebenkosten und Kleinpositionen
Etwa zeitgleich mit UE etablierten sich Dienstleister am Markt, die für die Versicherer Schadengutachten, Kostenvoranschläge und Rechnung „prüfen“. In den dabei generierten „Prüfberichten“ werden massenhaft kleinere Positionen angegriffen. Dies oder das sei überflüssig, müsse nur gegen Nachweis erstattet werden, sei generell in Ordnung, aber zu teuer. Der Phantasie sind wenig Grenzen gesetzt. Aktuell gipfelt das in breiten Attacken auf die Kosten der Lackierung.
Alles das übersieht: Der Geschädigte darf sich beim Haftpflichtschaden auf das Schadengutachten verlassen und den Auftrag erteilen: „Reparieren, wie es im Gutachten vorgesehen ist“.
Dennoch sind diese Systeme sehr erfolgreich. Der Grund liegt einzig darin, dass die Möglichkeiten zur Gegenwehr bei Kaskoschäden gering sind und bei Haftpflichtschäden angesichts der jeweils niedrigen, aber eben massenhaften Kürzungspositionen eine Gegenwehr manchmal als wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint.
FAZIT | Hier muss sich jeder entscheiden: Auch um kleine Positionen kämpfen oder ausbuchen. Der dritte Weg des Jammerns und Nichtstuns führt nicht weiter. |
Der wiederbelebte Streit um den Restwert
An der Restwertfront war Ruhe. Bei Kaskoschäden hat der Versicherer ein Weisungsrecht, und bei Haftpflichtschäden war die Rechtsprechung (Wertermittlung am örtlichen allgemeinen Markt, Geschädigter darf sich auf das Gutachten verlassen und ohne Rücksprache mit dem Versicherer verkaufen, solange ihm kein Überangebot vorliegt) stabil. Zwar wurden Überangebote über die Restwertbörsen beschafft. Doch wenn die zu spät kamen, wurde das Gutachten akzeptiert.
FAZIT | Die Kampagne eines Versicherers, der die Rechtsprechung zu drehen versucht, und ein unsäglich BGH-widriger Beschluss des OLG Köln haben dem Streit neue Nahrung gegeben. Das Ende ist nicht absehbar. |
Kampf der Versicherer gegen Sachverständige und Anwälte
Nichts ist für einen Versicherer angenehmer, als ein Geschädigter, der den Juristen und Technikern aus der eigenen Organisation völlig unterlegen ist. Daher versuchen sie seit Jahrzehnten, die Rechtsprechung zu ändern:
- Die Bagatellgrenze für die Erstellung eines Gutachtens soll steigen, und
- Anwälte sollen bei einfach gelagerten Fällen nicht mehr eingeschaltet werden (dürfen).
Diese Versuche prallen weitestgehend ab. Denn die Gerichte sehen die Nachteile einer freihändigen Regulierung: Keine Wertminderung, keine Beweissicherung, Verlust vieler kleiner Schadenbeträge:
- So werden die zirka 750 Euro, die der BGH als Bagatellgrenze für ein Gutachten in den Raum gestellt hat, von den meisten Gerichten gehalten. Nur vereinzelt gehen die Gerichte in Richtung von 1.000 Euro. Aber auch unterhalb dessen lautet die einzige Alternative nicht „Kostenvoranschlag“. Ebenso gut kann der Geschädigten den Schadengutachter mit der Erstellung eines „schmalen“ Produktes beauftragen. Der Vorteil dabei: Auf gutachterliche Ergebnisse darf sich der Geschädigte verlassen.
- Gleiches gilt für den anwaltlichen Beistand: Nur bei sehr großen Fahrzeugflotten als Geschädigten gibt es Ausreißerentscheidungen, die der Auffassung sind, der Geschädigte müsse es erst selbst versuchen. Nur, wenn der Versicherer Widerstände aufbaut, dürfe er nachladen.
FAZIT | Die Rechtsprechung, die dem Geschädigten unter den Stichwort „Waffengleichheit“ die fachmännische Unterstützung zugesteht, ist weitestgehend stabil. |