· Fachbeitrag · Schadenabwicklung
Wann muss der Geschädigte was vorfinanzieren?
| Bei verschiedenen Schadenpositionen stellt sich die Frage: Muss der Geschädigte in das eigene Portemonnaie greifen, um den Schädiger durch eine Vorauszahlung zu entlasten? Muss er den Mietwagentarif nehmen, der den Einsatz der Kreditkarte voraussetzt? Muss er die Reparatur aus eigenen Mitteln vorfinanzieren, um Standzeiten und damit die Standkosten und den Ausfallschaden niedrig zu halten? Schnell fällt da das Wort „Schadenminderungspflicht“. |
Die Regel und die Ausnahme
Eine Entscheidung des BGH vom 18.02.2020 zur fiktiven Abrechnung enthält Passagen, die eine klare Antwort geben: Nein, im Regelfall muss er das nicht. Schon gar nicht muss er Kredit aufnehmen. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Steht der Geschädigte so gut da, dass ihm eine Vorauszahlung gar nichts ausmacht, kann eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ein anderes Licht auf die Situation werfen.
Im BGH-Fall ging es um eine fiktive Abrechnung und damit um eine nur gedachte Reparatur. Wenn der Geschädigte schon bei einer nur gedachten Reparatur nicht „gedacht“ in die eigene Geldbörse fassen muss, dann muss er das bei einem tatsächlichen Geldabfluss erst recht nicht tun.
BGH fasst langjährige Rechtsprechung neu zusammen
Wörtlich heißt die Passage beim BGH: „Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Dieser Rechtsgrundsatz würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich als verpflichtet an, die Schadensbeseitigung zeitnah nach dem schädigenden Unfall vorzunehmen und damit ganz oder teilweise aus eigenen oder fremden Mitteln vorzufinanzieren. Das Bestehen einer derartigen Obliegenheit kommt nur dann in Betracht, wenn dem Geschädigten im Einzelfall ausnahmsweise ein Zuwarten mit der Schadensbeseitigung als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann.“ (BGH, Urteil vom 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19, dort Rz. 17, Abruf-Nr. 215406).
Das alles ist nicht neu. Der BGH hat in diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung zu diesem Themenkreis lediglich zusammengefasst. Er verweist dabei selbst auf seine früheren Entscheidungen.
Die Schwierigkeit in der Praxis ist es, den Geschädigten in die Schublade „Muss nichts vorfinanzieren“ oder eben „Dem geht es finanziell so ungewöhnlich gut, dass er mit einem Warten auf den Versicherer gegen Treu und Glauben verstieße“ einzuordnen.
Dieser Beitrag geht im Folgenden von der Bandbreite vom „armen Schlucker“ bis zum Normalbürger aus, der auch bei ordentlichen finanziellen Verhältnissen nicht mal eben ein paar Tausender für die Unfallschadenbeseitigung zur Verfügung hat.
Der Mietwagen
Betriebswirtschaftlich leicht nachvollziehbar ist ein Mietwagentarif günstiger, wenn sich der Autovermieter keine Sorgen um sein Geld machen muss. So ziemlich jede Anmietung außerhalb des Firmenkundengeschäfts und außerhalb des Unfallersatzgeschehens setzt folglich eine Vorauszahlung auf die zu erwartenden Mietwagenkosten zuzüglich der Kaution voraus. Nicht zuletzt deshalb wird dabei der Mietzeitraum auch im Vorhinein bestimmt, damit die Summe ermittelt werden kann. Das Standardmittel der Bezahlung ist ‒ auch online ‒ dabei die Kreditkarte.
Wenn ein Unfallgeschädigter so vorgehen würde, könnte er unter Umständen ‒ aber sicher ist das auch nicht ‒ einen Tarif bekommen, der niedriger ist als die Schwacke-Werte.
Doch muss er das? Nach dem obigen BGH-Zitat muss er das nicht. Zwar fließt nicht direkt Geld ab, doch die nächste Abbuchung des Kreditkarteninstituts kommt bestimmt. Im günstigsten Fall erst in einem Monat, oft schon früher, nämlich wenn die Karte kurz vor dem Abbuchungstermin eingesetzt wird.
Dazu hat der BGH sich schon einmal geäußert, und das nachfolgende Zitat steht, obwohl man es auf den ersten Blick meinen könnte, nicht im Widerspruch zu oben Gesagtem:
„Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die Frage, ob der Geschädigte in Fällen der Inanspruchnahme eines Mietwagens nach einem Verkehrsunfall zum Einsatz seiner Kreditkarte oder zu einer sonstigen Art der Vorleistung verpflichtet ist, nicht generell verneint werden kann, es vielmehr auf den jeweiligen Einzelfall, insbesondere darauf ankommt, ob dem Geschädigten der Einsatz einer Kreditkarte oder die Stellung einer Kaution möglich und zumutbar ist (Senatsurteil BGHZ 163, 19, 26). Dies wird weitgehend von Art und Ausmaß der Beschädigung des Fahrzeugs sowie von den Umständen abhängen, in denen der Geschädigte durch den Schaden betroffen wird, insbesondere von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, wobei es ihm grundsätzlich zuzumuten ist, die im Zusammenhang mit der Instandsetzung anfallenden Kosten ohne Rückgriff auf einen Bankkredit aus eigenen Mitteln vorzustrecken, wenn dies ohne besondere Einschränkung der gewohnten Lebensführung möglich ist.“ (BGH, Urteil vom 06.03.2007, Az. VI ZR 36/06, Rz. 9, Abruf-Nr. 071391).
Widersprüchlich scheint nämlich zu sein, dass in dem aktuellen BGH-Urteil die Pflicht, aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, in der Regel nicht besteht.
Aber die Entscheidung aus dem Jahr 2007 sagt im Ergebnis nichts anderes, wenn man den letzten Halbsatz nicht übersieht: „… wobei es ihm grundsätzlich zuzumuten ist, die im Zusammenhang mit der Instandsetzung anfallenden Kosten ohne Rückgriff auf einen Bankkredit aus eigenen Mitteln vorzustrecken, wenn dies ohne besondere Einschränkung der gewohnten Lebensführung möglich ist.“
Wer dem Autovermieter ‒ was praktisch schon von dessen Seite eher nicht mehr geht ‒ eine Barkaution für die zu erwartenden Kosten hinterlegt, wird als Normalbürger anschließend doch schauen müssen, wie er danach mit seiner normalen und ausdrücklich nicht einzuschränkenden Lebensführung nicht „in die Miesen“ gerät, was ja faktisch eine Kreditaufnahme wäre. Auch, wenn der Dispokredit vorab vereinbart ist und keiner aktuellen Verhandlungen bedarf, muss er irgendwann mit derzeit horrenden Zinsen zurückgeführt werden.
Wer die Kreditkarte einsetzt, ist in derselben Situation, wenn das Kreditkarteninstitut abbucht. Das ist also eine Wette auf die Zukunft: Wird das Geld vom Versicherer ungekürzt da sein, wenn das Kreditkarteninstitut abbucht?
Dass die Erstattung auf die Mietwagenkosten ungekürzt (!) eingegangen sein wird, glauben nur unverbesserliche Optimisten. Für die in diesem Beitrag betrachtete Gruppe der Geschädigten, eben der „wirtschaftlichen Normalbürger“, scheidet die Pflicht zum Online- oder Offline-Einsatz der Kreditkarte nach unserer Auffassung aus.
Daran scheitern dann auch die in den Prozessen von den Versicherern immer wieder per Screenshot vorgelegten vorgeblichen Nachweise, dass der Geschädigte hätte billiger anmieten können. Denn die setzen nahezu ausnahmslos eine Vorabzahlung auf die Mietwagenkosten voraus. Und damit scheiden diese Angebots-Screenshots aus.
Die Reparatur des Fahrzeugs
Zur Reparatur des Fahrzeugs hat der BGH für die Fallgruppe der „Normalen“ alles gesagt: Sogar die nur gedachte Reparatur muss nicht beauftragt werden, bevor der Schädiger das Geld dafür zur Verfügung gestellt hat. Also darf der Geschädigte auch auf die Deckungszusage des Versicherers warten, wenn er reparieren lassen möchte. Er dürfte sogar auf den Geldeingang auf vorläufiger Gutachtenbasis warten, doch in der Praxis genügt den Beteiligten in der Regel die Zusage. Man muss es ja nicht auf die Spitze treiben.
Das Warten auf die Deckungszusage führt zu zweierlei:
- 1. Bei ungünstigem Zeitablauf rutscht der Geschädigte dann über den routinemäßigen Preiserhöhungstermin der Werkstatt. Wenn die Deckungszusage erst kommt, wenn die neuen Preise gelten, muss der Versicherer den Schaden auch auf der Grundlage der erhöhten Preise erstatten. Er kann nicht einwenden, das Warten über den Preiserhöhungszeitpunkt hinaus sei ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht.
- Das ergibt sich unmittelbar aus der Entscheidung des BGH zur fiktiven Abrechnung, in der zunächst die Grundsätze für die tatsächliche Reparatur herausgearbeitet werden:
- „Wie im Ausgangspunkt vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, ist der materiell-rechtlich maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs in Geld ‒ im Rahmen der Grenzen des Verjährungsrechts ‒ der Zeitpunkt, in dem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt, also der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung. … Diese Grundsätze dienen in erster Linie dem Schutz des Gläubigers gegen eine verzögerte Ersatzleistung des Schuldners. Zusätzliche Schäden und eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten vor vollständiger Erfüllung, etwa durch Preissteigerungen, gehen deshalb in der Regel zu dessen Lasten.“ (BGH, Urteil vom 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19, Rz. 11, Abruf-Nr. 215406).
- 2. Während des Wartens laufen, wenn das Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr benutzbar ist und auch durch eine Notreparatur (s. u.) nicht mehr nutzbar gemacht werden kann, Standkosten und Ausfallschaden Tag für Tag auf. Das ist dann so, und dafür ist der Schädiger verantwortlich.
Die Notreparatur
Streng genommen muss auch eine eventuelle Notreparatur zur Wiederherstellung der Nutzbarkeit des Fahrzeugs erst in Angriff genommen werden, wenn der Versicherer die Kosten dafür ausreichend bevorschusst hat.
Doch darf man dabei eines nicht aus dem Auge verlieren: Bei der Treu und Glauben-Erwägung, ob der Geschädigte ausnahmsweise doch Geld vorlegen muss, geht es für die Notreparatur oft um einen nur kleinen Betrag. Wer nichts hat, hat auch den nicht. Aber manchem Kunden, dem zwar keine Vorleistung über mehrere Tausend Euro zugemutet werden kann, könnte eine 200-Euro-Vorleistung doch vom Gericht auferlegt werden. Immerhin sagt der BGH in der oben zitierten Kreditkartenentscheidung: „Dies wird weitgehend von Art und Ausmaß der Beschädigung des Fahrzeugs sowie von den Umständen abhängen, in denen der Geschädigte durch den Schaden betroffen wird, insbesondere von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, …“
Zwar hat die Notreparatur nichts mit dem Ausmaß der Beschädigung insgesamt zu tun. Verengt man den Blick aber auf das Ausmaß des Notreparaturanteils, kann sich dieser Anteil als ‒ gemessen an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Geschädigten ‒ nur geringfügig erweisen.
Warnpflicht bleibt, doch „… hat nichts“ muss nicht mehr sein
An der Warnpflicht aus § 254 Abs. 2 BGB ändert das alles nichts. Erweitert sich der Schaden, weil der Geschädigte nicht in Vorleistung tritt, muss der Schädiger vorsorglich immer noch gewarnt werden. Doch kann man nun freundlicher formulieren:
„Der Geschädigte gehört nicht in die Gruppe, derer, die zur Vorleistung aus eigenen Mitteln verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19, Rz. 17, Abruf-Nr. 215406). Eine verzögerte Regulierung verteuert also den Schaden. Dies ist der Hinweis gemäß § 254 Abs. 2 BGB.“